Sophistes: Gigantomachie (IH)

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Platon führt parallel:

  • den ontologischen Zugang des "Auftauchens" von "Bemerkenswertem" im Rahmen des "seins"
  • den sprachlichen Zugang des Sagens im Rahmen des Behauptens (und Bestreitens)

Und er beginnt eine Meta-Betrachtung, indem er fragt: Wie reden wir über das Verhältnis von Reden zu "sein".

In Wahrheit, du Guter, wir befinden uns in einer höchst schwierigen Untersuchung. Denn dieses Erscheinen, und Scheinen ohne zu sein und dies Sagen zwar aber nicht wahres, alles dies ist immer voll Bedenklichkeiten gewesen schon ehedem und auch jetzt.
τὸ γὰρ φαίνεσθαι τοῦτο καὶ τὸ δοκεῖν, εἶναι δὲ μή, καὶ τὸ λέγειν μὲν ἄττα, ἀληθῆ δὲ μή, πάντα ταῦτά ἐστι μεστὰ ἀπορίας ἀεὶ ἐν τῷ πρόσθεν χρόνῳ καὶ νῦν.
Denn auf welche Weise man sagen soll, es gebe wirklich ein falsch reden oder meinen ohne doch schon, indem man es nur ausspricht, auf alle Weise in Widersprüchen befangen zu sein, dies, o Theaitetos, ist schwer zu begreifen.
ὅπως γὰρ εἰπόντα χρὴ ψευδῆ λέγειν ἢ δοξάζειν ὄντως εἶναι, καὶ τοῦτο φθεγξάμενον ἐναντιολογίᾳ μὴ συνέχεσθαι, παντάπασιν, ὦ Θεαίτητε, χαλεπόν.(Soph. 236e ff)




Die philosophische Fachterminologie (Platons) bezeichnet mit dem substantivierten Partizip alles, was einer Zuschreibung fähig ist. Daraus ergibt sich (nicht überraschend), dass diesem "Seienden" etwas (anderes) zugeschrieben werden kann. (Auch das substantiviert!)

Die Parmenideische Wendung sieht folgendermaßen aus: Zum Inbegriff des Zuschreibungsfähigen wird das Komplement gebildet, das nicht seiende. Von dem können wir nicht sagen, dass ihm etwas zugeschrieben werden kann.

Plakativ ausgedrückt erlaubt uns die Sprache nur, auszudrücken, welche Eigenschaften Dinge haben. Roland Barthes hat das provokativ den inhärenten Faschismus der Sprache genannt.

GAST: Einem seienden könnte wohl ein anderes seiendes zukommen.
τῷ μὲν ὄντι που προσγένοιτ᾽ ἄν τι τῶν ὄντων ἕτερον.
THEAITETOS: Unbedenklich.
GAST: Wollen wir aber auch zugeben es sei möglich daß dem nichtseienden irgend seiendes zukäme?
μὴ ὄντι δέ τι τῶν ὄντων ἆρά ποτε προσγίγνεσθαι φήσομεν δυνατὸν εἶναι
THEAITETOS: Wie sollten wir! (Soph. 238a)




Aus dem Präsenspartizip wird ein Hauptwort: "οὐσία", das Sein. Man kann darüber streiten, worauf alles, was wir mit Eigenschaften ausstatten können, "letztlich hinauskommt". In diesem Streit spielt die Negation eine bedeutende Rolle.

GAST: Die nun welche sich so genau einlassen über das Seiende und Nichtseiende haben wir ganz zwar noch gar nicht durchgenommen. Doch es sei schon genug. Aber die sich anders erklären müssen wir nun auch in Betrachtung ziehen, um an Allen zu sehen, daß es um nichts leichter ist das Seiende als das Nichtseiende zu erklären, was es ist.
THEAITETOS: So laß uns denn auch an diese gehn.
GAST: Zwischen diesen scheint mir nun ein wahrer Riesenkrieg zu sein wegen ihrer Uneinigkeit untereinander über das Sein.
καὶ μὴν ἔοικέ γε ἐν αὐτοῖς οἷον γιγαντομαχία τις εἶναι διὰ τὴν ἀμφισβήτησιν περὶ τῆς οὐσίας πρὸς ἀλλήλους.
THEAITETOS: Wie so?
GAST: Die Einen ziehn alles aus dem Himmel und dem Unsichtbaren auf die Erde herab mit ihren Händen buchstäblich Felsen und Eichen umklammernd. Denn an dergleichen alles halten sie sich und behaupten das allein sei woran man sich stoßen und was man betasten könne, indem sie Körper und Sein für einerlei erklären;
οἱ μὲν εἰς γῆν ἐξ οὐρανοῦ καὶ τοῦ ἀοράτου πάντα ἕλκουσι, ταῖς χερσὶν ἀτεχνῶς πέτρας καὶ δρῦς περιλαμβάνοντες. τῶν γὰρ τοιούτων ἐφαπτόμενοι πάντων διισχυρίζονται τοῦτο εἶναι μόνον ὃ παρέχει προσβολὴν καὶ ἐπαφήν τινα, ταὐτὸν σῶμα καὶ οὐσίαν ὁριζόμενοι
und wenn von den andern einer sagt es sei auch etwas was keinen Leib habe, achten sie darauf ganz und gar nicht und wollen nichts anderes hören.
THEAITETOS: Ja arge Leute sind das von denen du sprichst, denn ich bin auch schon auf mehrere solche getroffen.
GAST: Daher auch die gegen sie streitenden sich gar vorsichtig von oben herab aus dem unsichtbaren verteidigen, und behaupten gewisse gedenkbare unkörperliche Formen wären das wahre Sein, jener ihre Körper aber und was sie das wahre nennen stoßen sie ganz klein in ihren Reden, und schreiben ihnen statt des Seins nur ein bewegliches Werden zu. Zwischen ihnen aber, o Theaitetos, ist hierüber ein unermeßliches Schlachtgetümmel immerwährend.
νοητὰ ἄττα καὶ ἀσώματα εἴδη βιαζόμενοι τὴν ἀληθινὴν οὐσίαν εἶναι
THEAITETOS: Wahr. (Soph. 245e ff)



Die Materialisten werden mit der Frage konfrontiert, wie sie Phänomene des Lebens von der unbelebten Natur unterscheiden.

