Thomas Buchheim über Freiheit (FiK)
Exzerpte aus Thomas Buchheim: Unser Verlangen nach Freiheit. Kein Traum, sondern Drama mit Zukunft. Hamburg 2006. S. 72ff
Auswahl von --anna 17:41, 22. Mär 2007 (CET)
Inhaltsverzeichnis
- 1 Kapitel 3: Bedingungen von Freiheit
- 1.1 Unterabschnitt 3: Kausalität und natürliche Notwendigkeit
- 1.1.1 A. Nicht anders als so: Die kausale Determination des Natürlichen (FiK)
- 1.1.2 B. Notwendigkeit aus Naturgesetzen? (FiK)
- 1.1.3 C. Unvermeidlichkeit des von früheren Ursachen Bewirkten? (FiK)
- 1.1.4 D. Unabänderlichkeit versus Zwangsläufigkeit (FiK)
- 1.1.5 E. Möglichkeiten im Rahmen des Unabänderlichen (FiK)
- 1.2 Unterabschnitt 6: Kausale Determination und die Möglichkeit, sich anders zu verhalten
- 1.1 Unterabschnitt 3: Kausalität und natürliche Notwendigkeit
Kapitel 3: Bedingungen von Freiheit
Nach Ansicht vieler Philosophen erfolgen alle Prozesse im materiellen Universum aus natürlicher oder physikalischer Notwendigkeit und ich selbst habe diesen Ausdruck gebraucht bei der Einführung der verschiedenen Formen, in denen alternatives Verhalten ausgeschlossen ist. Als Begründung für die Notwendigkeit wird angegeben, daß eine Determination durch ausschließlich natürliche Ursachen das Verhalten der Dinge überall festlege, ohne Spielräume oder Alternativen übrig zu lassen; daß außerdem die Gegebenheit von Naturgesetzen den Kausalzusammenhang mit lückenloser Notwendigkeit überziehen müsse; und daß im übrigen, was durch in der Vergangenheit liegende Ursachen bewirkt wird, nicht mehr zur Disposition gegenwärtigen Verhaltens stehen könne. Wo sich aber etwas notwendig so verhält, wie es sich verhält, da kann, wie auch unser Gefühl uns sagt, keine echte Freiheit bestehen.
Unabänderlichkeit und Zwangsläufigkeit
Doch sind, bevor man zu dieser Folgerung eilt, im Raum der unstrittig freiheitsfremden, rein natürlichen Kausalität zunächst einige wichtige Unterscheidungen zu diskutieren. Ein Mangel von Alternativen kann nämlich einerseits dadurch gegeben sein, daß keine Alternativen zu einem bestimmten Verhalten definiert sind; anderseits dadurch, daß sie zwar definiert, aber einem versperrt sind. Im ersten Fall sprechen wir von bloßer Unabänderlichkeit eines bestimmten Verhaltens. Erst im zweiten Fall liegt Zwangsläufigkeit eines Verhaltens und entsprechend auch die Unerfüllbarkeit aller Alternativen zu ihm vor.
Zunächst gilt es, die Unabänderlichkeit aller natürlichen Geschehnisse näher ins Auge zu fassen, um zu sehen, inwiefern mit ihr tatsächlich eine der Freiheit widerstreitende Notwendigkeit solcher Ereignisse zu verbinden ist, die es nicht mehr erlauben würde, menschliche Freiheit auch nur in ein und demselben ontologischen Rahmen mit der Natur anzusiedeln. Unabänderlich heißt das, was ohne Änderung so gilt, wie es ausgefallen ist. Zum Beispiel sprechen wir von einem unabänderlichen Beschluß oder einem unabänderlichen Krankheitsverlauf. Die Pointe des Ausdrucks besteht darin, eine Änderung für den gegebenen Fall faktisch zu verneinen, nicht aber die Möglichkeit von Änderungen im Prinzip zu bestreiten. Ein Krankheitsverlauf ist dann unabänderlich, wenn man nichts gegen ihn unternimmt; nicht deswegen, weil gegen ihn kein Kraut gewachsen wäre. Ein Beschluß ist unabänderlich, weil wir nicht bereit sind, ihn zur Disposition zu stellen, nicht aber, weil man ihn nicht ändern könnte.
