Produktivität - ein Prinzip für (fast) alles? (Vorlesung, Füllsack, 2007/08): Unterschied zwischen den Versionen

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Das ''Gefangenendilemma'' (engl.: ''prisoner's dilemma'') ist ein aus der Spieltheorie kommendes Paradoxon.  
 
Das ''Gefangenendilemma'' (engl.: ''prisoner's dilemma'') ist ein aus der Spieltheorie kommendes Paradoxon.  
 
Die Ausgangsituation ist folgende: Zwei einer gemeinsamen Straftat Verdächtigte sitzen in Untersuchungshaft. Die Polizei bietet beiden unabhängig voneinander und ohne Wissen des anderen einen Deal an: Gesteht einer die Tat und der andere nicht, so kommt der Geständige sofort frei und der andere muss die Höchststrafe von fünf Jahren absitzen. Schweigen beide, so werden sie jeweils zwei Jahren eingesperrt. Gestehen aber beide, werden beide für jeweils vier Jahre eingesperrt. Die beiden Gefangenen haben, wie erwähnt, keine Möglichkeit miteinander zu kommunizieren, jeder muss die Entscheidung alleine treffen. Beide sind also gezwungen, mit Nichtwissen zu operieren.  
 
Die Ausgangsituation ist folgende: Zwei einer gemeinsamen Straftat Verdächtigte sitzen in Untersuchungshaft. Die Polizei bietet beiden unabhängig voneinander und ohne Wissen des anderen einen Deal an: Gesteht einer die Tat und der andere nicht, so kommt der Geständige sofort frei und der andere muss die Höchststrafe von fünf Jahren absitzen. Schweigen beide, so werden sie jeweils zwei Jahren eingesperrt. Gestehen aber beide, werden beide für jeweils vier Jahre eingesperrt. Die beiden Gefangenen haben, wie erwähnt, keine Möglichkeit miteinander zu kommunizieren, jeder muss die Entscheidung alleine treffen. Beide sind also gezwungen, mit Nichtwissen zu operieren.  
Versucht man an das Problem rational heranzutreten, so erscheint es zunächst am sinnvollsten für den Einzelnen zu gestehen. Gesteht der Andere auch, so müssen beide für vier Jahre im Gefängnis verbleiben, gesteht der Andere nicht, kommt man gleich frei. Umgekehrt hat man im schlechtesten Fall mit fünf Jahren Strafe zu rechnen und im besten Fall, schweigt der andere Verdächtige ebenfalls, mit zwei Jahren. Sowohl die höchste mögliche Strafe (fünf Jahre) als auch das geringste Strafausmaß (Freigang) bei dem Verrat des Anderen liegen unter den Werten, die man durch Schweigen erreicht. Es scheint also so, als ob ein Geständnis in diesem Fall produktiv wäre.
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Versucht man an das Problem rational heranzutreten, so erscheint es zunächst am sinnvollsten für den Einzelnen zu gestehen. Gesteht der Andere auch, so müssen beide für vier Jahre im Gefängnis verbleiben, gesteht der Andere nicht, kommt man gleich frei. Umgekehrt hat man im schlechtesten Fall mit fünf Jahren Strafe zu rechnen und im besten Fall, schweigt der andere Verdächtige ebenfalls, mit zwei Jahren. Sowohl die höchste mögliche Strafe (vier Jahre) als auch das geringste Strafausmaß (Freigang) bei dem Verrat des Anderen liegen unter den Werten, die man durch Schweigen erreicht. Es scheint also so, als ob ein Geständnis in diesem Fall produktiv wäre.
 
Spätestens wenn man das Spiel jedoch etwas variiert und daraus ein iteratives Gefangenendilemma macht, wird die scheinbar produktive Spielstrategie höchst unproduktiv. Nun weiß auch der Andere, dass es für ihn nicht produktiv ist, fünf Jahre im Gefängnis zu verweilen, während man selbst frei geht. Er wird also ebenfalls gestehen. Dadurch kommt man im besten Fall vier Jahre Gefängnis. Hätte man hingegen geschwiegen, wäre man das erste Mal zwar zwei Jahre eingesessen, hätte das zweite Mal allerdings ebenfalls nur zwei Jahre kassiert und wäre in Summe bereits bei zwei Spielrunden mit einer kürzeren Haftstrafe ausgestiegen (vier statt fünf Jahre). Letzten Endes kann sich ein nicht-egoistisches Verhalten als durchaus gewinnbringend erweisen. Robert Axelrod ließ diese These mithilfe vom Computerprogrammen, die mit verschiedenen Strategien gegeneinander antraten, verifizieren. Als produktivste Strategie erwies sich dabei ''Tit for tat''.
 
