Transkription FiK)
Tugendhat: Vortrag zu Willensfreiheit
Transkription von Alex
Das Problem der Willensfreiheit ist nach meiner Meinung nicht, ob es sie gibt, die Willensfreiheit, sondern wie sie zu verstehen ist. Einer gewöhnlichen Meinung zufolge bestünde der freie Wille darin, dass man tun kann was man will. Zum Beispiel, ich könnte jetzt, wenn ich wollte, meine Hand heben. Aber dazu ist zu sagen, erstens, dass meine Handlung von meinem Willen abhängt, ist nicht Willensfreiheit, sondern was man Handlungsfreiheit nennt. Zweitens: kürzlich ist von Gehirnphysiologen gezeigt worden, dass jedes Mal, wenn eine Person ihren Finger heben will, diesem Willensakt eine Gehirnbewegung um einen Bruchteil einer Sekunde voraus geht. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre müssten wir annehmen, dass er durch psychologische Bedingungen verursacht worden war. Denn die Alternative wäre, dass ich das Wollen aus dem Nichts heraus zaubere. Und diese Vorstellung ist ebenso grotesk wie unbegründet. Auch wenn es ernsthafte Philosophen gegeben hat, die sie vertreten haben.
Das wirkliche Problem der Willensfreiheit, das Problem das die Philosophen über Jahrhunderte hinweg beschäftigt hat, ist nicht das, das sich durch das Heben meiner Hand exemplifizieren lässt, sondern das Problem der Verantwortlichkeit. Wie ist es zu verstehen, dass wir einander für unsere Handlungen verantwortlich machen können, und dass wir einander und auch uns selbst Vorwürfe machen können? Das setzt voraus, dass die Person nicht nur tun kann was sie will, sondern dass sie, was sie will, kontrollieren kann. Erst hier ist es sinnvoll, statt von Handlungsfreiheit von Willensfreiheit zu sprechen
Wir sagen, es hängt von mir ab, ob ich einem Wunsch nachgebe oder nicht. Es hängt von mir ab, ob ich mich entscheide, gemäß einem Wunsch oder einem anderen zu handeln. Dieses Wollen der Person selbst ist, wie man mit Harry Franfurt (?) sagen kann, ein Wollen zweiter Ordnung, ein reflexives Wollen, dessen Gegenstand die unmittelbaren Wünsche sind, die, die man in sich vorfindet. Das ist offenbar ein spezifisch anthropologisches Phänomen. Auch bei anderen Tieren meinen wir, dass sie Handlungsfreiheit haben. Auch sie können, wenn sie nicht gezwungen werden, ihre Glieder bewegen wie sie wollen. Aber wir glauben nicht, ihnen Vorwürfe machen zu können. Man zieht Tiere nicht zur Verantwortung und kleine Kinder auch nicht.
Das Problem der Willensfreiheit ist also nicht ein Problem, dass das Wollen im allgemeinen betrifft. Es bezieht sich speziell auf die menschliche Fähigkeit, die impliziert ist wenn wir sagen können, es liegt an ihm, oder ihr, oder mir. In der älteren philosophischen Tradition ist das klar gesehen worden. Aristoteles unterschied zwischen sinnlichen und rationalen Wünschen. Ein sinnlicher Wunsch ist einer, der einfach eine Tatsache des Bewusstseins ist. Rationales Wünschen ist reflektiertes, überlegtes Wünschen. Wenn wir überlegen, fragen wir nach Gründen. Die Fähigkeit zu überlegen und nach Gründen zu handeln, ist das was für Aristoteles den Menschen von anderen Tieren unterscheidet. Aristoteles sieht diese Fähigkeit auch im Zusammenhang damit, dass Menschen ein Zeitbewusstsein haben. Wenn Menschen sich nicht explizit auf Zwecke und auf ihr künftiges Leben beziehen würden, hätten sie kaum einen Anlass zu überlegen.
Bei Kant finden wir in der „Kritik der reinen Vernunft“ eine Gegenüberstellung des menschlichen Wollens gegenüber dem tierischen Wollen, das der Auffassung von Aristoteles sehr ähnlich ist. Kant ist dann freilich im Zusammenhang der Moral zu einem absoluten Freiheitsbegriff gekommen, der ihn in große Schwierigkeiten gebracht hat und von dem wir hier ganz absehen können.
