SZ §17: Verweisung und Zeichen (Code)

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Bei der vorläufigen Interpretation der Seinsstruktur des Zuhande­nen (der »Zeuge«) wurde das Phänomen der Verweisung sichtbar, allerdings so umrißhaft, daß wir zugleich die Notwendigkeit betonten, das nur erst angezeigte Phänomen hinsichtlich seiner ontologi­schen Herkunft aufzudecken. Überdies wurde deutlich, daß Verwei­sung und Verweisungsganzheit in irgendeinem Sinne konstitutiv sein werden für die Weltlichkeit selbst. Die Welt sahen wir bislang nur aufleuchten in und für bestimmte Weisen des umweltlichen Besorgens des Zuhandenen und zwar mit dessen Zuhandenheit. Je weiter wir daher im Verständnis des Seins des innerweltlichen Seienden vordringen werden, um so breiter und sicherer wird der phänomenale Boden für die Freilegung des Weltphänomens.

Wir nehmen wieder den Ausgang beim Sein des Zuhandenen und zwar jetzt in der Absicht, das Phänomen der Verweisung selbst schär­fer zu fassen. Zu diesem Zwecke versuchen wir eine ontologische Ana­lyse eines solchen Zeugs, daran sich in einem mehrfachen Sinne »Ver­weisungen« vorfinden lassen. Dergleichen »Zeug« finden wir vor in den Zeichen. Mit diesem Wort wird vielerlei benannt: nicht nur ver­schiedene Arten von Zeichen, sondern das Zeichensein für... kann selbst zu einer universalen Beziehungsart formalisiert werden, so daß die Zeichenstruktur selbst einen ontologischen Leitfaden abgibt für eine »Charakteristik« alles Seienden überhaupt.

Zeichen sind aber zunächst selbst Zeuge, deren spezifischer Zeug­charakter im Zeigen besteht. Dergleichen Zeichen sind Wegmarken, Flursteine, der Sturmball für die Schiffahrt, Signale, Fahnen, Trauerzeichen und dergleichen. Das Zeigen kann als eine »Art« von Ver­weisen bestimmt werden. Verweisen ist, extrem formal genommen, ein Beziehen. Beziehung aber fungiert nicht als die Gattung für »Arten« von Verweisungen, die sich etwa zu Zeichen, Symbol, Ausdruck, Bedeutung differenzieren. Beziehung ist eine formale Bestimmung, die auf dem Wege der »Formalisierung« an jeder Art von Zusammenhängen jeglicher Sachhaltigkeit und Seinsweise direkt ablesbar wird1.

...

Als Exemplar für Zeichen wählen wir ein solches, das in einer spä­teren Analyse in anderer Hinsicht exemplarisch fungieren soll. An den Kraftwagen ist neuerdings ein roter, drehbarer Pfeil angebracht, dessen Stellung jeweils, zum Beispiel an einer Wegkreuzung, zeigt, wel­chen Weg der Wagen nehmen wird. Die Pfeilstellung wird durch den Wagenführer geregelt. Dieses Zeichen ist ein Zeug, das nicht nur im Besorgen (Lenken) des Wagenführers zuhanden ist. Auch die nicht Mitfahrenden — und gerade sie — machen von diesem Zeug Gebrauch und zwar in der Weise des Ausweichens nach der entsprechenden Seite oder des Stehenbleibens. Dieses Zeichen ist innerweltlich zuhanden im Ganzen des Zeugzusammenhangs von Verkehrsmitteln und Ver­kehrsregelungen. Als ein Zeug ist dieses Zeigzeug durch Verweisung konstituiert. Es hat den Charakter des Um-zu, seine bestimmte Dien­lichkeit, es ist zum Zeigen. Dieses Zeigen des Zeichens kann als »ver­weisen« gefaßt werden. Dabei ist aber zu beachten: dieses »Verwei­sen« als Zeigen ist nicht die ontologische Struktur des Zeichens als Zeug.

Hier liegt ein deutlicher Unterschied zu Husserl. Heidegger weist darauf hin, dass Zeichen letztlich in einem lebensweltlichen Bedeutungszusammenhang fundiert sind. Ihr "Sinn" wird ihnen nicht extern zugeschrieben. Insofern gibt es keinen Unterschied zwischen eigentlichen und uneigentlichen Zeichen. Nach der obigen Passage ist die Kreuzungsregelung per Handzeichen und per Ampel gleichbererchtigt.

