Stimme und Phänomen (Code)

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Exzerpte aus Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen. Frankfurt/Main 2003. S. 54-60,

"der Prozeß des Todes, der in den Zeichen am Werk ist"

Diese Mitteilung wird aber dadurch möglich, daß der Hö­rende nun auch die Intention des Redenden versteht. Und er tut dies, sofern er den Sprechenden als eine Person auffaßt, die nicht bloße Laute hervorbringt, sondern zu ihm spricht, die also mit den Lauten zugleich gewisse sinnverleihende Akte vollzieht, welche sie ihm kundtun, bzw. deren Sinn sie ihm mitteilen will. Was den geistigen Verkehr allererst mög­lich und die verbindende Rede zur Rede macht, liegt in dieser durch die physische Seite der Rede vermittelten Korrelation zwischen den zusammengehörigen physischen und psychi­schen Erlebnissen der miteinander verkehrenden Personen. (Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie I)

All das, was in meiner Rede dazu bestimmt ist, einem Anderen ein Erlebnis kundzutun, muß durch die Vermittlung der physischen Seite hindurchgehen. Diese irreduzible Ver­mittlung bezieht jeden Ausdruck in eine anzeigende Opera­tion ein. Die kundgebende Funktion* ist eine anzeigende Funktion. Man rückt hiermit wieder näher an die Wurzel der Anzeige heran: Zur Anzeige kommt es jedesmal, wenn der sinnverleihende Akt, die beseelende Intention, die lebendige Geistigkeit des Bedeutens nicht voll und ganz gegenwärtig ist. In der Tat ist mir, wenn ich einem Anderen zuhöre, sein Erlebnis nicht »leibhaft«, originär gegenwärtig. Ich kann, meint Husserl, eine originäre Anschauung, das heißt eine unmittelbare Wahrnehmung von dem haben, was an ihm in der Welt exponiert ist, von der Sichtbarkeit seines Körpers, sei­ner Gesten, von dem, was sich von den Lauten, die er äußert, vernehmen läßt. Doch die subjektive Seite seiner Erfahrung, sein Bewußtsein, die Akte, durch die er insbesondere seinen Zeichen Sinn verleiht, sind mir nicht unmittelbar und origi­när gegenwärtig, so wie sie es für ihn und so wie es meine eigenen für mich sind. Es gibt da eine irreduzible und defini­tive Grenze. Das Erlebnis des Anderen wird mir allein inso­fern kundgetan, als es durch Zeichen vermittelt angezeigt wird, die eine physische Seite beinhalten. Selbst die Idee des »Physischen«, der »physischen Seite« ist in ihrer eigenen Dif­ferenz allein von dieser Bewegung der Anzeige her denkbar.

Zur Erklärung des irreduzibel anzeigenden Charakters der Kundgabe, selbst in der Rede, schlägt Husserl bereits Motive vor, deren System die fünfte der Cartesianischen Meditationen mit größter Genauigkeit entwickeln wird: Außerhalb der mir eigenen* transzendentalen monadischen Sphäre, der Eigenheit* des mir Eigenen, meiner Selbstgegen­wart, habe ich zum Eigenen des Anderen, zur Selbstgegen­wart des Anderen nur Bezüge analogischer Appräsentation, vermittelter und potentieller Intentionalität. Die ursprüng­liche Gegenwärtigung ist mir untersagt. Was später dann überwacht von einer kühnen und strengen differenzierten transzendentalen Reduktion beschrieben werden wird, wird hier in den Untersuchungen in der »Parallel«dimension des Psychischen skizziert.

