Toleranz und Rechtsansprüche: Unterschied zwischen den Versionen

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Was das Verhältnis von Gesetz und Toleranz betrifft, so teile ich die Meinung von "Talkative", dass man Toleranz nicht gesetzlich verordnen kann. Allerdings können Gesetze intolerantes Verhalten unterbinden; wenn auch nicht gänzlich, und nur solange bis die intolerante Mehrheit das Gesetz in ihrem Sinne ändert (siehe das neue österreichische Ausländergesetz).
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Grundsätzlich denke ich, dass sich Toleranz stets im Umgang einer Mehrheit mit der Minderheit (oder besser im Umgang eines Mächtigen mit einem weniger Mächtigen) zeigt, sei es das Verhältnis zwischen In- und Ausländern, Beschäftigten und Arbeitslosen, Hetero- und Homosexuellen und Abtreibungsbefürworter und -gegnern. Wie tolerant nun der Mächtigere agiert, scheint dabei entscheidend vom seinem Sicherheitsgefühl abhängig zu sein. Ist nicht in vielen Fällen Toleranz eine Tocher der gesicherten Macht? Aus einer sicheren Position heraus lassen sich "tolerante" Handlungen um vieles leichter setzen, im Gegensatz zu einer direkten Konkurrenzsituation, wo das Augenmerk eher auf dem Erhalt der eigenen Machtposition gelegt wird.
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Damit wäre allerdings Toleranz lediglich ein freiwilliger, kalkulierter Machtverlust, basierend auf der Sicherheit, dass der eigene Status nicht gefährdet ist. Also im Sinne von: „Ich lasse dir die Freiheit anders zu sein, weil ich mich dadurch nicht bedroht fühle.“ In Magdalena's Beispiel mit dem Hund bestünde die Stärke darin, dass die gewährte "Pseudo-Toleranz" (die eher einer Duldung gleicht) jederzeit widerrufen werden kann, indem das Bellen der Hausverwaltung gemeldet wird. Dass die Toleranz gegenüber Ausländern weniger ausgeprägt ist, mag dadurch erklärt werden, dass letztere bei erfolgreicher Einbürgerung selbst Macht erhalten (Wahlrecht) und sie damit die eigene Machtposition schwächen könnten.
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In anderen Worten, dort wo es um nichts geht, weil die Position abgesichert ist, kann Toleranz leicht gedeihen, während in jenen Fällen, wo sie tatsächlich vonnöten wäre, das Gesetz des Stärkeren wieder um sich greift.
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[[Benutzer:Spitzl|Spitzl]] 19:38, 5. Jan 2006 (CET)
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Version vom 5. Januar 2006, 20:38 Uhr

Also, ich bin der Meinung , dass Toleranz nur in einem rechtlichen Kontext Sinn macht. Wir können sehr lange über eine normative Begriffsbestimmung diskutieren, aber selbst wenn wir uns einigen könnten, wäre der Begriff wahrscheinlich so weit gefasst, dass er gar nichts mehr aussagen würde. Dieses Problem sehe ich ganz generell bei ethischen Konzeptionen. Man kann viele schlaue Bücher darüber schreiben was Ethik oder Toleranz ist, letztendlich kann man aber die Einhaltung bestimmter Verhaltensweisen nur über Gesetze, bzw. über Bestrafung erreichen. Als Beispiel: Die Abtreibungsregelung wird nie einen zufriedenstellenden ethischen Rahmen für alle Mitglieder einer Gesellschaft bekommen. Das ist meiner Meinung nach unmöglich. Ziel einer solchen Regelung ist, gegensätzlichen Interessen einen rechtlichen Kontext zu schaffen und die ethischen Schwierigkeiten zu minimieren. Toleranz in dem Fall bedeutet einfach nur, eine solche Regelung zu respektieren. Dasselbe könnte man jetzt mit Gentechnik, pränataler Diagnostik usw. durchdenken. Ausserdem kommt es meiner Meinung nach durch eine rechtliche Grundlage langfristig gesehen zu einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz. Der Sinn unserer Ethikkommission ist, ethische Probleme zu verrechtlichen und nur dadurch werden sie für die gesamte Gesellschaft gültig. Durch normative Begriffsbestimmungen erreicht man gar nichts, denn sie können, wenn sie aussagekräftig sein wollen, nie mit der Akzeptanz und/oder Einhaltung aller Gesellschaftsmitglieder rechnen. Will ich also "Toleranz" in einer Gesellschaft fördern, so kann ich das nur durch rechtliche Grundlagen. Xenophobie beispielsweise ist ein seit Urzeiten bestehendes Phänomen menschlicher Gesellschaften. Menschen haben Angst vor Fremden/dem Fremden und das kann nicht einfach wegbegründet werden so nach dem Motto, wenn ich eine gute Begründung dafür finde, warum Xenophobie schlecht ist, dann werden das alle einsehen und wir haben das Problem nicht mehr. Ausserdem ist die Angst vor Fremden noch nicht intolerant. Sobald ich aber aufgrund dieser Angst, Menschen diskriminiere muss ich zur Rechenschaft gezogen werden. (Berta, 23.11.05)


