Verstehen 2 (LWBT)

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"Verstehen" tritt in zwei Varianten auf. Wittgenstein läßt sprachlich unförmiges Verstehen zu.

Jedenfalls unterscheiden sich beide Varianten von Kontexten, in denen von Verstehen gar nicht die Rede ist.

Beiden ist gemeinsam, dass Verstehen uns auf eine spezifische Weise betrifft. Wir werden in Anspruch genommen.

Wie kann man den Übergang von der Betroffenheit durch Bedeutung zu aktivem Verständnis beschreiben. Eine Chiffre muss dekodiert werden. Darin liegt der Übergang.

Der verstandene Satz wird Teil meiner Sprache. Ich kann mit ihm etwas anfangen. Auch etwas anderes anfangen.

Nichtverstehen von Bestandteilen von Bildern. Auf einer Zeichnung Menschen oder Zwerge sehen.

===> "Und so auch ..." Verstehen ganzheitlich. (Ms 110, S.42) Wittgenstein beantwortet die Frage nach dem aktiven Verstehen über eine Beschreibung des Bildverstehens.



"Verstehen" amorph gebraucht, "Verstehen" mehrdeutig.

Amporphes und propositionales Verstehen

"Du hast mit der Hand eine Bewegung gemacht; hast Du etwas damit gemeint? - Ich dachte, Du meintest, ich solle zu Dir kommen".
Die Frage ist, ob man fragen darf, "was hast Du gemeint". Auf diese Frage aber kommt ein Satz zur 
Antwort. Während, wenn man so nicht fragen darf, das Meinen - sozusagen - amorph ist. 
Und "ich meine etwas mit dem Satz" ist dann von derselben Form wie: "dieser Satz ist nützlich", 
oder "dieser Satz greift in mein Leben ein".

Könnte man aber antworten: "ich habe etwas mit dieser Bewegung gemeint, was ich nur durch diese 
Bewegung ausdrücken kann"?

Vieles "greift in mein Leben ein". Wittgenstein arbeitet an einer Konstellation spezieller Art. Ein Medikament im Gegensatz zu einem Placebo. Das erste wirkt durch chemische Prozesse, beim zweiten fehlen solche Prozesse und es wirkt doch. Wodurch wirkt es? Handelt es sich um denselben Begriff von "wirken", wenn es einerseits über Chemie, andererseits über Bewusstsein läuft?

Was ist die Situation, in der man nicht nach dem Gemeinten einer Handbewegung fragen darf?

Zwei Handbewegungen der Polizistin

  • weiterfahren!
  • kommen Sie hieher!

Die Geste zum Weiterfahren könnte man so auffassen, wie das Fahren eines Polizeiautos auf der Autobahn in der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit. Damit ist nicht gemeint, dass andere Verkehrsteilnehmerinnen die Geschwindigkeit nicht überschreiten dürfen.

Amorph heißt: nicht im System der Sprache analysierbar. Der Vorgang, der "von Verstehen begleitet ist", hat aber trotzdem eine Struktur. Die Frage ist, wie diese Struktur zur Befindlichkeit kommunizierender Personen steht.

Zuerst einmal: beide Arten des Verstehens unterscheiden Sprache von anderen Abläufen.

Wir unterscheiden doch Sprache, von dem, was nicht Sprache ist. Wir sehen Striche und sagen, 
wir verstehen sie; und andere, und sagen, sie bedeuten nichts (oder, uns nichts). Damit ist 
doch eine allgemeine Erfahrung charakterisiert, die wir nennen könnten: "etwas als Sprache 
verstehen" - ganz abgesehen davon, was wir aus dem gegebenen Gebilde herauslesen. 

Ich sehe eine deutsche Aufschrift und eine chinesische: Ist die chinesische etwa ungeeignet 
etwas mitzuteilen? - Ich sage, ich habe Chinesisch nicht gelernt. Aber das Lernen der 
Sprache fällt als blosse Ursache, Geschichte, aus der Gegenwart heraus. Nur auf seine Wirkungen 
kommt es an, und die sind Phänomene, die eben nicht eintreten, wenn ich das Chinesische 
anschaue. (Warum sie nicht eintreten, ist ganz gleichgültig.)

Erlebnisse sind ein passiver Modus der Spracherfahrung

Geben wir denn den Worten, die uns gesagt werden, willkürliche Interpretationen? Kommt nicht das 
Erlebnis des Verstehens mit dem Erlebnis des Hörens der Zeichen, wenn wir 'die Sprache der 
Andern verstehen'?

Wenn mir jemand etwas sagt und ich verstehe es, so geschieht mir dies ebenso, wie, daß ich, 
was er sagt, höre.

Und hier ist Verstehen das Phänomen, welches sich einstellt, wenn ich einen deutschen Satz 
höre, und welches dieses Hören vom Hören eines Satzes einer mir nicht geläufigen Sprache unterscheidet.

