SPIEGL, Karin (Arbeit1)

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Karin Spiegl, Matr. Nr. 0401569, Stud.Kennz.: A 541 LV: UE zur RV „Methoden und Diszipline der Philosophie“ LV-Leitung: Prof. Richard Heinrich / Mag. Sebastian Baldinger WS 2008/09



Arbeit 1: „Die Unfähigkeit des Philosophen, sich mit alltäglichen Dingen auseinandersetzen zu können.“ Zum Vortrag von Prof. Konrad Paul Liessman am 30. 10. 2008.


Inhalt und Struktur der Vorlesung Am Anfang des Vortrags stand der Versuch, die Geschichte der Philosophie anhand eines Lehrgedichts von Äsop aus dem 6.Jhd. v. Chr. aufzuzeigen, welches später vielfach aufgegriffen un modifiziert wurde. Beispielhaft wurden dazu die Versionen von Platon, Aristoteles und Abraham Santa Clara vorgestellt. Von den verschiedenen Transformationen der Fabel und deren Bedeutung ausgehend stellte sich schließlich sich die Frage: Was ist Philosophie und was macht der Philosoph? In diesem Zusammenhang wurden Begriffe wie Wissen, Weisheit und Theorie näher betrachtet. Als weiteren Zugang zur Philosophie wurden abschließend zwei Begriffe thematisiert, die auf Kant zurückgehen, nämlich „Schulbegriff“ versus „Weltbegriff“ der Philosophie. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird schwerpunktmäßig auf den zweiten Teil des Vortrags eingegangen.


I. Die Fabel von Äsop und ihre Transformationen Prof. Liessman eröffnete seinen Vortrag mit der berühmten Fabel von Äsop (6. Jhd. V. Chr.):

„Ein Astronom hatte es sich zur Regel gemacht, in jeder Nacht aus dem Haus zu gehen und die Sterne anzuschauen. Als er einmal in der Umgebung der Stadt umherging und seine ganze Geisteskraft am Himmel gesammelt hatte, bemerkte er eine Zisterne nicht und stürzte hinein. Da schrie er vor Schmerz und rief um Hilfe. Einer kam vorbei und hörte es, ging hinzu und sah, was vorgefallen war. Da sagte er zu ihm: Bist du also einer, dass du sehen willst, was am Himmel ist, aber übersiehst, was auf der Erde geschieht?“

Jener Astronom, der in dieser Geschichte in der Zysterne landet, bekommt 150 Jahre später einen Namen: PLATON greift die Fabel auf und lässt Thales von Milet stürzen, der dafür von einer thrakischen Dienstmagd ausgelacht wird. Was Thales von Milet widerfährt, der als erster Philosoph gehandhabt wird, kann laut Platon allerdings auch anderen passieren, denn: „Derselbe Spott aber passt auf alle diejenigen, die sich mit Philosophie einlassen.“ Platon modifizierte die Geschichte in zwei wesentlichen Punkten: Einerseits fungiert seine Version als Beispielgeschichte der Philosophie (der namelose Astronom wird zu Thales von Milet, sein Stolpern repräsentiert das Stolpern der Philosophie), andererseits manifestiert sich ein konstituiver Gegensatz: Das Schauen in den Himmel vermittelt den Gegensatz zwischen Nähe und Ferne, den Gegensatz zwischen kontemplativen Schauens in den Himmel und Übersehung des Tatsächlichen. Zusätzlich betont wird dieser Gegensatz durch die Figur der Dienstmagdt, die sich in ihrer Jugend und Schönheit vom alternden Thales abhebt.

Platons Version der Geschichte entwirft den scheinbar unüberwindbaren Gegensatz zwischen philosophischem Denken und dem praktischen Leben. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet nun: Produziert die Philosophie Wissen, dass uns nicht nur nicht weiterhilft sondern uns sogar behindert und schadet?

Jener Aspekt findet sich in ARISTOTELES Version der Geschichte, in der Thales wegen seiner Armut beschimpft wird. Dieser hat jedoch eine reiche Ölernte vorausgesehen und noch im Winter alle Ölpressen billig gemietet, die er dann in der Erntezeit wiederum teuer verkaufen konnte und somit viel Geld verdiente. Diese Version der Geschichte scheint dazu prädestiniert, von vielen Philosophen bevorzugt zu werden, zeigt sie doch, dass diese sehr wohl zu materiellem Reichtum fähig sind, wenn sie jenen anstreben. Allerdings geht es in der Philosophie nicht um einen unmittelbaren Nutzen, sondern um Erkenntnis, denn: In der Philosophie liegt der Wert des Wissens im Wissen selbst.

