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Version vom 11. November 2009, 12:38 Uhr von Ersin Gülsen (Diskussion | Beiträge)
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Ausgangspunkt des Artikels ist die Unzufriedenheit einer Gruppe von Sozialwissenschaftlern, die sich in der Verteilung von Ressourcen benachteiligt fühlt, insbesondere, in einem Verhältnis der Ungleichheit gegenüber den Wirtschaftswissenschaftlern, die wie behauptet wird, mehr Gelder vom Ministerium lukrieren können. Umso mehr beschwert man sich, dass der Einfluss der Wirtschaftswissenschaftler frappierend groß ist auf den damaligen Bildungsminister Claude Allègre (1997-2000). Pierre Bourdieu leistet sich zu diesem Anlass eine Intervention. Er plädiert dafür Formen des Korporatismus zu betreiben, wenn man der Ansicht sei, dass die eigene Disziplin benachteiligt werde. Dabei will er diesen Begriff des Korporatismus nicht pejorativ verstehen, sondern legitimiert ihn, da es nach seiner Meinung gerechtfertigt sei, die eigene Disziplin zu verteidigen. Er stellt sich, neben der Frage des Korporatismus andere Fragen, wie das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Soziologie und welche Bestrebungen die Soziologie leisten muss, um eine Theorie zu rekonstruieren, in der die Wirtschaft integriert wird in ein größeres Ganzes ohne dabei die anderen gesellschaftlichen Felder zu Überborden.

Für Bourdieu hat die Sozialwissenschaft im Bereich Wissenschaft, Politik und Pädagogik eine wesentliche Rolle. Für die Aufwertung der Sozialwissenschaften stellt er sich unter anderem die Frage, was man tun könne, um die politische Obrigkeit für die Sozialwissenschaften zu sensibleren. Man solle dabei nicht gleich an das Ministerium denken, sondern auch an die allgemeine Meinung oder an Journalisten. Insbesondere die Journalisten seien dafür verantwortlich, welche Handlungen die Ministerien tätigen. Aus diesem Grund sollte man sich vermehrt Richtung Journalisten bewegen. Dabei scheut er nicht Begriffe wie Lobbying oder Marketing zu entlehnen. Strategien der Vermittlung der eigenen Disziplin sowie Diskurse über die Notwendigkeit der intellektuellen Korporation müssten in diesem Sinne gefördert werden.

Bezüglich der Frage der Sozialwissenschaften in ihrem Verhältnis zur Wirtschaft sowie in ihrem Verhältnis zu anderen Disziplinen wie der traditionsreichen Literaturwissenschaft in Frankreich auf der einen Seite und der Geschichtswissenschaft auf der anderen Seite, sollten die Sozialwissenschaften nicht in einem niedrigeren Profil auftreten, sondern mit der Besonderheit ihrer doppelten Sprache (double langage) ihre Position hervorheben. Diese doppelte Sprache ist auf der einen Seite intern auf die eigene Disziplin bezogen und auf der anderen Seite extern auf den Raum außerhalb von ihr. Nach Bourdieu sei dies die Grundlage für sein Konzept des nouveau civisme, da die Sozialwissenschaften die doppelte Reflexion sowohl ihres eigenen Feldes als auch der anderen gesellschaftlichen Felder übernehmen.

Man solle aber die jeweiligen sozialen Felder nicht als homogene Entitäten sehen, so sei auch die Wirtschaft ein Raum, wo Konflikte und Kämpfe stattfinden. Es sei naiv zu sagen, dass man gegen die Wirtschaft sei ohne wissenschaftliche und strategische Überlegungen anzustellen. Diese Rolle könne nach Bourdieu erneut den Sozialwissenschaften zufallen, die sich die Sozialwissenschaften zu Nutze machen können, um die Sozialwissenschaften zu verteidigen. Dabei sei es wichtig hervorzuheben, dass die Sozialwissenschaft nicht in die Politik eintrete und von ihr zu politischen Zwecken gebraucht werde oder sich von ihr vereinnahmen lasse.