Die Chiffre: ein Übergang

Denken wir an eine Chiffre: Ein Satz sei uns in der Chiffre gegeben und auch der Schlüssel, dann ist uns 
natürlich, in gewisser Beziehung, Alles zum Verständnis der Chiffre gegeben. Und doch würde ich, gefragt 
"verstehst Du diesen Satz in der Chiffre", etwa antworten: Nein, ich muß ihn erst entziffern; und erst, 
wenn ich ihn z.B. ins Deutsche übertragen hätte, würde ich sagen "jetzt verstehe ich ihn".

Wenn man hier die Frage stellte: "In welchem Augenblick der Übertragung (aus der Chiffre ins Deutsche) 
verstehe ich den Satz", so würde man einen Einblick in das Wesen des Verstehens erhalten.

Ich sage einen Satz "ich sehe einen schwarzen Kreis"; aber auf die Wörter kommt es doch nicht an; setzen 
wir also statt dieses Satzes "a b c d e". Aber nun kann ich nicht ohne weiteres mit diesem Zeichen den 
oberen Sinn verbinden (es sei denn, daß ich es als ein Wort auffasse und dies als Abkürzung des oberen Satzes). 
Diese Schwierigkeit ist doch aber sonderbar. Ich könnte sie so ausdrücken: Ich bin nicht gewöhnt statt 
'ich' 'a' zu sagen und statt 'sehe' 'b', und statt 'einen' 'c', etc.. Aber damit meine ich nicht, daß 
ich, wenn ich daran gewöhnt wäre, mit dem Worte 'a' sofort das Wort 'ich' assoziieren würde; sondern, 
daß ich nicht gewöhnt bin 'a' an der Stelle von 'ich' zu gebrauchen - in der Bedeutung von 'ich'.

Verstehen ist auch aktiv aufzufassen

"Ich sage das nicht nur, ich meine auch etwas damit". - Wenn man sich überlegt, was dabei in uns vorgeht, 
wenn wir Worte meinen (und nicht nur sagen), so ist es uns, als wäre dann etwas mit diesen Worten gekuppelt, 
während sie sonst leer liefen. - Als ob sie gleichsam in uns eingriffen.

Ich verstehe einen Befehl als Befehl, d.h., ich sehe in ihm nicht nur diese Struktur von Lauten oder Strichen, 
sondern sie hat - sozusagen - einen Einfluß auf mich. Ich reagiere auf einen Befehl (auch ehe ich ihn befolge) 
anders, als etwa auf eine Mitteilung oder Frage.

Der Satz, wenn ich ihn verstehe, bekommt für mich Tiefe.

Ich sage: Das Verstehen bestehe darin, daß ich eine bestimmte Erfahrung habe. --
Daß diese Erfahrung aber das Verstehen dessen ist - was ich verstehe - besteht darin, 
daß diese Erfahrung ein Teil meiner Sprache ist.

Man kann manchen Satz nur im Zusammenhang mit anderen verstehen. Wenn ich z.B. irgendwo lese: 
"nachdem er das gesagt hatte, verließ er sie, wie am vorigen Tag". Fragt man mich, ob ich 
diesen Satz verstehe, so ist nicht leicht, darauf zu antworten. Es ist ein deutscher Satz 
und insofern verstehe ich ihn. Ich wüßte, wie man diesen Satz etwa gebrauchen könnte, 
ich könnte selbst einen Zusammenhang für ihn erfinden. Und doch verstehe ich ihn nicht so, 
wie ich ihn verstünde, wenn ich die Erzählung bis zu dieser Stelle gelesen hätte. (Vergleiche Sprachspiele.)

Umweg: Bildverstehen

Was heißt es, ein gemaltes Bild zu verstehen? Auch da gibt es Verstehen und Nichtverstehen. Und auch 
hier kann " verstehen" und "nicht verstehen" verschiedenerlei heißen. - Wir können uns ein Bild 
denken, das eine Anordnung von Gegenständen im dreidimensionalen Raum darstellen soll, aber wir 
sind für einen Teil des Bildes unfähig, Körper im Raum darin zu sehen; sondern sehen nur die gemalte 
Bildfläche. Wir können dann sagen, wir verstehen diese Teile des Bildes nicht. Es kann sein, daß die 
räumlichen Gegenstände, die dargestellt sind, uns bekannt, d.h. Formen sind, die wir aus der 
Anschauung von Körpern her kennen, es können aber auch Formen auf dem Bild dargestellt sein, die wir 
noch nie gesehen haben. Und da gibt es den Fall, wo etwas - z.B. - wie ein Vogel aussieht, nur nicht 
wie einer, dessen Art ich kenne; oder aber wo ein räumliches Gebilde dargestellt ist, dergleichen 
ich noch nie gesehen habe. Auch in diesen Fällen kann man von einem Nichtverstehen des Bildes reden, 
aber in einem anderen Sinne als im ersten Fall.