Spätestens wenn man das Spiel jedoch etwas variiert und daraus ein iteratives Gefangenendilemma macht, wird die scheinbar produktive Spielstrategie höchst unproduktiv. Nun weiß auch der Andere, dass es für ihn nicht produktiv ist, fünf Jahre im Gefängnis zu verweilen, während man selbst frei geht. Er wird also ebenfalls gestehen. Dadurch kommt man im besten Fall vier Jahre Gefängnis. Hätte man hingegen geschwiegen, wäre man das erste Mal zwar zwei Jahre eingesessen, hätte das zweite Mal allerdings ebenfalls nur zwei Jahre kassiert und wäre in Summe bereits bei zwei Spielrunden mit einer kürzeren Haftstrafe ausgestiegen (vier statt fünf Jahre). Letzten Endes kann sich ein nicht-egoistisches Verhalten als durchaus gewinnbringend erweisen. Robert Axelrod ließ diese These mithilfe vom Computerprogrammen, die mit verschiedenen Strategien gegeneinander antraten, verifizieren. Als produktivste Strategie erwies sich dabei ''Tit for tat''.
  

Version vom 28. Januar 2008, 13:36 Uhr

Organisatorisches (Wann, Wo, Prüfung...) zur Vorlesung

Vorausblick

Der Untertitel Ein Prinzip für (fast) alles, der im Vorlesungsverzeichnis verloren gegangen ist, lässt im Kontext des Instituts für Philosophie vermuten, dass es beim Begriff der Produktivität nur um Randbereiche dessen gehen wird, was ein Wirtschaftsinstitut lehren würde.

Um etwas als produktiv bezeichnen zu können, sollte das Output-Input-Verhältnis positiv (oder zumindest nicht negativ) sein. Der Output muss größer als der Input sein. Das erscheint zunächst als triviale Definition, dennoch deckt sie die wichtigsten Aspekte ab. Es geht im Laufe einer Arbeit aber auch darum, den Begriff der Produktivität zu hinterfragen. Das Paradoxon dieser Lehrveranstaltung besteht darin, dass sie mehr verunsichert als konkretes Wissen bringt, sie in ihrem Kontext nicht dem klassischen Begriff der Produktivität entspricht.

Was letztendlich in einer Gesellschaft als produktiv gilt, hängt vom Beobachter ab. Eine der großen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts ist die Hinwendung des Blickfelds auf den Beobachter; das 20. Jahrhundert hat uns auf die Rolle des Beobachters aufmerksam gemacht. Die Aufmerksamkeit hat sich also verändert. Wir sind darauf aufmerksam gemacht worden, die Dinge in ihrem Kontext zu sehen. Die Ansicht der Produktivität muss mehrheitsfähig sein. Hier tritt schon eine erste wichtige Differenz auf: Die Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert. Diese Diskrepanz zwischen individueller und gesellschaftlicher Produktivitätsvorstellung wird im Laufe der Vorlesung noch interessieren.


Mit den Worten des Lehrveranstaltungsleiters:

"Die VO wird das Kriterium Produktivität in seinen vielfältigen Bezügen und Funktionen für die moderne Gesellschaft und Wirtschaft zu beleuchten suchen und zum einen, und einleitend, die historischen Debatten zur Tauglichkeit dieses Kriteriums insbesondere zur Erfassung "nicht-ökonomischer" Zusammenhänge thematisieren. Zum anderen, und mit Schwerpunktsetzung, sollen in ihr neue und neueste wissenschaftliche Forschungen, insbesondere aus den Bereichen der System-, Informations-, Spiel- und Netzwerktheorie, sowie aus den Evolutionary Economics aber nicht zuletzt auch etwa aus der analytischen Philosophie erörtert werden, die im Bemühen zusammengefasst werden können, Phänomene, die sich eigentlich im klassischen Sinn rationalem Verstehen entziehen - insbesondere solche aggregierter (sich selbstorganisierender) Ordnungen wie sie etwa der Markt, die Wissenschaft oder die Gesellschaft darstellen -, doch analytisch - also orientiert an Produktivitätskriterien - zu erfassen." (Homepage Dr. Manfred Füllsack)

