"Global Justice and Global Citizenship"

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Nora Kirchmayr über einen Text von Robin Attfield



Das Buch The Ethics of the Global Environment des britischen Philosophen Robin Attfield ist 1999 in der Reihe der Edinburgh Studies in World Ethics im Verlag der Edinburgh University Press erschienenen. Attfield präsentiert und verteidigt darin eine spezielle Form der Umweltethik, die er als „biozentrischen Konsequentialismus“ bezeichnet und vor dem Hintergrund einer „kosmopolitischen Sicht“ und der These der Überantwortung der Erde an den Menschen verankert.


Welche Umwelt ist schützenswert?

Als „Konsequentialist“ fordert Attfield, dass bei ethischen Entscheidungen die Folgen der zur Verfügung stehenden Alternativen als Grundlage für die zu treffende Entscheidung herangezogen werden. Es ist jene Alternative zu wählen, deren Folgen am wenigsten Schaden zufügen bzw. am vorteilhaftesten scheinen. Damit eröffnet sich sogleich die Frage, wer in diese Kalkulation von Folgen miteinbezogen werden soll. Sind nur jene Folgen relevant, welche die Menschen einer Stadt, eines Landes, eines Kontinents betreffen? Oder sind auch die Folgen für Tiere und Pflanzen zu berücksichtigen? Mit seiner biozentrischen Ausrichtung liefert Attfield an dieser Stelle eine klare Antwort: Entgegen einem Anthropozentrismus steht der Mensch im Biozentrismus nicht im Vordergrund. Entscheidungen haben sich nicht lediglich um das Wohl des Menschen zu drehen, sondern das gesamte Biosystem ist in diversen (umwelt-)ethischen Entscheidungen mit einzubeziehen. Der Kosmopolitismus dient Attfield in diesem Zusammenhang als stützende Hintergrundprämisse. Demnach ist die Welt als ein großes Ganzes zu denken, in dem einzelne Individuen gegenüber anderen Individuen in anderen Teilen der Welt eine gewisse Verantwortung haben.

Neben der Frage nach Tieren und Pflanzen ist im Sinne des Konsequentialismus auch die Frage nach zukünftigen Generationen nicht ohne weiteres zu beantworten. Rechte werden für gewöhnlich Individuen zugeschrieben. Die Individuen zukünftiger Generationen existieren aber (noch) nicht. Ihre Existenz als bestimmte Individuen ist nicht hinreichend gesichert, dennoch werden sie von heutigen (umwelt-)ethischen Entscheidungen betroffen sein. Attfield postuliert an dieser Stelle eine Pflicht heutiger Generationen zukünftigen Generationen gegenüber, die über eine Pflicht einem existierenden Recht gegenüber hinausgeht. Im biozentrischen Konsequentialismus sind also nicht nur Tiere, Pflanzen und lebende Wesen im Allgemeinen zu berücksichtigen, sondern es werden darüber hinaus Pflichten der intergenerationalen Gerechtigkeit geschuldet.

Die nächste Frage, die sich unweigerlich stellt, ist, was genau die Pflicht (zukünftigen) lebenden Wesen gegenüber umfasst. Den zentralen Wert, den Attfield als Konsequentialist an dieser Stelle ansetzt, ist jener der „basic needs“ oder „grundlegenden Bedürfnisse“. Dabei ist der gravierende Unterschied zum Utilitarismus herauszustreichen, bei dem es um die insgesamt größtmögliche „Menge“ an Glück geht. Zukünftigen Generationen gegenüber bedeutet das Konzept der „basic needs“ aber, dass wir heute dafür zu sorgen haben, dass lebende Wesen in Zukunft ihre grundlegenden Bedürfnisse befriedigen und arttypische Qualitäten entwickeln können. Angesichts zukünftiger Bedürfnisse sind allerdings gegenwärtige, heutige Bedürfnisse nicht zu vergessen. Heutige Bedürfnisse sind ebenso wichtig wie zukünftige Bedürfnisse. Die hierbei angedeutete Gleichrangigkeit von inter- und intragenerationaler Gerechtigkeit ist eines der zentralsten Elemente bei Attfield. Dennoch gilt zu berücksichtigen, dass die Beseitigung gegenwärtiger Ungerechtigkeiten oftmals Voraussetzung für die Ermöglichung zukünftiger Gerechtigkeit ist. Zudem können gegenwärtige Bedürfnisse ausschließlich von der gegenwärtigen Generation befriedigt werden, während zukünftige Bedürfnisse auch von der zukünftigen Generation befriedigt werden können. Damit relativiert Attfield gewissermaßen die Gleichrangigkeit von intra- und intergenerationaler Gerechtigkeit zugunsten der intragenerationalen Gerechtigkeit.

