Tphff/Vo 07

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Rohdaten zur Vorlesung: Transkription tphff/Vo 07 (16.12.2011)

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Die naturgemäße Erwerbskunde

Königreich Galizien (Karte aus der Monarchie)
Huzu

Das Bild zum heutigen Tag stammt aus den Karpaten. Daneben ist eine alte Monarchie-Karte vom Königreich Galizien, Lodomerien zu sehen. In der Bukowina gibt es eine Region, die von der ethischen Gruppe der Huzulen bewohnt wird. Die Huzulen sind Bauern und Viehzüchter, und auf dem Foto, das aus jüngerer Zeit stammt, ist zu sehen, wie Tiere zusammen auf die Almen getrieben werden. Warum komme ich darauf zu sprechen? – Weil ich beim letzten Mal schon angedeutet habe, dass die Überlegungen zu Aristoteles diese besondere philosophische Gemengelage enthalten, einerseits beinahe das Selbstverständlichste vom Selbstverständlichen zu sein, dieser Anschein des Selbstverständlichen andererseits aber daher kommt, dass wir schon seit 2500 Jahren zu denken gewohnt sind, was Aristoteles da festgeschrieben hat. Es hätte daher auch in ganz andere Richtungen gehen können. Diese Selbstverständlichkeit, wie sie uns heute vorkommt, ist eine, die zum Teil von Aristoteles mitverursacht ist und zum anderen Teil hinter der Forderung steht, dass wir diese präzisieren und für die Zwecke schärfen, die wir jeweils brauchen. Der Zweck, unter dem ich Aristoteles jetzt hier betrachte, ist letztlich jener des Verständnisses von Wissen und Geld. Die Vorlesung beschäftigt sich mit dem freien Zugang zu Forschungsresultaten und freier Zugang heißt eben nicht unter den Regeln der Marktwirtschaft, wie sie etwa von den großen Verlagen (Springer, Elsevier, etc.) praktiziert wird. Ich werde mich heute den Ausführungen von Aristoteles in der Politik und in den zwei Ethiken (Nikomachische Ethik, Eudemische Ethik), die er geschrieben hat, zuwenden. Ich bleibe zunächst mehr auf der Ebene der Selbstverständlichkeit und beginne damit, dass die Erwerbskunde von Aristoteles ausgehend vom Überleben beschrieben und aufgebaut wird. Was braucht eine Gruppe von Menschen in einer prämodernen, archaischen Lebenssituation, um sich zu halten, zu subsistieren und sich zu entwickeln? Die Systematik von Aristoteles weist darauf hin, dass es Unterschiede darin gibt, wie sich die verschiedenen Lebewesen, die die Natur hervorgebracht hat, der unterschiedlichen Nahrungsmittel bedienen.

„Von den Tieren nämlich leben die einen herdenweise und die anderen vereinzelt, je nachdem das eine oder das andere ihnen für den Gewinn ihrer Nahrung zuträglicher ist […]“ (Aristoteles: Politik. Über die Erwerbskunde (1256a ff))

Sie leben also teils vom Fleisch, teils von Pflanzen und das betrifft sowohl die Tiere allgemein, als auch die Menschen. Bei den Menschen ist es allerdings so, dass die Art der Nahrungsmittelbeschaffung eine direkte Auswirkung auf die Ausbildung ihrer Sozialstruktur hat. Bei Nomaden handelt es sich beispielsweise um mobile Trupps, die den Tieren jeweils nachziehen. Dann gibt es die Sozialstruktur von Ackerbauern und Viehzüchtern, die sich an einer Stelle fixieren und entsprechend ihre Landwirtschaft betreiben. Zu landwirtschaftlichen Betrieben lassen sich auch noch die Fischerei sowie die Jagd auf Vögel und wilde Tiere hinzuzählen.

„Und das sind denn nun wohl die sämtlichen Lebensweisen, die eine unmittelbar-natürliche Tätigkeit betreiben und nicht durch Tausch- und Handelsverkehr Nahrung schaffen […]“ (Aristoteles: Politik. Über die Erwerbskunde (1256a ff))

Das ist also die primäre Nahrungsmittelbeschaffung.

Abgesehen von einer Diskussion über die Erwerbskunde (Ökonomie), haben wir in der letzten Vorlesung bereits darüber gesprochen, dass menschliche Einzelhöfe, Dörfer und dann Dorfverbände sich zu Staaten zusammenschließen, und dass Staaten der Rahmen sind, in dem so etwas wie Gerechtigkeit stattfinden kann, indem nämlich in einem Staatsverband eine soziale Ordnung definiert wird, aus der heraus ein Gesetzeswerk formuliert werden kann, das für die Angehörigen des jeweiligen Staates Gültigkeit hat. Das Recht ist die Ordnung der staatlichen Gemeinschaft, das ist die dike (griech. δίκη, Gerechtigkeit). Ich habe dann mit der Frage geschlossen, wie viel Wissen wert ist und welches Recht man darauf hat, etwas von der Art des Wissens zu besitzen. Das ist eine Frage des Rechts, die in einem jeweiligen Staatszusammenhang geregelt wird und nicht etwas, das sich natürlich ergibt – ein Thema, das uns in dieser Art und Weise noch weiter beschäftigen wird.