Wahrscheinlichkeiten

Bei allen aufgestellten Behauptungen und Thesen geht es immer nur um Wahrscheinlichkeiten, nie um Absolutes. In der Wahrscheinlichkeitstheore wird etwas absolut Sicheres mit der Zahl 1 (Eins) definiert, während die absolute Unwahrscheinlichkeit mit 0 (Null) festgelegt wird. Alle Werte zwischen Eins und Null repräsentieren Wahrscheinlichkeiten. Es geht im Grunde um das Aufrechterhalten einer Korrelationswahrscheinlichkeit. Die Korrelation von Angebot und Nachfrage muss hinreichend wahrscheinlich sichergestellt werden. Wenn die Welt als Wahrscheinlichkeit betrachtet wird, fällt der Unterschied, so die provokante These Füllsacks, zwischen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Traditionen. Wirklichkeit entsteht, wenn man allen Wahrscheinlichkeitsverteilungen verschiedene Realitätswerte zurechnet. Dinge, die deutlich diffuser sind, wird keine hinreichende Dichte in Wahrscheinlichkeit zugeschrieben. Auch das Recht kann nur eine Wahrscheinlichkeit bereitstellen, dass sich Menschen daran halten. Eine gewisse Fuzzyness, ein Graubereich ist im Spiel, der nicht definiert, determiniert ist. Weitere durchaus provokant formulierte, in den Raum gestellte und durchaus diskussionsbedürftige Beispiele dafür wären z.b Rituale verschiedenster Art bis hin zur Liebe.

Wahrscheinlichkeiten innerhalb von Rahmenbedingungen

Eine bestimmte Wahrscheinlichkeit vollzieht sich innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen, welche selbst durchaus einer eigenen Wahrscheinlichkeit unterliegen können.

Beispiel: Die Rahmenbedingungen für das einschlagen von Nägeln bedarf grundlegend verschiedenster Rahmenbedingungen (Kriterien) um vollzogen werden zu können. Zum einen müssen die notwendigen Ressourcen sowie das nötige Werkzeug vorhanden sein und zum anderen muss die notwendige Zeit sowie anfallende Kosten berücksichtigt werden. Bei einer geringen Anzahl von Nägeln kann es durchaus produktiv sein die wenigen Nägel mithilfe eines Steins einzuschlagen. Die Alternative des Hammers rentiert sich hingegen bei einer größeren Anzahl von Nägeln da die Anschaffungskosten mit der eingesparten Zeit aufgerechnet werden müssen. (in der Betriebswirtschaft spricht man hierbei auch von Berücksichtigung der opportunity costs) Die interessante Grauzone auch als uncertain area bezeichnet liegt im Bereich wo die Produktivität des Steins und des Hammers gleichauf liegen.

Desweiteren können sich die Rahmenbedingungen die einen Prozess ermöglichen, sich im Zuge des Ablaufes dieses Prozesses wiederum selbst verändern. Mit anderen Worten und angewendet auf das obige Beispiel, kann die Entwicklung des Hammers zu einer enormen Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Anwendens des Steines führen. Die Veränderung der Rahmenbedingungen selbst wiederum kann den gesamten Prozess verändern. Folglich muss der Prozess und auch seine Rahmenbedingungen als etwas sich dynamisch entwickeldes aufgefasst werden. Dennoch generieren die Rahmenbedingungen stets nur bestimmte Wahrscheinlichkeitsräume deren Weiterentwicklung selbst wiederum nur bestimmte Wahscheinlichkeitsräume ermöglichen. Mit anderen Worten handelt es sich folglich um einen dynamischen Prozess der sich entsprechend sogenannter path dependences aktualisiert und weiterentwickelt.