Für John Locke besteht der zentrale Punkt dieses Phänomens im Vermögen, die Befriedigung der eigenen Wünsche, wie er sagte, suspendieren zu können, um zu prüfen, ob sie gut sind. Offensichtlich kann das Überlegen einer Person für ihr Handeln nur wirksam werden, wenn sie diese Fähigkeit hat, ihre Wünsche zu suspendieren. Jemanden verantwortlich zu machen, ist nur sinnvoll, wenn vorausgesetzt ist, dass er diese Fähigkeit der Selbstkontrolle hat.
Das zentrale Problem hinsichtlich der Willenfreiheit ist seit langem in der Frage gesehen worden, ob der freie Wille mit dem kausalen Determinismus kompatibel ist oder nicht. Aber Viele haben nicht verstanden, dass das ein Problem ist, das sich nicht hinsichtlich des allgemeinen Phänomens des Wollens ergibt, das sich durch das Heben meines Fingers exemplifizieren lässt, sondern nur hinsichtlich des überlegten, reflexiven Wollens. Bei einem schlichten Wollen, also dem was Aristoteles als sinnlich bezeichnet, verursacht der Determinismus gar keine Probleme. Dass eine Handlung frei ist, heißt, dass sie vom eigenen Wollen bestimmt ist und das ist der Fall, wenn die Handlung nicht unter Zwang steht. Und dass das Wollen seinerseits vollständig kausal determiniert ist, erscheint unproblematisch. Es ist ein Fehler, das kausale Determiniertsein als Zwang anzusehen. Erst beim reflexiven Wollen entsteht eine Schwierigkeit. Wenn wir von Selbstkontrolle und Verantwortlichkeit sprechen, implizieren wir, dass das was man tut, nicht nur von den Wünschen der Person abhängt, sondern teilweise auch von ihr selbst. Und es ist dieses Phänomen, von dem man meinen kann, dass es mit dem Determinismus nicht kompatibel sei. Aber bevor wir uns mit dem Problem des Determinismus konfrontieren, müssen wir das Phänomen selbst aufklären. Denn es ist nicht ohne weiteres klar, was es heißen soll, dass die Person selbst etwas will.
Ein guter Ausgangspunkt ist der Begriff, der dem der Freiheit entgegengesetzt ist, der Begriff des Zwanges. Man spricht von äußeren Zwängen und auch von inneren Zwängen. Aber das Wort Zwang hat in den zwei Fällen einen ganz unterschiedlichen Sinn. Wenn die Person unter einem normalen, das heißt unter einem äußeren Zwang steht, dann heißt das, sie kann nicht so handeln wie sie will. Äußerer Zwang betrifft also die Handlungsfreiheit. Hingegen wenn das vorliegt, was man einen inneren Zwang nennt, heißt das, dass die Person unfähig ist, ihre Wünsche zu suspendieren und so zu kontrollieren. Obwohl sie frei handelt, kann man sie dann für ihr Handeln nicht verantwortlich machen. Ein innerer Zwang verhindert also nicht das freie Handeln, sondern nur die Freiheit des Willens. Wenn man sagt, eine Person stehe unter einem inneren Zwang, meint man, dass sie nicht die Fähigkeit hat, ihr Verhalten von ihrer Überlegung und von Gründen bestimmen zu lassen. Sie tut was sie will, aber sie kann ihr Wollen nicht kontrollieren. Man sagt dann, meine Überlegung und mein Urteil, was ich für das bessere halte, sind wirkungslos.
Mein Urteil über das was besser ist – darin liegt ein doppeltes: Es bin jeweils ich, der sich in der Willensfreiheit zu seinen unmittelbaren Wünschen verhält und zweitens, das geschieht immer in bezug auf etwas, was als gut und besser beurteilt wird. Dieser Bezug auf was man für gut hält, ist für das Phänomen der Selbstkontrolle ebenso konstitutiv, wie dass es an mir liegt. Offenbar geschieht die Suspension von unmittelbaren Wünschen nicht in einem luftleeren Raum oder aufs Geradewohl (das würde gar keinen Sinn ergeben, obwohl es immer noch Philosophen gibt, die meinen, dass gerade darin Willensfreiheit bestünde), sondern immer in Funktion von etwas, was man für gut hält, in Funktion eines Zwecks oder eines praktischen Grundes.