@ Berta: Ich kann dir da nicht zustimmen, und zwar aus folgenden Gründen: Toleranz hat nichts damit zu tun, ob ich Gesetze befolge oder nicht. Wenn ich mich innerhalb eines gesetzlichen Rahmens bewege und aufgrund dieses Rahmens gewisse Dinge tue oder unterlasse, sagt das nichts über Toleranz aus, sondern nur darüber, wie sehr ich z.B. Gesetze akzeptiert habe, ob ich Angst vor Strafe habe, etc. Natürlich stellt sich die Frage, ob Toleranz etwas ist, das auf Freiwilligkeit besteht oder auf dem Abwägen gewisser Vor- und Nachteile. Mit Sicherheit hat Toleranz nichts mit Strafe oder Zwang zu tun. Ich bin zwar ebenfalls der Meinung, dass Gesetze die wahrscheinlich praktischste Möglichkeit sind, um Konflikte innerhalb einer Gesellschaft wenn schon nicht zu lösen, dann zumindest im Rahmen zu halten. Aber die Geschichte und auch das Tagesgeschehen zeigen uns, dass auch noch so strenge Gesetze die Toleranz innerhalb einer Gesellschaft nicht sonderlich fördern. Interessant an deinen Ausführungen habe ich aber die angeschnittene Frage gefunden, welche Rahmenbedingungen es für das Entstehen von Toleranz in einer Gesellschaft geben muss, und ob Toleranz etwas ist, das für sich selbst bestehen / entstehen kann, ohne sich dabei auf eine höhere Instanz (seinen es Gesetze, eine religiöse Vorschrift oder ähnliches) zu berufen. (ismael, 28.11.05)

@ Ismael: Ich glaub ich hab mich da ein bisschen unglücklich ausgedrückt...Natürlich kann die Definition von Toleranz nicht auf der Einhaltung von Gesetzen basieren; Definitionen von Toleranz gibt es ausserdem wirklich genug (allein in der Wikipedia gibt es schon fünf oder so), aber es geht mir im Moment darum, unter welchen Rahmenbedingungen man eine Gesellschaft als tolerant bezeichnen kann. Wie kann man Toleranz in der Praxis fördern? Meiner persönlichen Meinung nach geht das eben nicht über eine theoretische Begriffsdefinition, sondern nur über einen rechtlichen Rahmen, der von der Gesellschaft akzeptiert wird.

Ein Beispiel: In der Diskussion über die Abtreibungsregelung gab und gibt es sehr starke und konträre Positionen. Pro Life (eine Organisation die sich auf religiöse Werte beruft und sich massiv gegen Abtreibung einsetzt) war damals noch stärker als heute und es wurde auf beiden Seiten versucht die Menschen (teilweise auch sehr manipulativ) zu überzeugen. Wie kann man in so einer Situation einen modus vivendi für alle finden, damit jeweils die andere Meinung "toleriert" wird? Der rechtliche Rahmen besteht jetzt eben daraus, dass es eine Berechtigung zur Abtreibung gibt, allerdings mit zeitlichen Einschränkungen, hohen Kosten, Spitäler können sich weigern eine Abtreibung durchzuführen usw... Pro Life darf dafür von seinem Versammlungsrecht gebrauch machen und sich jeden Tag vor den Fleischmarkt stellen und die Leute als Mörder bezeichnen.