Die Kundgabe nimmt der Hörende in demselben Sinne wahr, in dem er die kundgebende Person selbst wahrnimmt – obschon doch die psychischen Phäno­mene, die sie zur Person machen, als das, was sie sind, in eines anderen Anschauung nicht fallen können. Die gemeinübli­che Rede teilt uns eine Wahrnehmung auch von psychischen Erlebnissen fremder Personen zu, wir >sehen< ihren Zorn, Schmerz usw. Diese Rede ist vollkommen korrekt, solange man z. B. auch die äußeren körperlichen Dinge als wahrge­nommen gelten läßt und, allgemein gesprochen, den Begriff der Wahrnehmung nicht auf den der adäquaten Wahrneh­mung, der Anschauung im strengsten Sinne einschränkt. Besteht der wesentliche Charakter der Wahrnehmung in dem anschaulichen Vermeinen*, ein Ding oder einen Vorgang als einen selbst gegenwärtigen* zu erfassen – und ein solches Vermeinen ist möglich, ja in der unvergleichlichen Mehrheit der Fälle gegeben, ohne jede begriffliche, ausdrückliche Fassung –, dann ist die Kundnahme* eine bloße Wahrnehmung der Kundgabe*. [...] Der Hörende nimmt wahr, daß der Redende gewisse psychische Erlebnisse äußert, und insofern nimmt er auch diese Erlebnisse wahr; aber er selbst erlebt sie nicht, er hat von ihnen keine >innere<, sondern eine >äußere< Wahrnehmung. Es ist der große Unterschied zwischen dem wirklichen Erfassen eines Seins in adäquater Anschauung und dem vermeintlichen* Erfassen eines solchen auf Grund einer anschaulichen aber inadäquaten Vorstellung. Im erste­ren Falle erlebtes, im letzteren Falle supponiertes* Sein, dem Wahrheit überhaupt nicht entspricht. Das wechselseitige Verständnis erfordert eben eine gewisse Korrelation der bei­derseitigen in Kundgabe und Kundnahme sich entfaltenden psychischen Akte, aber keineswegs ihre volle Gleichheit.


Die Grundannahme einer Gegenwärtigkeit ist der eigent­liche Strang dieser Beweisführung. Die Mitteilung oder Kundgabe* ist deshalb von ihrem Wesen her anzeigend, weil die Gegenwärtigkeit des Erlebnisses des Anderen unserer originären Anschauung verwehrt ist. Jedesmal, wenn die unmittelbare und volle Gegenwärtigkeit des Signifikats entzo­gen sein wird, wird der Signifikant von anzeigender Art sein. (Das ist auch der Grund, warum die Kundgabe, die etwas ungenau durch manifestation übersetzt wird, nicht manife­stiert, nichts manifest macht, wenn manifest evident, offen, »leibhaft« dargeboten heißt. Die Kundgabe* verkündet das, worüber sie in Kenntnis setzt, und entzieht es zugleich.) Jede Rede oder eher noch alles das, was in der Rede nicht die unmittelbare Gegenwärtigkeit des signifizierten Inhalts wie­derherstellt, ist un-ausdrücklich. Die reine Ausdrücklichkeit wird die reine aktive Intention (Geist, Psyche, Leben, Wille) eines Bedeutens* sein, das eine Rede beseelt, deren Inhalt (Bedeutung*) gegenwärtig sein wird. Gegenwärtig nicht in der Natur, denn einzig die Anzeige findet in der Natur und im Raum statt, sondern im Bewußtsein. Also gegenwärtig für eine »innere« Anschauung oder für eine »innere« Wahrneh­mung. Aber gegenwärtig für eine Anschauung, welche nicht die des Anderen in einer Mitteilung sein kann; wir haben gerade verstanden, warum. Also selbstgegenwärtig im Leben einer Gegenwart, die noch nicht aus sich in die Welt, in den Raum, in die Natur hinausgegangen ist. Bei all diesen »Aus­gängen«, die dieses Leben aus der Selbstgegenwart ins Exil des Anzeichens vertreiben, kann man versichert sein, daß die Anzeige, die bis hierher fast die gesamte Oberfläche der Spra­che abdeckt, der Prozeß des Todes ist, der in den Zeichen am Werk ist. Und sobald der Andere erscheint, läßt sich die anzeigende Sprache – ein anderer Name für die Beziehung zum Tod – nicht länger ausstreichen.

