SEYFRIED, Rolf (Referat1)

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DISKUSSION (1.Referat SEYFRIED, Rolf)

Ringvorlesung Prof. Gerhard Gotz (21. Oktober 2008)

  • Inhalt, Struktur und weiterführende Fragen
  • Referat von Rolf Gregor Seyfried



Zu Beginn, den Gedanken seiner ersten Vorlesung am 14. Oktober zusammenfassend, betont Gotz nochmals den Unterschied zwischen Wissensinhalt und Wissen. Der Inhalt ist immer an die Sinne, d.h. an den Leib und damit an den tierischen Anteil des Menschen gebunden; das Wissen hingegen ist der Horizont des Gewußten, das Erschlossensein des Inhalts als solchen, sodaß wir sagen können: Wir wissen, daß wir wissen. Dieses Wissen wird – als Gegenpol zur empirisch sinnlichen Erfahrung – die „Reflexion“ genannt. Das Wissen muß sich jedoch immer auf Sinnes- und Gefühlsqualitäten beziehen und kommt über jene zu sich selbst, biegt sich über sie auf sich selbst zurück. Das heißt, das Wissen an sich gibt es nicht, es gibt immer nur das Wissen von etwas. Auf die beiden Elemente – sinnliche Wahrnehmung und reflexives Denken – sich beziehend, erörtert Gotz die Methoden der Erfahrungswissenschaft, von denen es zwei gibt: Beobachtung und Begründung. 1. Durch das Beobachten der Fakten und deren Quantifizierung sowie Klassifizierung innerhalb eines Klassifikationssystems (Gattung, Art, Unterart) wird das Beobachtete in Zahlen aufgelöst und damit faßbar gemacht. 2. Die Beobachtung muß mittels begründenden Denkens (im Unterschied zum klassifizierenden Denken) reflektiert werden, um eine in sich kohärente Gesetzmäßigkeit zu entwerfen und eine Theorie zu entwickeln. Von daher können zukünftige Daten und Fakten prognostiziert werden. Die durch Reflexion gemachten Aussagen sind zuerst hypothetisch und müssen dann an beobachtbaren Fakten überprüft werden. So methodisch die erfahrungswissenschaftlichen Methode auch ist, sie hat – wie Gotz bemerkt – ihre Schwächen: 1. Da die Wahrnehmung immer begrenzt ist, ist die Beobachtung immer tendenziell. Das Bild, das durch Wahrnehmung gewonnen wird, bleibt notwendigerweise unvollständig. 2. Die zweite und wichtigere Schwäche betrifft die Überprüfung der Fakten: Die Gründe, d.h. die Ursachen, die für die beobachteten Fakten verantwortlich gemacht werden, können selbst nie beobachtet und damit empirisch erfaßt, sondern nur angenommen und damit als Hypothese formuliert werden. Was sich zeigt, ist immer nur die Oberfläche. Die Wirklichkeit dahinter kann empirisch nicht erfaßt werden. Anmerkung: Gotz operiert mit einem sehr eingeschränkten Phänomenbegriff. Was sich zeigt, beschränkt sich auf das bloß sinnlich Wahrnehmbare. Das heißt, was nicht sinnlich erfahrbar ist, zeigt sich eben nicht. Die dafür zuständigen Sinne hat er aus dem Ganzen des Menschseins herausabstrahiert, den Menschen selbst zweigeteilt in Verstandestätigkeit und Sinnestätigkeit. Wie der Mensch so ist auch die Wirklichkeit für Gotz zweigeteilt: Sie besteht aus dem sinnlich Wahrnehmbaren und dessen Grund, über den allerdings immer nur Hypothesen angestellt werden können. Anmerkung: Alles hat seinen Grund. In dieser Überlegung wird der Grund aber immer nur als Ursache verstanden. Grund und Begründetes stehen in einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis zueinander. Es wäre darüber nachzudenken, anderen Weisen des Gründens auf die Spur zu kommen. Ein Haus hat beispielsweise auch einen Grund, ohne von diesem verursacht worden zu sein. Sich verbergend zwar aber spürbar bis zum Dachgestoß gibt das Fundament dem Haus seinen Grund, von dem wir hoffen, daß er trägt. Tut er das nicht, schauen wir, daß wir raus kommen, und hoffen auf eine Versicherung, die zahlt. Da bei Gotz der Grund als Ursache immer nur hypothetisch angenommen werden kann, bleibt auch das Handeln unsicher. Wir können uns nur auf Wahrscheinlichkeiten verlassen. Die Charakterisierung der Erfahrungswissenschaft zeigt uns, daß wir, wie immer wir handeln mögen, immer auf Hypothesen, subjektive Meinungen, selbst wenn diese ein intersubjektives Weltbild ergeben, zurückgeworfen sind. Aus dem Gesagten kommt Gotz zu folgender Schlußfolgerung: Da alles menschliche