Spielformen, Zweckausrichtung (BD14)

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Spiel und Zweckhandeln u.a.

Beitrag von --H.A.L. (Diskussion) 19:30, 31. Okt. 2014 (CET)

(Hier sind ein paar Punkte, die mehr oder weniger zusammenhängen. Tut mir leid, ich habe die Diskussion nochmal halbwegs gelesen, habe aber auf eine Reihe von Beiträgen nicht recht eingehen können, ohne meinen Gedankengang zu verlassen. Das kommt hoffentlich noch. Übrigens habe ich mittlerweile die ersten drei Vorlesungen nachhören können und verstehe das eine oder andere schon mehr.)

Spielen ohne Erfolg, Spielen ohne Regeln

Zunächst möchte ich festhalten, daß ich gelogen habe. Ich habe behauptet, daß jedes Spiel die Fähigkeit trainiert, das Spiel erfolgreich zu spielen. Das gilt aber nur für Spiele, bei denen „erfolgreich” überhaupt ein sinnvolles Wort ist, also Spiele, die man gewinnen oder verlieren kann. Das ist ausreichend, wenn man nach dem Unterschied zwischen Federball und R&G fragt, aber Schiller hatte sicher etwas anderes im Sinn. - Natürlich kann ich auch „Vater, Mutter, Kind” schlecht spielen. Wenn ich zu viele Spielzüge mache, die meinem Spielpartner nicht passen, kann es passieren, daß er mir die Puppe an den Kopf wirft und mir sagt, daß ich blöd bin. Aber das entspricht dem Fall, in dem ich an einem Fußball geometrische Studien mache, das entspricht nicht dem Fall, in dem ich Fußball spiele und verliere. - In dieser speziellen Kategorie von Spielen („Erfolgsspiel”? „Leistungsspiel”? „Wettkampfspiel”?) gehört es wesentlich zum Spiel, das Spiel zu erlernen. Zwar kann man sicher auch bei Vatermutterkind etwas lernen, aber in Erfolgsspielen steckt das Lernen noch einmal auf eine besondere Weise drin, das ist sicher wichtig, wenn man über Spiele und Lernen nachdenkt. - (nb.: „Ball nicht in die Hand nehmen” ist eine Spielregel. „Die Puppe ist das Kind” kann man wohl auch als Spielregel betrachten. Dann wäre wohl „Jeder von uns zwei will gewinnen” auch eine Spielregel.)

Vielleicht sollte ich mich aber auch nicht an den Spielregeln festhängen. Es gibt eben auch einen kreativen - eben „spielerischen” - Gebrauch der Umgebung. Dazu gehören auch geometrische Reflexionen über Fußbälle. Daran ist gerade die Regellosigkeit bezeichnend - spielerischer Umgang heißt eben, daß man gerade nicht tut, was vorgesehen war. (Wenn Schiller Fußballmuffel ist, wird er der großen Schwester, die ihren zweckentfremdeten Ball wiederhaben will, sagen, daß der kleine Bruder der wahre Spieler ist, weil er über den Zweck des Balls hinausgehen kann.)

Spielerischer Umgang mit Spielzeug ist fad

Gerade weil es um spielerischen Umgang geht, überzeugt mich das abgestumpfte Ikosaeder nicht. Wenn ich über den Fußball als Gegenstand reflektiere, dann blende ich den Zweck aus, zu dem er hergestellt wurde - dann ist es aber auch völlig egal, daß dieser Zweck zufällig ein Spiel ist. Genauso kann ich mir ein provisorisches Verkehrsschild vorstellen, das auf einem Stativ in Form eines Tetraeders montiert ist. Beides potentielles geometrisches Lehrmaterial, das aber nicht als Lehrmaterial gemacht wurde.

Mit dem Sockenball ist es ähnlich. In dem Moment, in dem mein Ball kaputt ist, habe ich kein Spiel, ich habe ein Problem. Eine bestimmte Tätigkeit wird dadurch unterbrochen, daß das Werkzeug kaputt ist. Auch das kann ich mir ohne Spiel vorstellen. Nehmen wir an, jemand fährt mit dem Auto in die Arbeit, und das tut er überhaupt nicht gern. Plötzlich versagt das Auto und unterbricht die Tätigkeit. Er sucht die verantwortliche Instanz und findet sie im Keilriemen. Also improvisiert er einen Ersatzkeilriemen aus seinem Nylonstrumpf. (Übrigens lese ich gerade, daß das auch nicht wirklich funktioniert.) In beiden Fällen habe ich kreatives Problemlösen, nur geht es in einem Fall zufällig um ein Spielzeug und im anderen nicht.

