Spieltrieb und Persönlichkeitsentwicklung (BD14)
- "Der sinnliche Trieb will bestimmt werden, er will sein Objekt empfangen; der Formtrieb will selbst bestimmen, er will sein Objekt hervorbringen; der Spieltrieb wird also bestrebt sein, so zu empfangen, wie er selbst hervorgebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet." (Friedrich Schiller)
Personen sind nach Schiller von zwei Trieben bestimmt. Aus ihrem Zusammenwirken entstehen Einzelschicksale und Gesellschaften. Das ist eine klassisch platonisch-dualistische Grundannahme. Interessant ist, wie diese Dichotomie im Lauf der Geschichte entwickelt wird, z.B. nach dem Paradigma der Abstraktionsleistung im Begriffsgebrauch oder der Gestaltung materieller Gegenstände. Schiller hat einen eigenständigen Vorschlag. Seine vermittelnde Kraft ist der Spieltrieb.
Die Leitidee ist diese: im Spiel heben die selbstgemachten Regeln den Fremdfaktor äußerer Einflüsse auf. Und umgekehrt richten sich die Regeln nach der Vorgabe der Umstände. Das Spielzeug und die Spielanweisung schaffen zusammen eine Welt. Diese Konstruktion ruht in sich. Sie enthält einen Zeitverlauf, der nicht von externen Vorgaben gesteuert ist.
Hier folgt der Versuch, diese Intuition mit Blick auf den Bildungsgedanken aufzuschlüsseln. Eine redaktionelle Intervention auf Facebook dient zur Verdeutlichung einiger Strukturmerkmale.
Ingredienzien des Bildungsbegriffes:
- ein Organismus
- ein Zeitverlauf
- eine Zielvorgabe
- eine Rückinterpretation
- eine Entwicklung
und im Fall von Personen
- ein Ziel mit sozialem Prestige (symbolisches Kapital)
- Subjektkonstanz
- ein individueller (Lebens-)Rückblick (Autobiographie)
Allgemeine Strukturmerkmale
Für "Bildung" kommt primär etwas Lebendiges in Frage. Es gibt zwar "Gesteinsbildungen" und ähnliches, aber das Gegenbeispiel erhellt den Standardgebrauch. Der Schwerpunkt liegt auf einer temporalen Entwicklung (dies liegt auch bei Mineralien vor) für die sich ein inhärentes Ziel angeben läßt. Sandstein bildet sich in einer "Verfestigung des Sandes durch die Ausfällung von Mineralen in den Hohlräumen zwischen den Sandkörnern" [1]. In diesem Vorgang verfolgt der Sandstein keinen Zweck. Zwar handelt es sich darum, dass etwas entsteht, aber die Rückinterpretation, die ausgehend vom Resultat den Anfang des Vorgangs in eine Erzählung einschließt, bleibt dem Prozess äußerlich. Wir sagen zwar, dass sich unter bestimmten Bedingungen Sandstein entwickelt, aber das wird nicht als Ziel der in der Natur auftretenden Ausfällung von Mineralien verstanden.
Es gibt andererseits Naturvorgänge, die eine anderen Typus der Rückinterpretation nahelegen. Die Blastogenese der Säugetiere [2] setzt Vorstufen der Embryonalentwicklung voraus und bereitet weitere Stufen vor. "Die inneren Zellen der Morula – der Embryoblast bzw. die innere Zellmasse (IZM) – bleiben dabei nur an einer Seite erhalten (embryonaler Pol), während sich aus den umhüllenden Zellen der Trophoblast bildet – eine schützende Hülle, aus der schließlich Plazenta und Eihäute entstehen werden." In solchen Fällen ist die genetische Betrachtung nicht nur ein aus nachträglicher Sicht angelegtes Muster. Es liegt nahe, von Teleologie zu sprechen. Das betrachtete Phänomen folgt einem Ziel aus eigenen Ressourcen. Anders als eine Lawine, deren Ablauf bis zu einem Endstadium linear determiniert ist, entwickelt sich ein Embryo durch Feedback zwischen Umweltbedingungen und Eigenmitteln zu einem selbständig lebensfähigem Gebilde.
In dieser Beschreibung der Verhältnisse steckt eine Trennung von physikalischen und physiologischen Abläufen. SIe ist zwischen "Naturalismus" und "Vitalismus" umstritten. Man kann versuchen, jedes Geschehen in der Welt auf rein materielle Abläufe zurückzuführen. Das wird hier nicht weiter diskutiert. Zum vorliegenden Zweck (!) reicht es, die beiden Erklärungsmuster herauszuarbeiten. Eine primäre Charakteristik des hier betrachteten Bildungsbegriffes besteht darin, dass er Ereigniskomplexe betrifft, deren zielbestimmte Entwicklungszustände bereits in der Betrachtung der Anfangszustände eine Rolle spielen.
Einfach gesagt: Wir schreiben nicht dem Sand, aber der Zelle eine Entwicklung zu. Oder sprachphilosophisch: Der erste Satz einer Erzählung ist schon davon bestimmt, wohin sie führt.
Persönlichkeitbildung