Um die Beziehung zwischen diesen zwei Seiten zu verstehen, dem des Ich und dem des Guten, ist es nützlich, sich an das zu erinnern, was Aristoteles über den Zusammenhang des reflexiven Wollens und dem Zeit- und Zukunftsbewusstsein gesagt hat. Das Zukunftsbewusstsein hat zur Folge, dass Menschen immer in Handlungsspielräumen stehen und dabei ergeben sich zwei Typen von Spielräumen. Der eine ist der Spielraum des Überlegens und der Wahl. Man überlegt, welches der beste Weg ist, der zu einem Ziel führt, oder auch auf welche Ziele man sich ausrichten soll. Ist man einmal auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet, dann ergibt sich zweitens ein Spielraum von mehr oder weniger Aufmerksamkeit und Anspannung. Ich muss aktiv an dem Ziel festhalten und die widerstrebenden motivationalen Faktoren unter Kontrolle halten. Man denke zum Beispiel an einen Wettläufer. Dieser zweite Spielraum besteht darin, dass ich an dem Ziel stärker oder schwächer festhalten kann. Beide Spielräume, der des Überlegens und der des sich Anstrengens, sind Ich-Spielräume und in beiden bin ich auf Gutes ausgerichtet. Im ersten geht es darum, das Bessere zu wählen, im zweiten darum, möglichst ausschließlich auf das Ziel ausgerichtet zu sein. Dass beides Ich-Spielräume sind, zeigt sich daran, dass wir in beiden Fällen das Bewusstsein haben, es liegt an mir. Im ersten, dass ich richtig wähle, im zweiten, dass ich am Ziel festhalte. Man kann in beiden Fällen von Ich-Stärke sprechen, im Sich-nicht-ablenken-lassen durch die entgegenstehenden Gefühle und Motive. Beide Spielräume sind auch Spielräume für Verantwortlichkeiten und Vorwürfe. Andere können mir und ich kann mir vorhalten, dass ich falsch gewählt habe, oder in dem anderen Fall, dass ich in der Verfolgung meines Ziels nachgelassen habe. In beiden Fällen handelt es sich um Willensfreiheit, um wollendes Sich-Verhalten zum eigenen Wollen.
Man kann nun in bezug auf diese Spielräume mehrere Stufen unterscheiden. Die erste Stufe lässt sich in der Notwendigkeit sehen, die für Menschen besteht, sich um ihre Zukunft zu kümmern. Wir alle müssen in unserer Kindheit lernen, auf gegenwärtige Befriedigungen zu Gunsten unseres künftigen, sogenannten potentiellen Wohls zu verzichten. Das wäre also eine erste Stufe der Selbstkontrolle in bezug auf die wir auf unsere Verantwortlichkeit angesprochen werden können.
Eine zweite Stufe besteht darin, dass wir nicht nur gegenwärtige Wünsche künftigen Wünschen unterordnen, sondern dass wir alle unmittelbaren Wünsche, ob gegenwärtig oder zukünftig, Werten unterordnen können, wie wir uns verstehen wollen. Diese zweite Stufe betrifft das, was in der antiken Philosophie als Frage nach dem guten Leben bezeichnet wurde. Hier ist vom eigenen potentiellen Guten in einem höheren Sinn die Rede als auf der ersten Stufe.
Die Moral schließlich können wir als eine dritte Stufe bezeichnen. Man wird die moralische Einstellung, wie immer man sie näher verstehen will (sei es mehr als eine Disposition wechselseitige Normen einzuhalten, oder mehr als die Bereitschaft, die Gründe anderer zu meinen eigenen Gründen zu machen), als eine bestimmte Ausformung des Selbstverständnisses verstehen. Wenn das die Gründe, die Gründe anderer sind, oder die, die sich aus gemeinsamen Institutionen ergeben, für mich bestimmend sind, heißt, dass ich mich auf sie hin verstehe. Sie bilden einen Teil meines Verständnisses von gutem Leben.
Schließlich folgt noch eine vierte Stufe, weil die zweite und die dritte Stufe mehr konventionell oder mehr autonom verstanden werden können. Einerseits können sowohl die potentiellen wie die moralischen Werte einfach konventionell übernommen werden, andererseits kann das Individuum ihr Gutsein in frage stellen und fragen, was wirklich potentiell gut und was wirklich moralisch gut ist.
Ich will diese vier Stufen als starke Alternativen bezeichnen, um sie von den komparativischen Alternativen zu unterscheiden, die sich im Überlegen innerhalb jeder dieser Stufen ergeben. Man steht hier jeweils in einem vertieften Sinn vor einer Alternative, und auch die Rede von Verantwortlichkeit und Unverantwortlichkeit hat dann jeweils einen anderen Sinn. Wie kannst du dich nur - so kann man einer Person auf der ersten Stufe vorhalten - um die Folgen für dein weiteres Leben nicht kümmern? Oder dann beim dritten Schritt wird zum Beispiel gesagt: ist es nicht unverantwortlich, sich nur egoistisch zu verhalten? Beim vierten Schritt schließlich, stehen wir vor der Frage des Sokrates. Ist es nicht unverantwortlich, so wird etwa gesagt, nur so dahin zu leben, ohne sich über die eigenen Werte Rechenschaft zu geben.