Aspekte der Produktivität

Invisible hand

Die invisible hand (dt.: Unsichtbare Hand) ist ein von Adam Smith in seinem Werk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations aus 1776 (dt.: Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker) geprägter Begriff. Verkürzt gesagt, könnte man meinen, dass ein allgemeines egoistisches Handeln mehr Produktivität bringt. Der Begriff unsichtbare Hand wird vor allem von Vertretern des wirtschaftlichen Liberalismus für den Mechanismus der Selbstorganisation des Marktes verwendet, der zu einer optimalen Allokation der Ressourcen führe. Ein eigennütziges Streben aller (Unternehmen als auch wirtschaftstreibende Menschen) trägt im "System der natürlichen Freiheit" zum Wohl der gesamten Gesellschaft bei. Zwar verfolgt kein Teilnehmer den Zweck der Förderung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands, die unsichtbare Hand sorgt aber dafür, dass die effiziente Marktmenge gehandelt wird. Die Wirkung der unischtbaren Hand kann allerdings nur mit einer Einschränkung wirksam werden: Die natürliche Freiheit, von der Smith schreibt, ist ein System, welches frei von Monopolen, also einseitiger Möglichkeit der Beherrschung eines Marktes, ist. Der Wirtschaftsakteur verfolgt zu allererst seine eigenen Interessen, würde er beim Außenhandel an den Gesellschaftlichen Nutzen denken, so könnte nichts Sinnvolles dabei entstehen.

Matthäus-Effekt

Der Matthäus-Effekt ist ein von Robert Merton geprägter Begriff der handlungsbezogenen Soziologie, der seinen Namen von einer Stelle des Matthäusevangeliums bezieht: "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, daß er Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat." (Mt/13/12, Mk/4/25) Beobachtet wurde der Effekt bei der Zitationsanalyse wissenschaftlicher Arbeiten: Autoren, die bereits bekannt sind, werden öfters zitiert als unbekannte Autoren; mit der logischen Folge, dass bekannte Autoren noch bekannter werden. Theoretisch löst der Matthäus-Effekt eine Dynamik aus, die sich selbst begünstigt: Um als unbekannter Autor seinen Texten mehr Gewicht zu verleihen, muss man bereits bekannte Autoren zitieren, die noch bekannter werden. Gleichzeitig wird es genau dadurch für unbekannte Autoren schwieriger, bekannt zu werden. Das erscheint zunächst paradox; empirische Untersuchungen haben aber gezeigt, dass in der Praxis die Halbwertszeit zitierter Publikationen trotz eines Zitationsanstiegs aufgrund des Matthäus-Effekts relativ konstant bleiben. Eine mögliche Erklärung lautet, dass vielzitierte Texte schneller als gewusst und allgemein bekannt angenommen werden. Im Kontext der Produktivität bedeutet dies, dass sich durch den Matthäus-Effekt Pfadabhängigkeiten bilden, die u.a. die Kriterien von Produktivität beeinflussen und so in den gesamten Prozess eingreifen; um ein praktisches Beispiel zu nennen, möglicherweise selbst in einer Seminararbeit zu einer sozialphilosophischen Theorie an der Universität Wien ist es zielführend (und daher produktiver) Immanuel Kant denn Manfred Füllsack zu zitieren. Dadurch ändern sich aber die Voraussetzungen, auf der die Arbeit fußt.

Aspekt des Beobachters

Ein weiterer Aspekt der Produktivität betrifft den des Beobachters. Es hängt immer von einem Betrachter ab, ob etwas als produktiv wahrgenommen wird. Ohne Beobachter kann man, wurde man diese Behauptung konsequent zu Ende denken, nicht feststellen, ob eine Handlung produktiv oder unproduktiv ist, da es niemanden gibt, der diese Handlung als produktiv oder unproduktiv wahrnimmt. Zudem muss man anmerken, dass sich diese aus den Beobachtungen ergebenden Perspektiven verschieben können. Je nach Perspektive kann man durchaus etwas in einem bestimmten Kontext als produktiv wahrnehmen, in einem anderen Kontext erscheint diese zuvor produktive Handlung als äußerst unproduktiv (oder umgekehrt).

Ein absurdes Beispiel demonstriert ganz gut diese Überlegungen: Einstürzende Neubauten werden gemeinhin als nicht produktiv angesehen. Ein neu gebautes Hochhaus soll zumindest einige Jahre in Verwendung sein. Unter Umständen können einstürzende Neubauten aber durchaus als produktiv angesehen werden. So wurden sie etwa als Name einer Band genommen. Dieser zunächst unproduktiv angesehene Term ist also künstlerisch produktiv geworden und wird nun mit höherer Wahrscheinlichkeit von einer größeren Anzahl von Personen als produktiv wahrgenommen (da nun hinter dieser Phrase nicht mehr das ursprünglich gemeinte steckt, sondern eine Musikgruppe, die musikalisch produktiv ist).