Ein im Zusammenhang mit intra- und intergenerationaler Gerechtigkeit oftmals vorgeschlagenes Modell geht von einem den Menschen zur Verfügung stehenden Gesamtkapital aus Ressourcen und Technologie aus. Um intergenerationale Gerechtigkeit zu gewährleisten wird gefordert, dass jede Generation der Nachfolgenden dasselbe Grundkapital zurücklässt. Attfield erkennt richtig, dass eines der Hauptprobleme dieses Modells die implizite Kompensationsmöglichkeit von verlorenen Ressourcen durch gewonnene Technologie ist, schließlich muss nur das Gesamtkapital unverändert bleiben. So manch ein Ressourcenverlust, etwa das Aussterben einer Art, ist allerdings unter keinen Umständen ersetzbar. Auch irreversible Schäden, die essentielle ökologische Funktionen und Prozesse betreffen (wie etwa die Zerstörung der Ozonschicht), müssen unter allen Umständen verhindert werden. Zudem wehrt sich Attfield dagegen, dass sämtliche natürliche Ressourcen mit einem Geldwert beziffert werden können, wie es das Modell des Gesamtkapitals offenbar verlangt. Ein grundlegenderes Problem in den Modellannahmen sieht Attfield zudem in der stetig wachsenden Weltbevölkerung. Ein nominal gleichbleibender Bestand an zur Verfügung stehenden Ressourcen und Technologie kann auf Dauer die Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung nicht garantieren. Daher sollten unter Umständen pro-Kopf-Zahlen herangezogen werden, so Attfield.


Womit kann die Schützenswürdigkeit der Umwelt begründet werden?

Attfield liefert im dritten Teil seines Buches eine Reihe von möglichen, gängigen Begründungsmodellen, die allesamt eine theoretische Fundierung für ein umweltethisches Handeln im Sinne der unter a) beschriebenen Forderungen bereitstellen sollen.

Zunächst geht Attfield auf den Biozentrismus ein. Die „Konvergenzhypothese“ besagt dabei, dass Anthropozentrismus und Biozentrismus auf lange Sicht konvergieren. Ausgehend von der berühmten gedanklichen Konstruktion des „Schleiers des Nichtwissens“ aus John Rawls‘ Theorie der Gerechtigkeit wird postuliert, dass Menschen, die nicht wissen in welcher Generation der Menschheit sie leben werden, sich für einen umfassenden Schutz der Umwelt einsetzen (würden). Das heißt, dass eine biozentrische Orientierung auf lange Sicht ohnehin im Interesse der Menschen liegt, also einem Anthropozentrismus entspricht. Wenngleich Attfield den Bemühungen um Vermittlung zwischen Bio- und Anthropozentrismus einiges abgewinnen kann, ist das Argumentationsmuster für ihn doch zu sehr dem Menschen verhaftet. Vielfach, so Attfields Einwand, gibt es keinen ersichtlichen Nutzen einer Tierart für den Menschen. Warum also sollte der Mensch im Rahmen der „Konvergenz-Hypothese“ für die Erhaltung dieser Tierart eintreten? Oft sind Entscheidungssituationen aber auch so gelagert, dass die menschlichen Interessen ausgewogen sind und die Interessen der Tiere entscheidend wären. Nach der „Konvergenz-Hypothese“ ist für derartige Interessen allerdings kein Platz. Insofern muss letztendlich, folgt man Attfield, von einem Biozentrismus ausgegangen werden.

Auch in dem nächsten von Attfield diskutierten Begründungsmodell wird Rawls‘ „Schleier des Nichtwissens“ herangezogen. Als beteiligt an der fiktiven Entscheidungssituation werden Staaten bzw. Gesellschaften gedacht, die über ihre zukünftige Ressourcenausstattung im Ungewissen sind. Diese Staaten würden sich, so die Annahme, auf eine Möglichkeit der Redistribution von Ressourcen einigen, die es allen Staaten und Gesellschaften erlauben würde, sich in vernünftiger Weise zu entwickeln. Attfield bringt zwar den Einwand, dass viele Ressourcen praktisch gar nicht umverteilt werden können, hält das Prinzip aber, vor allem in Kombination mit anderen Maßnahmen, für zielführend.