Ich habe diese vier Stufen unterschieden, ebenso wie die zwei Spielräume, die sich durch alle hindurch ziehen, um nicht einer ungebührlichen Simplifikation nachzugeben. Oft wird so gesprochen, als ob die einzige tiefere Alternative, die zwischen Egoismus und Moral wäre. In der angelsächsischen Philosophie wird häufig, wenn von Verantwortlichkeit gesprochen wird, diese geradezu als moralische Verantwortung bezeichnet. Mit den vier Stufen erhebe ich aber keinen Vollständigkeitsanspruch. Wir müssen zum Beispiel von diesen vier Arten der praktischen Verantwortlichkeit als weitere Dimension, die der theoretischen Verantwortlichkeit unterscheiden. Wir haben die Fähigkeit, über die Richtigkeit unserer Meinungen zu reflektieren. Eine Person, die sich nicht darum kümmert, ob ihre Meinungen begründet sind, könnte als unverantwortlich in diesem anderen Sinn bezeichnet werden. Während das Ziel der praktischen Überlegung das Gute ist, in seinen verschiedenen Bedeutungen, ist das Ziel der theoretischen Überlegung das Wahre. Was ich als vierte Stufe der praktischen Verantwortlichkeit bezeichnet habe, lässt sich als eine Anwendung der Frage nach dem Wahren auf die Frage nach dem Guten beschreiben. Wir können danach fragen, was wirklich, das heißt wahrhaft gut ist.
Ich sollte vielleicht noch bemerken, dass ich es für falsch halte, die strafrechtliche Verantwortlichkeit als moralische Verantwortlichkeit zu bezeichnen. Um als verantwortlich vor dem Gesetz angesehen zu werden, reicht es aus, dass die Person verantwortlich ist in dem Sinn, den ich als erste Stufe bezeichnet habe. Sie muss lediglich die Fähigkeit haben, ihr Handeln in bezug auf künftige Güter und Übel einzuschränken, also die möglichen Strafen in ihr Handlungskalkül einzubeziehen.
Jetzt ist das Phänomen soweit umrissen, dass wir uns mit dem Problem des Determinismus konfrontieren können. Bei der Handlungsfreiheit habe ich darauf hingewiesen, dass man gar keinen Grund hat, am Verursachtsein des Wollens Anstoß zu nehmen. Bei der Willensfreiheit aber stehen wir vor einer neuen Situation. Wir haben es jetzt nicht nur mit meinem Wollen zu tun, sondern damit, dass ich mich zu meinem Wollen so oder so verhalten kann. Ich kann – muss nicht, aber kann – im Hinblick auf Gründe, auf ein Konzept des Guten, auf eine der unterschiedenen vier Ebenen hin, meine unmittelbaren Wünsche suspendieren. Und damit hängt zusammen, dass ich mich und dass andere mich dafür verantwortlich machen können, dass ich sie nicht suspendiert habe. Es zeigt sich dann, dass das immer in einem Spielraum geschieht. Ich stehe in zwei Arten von Spielräumen (ich wiederhole das jetzt nur), erstens in einem Spielraum des Überlegens, des Abwägens von Gründen, zweitens in einem Spielraum stärkeren oder schwächeren Ausgerichtetsein auf mein Ziel und habe dabei das Bewusstsein, es liegt an mir, wie ich abwäge, es liegt an mir, wie stark ich mich auf das Ziel konzentriere. Entsprechend wird mir, wenn man mich verantwortlich macht, vorgehalten: du hättest besser abwägen können, du hättest an deinem Ziel stärker festhalten können, es lag an dir.
In diesem „es lag an dir“ ist impliziert, dass der normale Kausalfluss von Motiven zu Handlungen unterbrochen ist und ich an seine Stelle trete. Ich habe das und das getan oder nicht getan und auf die Frage, warum ist das geschehen, macht man mich verantwortlich, statt den motivationalen Bedingungen. Gewiss gab es ursächliche Bedingungen, aber gleichwohl wird die Art, wie ich mich innerhalb des Spielraums verhalten habe, als ausreichend entscheidend angesehen, um mich für verantwortlich zu halten. Dieser Stopp in der Warum-Frage, wie man es nennen kann, erscheint merkwürdig genug, so dass wir darauf gefasst sein müssen, dass es sich um einen Schein handeln könnte. Aber es ist das, was sowohl in der Zuweisung von Verantwortung als auch in der Selbsterfahrung impliziert ist.