Eine Zeit lang war Pro Life (oder auch die ganze Abtreibungsdebatte) in der Versenkung verschwunden, sie wurden einfach nicht beachtet. Heute, durch die momentane Politik, werden sie wieder stärker, es wurde erneut ein gesellschaftlicher und politischer Rahmen für diese Diskussion geschaffen.

In diesem speziellen Punkt (das gilt selbstverständlich nicht generell für die österreichische Politik) wurde meiner Meinung nach ein gesellschaftlicher Rahmen für Toleranz geschaffen, beide Seiten können für ihre Überzeugungen kämpfen und keine Seite wurde rechtlich vollkommen beschnitten, d.h. wenn die Überzeugung von Pro Life immer mehr Anhänger bekommt, wird es zwar vielleicht moralisch schwieriger sich für eine Abtreibung auszusprechen, aber dennoch kann man eine durchführen. Sollten irgendwann 90% der Bevölkerung wieder gegen die Abtreibung sein, so muss der Rahmen neu verhandelt werden, hier müsste man sich dann mit Minderheitenregelungen auseinandersetzen, das mach ich jetzt aber nicht sonst wird der Text zu lange :-)).

Pro Life, als Institution, wird Abtreibung natürlich nie tolerieren und genau darum geht´s mir. Man kann einzelne Menschen oder Institutionen nicht von ihren Überzeugungen abbringen, aber man kann rechtliche Grenzen setzen. Insoweit bin ich auch nicht der Meinung, dass Toleranz für sich selbst bestehen kann (entstehen in einzelnen Fällen vielleicht schon).

Ein grosses Problem sehe ich allerdings in der politischen Rolle bei dem Ganzen, denn diese legt den "Nährboden" der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Ich glaube nicht,dass es jetzt mehr ausländerfeindliche Österreicher gibt und die FPÖ deshalb so gewonnen hat. Die braune Suppe war (leider) schon immer da aber durch die jetzige Politik wird ihnen Gehör verschafft und sie können wieder ganz laut schreien. Hier wird der rechtliche Rahmen für Toleranz gefährlich; eine Lösung habe ich aber auch nicht dafür. (Berta, 30.11.2005)


Pro Life, als Institution, wird Abtreibung natürlich nie tolerieren

Ich sehe bei diesem Satz drei Aspekte.

  • Es ist eine Überzeugung, die Leben und Tod betrifft, inklusive der Definition dieser Begriffe selbst. Damit gerät man an Grenzen, die unüberschreitbar sein können. Also: diese Überzeugungen sind nicht verhandelbar
  • Wohl aber ist die gesellschaftliche Umsetzung derartiger Überzeugungen in einer pluralistischen Gesellschaft verhandelbar. Zwei prominente Möglichkeiten:
    • ein herrschendes Gesellschafts- und Rechtssystem räumt Dissens ein - das ist die Duldungstoleranz
    • oder die Gesellschaft ist nicht (mehr) so homogen, dann driftet das Problem von der Duldung zur Rechtlichkeit --anna 12:41, 5. Dez 2005 (CET)


Noch etwas zu Bertas Beiträgen: Ich bin nicht wirklich der Meinung, dass der rechtliche Rahmen unbedingt die Toleranz einer Gesellschaft fördert. Natürlich kann dies der Fall sein, aber dann muss die Gesellschaft bereits diese Gesetze fordern oder sie zumindest vertreten können. Schauen wir uns dies am Beispiel "Xenophobie" an. Gerade wenn Gesetze bestehen, die den "Fremden" schützen sollen und ihm Vorteile verschaffen, ich aber nicht der Meinung bin, dass dies gerechtfertigt ist, kann es sein, dass mein Hass gegenüber dem Fremden noch schlimmer wird. Das heißt, meine Einstellung/meine Toleranz ist nicht zwangsläufig adäquat mit den Gesetzen, die in dem Staat, in dem ich lebe, gelten. Am wichtigsten ist, so glaube ich, die Aufklärung des Einzelen über andere Kulturen/Religionen/etc. Wissen über Fremdes macht es durchsichtiger und vertrauter und nimmt somit die Angst und fördert gleichzeitig die Toleranz. --Gregs 12:24, 9. Dez 2005 (CET)