Dieses Beispiel weißt auf das Phänomen hin, dass etwas als produktiv betrachtet werden kann, auch wenn nur unter bestimmten Umständen. In einigen Beispielen ist dieses Phänomen auf gesellschaftliche Nischen beschränkt, oftmals muss es aber auch gar nicht auf Nischen beschränkt sein, so wird die Ökologiebewegung von einem Teil der Gesellschaft (welche Motivation auch dahintersteckt) als unproduktiv gehalten, während ein anderer Teil die Ökologiebewegung als produktiv hält, Firmen durch die Ökologisierung sogar nicht unwesentliche Gewinne erwirtschaften. Eine Differenzierung ist notwendig. Als moderner Mensch ist man zumindest gezwungen, die Perspektivität bzw. die sich verschiebenden, wechselnden Perspektiven (vielfältige Grenzen) wahrzunehmen, in seine Sicht einzubeziehen. Somit ist aber noch ein weiteres Problem ins Spiel gekommen. Wenn man gezwungen ist, den Aspekt des Beobachters, die sich wechselnden Perspektiven, mit einzubeziehen, ist auch die Tätigkeit des Beobachters beeinträchtigt. Da man weiß, dass man beobachtet wird, verhält man sich anders, als wenn man nicht beobachtet werden würde. Irenäus Eibl-Eibesfeldt, ein österreichischer Verhaltensforscher, entwickelte aufgrund dieses Phänomens die ums Eck gerichtete Kamera, um dem Phänomen des Beobachters Rechnung zu tragen. Leute, die fotografiert werden, merken es nicht, während sich andere, im Glauben, fotografiert zu werden, unnatürlich verhalten.

Rekursive Prozesse

Alles, was in der Gegenwart nun als relevant erscheint, hat in der Vergangenheit bereits Prozesse laufen gehabt, die dafür gesorgt haben, dass es relevant erscheint (sogenannte Lock-ins, Path dependencies). Gegenwärtiges ist also Resultat der Problemlösungsversuche der Vergangenheit. Dies heißt das Problemlösungsversuche stets neue Probleme und diese neuen Probleme wiederum neue Problemlösungsversuche generieren. Aus wirtschaftlicher Sicht versucht man deshalb durch sogenannte rekursive Inputs diesen Umstand weitestgehend zu nutzen um damit eine Steigerung der Produktivität zu erziehlen. Im Detail bedeutet dies das man zuvor erziehlte Überschüsse in den neuen bzw. zukünftigen Prozess einfließen lässt. (Expansion)

Path dependencies

Pythagoras-Baum

Ein weiteres Merkmal von Produktivität stellen die sogenannten Pfadabhängigkeiten (engl. path dependecies, auch lock-in) dar. Arbeit, die als produktiv angesehen wird, kann nur unter bestimmten Bedingungen, Rahmenbedingungen stattfinden. Diese Rahmenbedingungen setzen nun Dynamiken in Bewegung, die zunächst dafür sorgen, dass die Arbeit möglichst optimal stattfinden kann. Gleichzeitig führen diese Dynamiken aber im Laufe der Zeit aber zu Verwerfungen, die den eigentlichen Intentionen entgegenwirken und dazu führen, dass mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Art der Arbeit/Sozietät passiert. Dadurch wird aber ein bestimmte Richtung determiniert, die ihrerseits wieder Dynamiken ins Spiel bringt, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit dafür sorgt, dass die Arbeit hinsichtlich dieser Richtung Bestand hat. Ein in der Wirtschaft sehr populäres Beispiel für eine solche Pfadabhängigkeit stellt das QWERTY-Phänomen dar. Desweiteren lässt sich dieses Phänomen mit dem im der Vorlesung erläuterten Beispiel des Pythagoras Baum verdeutlichen. Der Pythagoräische Baum ensteht hierbei ausgehend von den Rahmenbedingungen des Quadrats mit einem an einer Seite angelegten Dreieck durch fortlaufende Anwendung desselbigen Schemas.