Aus einer genaueren Erwägung der Verhältnisse, die die natürliche Kausalität nach allgemeiner Auffassung strukturieren, wird zu ersehen sein, daß die aus ihnen zu gewinnenden Gründe zwar eine allumfassende Unabänderlichkeit des natürlichen Laufs der Dinge gewährleisten, aber nicht bei jeder Interpretation der einschlägigen Sachverhalte ausreichend sind, eine generelle Notwendigkeit natürlich verursachter Ereignisse zu begründen. Daher ist es nicht so, daß einer jeden Begebenheit, die im Rahmen natürlicher Kausalität (welcher Art auch immer) verursacht wird, schon allein aus diesem Grunde mögliche Freiheit zwingend abzusprechen wäre.
Unterabschnitt 3: Kausalität und natürliche Notwendigkeit
A. Nicht anders als so: Die kausale Determination des Natürlichen (FiK)
B. Notwendigkeit aus Naturgesetzen? (FiK)
C. Unvermeidlichkeit des von früheren Ursachen Bewirkten? (FiK)
D. Unabänderlichkeit versus Zwangsläufigkeit (FiK)
E. Möglichkeiten im Rahmen des Unabänderlichen (FiK)
Unterabschnitt 6: Kausale Determination und die Möglichkeit, sich anders zu verhalten
Die verschiedenen Fäden, die in diesem und dem vorangehenden Kapitel angeknüpft wurden, um die Nichtausschließung alternativen Verhaltens für das, was sich lebendig verhält, zu beweisen, können nun zu einem gemeinsamen Text verwoben werden. Zu betonen ist vorab, daß damit nur der Vorhof der Freiheit im Rahmen des Natürlichen geöffnet ist, da lebendiges Verhalten bloß als solches keineswegs bereits alle Erfordernisse der Freiheit erfüllt. Die eigentlich definierenden Kennzeichen der Freiheit sind erst in den beiden folgenden Kapiteln Gegenstand der Betrachtung. Beginnen wir mit den Fäden aus diesem, d. h. dem >Bedingungskapitel<:
(1) Der überall und durchgängig kausal bewirkte Gang aller Dinge und Begebenheiten im Universum verläuft unabänderlich so, wie die unterschiedlichen Beschaffenheiten der an ihm beteiligten Ursachen es herbeiführen.
(2) Die Unabänderlichkeit eines zeitlich erstreckten Geschehensverlaufs kann zwar als überall durch Kausalität bestimmt, aber diese Bestimmung nicht per se schon als notwendig gelten. Die Behauptung der Notwendigkeit verlangt vielmehr nach einem zusätzlichen Grund, warum der ursächlich bestimmte Gang der Dinge nicht nur faktisch so ausfällt, wie er ausgefallen ist, sondern auch kein anderer sein kann als genau dieser.
(3) Ein solcher Grund kann zwar, muß aber nicht darin gesehen werden, daß alle Kausalität unter Naturgesetzen steht, nach denen bei Vorliegen einschlägiger kausaler Ausgangsbedingungen auch das Eintreten der Wirkung regelmäßig erfolgt. Denn die Kausalität kennzeichnende Gesetzesbeziehung kann entweder als eine real zwischen den Eigenschaften von Ursache und Wirkung bestehende Verklammerung gedeutet werden, oder als nur epistemisch ausgezeichnete Wichtigkeit derjenigen Regelmäßigkeiten im Verhalten der Dinge, bei denen dank des kausalen Zusammenhangs zuverlässig eine bestimmte Wirkung durch eine bestimmte Ursache oder Konstellation von Ursachen gefördert wird.
(4) Im ersten Fall ist der Übergang von Ursache zu Wirkung im zeitlichen Verlauf selbst notwendig; im zweiten dagegen besteht nur eine logische Determinationsbeziehung, nach welcher das Eintreten der Wirkung bei Gefahr des Widerspruchs eine Konsequenz aus dem Bestehen des Naturgesetzes und der Voraussetzung entsprechender Ausgangsbedingungen ist.
(5) Damit die zeitliche Unabänderlichkeit des Kausalverlaufs in ein logisch notwendiges Determinationsverhältnis überführt wird, muß demnach entschieden sein, welche Ausgangsbedingungen im Moment des Eintretens der Wirkung einen uns interessierenden Fall von Kausalität vollständig charakterisieren welches das oder die Naturgesetze sind, denen seine Kausalität untergeordnet ist.
(6) Als Naturgesetz kommt nur eine solche Regularität im Verhalten der Dinge in Frage, die für alle definitiv gleichen Fälle von Kausalität im gesamten Universum gleichermaßen gilt.