Ich möchte auf den zweiten Teil des Satzes aus der Politik zurückkommen („die eine unmittelbar-natürliche Tätigkeit betreiben und nicht durch Tausch- und Handelsverkehr Nahrung schaffen“). Auch die Pointe der Überlegungen von Aristoteles zielt letztlich darauf ab, dass es einerseits eine unmittelbar-natürliche Tätigkeit des Pflanzens und Züchtens gibt und dann auch eine andere Art und Weise Nahrung zu schaffen, nämlich durch Handel und Tausch. Etwas, das man nicht im eigenen Vorgarten aufgezogen hat, kann man sich zum Beispiel dadurch beschaffen, dass man einiges von dem, was man selber aufgezogen hat, gegen etwas eintauscht, was man nicht aufziehen konnte. Das sind nun genau die Banalitäten, von denen ich gesprochen habe, auf die wir aber gleich noch weiter eingehen werden, weil Aristoteles selbst sehr eindrucksvolle und erstaunliche Bemerkungen zu diesem kleinen Unterschied macht.

Gemeineigentum (Allmende)

Bei dem Text über die Huzulen beziehe ich mich auf Martin Pollacks Buch Galizien: Eine Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina (2001), das Zitat stammt ursprünglich aus Auf der hohen Karpatenalm. Die Wahrheit der alten Zeit von Stanislaw Vincenz vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Huzulen kommen dadurch in die Geschichte, weil uns diese Beschreibung vor Augen führt, dass relativ nahe unseren heutigen Erfahrungen, gerade mal 100 Jahre zurück (statt der 2500 Jahre), also durchaus noch in unserem ein bisschen erweiterten Erfahrungsbereich eine Lebensform möglich war, die in der Debatte über den freien Forschungszugang eine wichtige Rolle spielt, und das ist Gemeineigentum (engl. commons, in der antiken altertümlichen deutschen Übersetzung ist es das Wort Allmende). Wenn Sie durch das Wein- oder Waldviertel fahren, finden Sie Dorf-Architekturen, Dorf-Topografien, Grundrisse, die noch auf diese soziale Ordnung hinweisen. In der Mitte dieser Dörfer befindet sich zum Beispiel ein kleiner Teich, eine Wasserstelle und ein größeres Grüngebiet, eine Weide und die Häuser sind um diese Weide herum angeordnet. Das ist nicht naturgegeben und die meisten Dörfer in der Umgebung entsprechen nicht dieser Siedlungsform. Häufig werden Sie Straßendörfer finden, wo die Häuser so wie in einer Einkaufsstraße rechts und links von der Straße aufgereiht sind und dahinter beginnt jeweils der Eigenbereich des Hausbesitzers. Einige Siedlergruppen haben aber eine andere Siedlungsform gewählt, nämlich die, dass sie ihre Häuser um eine gemeinsame Weide herum gebaut haben und damit war nicht die Vorstellung verbunden, der Kreis in der Mitte müsse jetzt segmentiert werden (lauter kleine Kreissegmente, die von den einzelnen Häusern zugänglich sind und mit Zäunen abgesteckt werden). Die Idee war hingegen jene des freien Gemeindebestands (Allmende), einer freien Gemeindeweide, auf die alle ihre Tiere hinschicken. Diese Beschreibung der Huzulen macht auch deutlich, dass bis zum Beginn des vergangenen Jahrhunderts noch sehr stark sakrale Steuerungsmomente eine Rolle gespielt haben, der Glaube an die Weltordnung.

„Wem gehören die Almweiden? Gott und den Schafen, Gott und die Schafe nähren den Watah, die Hirten und die Herdenbesitzer.“

Da gibt es diese Vorstellung, dass wir alle Naturwesen sind, abhängig von einem höheren Prinzip, von den Tieren, von Gott und das ist allen gemeinsam. Ganz selbstlos war das dann allerdings auch nicht, wie aus dem Zitat sehr schön hervorgeht, denn die Huzulen hatten die folgende Methode, doch auch Eigentumsrechte zu etablieren: Vor dem Almauftrieb wurden die Tiere zusammengetrieben, jeder Tierbesitzer hat seine Tiere hingebracht (diesen Besitz hat es gegeben) und es fanden Test-Melkungen statt, deren Ergebnisse aufgezeichnet worden sind. Am Ende der Saison ist der entsprechende Anteil an den jeweiligen Tierbesitzer zurückgeführt worden. Das war eine relativ elegante Art und Weise der Verwaltungsvereinfachung durch den gemeinsamen Gebrauch des Weidelandes als Lebensgrundlage für die einzelnen Bauern und Bäuerinnen – eine Form, wie man auf der Basis von Gemeingut auch ein individuelles Auskommen sichern kann, ohne dass jeder einzelne sein eingegrenztes Weideland hat. So viel zum kleinen Seitenblick in die Gegenwart.