Wissen nur Meinung aus der Spannung von Denken und Sinnlichkeit sein kann, ist das einzig Sichere die Unsicherheit. Die permanente Unsicherheit, in der somit der Mensch stehen muß, konfrontiert ihn mit seiner Endlichkeit. Die Endlichkeit ist damit unabweisbares Faktum. Anmerkung: Die Endlichkeit des Menschen definiert Gotz aus dem Nicht-Wissen um das Ursächliche. Keine Gewißheit zu haben über das, was ist, zwischen beschränkter Sinnlichkeit und hypothetischer Verstandestätigkeit hin und her geworfen, gleichsam in einen Zwischenbereich geworfen, der einem schwankenden Boden gleicht, wird Endlichkeit als ein Fehlen gedeutet, ein Fehlen absoluter Gewißheit in Bezug auf das, was in Wahrheit ist. Doch Gotz genügt die Feststellung der Endlichkeit nicht: Da seine Intention, seine Denkrichtung ins Praktische geht, stellt er folgende Frage: Wie werden wir mit der Endlichkeit fertig? Gotz behandelt zwei Lebenskonzepte, die mit der Endlichkeit fertig zu werden versuchen. Diese zwei Lebenskonzepte sind zugleich die zwei Stoßrichtungen des gespaltenden, in zwei Wirklichkeiten sich teilenden Ichs: Das Ich als individueller mit Sinnlichkeit und Begierden ausgestatteter Körper und das Ich als Reflexion. 1. Das Lebenskonzept des Egoismus: Gotz setzt voraus, daß der menschliche Leib ein animalischer Körper ist – bestehend aus sinnlichen Begierden und „Anstößen“. Das heißt: Der Mensch wird von seinem eigenen Körper, der den tierischen Teil seiner selbst repräsentiert und dem es nur um sich selbst d.h. um die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse geht, „angestoßen“. Der Körper ist damit wesenhaft egoistisch, ja, er ist der eigentliche „Sitz“ des Egoismus. Doch während der Körper, angetrieben durch sich selbst, Befriedigung sucht und auch findet, verbraucht und verschleißt er sich selbst. Insofern ist der Egoismus eine irreale Position und führt sich ad absurdum. 2. Das Lebenskonzept einer Ideologie: Das „Angestoßensein“ durch ein tierisches, egoistisches Körperding kann nur dadurch gebändigt, gesteuert und kontrolliert werden, insofern wir als reflexive Wesen um dieses „Angestoßensein“ wissen, insofern wir also diesen Körper überschreiten, bzw. immer schon überschritten, transzendiert haben mittels eines in die ideologische Intersubjektivität sich zurückbiegenden Denkens. Die Transzendierung des vereinzelten und vereinzelnden animalischen Körpers durch Reflexion bewegt den Menschen hinein in das Reich des Allgemeinen und damit in die Welt der allgemeinen Regeln, Gesetze und Ideologien. Als Teil eines Ganzen gewinnen wir Distanz zur Unmittelbarkeit eines tierischen, egoistischen Körperdings. Daß wir das Reich der absoluten Wahrheit erreicht haben, indem wir dem Egoismus des Körpers durch Reflexion entgangen ist, wäre jedoch ein Trugschluß: Denn jede Ideologie beruht auf Axiomen, die ihrerseits ungefragt bleiben. Wenn jede Ideologie auch für sich wirbt und suggeriert, die einzig Wahre zu sein, so bleibt sie dennoch nur eine Möglichkeit von vielen. Die auf Reflexion aufbauenden intersubjektiven Welten beruhen letztlich immer auf hypothetischen Handlungsentwürfen, auf Möglichkeiten. Möglichkeiten sind aber keine wirklichen Notwendigkeiten. Wir bleiben damit in der Endlosschleife der unendlichen Reflexion der unendlichen Möglichkeiten gefangen. Wir bleiben in den unendlichen Möglichkeiten des Handelns, ohne eine echte Notwendigkeit zu erblicken. Gotz definiert Handlung als Mittel zum Zweck. Handlung ist damit immer zweck- und zielgerichtet. Der auf Reflexion beruhende Zweck wird damit zum eigentlichen Grund der Handlung. In der unendlichen Reflexion der unendlichen Möglichkeiten bleibt aber jeder Zweck, der immer nur Teil höherer Zwecke sein kann, per se eine Möglichkeit und liefert uns somit kein sicheres Fundament für eine wirkliche Handlung. Also bräuchten wir einen Handlungsgrund, der über Egoismus und Ideologie hinausgeht. Anmerkung: Es wäre darüber nachzudenken, ob es ein Handeln gibt, das jenseits der Dualität von Mittel und Zweck liegt. Das Handeln könnte den Zweck in sich selbst tragen. Ich kann auch etwas tun, während der wahre Zweck unter