Das vorangegangene Kapitel über die Wurzel der Freiheit in der Natur des Handelns und dessen Fundierung in ontologischen und kausalen Besonderheiten von Lebensäußerungen lebendiger Individuen steuerte darüberhinaus folgende Fäden zum Gewebe der alternativen Verhaltensmöglichkeiten bei:
(7) Die Kausalität von Ereignissen und die von Lebensäußerungen sind in mehrerer Hinsicht unterschiedlich beschaffen.
(8) Während Ereignisse im physischen Universum selbständig vorkommende Entitäten und gewisse okkurente Zustände an physikalischen Objekten und Körpern aller Größe und Ausdehnung sind, sind Lebensäußerungen unselbständige Episoden des Lebens von lebendigen Individuen. Allen Begebenheiten von der Art der Lebensäußerungen ist daher dasselbe Subjekt als Träger eingeschrieben, das auch ihre generative Ursache darstellt.
(9) Subjekte von Lebensäußerungen im physischen Universum sind sämtlich komplexe materielle Substanzen.
(10) Das besagte Identitätsverhältnis zwischen Träger und generativer Ursache der Begebenheit kann bei biographisch veranlaßten Lebensäußerungen auch so formuliert werden, daß jede derartige Lebensäußerung dem Leben ihres Subjekts entspringt, d. h. die Ausübung eines Vermögens sein muß, das dem betreffenden Individuum insgesamt zukommt.
(11) Begebenheiten von der Art der Lebensäußerungen kommen als mögliche Ursachen sowohl von Ereignissen als auch von anderen Lebensäußerungen in Betracht
(12) Gleichartige lebendige Individuen mit gleichen Vermögen, die sich in ähnlichen Situationen gleich verhalten, verhalten sich aus gleichen Ursachen so.
(13) Es kommt vor, daß gleichartige lebendige Individuen mit gleichen Vermögen sich in ähnlichen Situation ungleich verhalten.
Schließlich sind beide Gruppen von Fäden zusammenführen und begründen so die folgenden Feststellungen:
(14) Die ihn vollständig charakterisierenden Ausgangsbedingungen für jeden Fall einer Kausalität von Lebensäußerungen umfassen mindestens alle simultan das Leben des betreffenden Individuums integrierenden Ereignisse. [5a; 101
(15) Das Naturgesetz, mithilfe dessen der kausale Nachfolger eines solchen Antezedens aus ihm ableitbar ist, ist dasselbe für alle sich definitiv gleich verhaltenden Fälle im Universum. [3; 6; 121
(16) Sich definitiv ungleich verhaltende Fälle von Kausalität im Universum unterstehen niemals demselben Naturgesetz. [6; 131
In (13) besitzen wir die Rechtfertigung dafür, von alternativen Verhaltensmöglichkeiten des Lebendigen zu sprechen, ohne dadurch den Sätzen (1), (3) und (15) zu widersprechen. Von entscheidender Bedeutung für diesen schmalen Ausweg aus der scheinbaren Zwickmühle kausaler Determination sind also die nicht leicht zu bestreitenden Auffassungen, daß Determination erstens nur bei vorausgesetzter Gegebenheit vollständiger Antezedenzien für das so Determinierte stattfindet (5) und daß sich zweitens erst dann sicher etablieren läßt, was wirklich ein Naturgesetz ist, wenn alle definitiv gleichen Fälle von Kausalität im Universum und nur sie, tatsächlich derselben Regel folgen (6). Denn in der Tat wäre es irrational und mit der menschlichen Freiheit völlig unvereinbar, annehmen zu müssen, daß zwei Menschen mit gleichen Vermögen, die sich ungleich verhalten, aus denselben Ursachen getan haben, was immer sie taten. Deshalb kann man - einfach ausgedrückt - nicht sicher vorhersagen, welchen Naturgesetzen lebendiges Verhalten tatsächlich unterliegt, bevor alle Individuen mit den entsprechenden Vermögen ihr Verhalten realisiert haben (15). Dennoch ließe sich rein theoretisch - d. h. ohne Unmögliches zu behaupten - für alle Individuen, deren Verhalten im Lauf der Zeit bereits realisiert ist, dasjenige Naturgesetz formulieren, nach dem seine Kausalität zutreffend erklärt wird (3). Das Verhalten selbst entscheidet beim Lebendigen mit darüber, Fall welcher Naturgesetze es am Ende sein wird (16). Denn dem Verhalten des Lebendigen sind Vermögen als ein Definiens seiner Kausalität inhärent(10).
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<h level="2" i="1">== Kontext ==</h>
Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)
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