Die Kunst des Gelderwerbs

Zurück zu Aristoteles und dem zuvor erwähnten Zitat aus der Politik. Betrachte ich die Nahrungsproduktion unter den beschriebenen Verhältnissen, so Aristoteles, dann habe ich eine Situation der Haushaltführungskunst, die darin besteht, dass der Vorstand der jeweiligen Hausgemeinschaft (die Männer, Frauen, Kinder, Sklaven, Tiere und Grundbesitz einschließt) sich darum kümmern muss, dass alle ihm anvertrauten Personen und Tiere ihr Auskommen haben. Unter diesen Bedingungen besteht Reichtum darin, einen Vorrat von Gegenständen zu sammeln, „die notwendig zum Leben und nützlich für die staatliche und häusliche Gemeinschaft (koinonia) sind und die daher auch entweder schon vorhanden sein oder durch die Hausverwaltungskunst herbeigeschafft werden müssen“, also: die Pflege von Obstbäumen, die Ausnützung von Wasserressourcen, usw. Ein auf eine solche Kunst der Pflege und Beschaffung von Lebensunterhaltsmitteln gerichtetes Leben, so Aristoteles weiter, geht nicht ins Unendliche, da ihm Grenzen gesetzt sind, die sich durch die sachgemäße Pflege dieses Hauswesens ergeben. Über das Hauswesen hinaus braucht man für das sinnvolle Leben nach dieser Definition nichts weiter. Die Passage, die Aristoteles hier von Solon zitiert, lautet allerdings: „«Reichtum hat keine Grenze, die greifbar den Menschen gesetzt ist»“. Schon bei Solon findet sich also ein Hinweis darauf, dass Reichtum in einem anderen Zusammenhang steht, auf den Aristoteles dann gleich selber zu sprechen kommen wird. An dieser Stelle weist er den Einwand aber zunächst ab und sagt, dass für Zwecke der Hausgemeinschaft und des gedeihlichen Zusammenlebens nicht die ins Unendliche gehende Maßlosigkeit gilt, sondern das Maß liegt in dieser definierten Situation. Damit ist klar, dass es eine naturgemäße Erwerbskunst für den Ökonomen und die politikos (Staatsmänner) gibt. Die Thematik, die durch das Solon-Zitat angesprochen ist, taucht später in ähnlicher Weise in Diskussionen um die Reichtumstheorie und die primäre Akquisitionstheorie bei Locke auf. In der naturgemäßen Erwerbskunst ist es so, dass man beispielsweise vor der folgenden Situation steht: Man besitzt einen Apfelbaum, der Äpfel produziert und hat vielleicht so viele Äpfel, dass man sie nicht alle verwenden oder in geeigneter Weise aufbewahren könnte. Der Überschuss an Äpfeln, der in den Tausch gehen kann, ist jedenfalls durch die materielle Beschaffenheit dessen begrenzt, was hier an Überschuss vorhanden ist. Sie können Äpfel vielleicht ein Jahr lang aufheben und haben in gewissem Maße beschränkten Platz dafür. Wenn es zu viele Kühe sind, dann hat man keinen entsprechenden Weideplatz, usw. Das reguliert sich sozusagen von selbst. Ein Faktor fällt allerdings aus diesem Schema heraus und das ist Geld. Geld lässt sich endlos aufheben und der für die Aufbewahrung erforderliche Platz stellt nicht wirklich ein Problem dar. Die Pointe dabei ist, dass Sie mit Geld etwas haben, was Wert bedeutet, jedoch nicht im Sinne der natürlichen Nahrungsproduktion, sondern einen davon abgehobenen prinzipiellen Wert. Geld ist somit unabhängig von den Lebensmittelkreisläufen und es ist frei verwendbar, Restriktionen wie die natürlichen Feedback-Schleifen in der normalen Nahrungsmittelerzeugung gelten nicht mehr. Geld lässt sich aufhäufen, ohne dass es schlecht wird. Das stimmt natürlich auch nicht ganz, aber es ist in dieser Hinsicht zumindest nicht mit Äpfeln oder eingelegten Gurken vergleichbar. Das ist zugleich das Problem dabei. Während es keinen Sinn macht sich vorzustellen, Lagerhäuser zu bauen und diese mit Gurkengläsern zu füllen, um der Gurken-König zu werden, macht es einen Sinn zu sagen, man sei der reichste Mann im Dorf. Damit ist ein neuer Zugang zu Ressourcen ganz allgemein verbunden. Diese Sache hat Solon im Auge und sie gilt nun tatsächlich nicht für die naturgemäße Erwerbskunst, sie gilt jedoch für die Tätigkeit von Tausch und Handel. In dem Maße, in dem Sie der Tätigkeit von Tausch und Handel nachgehen, in dem Maße haben Sie Möglichkeiten Reichtum auf eine völlig neue Art und Weise zu erwerben. Damit ist der Übergang von der naturgemäßen Erwerbskunst zur Kunst des Gelderwerbs, der ein anderer ist als der Nahrungsmittelerwerb, vorgezeichnet. Diese Kunst des Gelderwerbs (griech. chrematistike; Erwerbskunst allgemein: griech. ktetike) hat nach Aristoteles daran schuld,

