Verstehen 1 (LWBT)

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Die auf dieser Seite verwendeten Tabellen stammen aus der Diplomarbeit von Nicolas Reitbauer.


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Sätze werden nicht verstanden

Kann man denn etwas Anderes als einen Satz verstehen?
Oder: Ist es erst ein Satz, wenn man es versteht? Also: Kann man Etwas anders, als als Satz verstehen?

Man möchte davon reden, "einen Satz zu erleben".
Läßt sich dieses Erlebnis niederschreiben?

Da ist es wichtig, daß es in einem gewissen Sinn keinen halben Satz gibt.
Das heißt, vom halben Satz gilt, was vom Wort gilt, daß es nur im Zusammenhang des Satzes Bedeutung hat.

Das Verstehen fängt aber erst mit dem Satz an.
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Tatsachen als Sätze erleben

Im MS 110 stellt Wittgenstein die Frage, was "einfache" Tatsachen von Sätzen, die ebenfalls Tatsachen sind, unterscheidet. Die Welt besteht generell aus Tatsachen, da machen Sätze keinen Unterschied.

Das Satzzeichen besteht darin, dass sich seine Elemente, die Wörter, in ihm auf bestimmte Art und Weise zueinander verhalten.
Das Satzzeichen ist eine Tatsache. (TLP 3.14)
Dass das Satzzeichen eine Tatsache ist, wird durch die gewöhnliche Ausdrucksform der Schrift oder des Druckes verschleiert.

Denn im gedruckten Satz z.B. sieht das Satzzeichen nicht wesentlich verschieden aus vom Wort. (TLP 3.143)

Andererseits besteht aber ein Unterschied. Sätze können etwas, was z.B. Holzstöße nicht können.

Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus. (TLP 3.1)
Wir benützen das sinnlich wahrnehmbare Zeichen (Laut- oder Schriftzeichen etc.) des Satzes als Projektionsmethode der möglichen Sachlage.

Die Projektionsmethode ist das Denken des Satz-Sinnes. (TLP 3.11)

Wittgenstein bemerkt, dass er diesen Unterschied erklären muss. Verstehen und Satz sind unzertrennlich. Dann sind Sätze doch etwas besonderes. Worin besteht das dann? In einem Erlebnis.

Ich erlebe eine Tatsache als Satz.

Wie kommt hier das Erlebnis ins Spiel? Und zwar ein ganzheitliches Erlebnis.

Wittgenstein geht von der Beobachtung aus, dass es einen Übergang von nicht-sprachlichen zu sprachlichen Tatsachen gibt. Ovid, Ars Amatoria 3, 576:

fUgiUnt carPITe mANu QUaE pomA CELerI
QUAE FUGIUNT CELERI CARPITE POMA MANU
Quae fugiunt, celeri carpite poma manu.
Poma, quae fugiunt, carpite celeri manu.

Auch einfache Tatsachen sind ganzheitlich, sie setzen sich aus Komponenten zusammen. Aber Sätze sind dazu noch einheitlich aufgefasst. Es sind Tatsachen zu einem bestimmten Zweck, nämlich der Projektion der Sachlage. Daher kommt der Erlebnischarakter. Die Überprüfung der Satzverwendung im Tractatus führt zum Bild der Innerlichkeit des Sprechens.

Ideal Sprache?

Die Sprache war im Tractatus als Ideal vorausgesetzt. Wenn das relativiert wird, muss es unterschiedliche Projektionsweisen des Satzzeichens auf die Welt geben. Z.B. die gewöhnliche deutsche Projektionsweise. Wer sich in ihr bewegt, hat keine andere Möglichkeit, als die Verwendung von Satzzeichen, sollte es Probleme geben, durch die Verwendung anderer (deutsch verstandener) Satzzeichen zu erläutern.

In 211 im Vergleich zum Manuskript geändert:

Nicht übernommen: "Sprache der Anordnung der Sessel im Zimmer. Ich kann die Leute die mir auf der Straße entgegen kommen als Sprache deuten."
Am Schluß aber/also müssen sich die Zeichen unterscheiden.
"Beispiel" transferiert.

Paukenschlag

Siehe Verstehen:_Übersicht_(LWBT)

Handschriftlich hinzugefügt: "(und darum interessiert es uns nicht)"

Worum immer es sich beim Verstehen handelt, es beginnt beim Satz. Das ist eine Variation von "Die Welt ist alles, was der Fall ist" - keine Liste von Dingen. Es ist koextensiv mit diesen Strukturen. Wir verfügen nicht über einen Zugang zu den gegebenen Strukturen, der sie von außen aufzubauen gestattet. Wir können uns nicht für das Verstehen interessieren, weil es immer schon in unseren Sätzen liegt. Die Ergänzung von WA 3.267.14 ist eine Überleitung zu WA 3.268.10, wo es um die Unmöglichkeit der Metalogik geht.

Ausgelassen sind in 213 die Passagen WA 3.268.1 - 3.268.9. (Siehe den Kontext der nächsten Bemerkung.) Anstelle einer assoziativen Entwicklung der Sprung zu einer apodiktischen Bemerkung. Das ausgelassene Material enthält aber eine für die spätere Entwicklung zentrale Formulierung. In ihr wird die Tatsachenwelt des Tractatus über die Frage des Verstehens mit der Aufgabe der Philosophie generell verbunden.

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Die Philosophie läßt alles wie es ist. Diese Bemerkung steht im TS 213 auf Seite 218, im Kapitel über die Methode der Philosophie. Wieder aufgenommen TS 220, S. 81 (Frühfassung der "Philosophischen Untersuchungen").

Exkurs zur Philosophie der Nicht-Intervention (LWBT)

Verstehen ist kein Thema

Wie es keine Metaphysik gibt, so gibt es keine Metalogik. Das Wort "Verstehen", der Ausdruck "einen Satz verstehen", ist auch nicht metalogisch, sondern ein Ausdruck wie jeder andre der Sprache.

Wir haben es also in unsern Betrachtungen mit dem Verstehen des Satzes nicht zu tun; denn wir selbst müssen ihn verstehen, damit er für uns ein Satz ist.

Es wäre ja auch seltsam, daß die Wissenschaft und die Mathematik die Sätze gebraucht, aber von ihrem Verstehen nicht spricht.
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Verstehen ist kein Bewusstseinszustand

Man sieht in dem Verstehen das Eigentliche, im Zeichen das Nebensächliche. - Übrigens, wozu dann das Zeichen überhaupt? - Nur um sich Andern verständlich zu machen?  [Aber wie ist das möglich? Aber wie geschieht dies?] - Hier wird das Zeichen als eine Medizin angesehen, die im Andern die gleichen Magenschmerzen hervorrufen soll, wie ich sie habe.

Auf die Frage "was meinst du", muß zur Antwort kommen: p; und nicht: "ich meine das, was ich mit 'p' meine".


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Die Sprache ist ein Ganzes

Sprachliche Mitteilungen sind übersichtlich

Sprechen erklärt sich selbst