Es ist natürlich dieses Phänomen, das der These des Inkompabilismus zugrunde liegt. Es sieht so aus als sei, wenn man zurecht sagen kann, es liegt an mir, so etwa wie das Ich oder das Selbst ein letzter Ausgangspunkt. Diese These ist am unerschrockensten von dem nordamerikanischen Philosophen Rodrick Cishholm (?) vertreten worden. Während alle Ereignisse sonst kausal in anderen Ereignissen gründen, gründet nach Cishholm das Ereignis des menschlichen Handelns im Handelnden (...?). Jeder von uns hat, sagt Cishholm, wenn er handelt ein Prärogativ, dass sonst nur Gott zugeschrieben wird, ein erster Beweger zu sein. Die Kritik einer Theorie dieses Typs lautet normalerweise so, dass eine solche Auffassung der Struktur von Kausalität widerspricht. Ereignisse können immer nur durch andere Ereignisse verursacht werden, nicht durch ein Etwas, eine Entität, wie es der Handelnde wäre. Aber darauf lässt sich antworten, und ist von Cishholm geantwortet worden: warum soll es nicht auch eine andere Art von Kausalität geben?
Das eigentliche Problem liegt viel mehr darin, dass sich vielleicht einige Menschen etwas unter einem ersten Beweger vorstellen können, wenn es sich um einen Schöpfergott handelt, freilich auch diese Vorstellung ist nicht gerade einfach. Aber was soll es bei einem Menschen heißen, dass er ein erster Beweger sei? Vom Menschen im Ganzen, diesem psychophysischen Wesen, kann man das gewiss nicht sagen. Dann bleibt aber nur, dass es so etwas wie ein Ich innerhalb dieses Wesens wäre, und so muss es wohl verstanden werden, da man doch von dem Satz „es liegt an mir“ ausgegangen ist. Aber heißt es, dass in dem Menschen, der ich bin, also in mir, ein zweites Wesen gibt, dass man als das Ich oder als das Selbst bezeichnen kann, gewissermaßen ein Kern von mir? Nehmen wir an, es gebe so etwas, so scheint doch die Idee absurd, dass es ein erster Beweger ist. Es müsste ja dann die einzelnen Willensakte oder Handlungen aus sich heraus quellen lassen. Und so eine Vorstellung ist schon an und für sich unverständlich und sie ist allemal weit entfernt von der phänomenologischen Basis, die sie erklären sollte, nämlich dass ich als sich abwägen und anspannen Könnender verantwortlich gemacht werden kann. Der Inkompatibilismus hat seine Attraktivität immer nur durch die Schwierigkeiten gewonnen, die sich scheinbar im Kompatibilismus ergeben. Sobald man ihn, wie Cishholm es tut, positiv aufzubauen versucht, bricht er zusammen. Wir haben aber allen Grund, am Phänomen dieses „es liegt an mir“ und an dem von ihm implizierten Warum-Stopp festzuhalten.
Ich muss also jetzt, ehe wir uns dem Kompatibilismus zuwenden, einige Aspekte hervor heben, die zum tatsächlichen Phänomen gehören, das im „Ich-Sagen“ zum Ausdruck kommt. Für Menschen, sobald sie sprechen gelernt haben, ist es charakteristisch, dass sie sich nicht nur in Bewusstseinszuständen wie Fühlen, Wünschen, Meinen und so weiter befinden, wie wir das auch bei anderen Tieren annehmen, sondern dass sie ein Bewusstsein davon haben, dass sie sich in diesen Bewusstseinszuständen befinden. Sie bringen das zum Ausdruck in Sätzen wie: Ich weiß, dass ich meine oder wünsche, dass P. Also dass irgendetwas so und so ist. Oder auch einfach, indem sie nur sagen: Ich meine und so weiter. Ich ist derjenige Ausdruck, der von einem Menschen verwendet wird, wenn er von sich selbst spricht. Nun kann man sich klar machen, dass sich in diesem Bewusstsein von mir selbst in mehrfacher Hinsicht ein Spielraum ergibt.