Das »Verweisen« als Zeigen gründet vielmehr in der Seinsstruktur von Zeug, in der Dienlichkeit zu. Diese macht ein Seiendes nicht schon zum Zeichen. Auch das Zeug »Hammer« ist durch eine Dienlichkeit konstituiert, dadurch aber wird der Hammer nicht zum Zeichen. Die »Verweisung« Zeigen ist die ontische Konkretion des Wozu einer Dienlichkeit und bestimmt ein Zeug zu diesem. Die Verweisung »Dien­lichkeit zu« ist dagegen eine ontologisch-kategoriale Bestimmtheit des Zeugs als Zeug. Daß das Wozu der Dienlichkeit im Zeigen seine Konkretion erhält, ist der Zeugverfassung als solcher zufällig. Im rohen wird schon an diesem Beispiel des Zeichens der Unterschied zwischen Verweisung als Dienlichkeit und Verweisung als Zeigen sicht­bar. Beide fallen so wenig zusammen, daß sie in ihrer Einheit die Konkretion einer bestimmten Zeugart erst ermöglichen. So gewiß nun aber das Zeigen vom Verweisen als Zeugverfassung grundsätzlich verschieden ist, so unbestreitbar hat doch wieder das Zeichen einen eigentümlichen und sogar ausgezeichneten Bezug zur Seinsart des je umweltlich zuhandenen Zeugganzen und seiner Weltmäßigkeit. Zeigzeug hat im besorgenden Umgang eine vorzügliche Verwendung. Es kann ontologisch jedoch nicht genügen, dieses Faktum einfach festzustellen. Grund und Sinn dieses Vorzugs müssen aufgeklärt werden.

Was besagt das Zeigen eines Zeichens? Die Antwort ist nur dann zu gewinnen, wenn wir die angemessene Umgangsart mit Zeigzeug bestimmen. Darin muß genuin auch seine Zuhandenheit faßbar werden. Welches ist das angemessene Zu-tun-haben mit Zeichen? In der Orientierung an dem genannten Beispiel (Pfeil) muß gesagt werden: Das entsprechende Verhalten (Sein) zu dem begegnenden Zeichen ist das »Ausweichen« oder »Stehenbleiben« gegenüber dem ankommenden Wagen, der den Pfeil mit sich führt. Ausweichen gehört als Einschlagen einer Richtung wesenhaft zum In-der-Welt-sein des Daseins. Dieses ist immer irgendwie ausgerichtet und unterwegs; Stehen und Bleiben sind nur Grenzfälle dieses ausgerichteten »Unterwegs«. Das Zeichen adressiert sich an ein spezifisch »räumliches« In-der-Welt­sein. Eigentlich »erfaßt« wird das Zeichen gerade dann nicht, wenn wir es anstarren, als vorkommendes Zeigding feststellen. Selbst wenn wir der Zeigrichtung des Pfeils mit dem Blick folgen und auf etwas hinsehen, was innerhalb der Gegend vorhanden ist, in die der Pfeil zeigt, auch dann begegnet das Zeichen nicht eigentlich. Es wendet sich an die Umsicht des besorgenden Umgangs, so zwar, daß die seiner Weisung folgende Umsicht in solchem Mitgehen das jeweilige Um-hafte der Umwelt in eine ausdrückliche »Ubersicht« bringt. Das um­sichtige Übersehen erfaßt nicht das Zuhandene; es gewinnt vielmehr eine Orientierung innerhalb der Umwelt. Eine andere Möglichkeit der Zeugerfahrung liegt darin, daß der Pfeil als ein zum Wagen ge­höriges Zeug begegnet; dabei braucht der spezifische Zeugcharakter des Pfeils nicht entdeckt zu sein; es kann völlig unbestimmt bleiben, was und wie er zeigen soll, und doch ist das Begegnende kein pures Ding. Dingerfahrung verlangt gegenüber dem nächsten Vorfinden einer vielfach unbestimmten Zeugmannigfaltigkeit ihre eigene Be­stimmtheit.

Das Eigentliche am Zeichen ist nicht seine "Zertifizierung" durch eine persönliche Erfahrung dessen, wovon es ein Zeichen ist, sondern seine Rolle im Verweisungszusammenhang. Das schließt auch technisches Gerät mit ein. Dann wird die Uneigentlichkeit verstanden als eine thematisierende Einstellung, welche das Zeichen nicht wie beabsichtigt wirken läßt. "Eigentlich" heisst hier, entsprechend der phänomenologischen Grundvorgabe, sich von sich her, ohne nachträgliche Konstruktionen, in seiner Beschaffenheit zeigen.
Husserl beginnt bei einer Weltverbundenheit durch sinnlich fundierte Zeichen und geht weiter zur Überlegung, wie es möglich sei, künstliche Zeichensysteme mit großartigem Erfolg zur Welterfassung zu entwerfen. Das ist die Frage nach den Erfolgsbedingungen von Code. Heidegger beginnt mit dem Auftreten von Zeichen im Lebenszusammenhang und fasst die Thematisierung als den Schritt in die Uneigentlichkeit.
In diesem Zusammenhang ist beides uneigentlich:
  • die Diskussion, ob eine Fußspur in eine bestimmte Richtung führt
  • die Überprüfung des Funktionierens des Auto-"Winkers"
Beide Male handelt es sich um die Behandlung eines "Zeichenvorrats" als Kode.