Soll heißen: Am spielerischen Umgang mit Spielzeug ist philosophisch ncihts interessantes dran. Ich kann mit allen Facetten meiner Umbebung spielerisch umgehen, auch mit denen, die selbst ein Element von Spiel haben. Hier tauchen zwei Facetten von Spiel in einem Beispiel auf, aber dieses gemeinsame Auftreten ist kontingent, da steckt kein besonderer Clou drin.

evolutionistischer Ansatz

Werbung? Problemlösen? Bohrmaschine? Nachdem mir meine Schwiegermutter damit wochenlang in den Ohren gelegen war, hatte ich nun endlich beschlossen... - Das bringt mich noch auf etwas anderes. Zwar rollt er immer wieder die Augen, wenn seine Schwiegermutter was von ihm will - aber in Wahrheit tut er das ja gern. Dafür ist er Heimwerker. Das liegt in der Natur des Menschen. Der Mensch löst gerne Aufgaben, wie eine Katze gern jagt, weil diese Problemlösungskompetenz einen Überlebensvorteil bietet und weil es einen Überlebensvorteil bietet, wenn man das, was einen überleben läßt, gern tut.

Nach diesem Ansatz gibt es nichts, das „einfach so” Spaß macht. Essen macht nicht Spaß, weil essen per se schön ist. Essen macht auch nicht Spaß, weil es uns überleben läßt. Essen macht Spaß, weil wir darauf gezüchtet sind, positiv auf etwas zu reagieren, das unser Überleben fördert.

Ich stelle mir gerade einfach vor, daß Spielen und Lernen zusammen eine Gruppe von Verhaltensweisen bilden, die sich dadurch auszeichnen, daß man sich im sicheren Hafen befindet, aber so tut, als sei der Ernstfall eingetreten. Eine Katze, die spielerisch jagt, tut so, als ob sie etwas zu fressen bräuchte, obwohl sie satt ist.

Das kann man nun auf zwei Arten deuten. Entweder ich sage: Jede spielerische Jagd ist eine Vorbereitung auf die wirkliche Jagd. Das hieße, daß jedes Spielen ein Lernen ist. Kein Spiel hätte seinen Zweck in sich selbst, daß das Spiel selbst Spaß macht, ist nur ein raffinierter Trick der Natur. Oder aber ich sage: Daß das Jagen ein Trieb ist, hat sich erstens so entwickelt, damit die Katzen jagen, und zweitens, damit sie das Jagen schon einmal üben, bevor es ernst wird - aber dann hat er sich verselbständigt, und jetzt tritt die Freude am Jagen unabhängig von ihrer ursprünglichen Ursache auf.

Man könnte behelfsweise sagen: Spielen heißt: Ich schaffe mir künstlich einen Ernstfall, weil es mir Spaß macht, so zu handeln, wie ich in einem Ernstfall handle. Lernen heißt: Ich schaffe mir künstlich einen Ernstfall, damit ich für den richtigen Ernstfall üben kann.

Insofern ist Spielen/Lernen ein schillerndes Ding, weil es in einem gewissen Sinn auf etwas anderes verweist, aber in einem gewissen anderen Sinn auch seinen Zweck in sich hat.

Jetzt müßt ich vielleicht erwähnen, daß es einen Unterschied gibt zwischen dem Jagen der Katze und menschlicher Kreativität. Eine spielende Katze stellt sich immer den ERnstfall „ich will Futter” vor. Der menschliche Ernstfall ist aber unspezifiziert. Die Stärke des Menschen liegt ja darin, daß er auch Probleme lösen kann, die zuvor nie aufgetreten sind. Und Probleme, die er schon einmal gelöst hat, mit einer anderen Methode besser zu lösen.