Zu den Rahmenbedingungen für das Entstehen von Toleranz überhaupt, fällt mir spontan folgendes ein: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem Anderen zu.“

Ort der Toleranz ist dort, wo zwei Anschauungen oder Ansichten aufeinander prallen. Um zu einer toleranten Entscheidung zu kommen, muss ich die Situation aus der Gegenperspektive betrachten. Ich versuche das Problem der anderen Gruppe zu reflektieren und zu analysieren. Finde ich gute Gründe in den Ansichten des Anderen, aus der Sicht des „Gegners“, wird meine Haltung, tolerant sein. Ein Beispiel: Bleiben wir bei dem schon erwähnten Hund; in unserem Wohnhaus sind Hunde verboten, meine Nachbarin hat einen Hund, dieser Hund bellt den ganzen Tag. Es stellt sich folgendes Problem. 1. Hunde sind verboten, 2. das Bellen stört mich. Toleranz entsteht meiner Meinung dann, wenn ich mich nun in die Lage der Nachbarin versetzt, die alleine lebt, krank ist etc., der Hund ist ihre einzige Freude, und aus diesem Grund, den ich, aus der Sicht der Nachbarin, nun verstehe, treffe ich die tolerante Entscheidung, akzeptiere den Hund und melde nichts der Hausverwaltung. Toleranz hat für mich mit Gesetz nichts zu tun. Im Gegenteil es kann, wie in diesem simplen Beispiel, Fälle geben, wo durch Toleranz Gesetze nicht zwingend befolgt werden müssen.. Kurz zusammengefasst: Ich suche Gründe aus der Sicht des „Gegner“, finde ich die, und kann ich sie akzeptieren, so führen mich diese einzelnen, akzeptablen Gründe zu einer toleranten allgemeinen Haltung. (Magdalena)

... also wäre Toleranz wirklich eine Duldung aus "guten Gründen" und weil es möglich ist die Perspektive zu wechseln. Was mir auch wichtig zu sein scheint und was Toleranz zu mehr macht als Erduldung, ist in diesem Fall die Möglichkeit den eigenen Status Quo durchsetzen zu können (Rechtsanspruch) und es dennoch nicht zu tun. Ich nehme die Regelung die das Gesetz vorsieht nicht in Anspruch obwohl eine Ruhestörung bei Nacht in einzelnen Fällen als "Akt der Gewalt" (Lukas) aufgefasst werden könnte.--Dyade 09:59, 5. Dez 2005 (CET)

Man sieht schön die unterschiedlichen Kompenenten, die sich hier verschränken:
* das Aufeinanderprallen der Auffassungen
* das Rechtssystem
* den ethischen Aspekt (Anerkennung, Wechselseitigkeit, goldene Regel)
* eine "Duldung" jenseits des Gerechtigkeitsanspruches und beeinflusst von ethischen Prinzipien
Man sieht an diesem Beispiel auch gut, warum man Toleranz als (private) Tugend und nicht ein politisches Programm betrachten kann. --anna 12:22, 5. Dez 2005 (CET)

Ich bin mir nicht sicher, ob nicht ein wichtiger Aspekt des Toleranzbegriffes verloren geht, wenn man ihn so stark mit der Nachvollziehbarkeit der Gründe der tolerierten Handlung verknüpft, wie Magdalena das vorschlägt. Mir scheint, als ginge dabei ein spezifisches Moment der Toleranz verloren, das gerade darin liegt, daß das Tolerierte fremd und d.h. eben in seinen Gründen unnachvollziehbar bleibt. Auf der anderen Seite scheint man in diese Richtung argumentieren zu müssen, um so etwas wie spezifische Toleranz (dies toleriere ich, jenes nicht) zu erklären. Ich sehe hier nach wie vor eine zutiefst problematische Spannung. --Jakob 21:11, 6. Dez 2005 (CET)