GAST: Mögen sie dann sagen, ob sie annehmen es gebe sterbliches lebendiges?
λεγόντων δὴ θνητὸν ζῷον εἴ φασιν εἶναί τι.
THEAITETOS: Wie sollten sie das nicht!
GAST: Und ob sie eingestehen dies sei ein beseelter Leib?
τοῦτο δὲ οὐ σῶμα ἔμψυχον ὁμολογοῦσιν;
THEAITETOS: Ganz gewiß.
GAST: Daß sie also die Seele unter das Seiende setzen?
τιθέντες τι τῶν ὄντων ψυχήν;
THEAITETOS: Ja.

Wenn "die Seele" ein Seiendes, also zuschreibungsfähig, ist, dann kann man fragen, in welchem Sinn sie Eigenschaften hat, z.B. dass sie gerecht oder vernünftig ist.

GAST: Und wie? Nehmen sie nicht an, eine Seele sei gerecht, die andere ungerecht? Und die eine vernünftig, die andere unvernünftig?
ψυχὴν οὐ τὴν μὲν δικαίαν, τὴν δὲ ἄδικόν φασιν εἶναι, καὶ τὴν μὲν φρόνιμον, τὴν δὲ ἄφρονα;
THEAITETOS: Unbedenklich.

Nach dem Vorbild der Überlegungen in der Politeia: das Gerechte, Schöne etc. wird von den Philosophinnen "wahrgenommen". Einzelne Dinge partizipieren an diesen "Gestalten".

GAST: Nicht auch daß jede durch Anwesenheit der Gerechtigkeit eine solche werde, und durch des Gegenteils eine entgegengesetzte?
ἀλλ᾽ οὐ δικαιοσύνης ἕξει καὶ παρουσίᾳ τοιαύτην αὐτῶν ἑκάστην γίγνεσθαι, καὶ τῶν ἐναντίων τὴν ἐναντίαν;
THEAITETOS: Ja auch das geben sie zu.
GAST: Aber daß, was bei einem anwesend sein kann und abwesend, doch auf alle Weise etwas sei, werden sie wohl auch sagen?
ἀλλὰ μὴν τό γε δυνατόν τῳ παραγίγνεσθαι καὶ ἀπογίγνεσθαι πάντως εἶναί τι φήσουσιν.
THEAITETOS: Sie sagen es also.
GAST: Wenn also Gerechtigkeit und Vernünftigkeit und die übrige Tugend und so auch die Seele, in welcher dies alles einwohnt, wirklich ist, behaupten sie denn etwa, daß irgend von dem Allen etwas sichtbar sei und greiflich oder alles unsichtbar?
οὔσης οὖν δικαιοσύνης καὶ φρονήσεως καὶ τῆς ἄλλης ἀρετῆς καὶ τῶν ἐναντίων, καὶ δὴ καὶ ψυχῆς ἐν ᾗ ταῦτα ἐγγίγνεται, πότερον ὁρατὸν καὶ ἁπτὸν εἶναί φασί τι αὐτῶν ἢ πάντα ἀόρατα;
THEAITETOS: Nichts ist wohl von dem allen sichtbar.
GAST: Und wie? Sagen sie daß etwas hievon einen Leib habe?
THEAITETOS: Das werden sie wohl nicht mehr ganz auf einerlei Weise beantworten, sondern die Seele selbst schiene ihnen einen Leib zu besitzen, von der Gerechtigkeit aber und wonach du sonst fragtest werden sie sich wohl der Kühnheit schämen sowohl zu behaupten daß alles dieses gar nicht sei, als auch darauf zu bestehen, daß es ganz leiblich sei.
... φρόνησιν δὲ καὶ τῶν ἄλλων ἕκαστον ὧν ἠρώτηκας, αἰσχύνονταιτὸ τολμᾶν ἢ μηδὲν τῶν ὄντων αὐτὰ ὁμολογεῖν ἢ πάντ᾽ εἶναι σώματα διισχυρίζεσθαι.
GAST: Offenbar, Theaitetos, sind uns ja die Männer besser geworden. Denn auch nicht eins von allem diesen würden die echten Ausgesäeten und Erdgebornen unter ihnen scheuen, sondern darauf beharren, daß, was sie nicht im Stande sind in den Händen zu zerdrücken auch ganz und gar nichts ist.
σαφῶς γὰρ ἡμῖν, ὦ Θεαίτητε, βελτίους γεγόνασιν ἇνδρες: ἐπεὶ τούτων οὐδ᾽ ἂν ἓν ἐπαισχυνθεῖεν οἵ γε αὐτῶν σπαρτοί τε καὶ αὐτόχθονες, ἀλλὰ διατείνοιντ᾽ ἂν πᾶν ὃ μὴ δυνατοὶ ταῖς χερσὶ συμπιέζειν εἰσίν, ὡς ἄρα τοῦτο οὐδὲν τὸ παράπαν ἐστίν.
THEAITETOS: Recht so denken sie wie du sagst. (Soph. 246 e ff)