Erstens: Ich der ich weiß, dass ich diesen Wunsch oder diese Meinung habe, weiß auch, dass ich die und die anderen Wünsche und Meinungen habe. Im Ich-Sagen verbindet sich die Vielfalt meiner subjektiven Zustände zu einem einheitlichen Bewusstsein und das hat zur Folge, dass ich zum Beispiel einen Wunsch im Lichte meiner anderen Wünsche sehen kann. Zweitens: Wenn ich meine oder mir wünsche, dass P, bin ich mir dessen bewusst, dass man auch meinen oder wünschen könnte, dass nicht P. Ich befinde mich latent in einer Schwebe zwischen diesen Möglichkeiten, einer Schwebe, die dann in der Frage, im Zweifel und besonders in der Überlegung explizit wird. Drittens: Ich habe ein Bewusstsein, der Gleiche jetzt zu sein, wie der, der ich nachher sein werde und ich weiß, dass ich auch nachher Wünsche usw. haben werde. Viertens, und darauf aufbauend: Ich kann mich wollend auf Ziele beziehen, die in der Zukunft liegen und ebenso auf solche, die auf Wertvorstellungen von wie ich sein will, aufbauen.
Dadurch ergibt sich jetzt im speziellen Fall der Wünsche der weitere Spielraum zwischen einerseits dem, was ich die unmittelbaren Wünsche nannte, die ich in der Weise habe, dass ich sie fühle und in mir vorfinde, und andererseits den auf Ziele und Wertvorstellungen ausgerichteten Wünschen, die ich nur habe, weil ich sie mir als Ziele vornehme, weil ich sie für begründet und gut halte. Auf die Ziele muss ich mich ausrichten, sie werden daher in einem betonten Sinn von einem Ich-will getragen, man kann sie als Ich-Wünsche bezeichnen, während ich die unmittelbaren Wünsche in mir habe, in dem Sinn, dass ich sie spüre. Bei keinem dieser vier Punkte, weder beim Selbstbewusstsein, noch beim Einheitsbewusstsein, noch beim Bewusstsein, in einem Spielraum des Überlegens zu stehen, noch bei den Ich-Wünschen im Gegensatz zu den empfundenen Wünschen, ist von einem Ich, dem Ich, die Rede, sondern nur von mir, als in verschiedenen Verhaltensweisen stehend. Die verschiedenen zusätzlichen Aspekte ergeben sich nicht deduktiv aus dem Selbstbewusstsein, sondern man kann auch phänomenologisch konstatieren, dass wir als Ich-Sagende in diesen Strukturen existieren. Und die weitere Frage, wie das alles zu erklären ist, reizt natürlich unsere Neugier, aber sie ist in unserem Zusammenhang nicht erforderlich.
Jedenfalls fällt auf, dass sich das Bewusstsein bestimmter Spielräume ergibt, Spielräume jeweils für mich, sodass ich mich in einer Schwebe zwischen verschiedenen Faktoren befinde und sich eine mögliche Spannung ergibt, in der ich mich sehe. Wir stehen wieder vor den zwei Spielräumen, von denen ich schon gesprochen habe: vor dem Spielraum der Gründe und vor der Spannung, die sich für mich ergibt, insofern ich vor Wünschen stehe, die mich als Empfundene affizieren und solchen, auf die ich mich konzentrieren muss. Für diese Spielräume ist nicht nur charakteristisch, dass sie auf Ziele bezogen sind und auf Gutes, auf begründet Vorgezogenes, sondern dass dieser Bezug auf ein eigentümliches Kann verweist, dass irreduzibel ein Ich-Kann zu sein scheint. Jeder glaubt von sich und jedem anderen zu wissen, dass er, also jeweils ich, Gründe so oder so gewichten kann, aber auch muss, und dass er sich mehr oder weniger anstrengen kann, aber auch muss.
Wir stoßen hier auf einen Aspekt, der immer schon als grundlegend für Willensfreiheit angesehen worden ist, dass man sagen können muss: Ich hätte auch anders können. Aber dieses Kann wird gewöhnlich unterbestimmt, wenn es einfach als ontologische Möglichkeit gesehen wird. Das Bewusstsein, anders zu können, um das es sich handelt, ist immer ein Bewusstsein, besser zu können und es ist ein Ich-kann in dem Sinn, dass es von mir abhängt, ob ich es besser mache oder nicht. Dass die Rede vom Anders-können und auch die Rede von einer Wahl zu formal ist, kann man sich daran klar machen, dass sie auch bei Tieren in bestimmten Situationen möglich ist. Oder wenn Menschen zum Beispiel zwischen verschiedenen Tortenarten oder Eisarten wählen, handelt es sich nicht um Willensfreiheit. Bei einer solchen Wahl gibt mein Geschmack den Ausschlag. Es bin nicht ich, der gefordert ist, es liegt nicht an mir und es handelt sich nicht darum, etwas besser zu machen.