„dass es für Reichtum (ploutos) und Besitz (ktesis) keinerlei Grenze zu geben scheint, und viele halten sie für eine und dieselbe mit jener ersteren wegen der nahen Verwandtschaft mit ihr. In Wahrheit aber ist sie doch, obwohl sie ihr nicht fernsteht, keineswegs einerlei mit ihr. Denn jene ist eine naturgemäße Erwerbsweise, diese dagegen ist keine naturgemäße, sondern sie kommt vielmehr zustande durch Erfahrung (empeiria) und Kunst (techne).“ (Aristoteles: Politik. Über die Erwerbskunde (1256a ff))

- durch Empirie und Technik. Reichtum kann man in einem, heutzutage würde man sagen, organischen Zusammenhang haben oder durch eine gewisse technische Ausnützung von Erfahrungsmaterial im Zusammenhang mit der Geldwirtschaft. Was Aristoteles hier über die Geldwirtschaft sagt, gilt geradewegs auch für heutige Überlegungen und liefert eine Basis für das, was Karl Marx in seiner Analyse des Kapitalismus aufgegriffen hat, nämlich: Wenn wir diese beiden Erwerbstätigkeiten betrachten und analysieren, müssen wir zwischen Gebrauchswert und Tauschwert unterscheiden.

Gebrauchswert und Tauschwert

Gebrauchswert und Tauschwert resultieren aus der Unterscheidung der beiden genannten Szenarien: der Gebrauchswert eines Apfels, der darin besteht, gesund leben und etwas Gutes essen zu wollen bzw. der Tauschwert des Apfels aufgrund eines Überschusses. Dem Apfel als Apfel (als Ding) sieht man aber einen Gebrauchs- oder Tauschwert nicht an. Er wächst am Baum, fällt dann vom Baum oder wird vom Baum gepflückt - das ist der Naturanteil. Was da an dem Baum wächst, kann ich also offensichtlich aus zwei verschiedenen Perspektiven sehen: als etwas, das ich essen möchte, weil es gut aussieht und gut schmeckt bzw. als etwas, das ich in eine Kiste packen möchte, um es z.B. gegen eine Kiste Eier einzutauschen. Ist der Apfel grundsätzlich etwas, das dazu da ist, gegessen zu werden (von dem her, was der Apfel ist)? Ist die Bestimmung des Apfels, von mir gegessen zu werden oder ist es seine Bestimmung, von mir getauscht zu werden? Das lässt sich nicht so leicht beantworten, es ist aber eine wichtige Frage, weil wir im Umgang mit Äpfeln (oder anderen Dingen) damit konfrontiert sind, wie wir mit solchen Materialien sachgemäß umgehen sollen. Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang über Schuhe:

„Die Benutzung eines jeden Besitztums ist eine doppelte, und beide Male wird das Besitztum als solches, aber nicht als solches in der gleichen Weise benutzt, sondern die eine Art von Benutzung ist die dem Gegenstand eigentümliche, die andere nicht, z. B. den Schuh kann man benutzen zum Anziehen, aber auch als Tauschmittel. Denn beides sind wirklich Benutzungsweisen des Schuhs, insofern auch der, welcher einem anderen, der eines Schuhs bedarf, einen solchen für Geld oder Lebensmittel zum Tausch gibt, damit den Schuh als Schuh benutzt, aber nicht in der demselben eigentümlichen Benutzungsweise, denn nicht zu dem Zweck ist der Schuh gemacht, als Tauschmittel zu dienen. Und ebenso verhält es sich mit allen anderen Besitzstücken: sie alle können als Tauschmittel verwandt werden.“ (Aristoteles: Politik. Über die Erwerbskunde (1256a ff))