Eine weitere Modifikation der Fabel findet sie im 17. Jhdt. im Stil der barocken Rhetorik bei ABRAHAM SANTA CLARA. In dieser Version tritt Thales als junger heidnischer Philosoph auf, die thrakische Magd hingegen erscheint als altes, buckliges Weib und Thales fällt nicht in einen Brunnen, sondern in eine Kotlache. Der wesentliche Unterschied dieser Version besteht im klar erkennbaren christlichen Motiv: Thales wird nicht wegen seines Stolperns ausgelacht, sondern aufgrund seines Versuchs, die vermeintlich gottgeschaffenen Dinge zu verstehen. Der Spott bezieht sich nicht nur auf das Lebensferne Agieren des Philosophen, sondern auch auf die Hybris der heidnischen Philosophie. Die Verachtung gegenüber der Philosophie wird durch den Sturz in die Kotlache deutlich.

An dieser Stelle taucht unwillkürlich die Frage auf: Welcher Natur ist nun dieses Denken, das seit dem 6. Jhdt. v. Chr. in diesen Geschichten thematisiert wird? Wonach strebt Thales eigentlich? Im folgenden Abschnitt wird nun versucht, den Begriff der „Philosophie“ einerseits etymologisch, andererseits in seiner Entwicklung und Verwendung näher zu beleuchten, auch auf die in diesem Zusammehang wichtigen Begriffe „Weisheit“, „Theorie“ und „Vernunft“ wird näher eingegangen. Abschließend erfolgt eine Gegenüberstellung der auf Kant zurückgehenden Bezeichnungen „Schulbegriff“ und „Weltbegriff“ sowie eine kurze Darstellung der von Nietzsche geprägten Auffassung des Menschen als „nicht festgestelltes Tier“.


Was ist Philosophie? Etymologie Das Wort Philosophie (gr. φιλοσοφία) setzt sich etymologisch aus den Wortteilen φιλος – Freund bzw φιλείν - lieben und σοφία – Weisheit zusammen. Sophia bezeichnete ursprünglich jede Fertigkeit oder Sachkunde, auch handwerkliche oder technische. Wörtlich übersetzt kann demzufolge Philosophie mit der „Liebe zur Weisheit“ bzw. mit der „Liebe zu den Wissenschaften“ umschrieben werden. Der Philosoph ist ein Suchender, einer, der erkennen will, aber noch nicht erkannt hat.


Philosophische Begriffgeschichte 1 Die erste Nennung des Begriffs findet sich bei HERAKLIT im 5. Jhdt. v. Chr. als Beschreibung der weisheitsliebenden Männer. PLATON wie ARISTOTELES nennen als Quelle der Philosophie das Staunen, das damals wie heute die Menschen zum philosophieren anregt. Bei PLATON erscheint Philosophie als Streben nach dem Guten, Wahren und Schönen, Zweck ist der Erwerb des Wissens, die Dinge sollen in ihrer Wahrheit erkannt und zurückgespiegelt werden. Im Höhlengleichnis steht der Philosoph zwischen dem Unwissenden und dem (absolut) Wissenden. ARISTOTELES bezeichnete die Philosophie als „Wissenschaft der Wahrheit“ und unterschied vier Bedeutungen: Philosophie als Haltung, Tätigkeit, wissenschaftliche Disziplin und spezielle, abgegrenzte, schulmäßige Lehre. Die STOIKER und EPIKUREER fassten Philosophie als theoretische und praktische Aufgabenstellungen auf, deren Bedeutung im vernunftvollen Streben nach Glückseligkeit und Lebensweisheit lag. In der philosophischen Begriffsgeschichte des Mittelalters vertrat die PATRISTIK eine philosophiefeindliche Haltung, in der Scholastik unter THOMAS VON AQUIN wurden die Philosophie und Theologie miteinander versöhnt und schließlich als ident betrachtet. Mit DESCARTES steht der „Beginn der philosophischen Neuzeit“. Bei HOBBES, LOCKE und BERKELEY erscheint Philosophie als „Streben nach Weisheit, Wahrheit und Erkenntnis“. Nach KANT ist es Aufgabe der Philosophie, Begriffe, die als verworren gegeben sind, zu zergliedern, ausführlich und bestimmt zu machen. Vier Fragen machen das Feld der Philosophie aus: Was kann ich wissen? - Was soll ich tun? - Was darf ich hoffen? - Was ist der Mensch? Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion, und die vierte die Anthropologie. Durch die Philosophie erhalten die Wissenschaften Ordnung und Zusammenhang. Das heutige Verständnis des Begriffs „Philosophie“ umfasst „jede theoretisch begründete Anschauung vom Weltganzen, der Werte, der Erkenntis- und Handlungsmöglichkeiten des Menschen sowie seiner Rechte und Pflichten.“