Wenn wir uns jetzt auf dieser Basis dem Problem des Determinismus zuwenden, kann man in zwei Schritten vorgehen. In einem ersten Schritt lässt sich sagen, durch das Ich-Geschehen ergibt sich wirklich ein Warum-Stopp. Anstelle des Kausalflusses der Motive werde ich verantwortlich gemacht, denn ich habe in den Kausalfluss eingegriffen oder hätte in ihn eingreifen können, indem ich die unmittelbaren Motive auf ein Ziel hin suspendierte oder suspendieren konnte. Andererseits liegt es nahe, diese Suspension nun ihrerseits als kausalbedingt anzusehen. Man kann sich zur Veranschaulichung einen Bindfaden vorstellen, in dem ein Knoten angebracht ist. Der Bindfaden steht für das Fließen der Kausalität. Durch den Knoten, der für das Ich-Verhalten in den zwei Spielräumen steht, ist die Kausalität tatsächlich unterbrochen und durch meine Tätigkeit ersetzt. Und doch besteht auch der Knoten nur aus Bindfaden. Man kann zwar nicht beweisen, dass das Ich-Geschehen kausal bestimmt ist, aber es scheint auch keinen Grund zu geben, die Art wie das Ich-Geschehen abläuft, als nicht in sich kausal bestimmt anzusehen. Warum soll die Art, wie ich zwischen den Gründen abwäge, also welches Gewicht ich dem gebe, was ich für gut halte im Gegensatz zu meinen unmittelbaren Motiven, nicht bestimmt sein, und ebenso die Ich-Stärke, die mir im Festhalten an einem Ziel zur Verfügung steht?
Warum-Stopp und Determiniertsein widersprechen sich also nicht. Man muss nur die Vorstellung vermeiden – und das ist sehr wichtig – als könnte sich die Person sagen: Weil es bestimmt ist, brauche ich nicht abzuwägen oder mich anzustrengen. Das wäre das Missverständnis, das man Fatalismus nennt, demzufolge das Ergebnis unabhängig von meinem Aufwand determiniert wäre, während die These ist, dass der Kausalzusammenhang so verstanden werden muss, dass er durch das Ich-Geschehen hindurch läuft. Hier drängt sich nun aber als zweiter Schritt auf, dass nicht zu sehen ist, wie es überhaupt möglich sein soll, das Bewusstsein, dass etwas von mir abhängt und dass ich mich anzustrengen habe, in eine objektive Sprache zu übersetzen, in eine Sprache, in der das Wort Ich nicht vorkommt. Ebenso unklar ist, wie man die Rede von Gründen in eine kausale Sprache übersetzen kann. Gründe scheinen immer Gründe für jemanden, für einen Überlegenden zu sein, also jeweils für mich. Dieses Für-mich und das Es-liegt-an-mir erscheint als etwas irreduzibel Subjektives. Wir können natürlich auch von anderen sagen, dass sie verantwortlich sind, aber nur weil wir unterstellen, dass auch sie in einem Ich-Spielraum stehen.
Am Ende der Betrachtung stoßen wir also nicht auf etwas, etwa das Ich, das akausal wäre, sondern darauf, dass wir im Ich-Sagen in einer Perspektive stehen, die, da sie überhaupt nicht mehr in eine objektive Sprache übersetzbar ist, von der (A)Kausalität (?) ebenso weit entfernt scheint wie von der Kausalität. Während der Inkompatibilismus eine dogmatische Aussage enthält, stellt der Kompatibilismus keine eigene positive Aussage auf. Er leugnet nur die Notwendigkeit der These der Inkompatibilisten. Zwar gab es innerhalb des Kompatibilismus auch die stärkere Auffassung, dass die Willensfreiheit den Determinismus geradezu erfordere, aber dafür ist schon von Hume (?) lediglich angeführt worden, dass die Zurechnung einen determinierten Charakter voraussetze. Aber dieses Argument ist nicht plausibel.
Wir fordern von einander und von uns selbst durchaus auch, uns auf eine Weise zu verhalten, die im Gegensatz zu unserem bisherigen Charakter steht. Man muss zwischen Person und Charakter unterscheiden. Man macht nicht den Charakter verantwortlich, sondern den Ich-Sager. Wenn der Charakter ein Verhalten notwendig bestimmt, besteht gerade keine Willenfreiheit, sondern Zwangshaftigkeit. Der recht verstandener Kompatibilismus macht keine Aussage über das Determiniertsein. Ihm zufolge impliziert Willenfreiheit weder Determinismus noch Indeterminismus. Man muss also, um es in der Metapher vom Knoten im Bindfaden zu formulieren, die Möglichkeit offen lassen, dass das Geschehen innerhalb des Knotens, wenn man überhaupt in einer objektiven Sprache formulieren kann, sich nicht auf Kausalzusammenhänge reduzieren lässt. Für die Struktur der Willensfreiheit hängt davon überhaupt nichts ab. Dass man grundsätzlich am Kausalzusammenhang festhalten möchte, ist nicht ein Dogmatismus, sondern folgt daraus, dass das einzige, was man sich in der objektiven Welt als Alternative zum Kausalzusammenhang vorstellen kann, der Zufall ist. Was den Inkompatibilismus so uneinsichtig macht, ist, dass er innerhalb der objektiven Welt etwas postuliert, was außerhalb dieser Alternative (entweder Kausalzusammenhang oder Zufall) steht.