Zeichen der beschriebenen Art lassen Zuhandenes begegnen, ge­nauer, einen Zusammenhang desselben so zugänglich werden, daß der besorgende Umgang sich eine Orientierung gibt und sichert. Zeichen ist nicht ein Ding, das zu einem anderen Ding in zeigender Bezie­hung steht, sondern ein Zeug, das ein Zeugganzes ausdrücklich in die Umsicht hebt, so daß sich in eins damit die Weltmäßigkeit des Zu­handenen meldet. Im Anzeichen und Vorzeichen »zeigt sich«, »was kommt«, aber nicht im Sinne eines nur Vorkommenden, das zu dem schon Vorhandenen hinzukommt; das »was kommt« ist solches, darauf wir uns gefaßt machen, bzw. »nicht gefaßt waren«, sofern wir uns mit anderem befaßten. Am Rückzeichen wird umsichtig zugänglich, was sich zugetragen und abgespielt. Das Merkzeichen zeigt, »woran« man jeweils ist. Die Zeichen zeigen primär immer das, »worin« man lebt, wobei das Besorgen sich aufhält, welche Bewandtnis es damit hat.

Der eigenartige Zeugcharakter der Zeichen wird an der »Zeichen­stiftung« noch besonders deutlich. Sie vollzieht sich in und aus einer umsichtigen Vorsicht, die der zuhandenen Möglichkeit bedarf, jederzeit durch ein Zuhandenes sich die jeweilige Umwelt für die Umsicht melden zu lassen. Nun gehört aber zum Sein des innerweltlich nächst Zuhandenen der beschriebene Charakter des ansichhaltenden Nicht­heraustretens. Daher bedarf der umsichtige Umgang in der Umwelt eines zuhandenen Zeugs, das in seinem Zeugcharakter das »Werk« des Auffallenlassens von Zuhandenem übernimmt. Deshalb muß die Her­stellung von solchem Zeug (der Zeichen) auf deren Auffälligkeit bedacht sein. Man läßt sie aber auch als so auffällige nicht beliebig vor­handen sein, sondern sie werden in bestimmter Weise in Absicht auf leichte Zugänglichkeit »angebracht«.

Die Zeichenstiftung braucht sich aber nicht notwendig so zu vollziehen, daß ein überhaupt noch nicht zuhandenes Zeug hergestellt wird. Zeichen entstehen auch in dem Zum-Zeichen-nehmen eines schon Zuhandenen. In diesem Modus offenbart die Zeichenstiftung einen noch ursprünglicheren Sinn. Das Zeigen beschafft nicht nur die umsichtig orientierte Verfügbarkeit eines zuhandenen Zeugganzen und der Umwelt überhaupt, das Zeichenstiften kann sogar allererst entdecken. Was zum Zeichen genommen ist, wird durch seine Zuhandenheit erst zugänglich. Wenn zum Beispiel in der Landbestellung der Südwind als Zeichen für Regen »gilt«, dann ist diese »Geltung« oder der an diesem Seienden »haftende Wert« nicht eine Dreingabe zu einem an sich schon Vorhandenen, der Luftströmung und einer bestimmten geographischen Richtung. Als dieses nur noch Vorkommende, als wel­ches er meteorologisch zugänglich sein mag, ist der Südwind nie zunächst vorhanden, um dann gelegentlich die Funktion eines Vorzeichens zu übernehmen. Vielmehr entdeckt die Umsicht der Landbestellung in der Weise des Rechnungtragens gerade erst den Südwind in seinem Sein.

Aber, wird man entgegnen, was zum Zeichen genommen wird, muß doch zuvor an ihm selbst zugänglich geworden und vor der Zeichen­stiftung erfaßt sein. Gewiß, es muß überhaupt schon in irgendeiner Weise vorfindlich sein. Die Frage bleibt nur, wie in diesem vorgän­gigen Begegnen das Seiende entdeckt ist, ob als pures vorkommendes Ding und nicht vielmehr als unverstandenes Zeug, als Zuhandenes, mit dem man bislang »nichts anzufangen« wußte, was sich demnach der Umsicht noch verhüllte. Man darf auch hier wieder nicht die um­sichtig noch unentdeckten Zeugcharaktere von Zuhandenem interpre­tieren als bloße Dinglichkeit, vorgegeben für ein Erfassen des nur noch Vorhandenen.

1 Vgl. E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phäno menologischen Philosophie, I. Teil dieses Jahrbuches Bd. I, § to ff.; ferner schon Logische Untersuchungen, Bd. I, Kap. 11. — Für die Analyse von Zeichen und Bedeutung ebd. Bd. II, I. Untersuchung.


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