Ich stimme Jakob ( zurückhaltend :-) )zu im Sinne eines weiteren Aspektes des Begriffs. Im "Zwischenreich des Dialogs" wo "Das Fremde" nichts mehr ist, "worüber wir uns unterhalten und einigen können" wo es "keine Symmetrie zwischen Eigenem und Fremdem" gibt, wie Bernhard Waldenfels sagt, bekommt der Begriff Toleranz eine andere Farbe. Er verlangt viel mehr denn hier muss ich damit rechnen das die Gründe und Motive für Handlungen anderer meiner Einsicht vollkommen verborgen bleiben. Ich denke mal in Notizen und dramatisiere: In einer solchen Situation -ich erkenne keine Ordnung in dem was ich sehe-, nichts was ich in meine Sprache übersetzen kann und was dann einen Sinn ergibt, nichts stellt meine Ordnung wieder her, nehme ich da die Haltung der Toleranz ein oder bin ich da nicht nur wie der "Gaffer" der einem Autounfall mit offenem Mund zuschaut? Da sehe ich etwas quer zu allem was "Sinn" macht! Könnte es sein das dies die andere Grenze des Begriffs ist? Auf der einen Seite die Standpunktlosigkeit (siehe Polt) da kann ich noch nicht von Toleranz sprechen, hier, gegenüber dem absolut Fremden kann ich nicht mehr von Toleranz sprechen?--Dyade 11:09, 9. Dez 2005 (CET)



Ich kann Dyde bei dem Vorschlag der Begriffsgrenzen der Toleranz zustimmen. Toleranz kann nicht als ein bloßes Zuschauen und Gewähren lassen aufgefasst sein. Wobei es meiner Meinung nach, zwischen Gewähren lassen und nicht nachvollziehbaren Gründen einen wesentlichen Unterschied gibt. Die von Jakob angeführten „nicht nachvollziehbaren Gründe“ sind für mich genau der Knackpunkt wo Toleranz beginnt. In dem Moment, in dem ich zu der Feststellung komme, dass die Gründe von Handlungen meiner Einsicht verborgen bleiben, beschäftige mich schon mit den Gründen, ich reflektiere etwas, ich weiß zwar noch nicht was ich damit anfangen soll, aber es ist ein Grund da, ich kann ihn zwar für meine Einsicht noch nicht spezifizieren, aber er beschäftigt mich. Ich bin weit über ein „Gafferstadium“ hinaus gekommen. Dieses, sich mit den Gründen Anderer aus einander zusetzen, wäre für mich der Punkt wo Toleranz beginnt. Magdalena, 14.Dez.2005

Nur dass mich die Beschäftigung mit etwas, das ich weder verstehen noch einordnen kann, nicht automatisch zu einem toleranten Verhalten führen wird. Natürlich ist es in vielerlei Hinsicht förderlich, wenn ich über etwas nachgedacht, mich mit etwas beschäftigt oder versucht habe, etwas mir unverständliches in mein Begriffsystem einzuordnen, damit ich etwas "damit anfangen kann". Aber was ich damit anfange, ist damit noch nicht festgelegt. Etwas zu verstehen oder nicht zu verstehen hat, wie sich oft zeigt, keinen Einfluss darauf, wie ich mit der mir zur Verfügung stehenden Macht umgehe. Angewendet auf das obige Beispiel mit dem Hund, würde Macht bedeuten, dass ich es in der Hand habe, die Hausverwaltung zu informieren oder nicht. Ich mag die Situation der alten Frau noch so gut nachvollziehen und verstehen können, die Entscheidung, ob ich in diesem Fall tolerant sein möchte oder nicht, hängt nur zum Teil davon ab. Ich bin zwar überzeugt davon, dass ich etwas so gut wie möglich verstehen sollte, um eine Entscheidung treffen zu können, aber das ist keine Vorraussetzung. Ich kann Unbekanntes und Bekanntes gleichermaßen tolerieren. Ismael, 18.12.2005


Ich stimme mit Ismael insofern überein, als das "Verstehen" eines anderen ohnehin nie absolut sein kann. Es bleibt immer ein mehr oder wenig großer Rest an für mich Unerklärbarem. Aber ich denke, dem stimmt auch Magdalena zu. Nur, Ismael, ich glaube nicht, dass ich gänzlich "Unbekanntes" tolieren kann - das wär dann ja wohl ganz einfach Ignoranz!Oder?