Aber noch etwas: Angenommen, das Bild stellte Menschen dar, wäre aber klein und die Menschen darauf etwa 
ein Zoll lang. Angenommen nun, es gäbe Menschen, die diese Länge hätten, so würden wir sie in dem Bild 
erkennen und es würde uns nun einen ganz andern Eindruck machen, obwohl doch die Illusion der 
dreidimensionalen Gegenstände ganz dieselbe wäre. Und doch ist dieser tatsächliche Eindruck, wie er da 
ist, unabhängig davon, daß ich einmal Menschen in der gewöhnlichen Größe, und nie Zwerge, gesehen habe, 
wenn auch dies die Ursache des Eindrucks ist.

Dieses Sehen der gemalten Menschen als Menschen (im Gegensatz etwa zu Zwergen) ist ganz analog dem 
Sehen der Zeichnung als dreidimensionales Gebilde. Wir können hier nicht sagen, wir sehen immer 
dasselbe und fassen es nachträglich, einmal als das Eine, einmal als das Andre auf, sondern wir 
sehen jedes Mal etwas Anderes.

Vorgabe: ein Bild, das Gegenstände im Raum darstellen soll, wie Sätze Sachverhalte mitteilen. Mit manchen Teilen des Bildes können wir nichts anfangen. Wir wissen nicht, welche Rolle sie spielen. Wir verstehen sie nicht. Es sind bloße Zeichengestalten.

Worin liegt dieses Nicht-Verstehen? Es gibt eine Szene, die einen Zweck haben soll, aber er ist nicht ganz klar. Das unterscheidet sich von Situationen, von denen kein "Anspruch" ausgeht. Es stört nicht, wenn man nicht weiß, aus welchem Zweck sich ein Blatt im Wind bewegt. Ausschlaggebend ist hier die Suggestion des Rahmens: es ist ein Bild, darum können wir uns etwas von ihm erwarten.

Die semiotischen Leerstellen erzeugen einen psychischen Zustand. Ich möchte einen bestimmten Übergang zwischen zwei Filmclips herstellen und "Ich verstehe nicht, wie das geht". Sozusagen ein amporphes Nicht-Verstehen. Dem entspricht auf der anderen Seite das amorphe Verstehen, das die Kompetenz begleitet.

Nutzanwendung: Verstehen als Sichtweise

Und so auch, wenn wir einen Satz mit Verständnis und ohne Verständnis lesen. (Erinnere Dich daran, wie 
es ist, wenn man einen Satz mit falscher Betonung liest, ihn daher nicht versteht, und nun auf einmal 
daraufkommt, wie er zu lesen ist.)

(Beim Lesen einer schleuderhaften Schrift kann man erkennen, was es heißt, etwas in das gegebene 
Bild hineinsehen.) 

Wenn man eine Uhr abliest, so sieht man einen Komplex von Strichen, Flecken etc., aber auf ganz bestimmte 
Weise, wenn man ihn als Uhr und Zeiger auffassen will.

Wir könnten uns den Marsbewohner denken, der auf der Erde erst nach und nach den Gesichtsausdruck der 
Menschen als solchen verstehen lernte und den drohenden erst nach gewissen Erfahrungen als solchen 
empfinden lernt. Er hätte bis dahin diese Gesichtsform angeschaut, wie wir die Form eines Steins betrachten.

Kann ich so nicht sagen: er lernt erst die befehlende Geste in einer gewissen Satzform verstehen?

Chinesische Gesten verstehen wir so wenig, wie chinesische Sätze.

Zum Beispiel Filmclips verstehen

Kurt Kren: 4/61 Mauern pos.–neg. und Weg

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Stan Brakhage: Mothlight

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Eine bestimmte Praxis: Sätze formulieren, Bilder herstellen. Wir setzen Worte zusammen, wir operieren mit Pinseln und Kameras. Das kann verschiedene Zwecke haben. Eine Kamera kann als Blumentopf verwendet werden. Aber sie hat auch einen intendierten Zweck. Ein Nagel an der Wand kann als Kleiderhalter dienen, aber auch ein eigens dafür angebrachter Haken. Worin besteht der Unterschied zwischen Nagel und Haken? Beide werden in einen Zweckzusammenhang eingebunden. Die Rolle des Hakens ist aber aus diesem Zweckzusammenhang zu erklären. Sätze, Bilder sind aus Kommunikationsabsichten zu erklären. Was passiert aber, wenn sie ihr nicht entsprechen?

Ein "Kleiderhaken", auf den man nichts aufhängen kann. "Ist das überhaupt ein Kleiderhaken?" Sprachliche und filmische Zeichen unter der Annahme des gewohnten Zweckzusammenhanges. Wir versuchen, sie einzupassen.

Wenn es gelingt, eine Eingliederung vorzunehmen, wie ist das zu beschreiben? Eine Zuordnungs- bzw. Handlungsregel ist erfolgreich. Die Bilder soll man nicht der Reihe nach in einem Zeitablauf, sondern in einer Spalte statisch ansehen, dann sieht man, was die Zeichen abbilden. Was ist dann der Zweck dieser Verrätselung?

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