Gefangenendilemma

Das Gefangenendilemma (engl.: prisoner's dilemma) ist ein aus der Spieltheorie kommendes Paradoxon. Die Ausgangsituation ist folgende: Zwei einer gemeinsamen Straftat Verdächtigte sitzen in Untersuchungshaft. Die Polizei bietet beiden unabhängig voneinander und ohne Wissen des anderen einen Deal an: Gesteht einer die Tat und der andere nicht, so kommt der Geständige sofort frei und der andere muss die Höchststrafe von fünf Jahren absitzen. Schweigen beide, so werden sie jeweils zwei Jahren eingesperrt. Gestehen aber beide, werden beide für jeweils vier Jahre eingesperrt. Die beiden Gefangenen haben, wie erwähnt, keine Möglichkeit miteinander zu kommunizieren, jeder muss die Entscheidung alleine treffen. Beide sind also gezwungen, mit Nichtwissen zu operieren. Versucht man an das Problem rational heranzutreten, so erscheint es zunächst am sinnvollsten für den Einzelnen zu gestehen. Gesteht der Andere auch, so müssen beide für vier Jahre im Gefängnis verbleiben, gesteht der Andere nicht, kommt man gleich frei. Umgekehrt hat man im schlechtesten Fall mit fünf Jahren Strafe zu rechnen und im besten Fall, schweigt der andere Verdächtige ebenfalls, mit zwei Jahren. Sowohl die höchste mögliche Strafe (vier Jahre) als auch das geringste Strafausmaß (Freigang) bei dem Verrat des Anderen liegen unter den Werten, die man durch Schweigen erreicht. Es scheint also so, als ob ein Geständnis in diesem Fall produktiv wäre. Spätestens wenn man das Spiel jedoch etwas variiert und daraus ein iteratives Gefangenendilemma macht, wird die scheinbar produktive Spielstrategie höchst unproduktiv. Nun weiß auch der Andere, dass es für ihn nicht produktiv ist, fünf Jahre im Gefängnis zu verweilen, während man selbst frei geht. Er wird also ebenfalls gestehen. Dadurch kommt man im besten Fall vier Jahre Gefängnis. Hätte man hingegen geschwiegen, wäre man das erste Mal zwar zwei Jahre eingesessen, hätte das zweite Mal allerdings ebenfalls nur zwei Jahre kassiert und wäre in Summe bereits bei zwei Spielrunden mit einer kürzeren Haftstrafe ausgestiegen (vier statt fünf Jahre). Letzten Endes kann sich ein nicht-egoistisches Verhalten als durchaus gewinnbringend erweisen. Robert Axelrod ließ diese These mithilfe vom Computerprogrammen, die mit verschiedenen Strategien gegeneinander antraten, verifizieren. Als produktivste Strategie erwies sich dabei Tit for tat.

Tit for tat

Tit for tat ("Wie Du mir, so ich dir") wird die Strategie eines Spielers bezeichnet, der in einem mehrperiodigen Spiel im ersten Zug kooperiert und danach genauso handelt, wie sein Gegenspieler in der jeweiligen Vorperiode. Die einfach zu merkende und zu durchschauende Regel lautet: Hat der Gegenspieler zuvor kooperiert, so kooperiert auch der Tit-for-tat-Spieler. Hat der Gegenspieler in der Vorrunde hingegen nicht kooperiert (defektiert), so antwortet der Tit-for-tat-Spieler ebenfalls mit Defektion, um den Verrat zu vergelten. In der von Axelrod veranstalteten Computer-Simulation des Gefangenendilemmas aus dem Jahr 1980 erwies sich die von Anatol Rapoport von der Universität Toronto entwickelte Strategie dabei als erfolgreichste Strategie. Auch bei wiederholten Versuchen sowie neueren Versuchen mit weiterentwickelten Programmen und Strategien blieb tit for tat weiterhin die erfolgreichste Strategie. Man kann damit in einem Spiel über mehrere Runden zwar nie besser abschneiden als der eigene Gegenspieler, aber der maximale Rückstand ist dafür verhältnismäßig klein. In seinem Buch Die Evolution der Kooperation führt Axelrod dies auf die leichte Verständlichkeit und der Unmöglichkeit, tit for tat auszunutzen, zurück:

"Was den robusten Erfolg von tit for tat erklärt, ist die Kombination, freundlich zu sein, zurückzuschlagen, Nachsicht zu üben und verständlich zu sein. Freundlichkeit schützt vor überflüssigen Scherereien. Zurückschlagen hält die andere Seite nach einer versuchten Defektion davon ab, diese unbeirrt fortzusetzen. Nachsicht ist hilfreich bei der Wiederherstellung wechselseitiger Kooperation. Schließlich erleichtert Verständlichkeit die Identifikation und löst dadurch langfristige Kooperation aus." (Axelrod: Die Evolution der Kooperation, S. 47)

Axelrod leitet daraus fünf Grundregeln ab, die in sozialer Interaktion als Basis robuster Kooperation angesehen werden können:

(1) Sei nicht neidisch,
(2) defektiere nicht als Erster,
(3) erwidere sowohl Kooperation als auch Defektion und
(4) sei nicht zu raffiniert.
(5) Zudem muss dafür gesorgt sein, dass mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit eine häufige Wiederkehr der Situation möglich ist, um zu verhindern, dass durch Defektion der kurzzeitge Gewinn gesichert wird.