Während der Kompatibilismus lediglich die Schwierigkeiten anerkennen muss, dass die Sprache der Innenansicht des Handelns in die Objektive der Kausalität nicht übersetzbar scheint, ist der Inkompatibilismus als Versuch anzusehen, dieser Sprache der Innenansicht ein objektives Fundament zu geben, das keinen Sinn ergibt. Was ich die Innenansicht nenne ist natürlich eine intersubjektiv geteilte Innenansicht. Wir verhalten uns wechselseitig zueinander in der Weise, dass jeder unterstellt, dass der andere ebenso wie er selbst, sich willentlich zu sich verhalten kann und das Vermögen hat, seine Wünsche auf Ziele hin zu suspendieren, und das heißt, verantwortlich ist. Nur dann ist sein Verhalten durch Vorwürfe, Vorwürfe von mir selbst oder Vorwürfe von anderen, kausal zu beeinflussen. Nur dann sind Vorwürfe sinnvoll. Die Meinung, dass der Kompatibilismus, die Praxis der Vorwürfe und des Tadels nicht verständlich machen könne, ist falsch. Diesen Einwand möchte man vielmehr gegen den Inkompatibilismus erheben, denn inwiefern soll man einem unbewegten Beweger etwas vorwerfen können? Im Phänomen des Vorwurfs verbinden sich zwei Dinge: Dass man eine Handlung für schlecht erklärt und dass man das der Person auch auf eine Weise vorhält, die unterstellt, dass sie hätte besser handeln können. Und das entspricht genau der Fähigkeit, im Blick auf ein Gut, seine anderen Motive suspendieren zu können.
Der Inkompatibilist meint, dem zweiten Faktor, dass die Person hätte besser handeln können, werde durch den Determinismus die Grundlage entzogen, weil der Kausalzusammenhang es verhindere, dass die Person anders gekonnt hätte. Aber wir haben gesehen – der Kausalzusammenhang bestimmt die Handlung nicht unmittelbar anstelle der Person. Hier ergab sich der Warum-Stopp. Die Verantwortung liegt bei dem Ich-Geschehen, das lediglich seinerseits kausal fundiert ist, oder vorsichtiger gesagt, sein kann. Der recht verstandene Determinismus führt nicht dazu, zu bezweifeln, dass die Person in einem Spielraum stand, also wirklich hätte anders besser handeln können. Es ist allerdings immer möglich, dass die Person wirklich nicht anders handeln konnte. Dieser Tatbestand ist jedoch dann erfüllt, wenn das Wollen der Person unter einem inneren Zwang stand und das heißt, wenn sie nicht fähig war, ihr Handeln durch Werturteile, und das heißt, Gründe zu steuern.
Das Recht das wir haben, Vorwürfe zu machen, ist also wirklich begrenzt, aber nicht durch den Determinismus, sondern dadurch, dass eine Person nur in dem Maße verantwortlich zu machen ist, indem sie wirklich die Fähigkeit hat, ihre unmittelbaren Wünsche zu suspendieren und nach Gründen zu handeln. Und ob und wie weit diese Fähigkeit besteht, ist nicht immer klar. Im Einzelfall bleibt, wenn eine Person nicht so handelt wie sie soll, immer offen, ob sie es nur nicht wollte oder nicht konnte. Dass ein Vermögen besteht, lässt eine Fähigkeit, lässt sich immer nur im Allgemeinen erkennen, durch Proben, also in unserem Fall durch Beobachtung, ob und in welchem Maße einer durch Gründe und Anstrengung sein Verhalten ändern kann. Man muss also zwischen zwei Fragen unterscheiden: der Frage was in Willensfreiheit impliziert ist, und nur darüber hab ich hier gesprochen, und der Frage wie weit sie reicht. Sie reicht wohl oft nicht so weit, wie man glaubt und das kann einen dazu führen, mit dem eventuell grausamen Instrument der Vorwürfe und Selbstvorwürfe nicht zu leichtfertig umzugehen. Vielen Dank!