den wechselnden Motivationen mir verborgen bleibt. Oft zeigt sich einem später, warum man etwas gemacht hat, und es kann dem widersprechen, was man zu Beginn als Zweck angesetzt hat. – Eine Frage ist auch, ob die rein körperliche „Handlung“, d.h. der triebhafte „Anstoß“ eines tierischen Sinnesapparates, eine Handlung im besagten Sinn sein kann. Gotz zieht aus seinen Betrachtungen folgenden Schluß: Da weder der eine noch der andere Teil des Ichs uns die Sicherheit im praktischen Handeln gibt, da somit weder Ideologie noch Egoismus der wahre Zweck des Handelns sein kann, stellt sich die Frage: Wie komme ich aus der Möglichkeit zur Wirklichkeit? Wie komme ich zu einer wirklichen Handlung? Anmerkung: Was eine wirkliche Handlung im Kontext einer Endlichkeitsbewältigung ist, hat Gotz nicht gesagt – zu vermuten ist, daß er auf die Begründung einer ethisch notwendigen Handlung hinsteuert, zumal Praxis immer etwas mit Ethik zu tun hat. Würde sich nämlich die Ethik vom reflexiven Denken ableiten, wäre sie genauso relativ und jederzeit relativierbar wie das reflexive Denken selbst. Wie ich aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit komme. Die Lösung zum Wie: Die Frage: Was ist die Instanz, die jenseits der Reflexion und der Unmittelbarkeit liegt und durch die wir in die Praxis gelangen? – Und es muß schließlich eine Instanz geben, weil es offensichtlich menschliche Praxis gibt. Gotz findet diese Instanz im Willen. Der Wille ist von der Reflexion zu unterscheiden. Er geht über das Denken hinaus. Er lenkt den Reflexionsprozeß. Denn wenn wir wollen, können wir den Reflexionsprozeß abbrechen. Der Wille ist es, der Werte setzt. Er gibt dem Menschen jene positive Freiheit, die er in der Reflexion nicht hat. Die Reflexion relativiert Werte, schafft Freiheit von Werten, setzt aber keine. Der wertsetzende Wille ist zwar reflexiv, geht aber in der Reflexion nicht auf. Der Wille bezieht Reflexion und Unmittelbarkeit aufeinander. 1. Er nimmt die Interpretation der Unmittelbarkeit vor. 2. Er schafft durch Interpretation eine neue Unmittelbarkeit. Da der Wille eine positive Setzung schafft, verweist er auf eine Fähigkeit, die nicht mehr relativ ist. Der Wille zeigt uns, wie wir handeln können aber auch, wie wir handeln sollen. Aber was ist der Grund des Willens? Wenn der Wille vor der reflexiven Zwecksetzung und damit vor der Endlosschleife unendlich möglicher Zwecksetzungen steht, wonach orientiert er sich? Da er die praktische Differenz bewältigt, sie aber zugleich voraussetzt, kann er niemals Grund seiner selbst sein. Daher muß der Wille über sich hinaus einen Grund haben, der alle Endlichkeit übersteigt. Es handelt sich hier um einen absoluten Grund. Gotz definiert ihn als den Gesamtsinn des Seienden. Von der Definition des Willens ausgehend, daß er nämlich einsehen können soll, was er soll, gelangt Gotz schließlich zur Aufgabe der Philosophie als Grundlagenwissenschaft mit praktischer Dimension. Philosophie steht nicht unter dem Gebot der Allgemeingültigkeit, sondern unter dem Gebot absoluter Begründung, von der her die Endlichkeit erhellt wird. Die Philosophie geht methodisch vor, indem sie absolute Ansprüche ernst nimmt und ihnen nachgeht. Anmerkung: In welchem Verhältnis stehen Wille und absoluter Grund. In welcher Weise gründet der Wille im Gesamtsinn des Seienden, der der absolute Grund ist. Die Philosophie habe absolute Begründungen schaffen. Ich nehme an, Gotz meint die Gründe eines ethisch notwendigen Handelns. Der wesentliche Zweck der Philosophie wäre demnach die Ethik. Da der Wille von der Möglichkeit in die Wirklichkeit führt und die Wirklichkeit nicht nur gut ist, müßte der Wille, der im Gesamtsinn gründet, ebenfalls für Handlungen verantwortlich sein, die nicht nur unvernünftig sondern auch böse sind. Wie ist das möglich? Wenn der Wille einsehen können soll, was er soll, dann steht er auch prinzipiell in der Möglichkeit der Uneinsichtigkeit. Wann und warum ist ein Wille uneinsichtig? Kann überhaupt ein Wille einsichtig sein, ist es nicht vielmehr der Mensch als Ganzes, der einsichtig ist?


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