Erneut und immer wieder spricht Bourdieu die eigene Disziplin an, damit sie sich durch Überlegungen von Strategien wichtig und unumgänglich mache, so dass z.B ohne die Sozialwissenschaften die Politikwissenschaft nicht lernen kann, wie man mit Problemen der Arbeitslosigkeit umgeht. Man solle nicht in die Defensive gehen, weil schon die eigene Disziplin voraussetzt, dass man nicht vorbehaltlos über die soziale Welt spricht ohne sich selbst zu thematisieren. Aus diesem Grund unterliege die Soziologie mehr als andere Wissenschaften einem Rechtfertigungsdiskurs der eigenen Disziplin und ihrer Wissenschaftlichkeit. Die Soziologie sei zu einer pathetischen Reflexivität verdammt, um überhaupt zu überleben. Dieser Aspekt sei aber gleichzeitig sehr nützlich, vor allem, wenn man gemeinsam globaler und entschlossen Strategien entwickelt, um die secondaire (Mittelhochschulen für 15-18jährige) und die supérieur (Hochschulen) mit einander zu verbinden und versöhnen. Die Soziologen müssten sich untereinander absprechen über Lehrinhalte und dann Aufgaben- und Arbeitsteilungen vollziehen, um beide Niveaus aufeinander zu beziehen.

Eine andere Ebene der Assoziation und Zusammenarbeit müsse auch durch die Professoren fächerübergreifend über die Sozialwissenschaften geschehen, so dass diese auf der Ebene der Fakultäten vereinheitlicht werden. Bourdieu spricht hier von einer Fakultät der Humanwissenschaften und zählt auch die Philosophie dazu. Bourdieu erwähnt, dass er selbst mit anderen Kollegen eine Assoziation gegründet hat, die sich dieser Idee einer intensiveren Zusammenarbeit der Sozialwissenschaften verschreibt, die ARESER (l´Association pour la recherche sur l´enseignement supérieur et la recherche). Innerhalb dieser Gruppe debattiere man darüber wie z.B der Unterricht über die Sozialwissenschaften in den Mittelhochschulen sein solle und welche staatsbürgerlichen Funktionen vermittelt werden können. Diesen Fragen würden inhaltliche Fragen über die wissenschaftliche Lehre an den Hochschulen folgen, wo insbesondere die Frage der Einheit der Wissenschaften für die Gruppe der ARESER wichtig sei. Ein weiterer wichtiger Punkt für Bourdieu ist der Bezug der sozialen Bewegungen, das heißt, dass die Sozialwissenschaften sich den sozialen Bewegungen annähern sollten. Damit sei insbesondere eine neue Orientierung für die Gewerkschaften gegeben, die nach Bourdieu dabei wären sich neu zu konstituieren, um einheitlicher zu werden. Als Sozialwissenschaftler sollte man den sozialen Bewegungen Aufmerksamkeit schenken und dies sei bestimmt auch in einer Form des Lobbyismus für die Sozialwissenschaften von Bedeutung. So spricht Bourdieu auch darüber, was er gauche de la gauche (Links von Links) nennt, die noch in der Minderheit wären und besonders offen gegenüber den Sozialwissenschaften wären.

Bourdieu kommt erneut zum Korporatismus zu sprechen, das seiner Ansicht nach eben sich nicht darauf reduzieren dürfe die eigene Repräsentation und den eigenen Einfluss zu stärken, sondern sie sei von größerer Bedeutung, weil sie als ein Teil der sozialen Welt sei und gleichzeitig über diese reflektiere. Erneut empfiehlt er seine Assoziation ARESER, die ein politisches Modell darstelle und nicht nur Fragen behandle, die von interner Relevanz seien. So könne man dort öffentlich sagen, was man normalerweise in einem deprimierten Zustand in das Ohr eines Kollegen flüstert. Dort könne man über Probleme offen reden, die alle registrieren, und ]für gewöhnlich im Alltag teilweise ignoriert werden.