Weisheit Weisheit ist nicht gleich Wissen: Spezialisten eines Fachgebiets beispiesweise verfügen über sehr viel Detailwissen, deshalb sind sie aber noch lange nicht weise. Wissen ist lediglich eine Ansammlung von faktischen Kenntnissen. Schon in der Antike war der Begriff „Weisheit“ umstritten: Die Sophisten (abgeleitet von sophia) setzten ihr Wissen strategisch ein indem sie gegen Bezahlung Rhetorik und Dialektik lehrten. Sie verstanden es schwache Argumente in starke umzuwandeln, heute würde man ihre Praktiken wohl als „strategische Kommunikation“ bezeichnen. Für diese Vorgehensweise wurden sie heftig angefeindet, so meinte PLATON, dass es der eigentliche Gedanke der Philosophie sei, nach Wissen zu streben, dass man nicht kaufen oder verkaufen kann. Die Dinge sollen in ihrer Wahrheit erkannt und reflektiert werden, diese Form der Weisheit kann man sich jedoch nicht aneignen. Die Weiseheit bezieht sich immer auf das Leben verfügt somit über Praxisbezug, rein theoretische Weisheit gibt es daher nicht.

Theorie Der Begriff Theorie (gr. θεωρία) wurzelt in θεωρείν (schauen, „betrachten“) was wiederum eine Ableitung des Nomen θεωρóς („der eine Schau sieht“; Wortwurzel Gott, Schau) darstellt.

1

Die Folgende Darstellung bezieht sich auf www.phillex.de/philos.htm 

 

Bei HERODOT findet sich der Satz: „Solon ging auf Reisen um der Theoria Willen“. Gemeint war damit die Schau der „Show“ vor Ort, jemand schaut, um etwas zu betrachten, als innere Konzentration und nicht zweckgebunden. Der Verzicht auf den unmittelbaren Nutzen ist zwar ein wesentliches Merkaml des Theoretischen, allerdings schließt es die Absicht ein, Zusammenhänge zu erfassen. Jemand ist auf der Suche nach Kenntnissen, um das praktische Leben besser bewältigen zu können. So bezeichnet der antike Begriff des θεωρóς einen Festgesandten, der beispielsweise die Olympischen Spiele besuchte, um zu schauen und zu berichten. Die lateinische Übersetzung von θεωρία lautet „contemplatio“ („sich versenken“, „verinnerlichtes Schauen“) und geht auf Cicero zurück. Der Begriff des Philosophierens wird hier um zwei Dimensionen erweitert, nämlich 1. metaphorisches Verständnis als „innere Schau“, vgl. „sich versenken in einen Gegenstand“ 2. das „nur beschauliche“, Vgl. Vorwurf der Passivität

Bei ARISTOTELES gilt die „vita contemplativa“ als das „Angenehmste und Beste“ im Sinne einer existentiellen Glückserfahrung: Für ein schönes Leben benötige man Freiheit, in der Praxis allerdings würde diese Freiheit durch ökologische und soziale Zwänge eingschränkt und sei somit nur in der Theorie möglich. Die „theoretische Wissenschaft“ steht bei ihm somit als „erste Philosophie“ noch vor den praktischen und poietischen Wissenschaften.

Prof. Liessman brachte in diesem Zusammenhang das Beispiel eines glücklichen Huhns, dass nur dann glücklich sein kann, wenn es artgerecht leben kann. Dasselbe gilt für den Menschen: Auch er ist nur dann glücklich, wenn er die Möglichkeit des artgerechten Lebens hat. An dieser Stelle stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Definition des Artgerechten beim Menschen, deren Beantwortung sich im Vergleich zum Huhn doch etwas schwieriger gestaltet. Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen ist nur dann glücklich, wenn er seine Vernunft auch nutzen kann. Doch was versteht man eigentlich unter Vernunft?