Die Beziehung zum Anderen als Nicht-Gegenwärtigkeit ist also die Unreinheit des Ausdrucks. Um die Anzeige in der Sprache zu reduzieren und endlich die reine Ausdrücklich­keit zurückzugewinnen, muß man also die Beziehung zum Anderen außer Kraft setzen. Ich werde dann nicht mehr durch die Vermittlung der physischen Seite oder jeglicher Appräsentation überhaupt hindurchgehen müssen. Der Pa­ragraph 8, »Die Ausdrücke im einsamen Seelenleben«, folgt somit einer Bahn, die unter zweierlei Gesichtspunkten paral­lel zur Bahn der Reduktion auf die monadische Spähre der Eigenheit* in den Cartesianischen Meditationen verläuft: Parallele des Psychischen und des Transzendentalen, Paral­lele der Schicht der ausdrücklichen Erlebnisse und der Schicht der Erlebnisse überhaupt.

Bisher haben wir die Ausdrücke in der kommunikativen Funktion betrachtet. Sie beruht wesentlich darauf, daß die Ausdrücke als Anzeichen wirken. Aber auch in dem sich im Verkehr nicht mitteilenden Seelenleben ist den Ausdrücken eine große Rolle beschieden. Es ist klar, daß die veränderte Funktion nicht das trifft, was die Ausdrücke zu Ausdrücken macht. Sie haben nach wie vor ihre Bedeutungen* und dieselben Bedeutungen* wie in der Wechselrede. Nur da hört das Wort auf, Wort zu sein, wo sich unser ausschließliches Interesse auf das Sinnliche richtet, auf das Wort als bloßes Laut­gebilde. Wo wir aber in seinem Verständnis leben, da drückt es aus und dasselbe aus, ob es an jemanden gerichtet ist oder nicht. Hiernach scheint es klar, daß die Bedeutung* des Aus­druckes, und was ihm sonst noch wesentlich zugehört, nicht mit seiner kundgebenden Leistung zusammenfallen kann.

Der erste Vorteil dieser Reduktion auf den inneren Monolog ist also der, daß das physische Geschehen der Sprache darin tatsächlich abwesend zu sein scheint. In dem Maße, wie die Einheit des Wortes – das, was dafür sorgt, daß es als Wort, als dasselbe Wort, als Einheit aus einem Lautkomplex und ei­nem Sinn, wiedererkannt wird – weder mit der Mannigfaltig­keit der sinnlichen Ereignisse seiner Verwendung zusam­mengeworfen noch folglich von diesen abhängig sein kann, ist das Selbe des Wortes ideal, ist es die ideale Möglichkeit der Wiederholung und verliert es nichts an die Reduktion von ir­gendeinem, folglich also jedem durch sein Erscheinen bezeichneten empirischen Ereignis. »Was uns als Anzeichen (Kennzeichen) dienen soll, muß von uns als daseiend wahrgenommen werden«; die Einheit eines Wortes dagegen schul­det nichts seinem Dasein*, seiner Existenz*. Seine Ausdrück­lichkeit, die keinen empirischen Körper, sondern allein die ideale und identische Form dieses Körpers, insofern er durch ein Bedeuten beseelt wird, nötig hat, schuldet nichts irgendeiner weltlichen, empirischen usw. Existenz. Im »einsamen Seelenleben« sollte mir also die reine Einheit des Ausdrucks als solche endlich zurückerstattet werden.

Heißt das, daß ich, wenn ich zu mir selbst spreche, mir selbst nichts mitteile? Sind »Kundgabe*« und »Kund­nahme*« damit außer Kraft gesetzt? Ist die Nicht-Gegen­wärtigkeit reduziert und mit ihr die Anzeige, der Umweg über die Analogie, usw.? Modifiziere ich mich so nicht? Bringe ich mir so nichts über mich selbst bei? Husserl betrachtet den Einwand und weist ihn dann zurück. »Sollen wir sagen, der einsam Sprechende spreche zu sich selbst, es dienten auch ihm die Worte als Zeichen*, näm­lich als Anzeichen* seiner eigenen psychischen Erlebnisse? Ich glaube nicht, daß eine solche Auffassung zu vertreten wäre.«