In einem weiteren von Attfield vorgestellten Begründungsmodell wird eine ebenfalls sehr berühmte Konstruktion herangezogen und im Kontext der Umweltethik fruchtbar gemacht: das Pareto-Prinzip. Vor allem in der Volkswirtschaftslehre bekannt, besagt das Pareto-Prinzip, dass Veränderungen nur dann durchgeführt werden sollen, wenn dadurch mindestens ein/e Beteiligte/r besser gestellt, und zugleich niemand schlechter gestellt wird. Die Beteiligten, die Attfield im Sinne des Pareto-Prinzips in umweltethische Entscheidungen einbezogen sehen möchte, sind gegenwärtige und zukünftige Generationen. Birgt eine bestimmte umweltethische Veränderung zwar Vorteile für die gegenwärtige Generation, stellt die zukünftige Generation allerdings schlechter, so sollte diese Veränderung nicht durchgeführt werden. Wenngleich in vielerlei Hinsicht hilfreich, ist das Pareto-Prinzip bei Entscheidungen zwischen veralteter, schädlicher und neuer, unsicherer Technologie nicht handlungsweisend, da beide Entscheidungsmöglichkeiten potentielle Schäden für zukünftige Generationen bergen.

Schließlich stellt Attfield noch ein weiteres Prinzip, das „precautionary principle“ („Vorsichtsprinzip“), vor. Nach diesem Prinzip soll Schaden vermieden werden, der irreversibel oder nur unter schwersten Bedingungen reversibel ist. Praktisch fallen vor allem natürliche Ressourcen, bei denen Irreversibilität leichter bestimmbar ist, unter das Prinzip, das zudem auch mögliche irreversible Schäden umfasst. Eine Vermeidung von Schäden ist demnach auch dann geboten, wenn keine wissenschaftliche Sicherheit, d.h. breiter wissenschaftlicher Konsens für deren Eintreten gegeben ist. Attfield sieht in diesem Prinzip vor allem dann eine Gefahr, wenn es mit dem Prinzip der bestmöglichen Technologie und dem Prinzip nicht übermäßig hoher Kosten verknüpft wird.

Die von Attfield selbst favorisierte These zur Begründung des Übernehmens umweltethischer Verantwortung liegt in der Annahme der Überantwortung der Erde an den Menschen. Dabei gilt das Verständnis, dass wir Menschen die Erde anvertraut bekommen haben und in einem vergleichbaren Zustand weiterzugeben haben. Diese, sowohl religiös als auch säkular begründbare Idee hat allerdings nichts mit einer Vertragstheorie zu tun. Auch hier zeigt sich wieder, dass für Attfield gilt, dass wir als heutige Generation zukünftigen Generationen einfach verpflichtet sind, ohne dass dies in Form eines „Vertrags“ (denn welche „Gegenleistung“ könnten künftige Generationen schon erbringen?) oder in der Konstellation von Rechten und Pflichten formuliert werden könnte.

Zu guter Letzt unterstreicht Attfield nochmals seine unter a) formulierte Position. Nur der von ihm und der gesamten Reihe der Edinburgh Studies in World Ethics vertretene Kosmopolitismus kann, so Attfield, all seine Prinzipien durchgängig fordern. Unter den kosmopolitischen Zugängen wiederum berücksichtigt lediglich der Konsequentialismus sowohl zukünftige als auch gegenwärtige Bedürfnisse, und nur wenn dieser konsequentialistische Kosmopolitismus biozentrisch ist, werden auch nicht-menschliche Interessen berücksichtigt. Dabei scheint Attfield in seinen umfangreichen Forderungen vor allem das enorme Potential derselben für Interessenskonflikte zu vernachlässigen. Wie Konflikte zwischen menschlichen und nicht-menschlichen, sowie zwischen intra- und intergenerationalen Interessen zu lösen sind, bleibt eine weitgehend offene Frage.


Literatur

Robin Attfield, The Ethics of the Global Environment, (Edinburgh, Edinburgh University Press, 1999), (Part III, Global Justice and Global Citizenship), S. 155-208.