Spiegel (CP)

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Das Spiegelstudium. Schlüssel zum Cyberspace

Die Annonce für ein Notebook der Firma AST synthetisiert die ehrwürdige Welt der Klassik und jene der digitalen Maschine in einer Bildkomposition. Ihre Elemente sind konfrontativ und kollaborativ aufeinander bezogen. Der Titelaufdruck der Buchrücken gibt Sinn; eine Tastatur kann das nicht leisten. Umgekehrt ist im Notebook Speicherplatz für jede Menge Bücher. Die Kapazität einer Festplatte mit 1.2 Gigabyte kann in einem etwas über 3 kg schweren Gerät die Hauptwerke der klassischen Tradition fassen. Dennoch fehlt diesem Unternehmen eine Qualität, die Druckprodukten vorbehalten ist. Gesamtausgaben sind komplett, wie elektronische Daten nie sein können. Das Notebook ist -- nach dem Text der Werbung -- überkomplett. Nichtsdestoweniger wird es in einem Jahr veraltet sein. Als symbolischer Schutz dagegen werden Hawthorne, Shakespeare und Goethe aufgeboten. Sie haben ein Rezept gegen Vergänglichkeit gefunden.

Diese Juxtaposition reicht nicht tief. Zumindest ein Detail des Inserates reißt aber seriöse Perspektiven auf. Sein Effekt wird von einer Reihe raffinierter assoziativer Tricks vorbereitet. Alle Bücher, bis auf eines, sind geschlossen. Jenes, das geöffnet ist, enthält die Werbung für das Notebook, das -- aufgeklappt -- einen Bildschirm präsentiert. Auf ihm erscheint ein Zukunftsplanet, in fremdartiges Sonnenlicht getaucht. Die Territorien dichterischer Gestaltung sind in vergilbten Deckeln eingeschlossen, während das Reich der digital versorgten Sinne ein Licht erzeugt, das nicht von außen auf die Szene fällt, sondern von innen, aus dem Rechner. Auch das ist etwas plump. Die Brillen, schräg am Rand von Buch und Notebook plaziert, sind dagegen ein subtil verdichtetes Symbol.

Erstens handelt es sich um eine Lesehilfe. Sie verweisen auf abwesende Personen, die mehr als einen Blick auf Bücher tun. Zweitens parallelisiert das Arrangement die Brillengläser mit dem Monitor. Hinter jenen befinden sich menschliche Augen, hinter diesem Muster von Flüssigkristallen. Drittens -- und das ist die Pointe -- spiegelt sich in den Brillen ein Bildschirm, den es auf dem Bild nicht gibt. Die Lesehilfe wird zur Leinwand, schärfer: zu einem Instrument, das dem menschlichen Blick den Inhalt eines digitalen Displays vorspielt. Solche Brillen sind Brücke in elektronisch produzierte Sichtbarkeiten. Gesetzt den Fall, daß sich der Monitor nicht in den Brillen spiegelt, sondern daß Brillen selber Monitore sind. Dann befänden wir uns im Cyberspace.