Vernunft Der antike Begriff νοῦς (Vernunft) bezeichnete ursprünglich „(sinnliche) Wahrnehmung, Erkenntnis(kraft) oder Einsicht“. Bei PLATON und ARISTOTELES galt die „denkende Seele“ als edelste und höchste der drei Seelenteile, die nur dem Menschen zukommt. Die lateinische Übersetzung „ratio“ bezeichnet das diskursive Denken und somit den Verstand. Die deutsche Sonderentwicklung der Begriffe Verstand und Vernunft fand ihren Höhepunkt bei KANT und HEGEL: So bezeichnet Kant den Verstand als „Vermögen der Begriffe“ (zum Beispiel Kategorien) und die Vernunft als „Vermögen der Ideen“ und traf somit eine Unterscheidung, die von den deutschen Idealisten aufgegriffen wurde, die fortan Vernunft als Quelle übersinnlicher Erkenntnis betrachteten. Laut Prof. Liessman sei Vernunft dazu fähig, die Wirklichkeit zu erkennen und Theorien aus einer gewissen Freiheit heraus zu bilden. Das Befriedigenste sei somit das Erkennen um seiner selbst willen, wobei man im praktischen Sinne auch nichts falsch machen könne, da man lediglich die Betrachterrolle inne hat. So verdeutlicht er am Beispiel der Nachrichten: Nur als Nicht-Betroffener hat man die Möglichkeit, Dinge in ihrer Wesenhaftigkeit zu erkennen. Ist man hingegen selbst betroffen, fehlt die nötige Distanz zur reinen Beobachtung.

Der folgende letzte Abschnitt thematisiert die Konzeption des Schul- und Weltbegriffs der Philosophie, die Prof. Liessman abschließend in seinem Vortrag anführte.


Schulbegriff vs. Weltbegriff Der Schulbegriff der Philosophie umfasst den Überblick über die Geschichte der Philosophie, also das, was bislang als Buch, Text oder Deutung vorhanden ist. Der Weltbegriff der Philosophie hingegen bezieht sich auf das Verhältnis der Menschen zur Welt: Der Begriff soll klären, wie Menschen in der Welt sein bzw. was sie darstellen sollen und was sie erkennen wollen. Nach dem Weltbegriff ist „Philosophie die Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft.“ Demnach lässt sich Philosophie nicht auf eine Wissenschaft neben anderen reduzieren.

Der Weltbegriff der Philosophie wurde von Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ anhand drei Fragestellungen dimensioniert:

„Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?“2

Die erste Frage richtet sich an die Grenzen des Wissbaren, sie wird in Kants Erkenntnistheorie behandelt. Die zweite Frage meint die Prinzipien, nach denen menschliches Handeln organisiert werden soll bzw. was ein freies Wesen tun soll, sie gehört zur Ethik. Die dritte Frage bezieht sich auf das, was jenseits der menschlichen theoretischen und praktischen Handlungsmöglichkeiten liegt. Kant beschäftigt sich damit in seiner Religionsphilosophie. Diese drei Fragen laufen in einer vierten Frage zusammen, die lautet: „Was ist der Mensch?“ Der Mensch weiß von seiner Begrenztheit, will sie jedoch nicht akzeptieren. Die dazugehörige Disziplin ist die Anthropologie.

Friedrich Nietzsche: Der Mensch als „nicht festgestelltes Tier“ Der bekannte Satz von Nietzsche wurde später von Arnold Gehlen im Rahmen seiner philosophischen Anthropologie und seiner These des Menschen als „Mängelwesen“ aufgegriffen. Wesentlich für ihn sind die handlungstheoretische und biologische Achse, die den Menschen als „handelnkönnendes“ Mängelwesen kennzeichnet. Dadurch, dass der Mensch nicht „festgestellt“ sei, gäbe es keinen eindeutigen Bezugsrahmen für ihn. Ungeschützt und offen müsse er sich aufgrund der fehlenden Umweltverbindung „handelnd“ eine Ersatzwelt verschaffen.3




2

zitiert nach Helferich, Christoph: 2002, S. 245 

3

Vgl. Häußling, Roger 2000, S. 15 

QUELLEN:

• Häussling, Roger (2000): Nietzsche und die Soziologie: zum Konstrukt des Übermenschen, zu dessen anti-soziologischen Implikationen und zur soziologischen Reaktion auf Nietzsches Denken, Königshausen & Neumann.

• Helferich, Christoph (1998): Geschichte der Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart und Östliches Denken. München: DTV.

• Lexikon der Philosophie, online unter www.phillex.de [abgerufen am 10. 03. 2009]


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