Was der Heimwerker auch zeigt, ist, daß der Übergang zwischen Ernstfall und Spiel fließend sein kann. Man kann ein reales Problem absichtlich auf eine ineffiziente Weise lösen, wenn das mehr Spaß macht und man sich den Mehraufwand leisten kann. „Aber Schatz, wenn du das selber machst, brauchst du drei Tage. Ein Profi macht das in einem halben Tag und kostet viel weniger, als du in den drei Tagen verdienen könntest, wenn du noch einen Auftrag dazwischenquetschst.” - „Das ist es mir wert.”

Ansonsten ist Lernen nicht vom Spielen abhängig. Wenn mir die Erfahrung beim Lösen eines Problems hilft, ähnliche Probleme später besser zu lösen, dann lerne ich, egal, ob ich spiele oder ein ernsthaftes Problem habe.

sich dem Zeug widmen

Bei neuerlichem Blick auf den Sockenball glaube ich, ich habe dich mißverstanden. Anscheinend geht es nicht vom Übergang vom Spielen zum Lernen. Es geht darum, daß ich den Ball zunächst benutzt habe, jetzt widme ich mich dem Ball. Da kann ich ein Bildungserlebnis erkennen. Man setzt sich mit einer Umgebung auseinander, die man zuvor eher ignoriert hat, man schafft sich ein Bewußtsein für sein Werkzeug. Aber aus den oben erklärten Gründen glaube ich nicht, daß es hier einen Unterschied macht, daß das Ballproblem bei einem Spiel auftritt. Den Faktor Spiel sehe ich eher anderswo. Man kann durch ein plötzliches Problem aus seiner Routine herausgerissen werden - man kann ein solches Problem aber auch selbst herstellen, man kann seine Routine sozusagen spielerisch außer Kraft setzen. Es gehört entscheidend zum Arsenal des Menschen, daß er das, was funktioniert, noch einmal hinterfragt. Daß er sich unnötigen Aufwand beschert, wo es doch schon eine gangbare Lösung gäbe.

Damit habe ich einen Haufen Faktoren angerissen, die noch genauer auszuführen wären; das mit der Kreativität müßte man ordentlich ausarbeiten, den Begriff des Spiels und die Unterarten müßte man mal klären, überhaupt alles in eine saubere Form bringen. Aber das ist eine andere Geschichte.

--H.A.L. (Diskussion) 19:30, 31. Okt. 2014 (CET)

PS: Grade mit einem Bekannten, der Ergotherapie studiert, über das Thema gechattet, und er hat mir zwei Sachen erzählt:

  • Viele Kinder, die sich früh viel mit Computern beschäftigen, bekommen Defizite in der Entwickling, und zwar auf dem Gebiet der Motorik
  • Es gibt Kulturen, in denen das Konzept eines Spiels mit einem GEwinner unbekannt ist