Toleranz hat im Zwischenmenschlichen sehr viel zu tun mit einer inneren, psychischen Autonomie. Fernab von "wegschauen" oder "zuschauen". Ich denke Sie ist ähnlich wie "Glaubwürdigkeit" eng verbunden mit einer inneren moralischen Gefestigtheit und der Stärke, anderes, Fremdes bestehen zu lassen. Vielleicht mit dem Effekt, dass ich mein eigenes Weltbild danach etwas zurechtrücke und meine Positionen überdenke. In den "Mokassins des anderen zu gehen" kann den Horizont unglaublich erweitern.

Insofern passen Toleranz und Rechtsansprüche für mich nicht zusammen. Toleranz lässt sich nicht über Gesetze fördern, wie Berta meint, - sie sind ihr eher hinderlich. Hinter hegemonialen Normen lässt sich's gut verstecken. Und auch sie großzügig zu durchbrechen kann zwar gewagt sein, hat jedoch noch nichts mit Toleranz zu tun. Toleranz beginnt früher: vor diskursiv erzeugten, gesellschaftlichen und rechtsstaatlichen Codes. Es ist ein empfundenes Anerkennen von Verschiedenartigkeiten. Unterschiedliche Standpunkte können und sollen bestehen bleiben aber die Wertschätzung der Andersartigkeit lässt mich auch Auffassungsunterschiede tolerieren. (Talkative, 4.1.2006)


Was das Verhältnis von Gesetz und Toleranz betrifft, so teile ich die Meinung von "Talkative", dass man Toleranz nicht gesetzlich verordnen kann. Allerdings können Gesetze intolerantes Verhalten unterbinden; wenn auch nicht gänzlich, und nur solange bis die intolerante Mehrheit das Gesetz in ihrem Sinne ändert (siehe das neue österreichische Ausländergesetz).

Grundsätzlich denke ich, dass sich Toleranz stets im Umgang einer Mehrheit mit der Minderheit (oder besser im Umgang eines Mächtigen mit einem weniger Mächtigen) zeigt, sei es das Verhältnis zwischen In- und Ausländern, Beschäftigten und Arbeitslosen, Hetero- und Homosexuellen und Abtreibungsbefürworter und -gegnern. Wie tolerant nun der Mächtigere agiert, scheint dabei entscheidend vom seinem Sicherheitsgefühl abhängig zu sein. Ist nicht in vielen Fällen Toleranz eine Tocher der gesicherten Macht? Aus einer sicheren Position heraus lassen sich "tolerante" Handlungen um vieles leichter setzen, im Gegensatz zu einer direkten Konkurrenzsituation, wo das Augenmerk eher auf dem Erhalt der eigenen Machtposition gelegt wird.

Damit wäre allerdings Toleranz lediglich ein freiwilliger, kalkulierter Machtverlust, basierend auf der Sicherheit, dass der eigene Status nicht gefährdet ist. Also im Sinne von: „Ich lasse dir die Freiheit anders zu sein, weil ich mich dadurch nicht bedroht fühle.“ In Magdalena's Beispiel mit dem Hund bestünde die Stärke darin, dass die gewährte "Pseudo-Toleranz" (die eher einer Duldung gleicht) jederzeit widerrufen werden kann, indem das Bellen der Hausverwaltung gemeldet wird. Dass die Toleranz gegenüber Ausländern weniger ausgeprägt ist, mag dadurch erklärt werden, dass letztere bei erfolgreicher Einbürgerung selbst Macht erhalten (Wahlrecht) und sie damit die eigene Machtposition schwächen könnten.

In anderen Worten, dort wo es um nichts geht, weil die Position abgesichert ist, kann Toleranz leicht gedeihen, während in jenen Fällen, wo sie tatsächlich vonnöten wäre, das Gesetz des Stärkeren wieder um sich greift. Spitzl 19:38, 5. Jan 2006 (CET)


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