Ich stimme dir zu; als wir vom Thema „Spielen und Lernen“ angefangen haben, stand dabei wohl nicht das „Spielzeug“ im Vordergrund, sondern irgendein mehr oder weniger geläufiger Gegenstand, der durch eine Abstraktion auf einen anderen mehr oder weniger geläufigen Gegenstand bezogen wird; das Straßenschild wäre auch ein mögliches Beispiel gewesen und hätte nichts mit dem Begriff „Spiel“ zu tun gehabt. Ob am Fußball etwas über Geometrie oder anhand von Geometrie etwas über den Ball erkannt wird ist wohl für das, worüber wir hier bisher in puncto „Lernen“ gesprochen haben, nicht relevant; damit ist anhand des Begriffs „Spiel“ etwas über das „Lernen“ (in Form von: „Lernpotential“ anhand von Abstraktion) gesagt worden, aber nichts über den Begriff „Spiel“ selbst.
Um deine Terminologie zu verwenden: Wir haben uns „spielerisch/kreativ“ mit dem Begriff „Spiel“ selbst beschäftigt und er hat (als vorläufig einfach vorausgesetztes Ergebnis) „mitgespielt“ (wie ein funktionierender Fußball, den wir uns gegenseitig zugespielt haben), bis er zum von dir erkannten Problemfall geworden ist, weil der Begriff wohl zu sehr für etwas engesetzt worden ist, für das er nicht einsetzbar ist; der Begriff „Spiel“ hat sich im Zusammenhang mit dem Begtiff „Lernen“, gemessen an der Zweckdienlichkeit für unsere Thematik, als Sockenball entpuppt. - Nur dass in unserem Fall nicht wie beim Sockenball-Beispiel etwas „kaputt“ gegangen ist und damit ein zu lösendes Problem verursacht hat, sondern etwas aus zufällig herumliegenden Teilen zusammengebastelt wurde.
Glücklicherweise hast du das Konzept des „spielerischen Umgangs mit etwas“ eingeführt und uns vielleicht näher an die Sache herangebracht, als mein Ansatz es vermocht hätte. Damit möchte ich auch anna zustimmen, denn in dem „spielerischen Annähern“ ist der Gegenstand ganz deutlich einer Intention unterstellt, da es dabei zweifellos um eine Handlung (eines Menschen) und nicht um eine Operation (eines nicht-menschlichen Wesens) geht, wohingegen beim „Spiel“ das Spielzeug auf eine, so denke ich und das wollte ich oben andeuten, bestimmte Weise „mitspielt“ und sich von sich aus der Absicht des Menschen entziehen kann, z. B. in dem von anna beschriebenen Fall (in dem das Spiel unmöglich gemacht wird), wenn man mit einem Trampolin Federball spielen will, oder aber auch in dem Fall (in dem das Spiel weitergehen kann), wenn der Federball zu Boden fällt.
Ich denke weiterhin, dass der Begriff „Gegenstand“ (resp. „etwas“) von Bedeutung ist, weil man eben Szenarien selten hinreichend im Geiste „durchspielen“ kann, ohne von der Realität der gegenständlichen Welt eines Besseren „belehrt“ zu werden. Allerdings gilt dies sicher nicht nur im Zusammenhang mit Spielzeug. Das wäre wohl etwas, wie du dich ausgedrückt hast: „Philosophisches“, das man festhalten und diskutieren könnte, aber nicht unbedingt nur im Zusammenhang mit dem Begriff „Spiel“.
Wenn wir also – und das ist wohl geboten, wenn wir die Diskussion im Dunstkreis des Begriffs nicht an der Stelle abbrechen, sondern weiterhin bei der Theamtik bleiben und diese auf andere Aspeke ausdehnen wollen – den Begriff „Spiel“ von nun an verwenden, dann schlage ich vor, die von dir motivierte Konnotation: „spielerisch/kreativ“ vorauszusetzen und uns darauf zu konzentrieren. Wie wäre es, wenn wir den Begriff „simulieren“ (künstlich einen Ernstfall schaffen oder einen künstlichen Ernstfall schaffen; vielleicht: sich Bewusstsein schaffen) verwenden? Dieser Begriff erlaubt nicht nur die Konnotation „Spiel“, sondern auch andere Aspekte mit einzubeziehen. Wir könnten so weiterhin den „spielerischen“ Zugang, im Sinn einer von dir erwähnten gewissen „Harmlosigkeit“, verfolgen und zudem das von dir „Schillern“ Genannte erhalten, das die Sachlage offen hält für die seltsame Doppelbödigkeit der „Zwecke in sich selbst“ und der „Zwecke von außen“, die mir, wie bereits erwähnt, wichtig ist, weil, womit ich das oben Gesagte kurz zusammenfasse, reine Selbstzwecke durch äußere Anlässe ebenso wie reine äußere Zwecke durch Intentionen „verunreinigt“ zu werden scheinen. - Ist das ein gangbarer Weg? Oder sollen wir uns doch weiterhin mit „Spielen“, in einem engeren Sinne als mit dem „spielerisch/kreativen“ Umgang mit der Welt gemeint ist, beschäftigen?
Zu deiner Reflexion über die „anthropologischen Grundbedingungen“ möchte ich noch kurz etwas anmerken: Mir ist der Ausdruck „von Natur aus“, den du verwendest, sehr suspekt. Würde dich eine Diskussion über dieses Thema interessieren? Dann schlage ich vor, dafür einen eigenen threat zu eröffnen. Falls nicht, dann können wir das Thema auch gern auf sich beruhen lassen; für den Fall würde ich mir allerdings freundlich erbitten, solche Beschreibungen von Sachverhalten „von Natur aus“ eher zu vermeiden, so diese für die Argumentation nicht essentiell sind.
--Euphon (Diskussion) 10:49, 2. Nov. 2014 (CET)