Produktivitätssteigerung

möglicher Lebenslauf eines Subjektes X

Grundlegend wird eine Verkürzung der benötigten Zeit bei gleichbleibender Produktionsmenge als eine Produktivitätssteigerung bezeichnet. Allerdings lassen sich im Zuge dieser Steigerung durchaus seltsame und zugleich interessante Vorgänge und Aspekte festhalten. Betrachtet man zum Beispiel die Ausbildung eines Subjekts im Vergleich zu dessen gesamten Lebenszeit, so fällt auf, dass diese einen durchaus großen Abschnitt einnimmt, den man durchaus abhängig von der Perspektive als "unproduktiv" ansehen könnte. Um folglich einen Prozess ausführen zu können, bedarf es oft einer für den Prozess "unproduktiven" Phase, die selbst als äusserst Risikoreich sein kann. Risikoreich vor allem deshalb, da sich der angestrebte Prozess und dessen Rahmenbedingungen im Zuge dieser Phase drastisch verändern können.

Bereiche Relativer Eigenständigkeit

Beispiel anhand einer Urgesellschaft

Die Spezialisierung und Intensivierung in bestimmte Bereiche aufgrund von sich ergebenden path dependences bringt das Entstehen von Bereichen Relativer Eigenständigkeit mit sich. Als Bereiche Relativer Eigenständigkeit können unter anderem Wissenschaftsbetriebe sowie Forschungszweige angesehen werden die hochkomplexes Wissen generieren und thematisieren. Dies tun sie einerseits in einer bestimmten Abhängigkeit zueinander, da die Spezialisierung erst durch entsprechende Teilung ermöglicht wird und andererseits weitestgehend unabhängig voneinander, da sie das jeweilig Andere Gebiet möglichst vollständig ausblenden. Aufgrund der verschiedenenen Aktualisierungen der jeweiligen Rahmenbedingungen, sowie den damit verbundenen path dependencies, kann es zu Verschiebungen kommen die das Problem der Polykontexturalität generieren. Ein Umstand der die ursprüngliche Intention der Produktivitätssteigerung durch Spezialisierung in verschiedene Bereiche hinterfragbar und kritisierbar zu stehen kommen lässt.

Exkurs: Psychologische Produktivität

(Dieses Kapitel ist nicht Teil der Vorlesung, sondern soll lediglich Interessierten als weiterführende, interdisziplinäre Information dienen)

Psychologische Produktivität benennt vor allem im Alter geführte Aktivität, die einerseits Dinge hervorbringen kann, die gemeinhin in einer Gesellschaft als produktiv gilt (dh. tatsächlich Produkte mit Mehrwert), aber auch nicht wirtschaftlich zunächst nicht produktive Dinge wie Erkenntniserweiterung und stellt eine zentrale Entwicklungsaufgabe im Alter dar. Besonders interessant ist, wie es alte Menschen gelingt, mit den zunehmenden Einbußen des Alters produktiv umzugehen.

Definition: Unter psychologischer Produktivität sind all jene materiellen, geistigen, emotionalen und motivationalen Wirkungen zu verstehen, die eine Person durch ihr Handeln, Denken, Fühlen und Wollen bei sich selbst oder in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld intendiert oder nicht intendiert hervorruft, und die ihr selbst, anderen oder der Gesellschaft nützlich sind. Die hierbei erzielten Gewinne können in Form von Geld, Erkenntnis, Wohlbefinden oder Sinn uam. bewertet werden.
(aus: Montada/Oerter (2002): Entwicklungspsychologie)

Diese Produktivität kann sich in verschiedenen Ausdrucksformen äußern, so z.B. manuell, geistig (Ideen entwickeln, Bücher schreiben, Ratschläge erteilen, Probleme lösen usw.), emotional (Zufriedenheit, positive Auswirkung auf das eigene Denken und Wollen usw.) und motivational (z.B. ein Vorbild sein). Im Gegensatz zum ökonomischen Begriff der Produktivität, der -- vereinfacht dargestellt -- den Betrag einzelner zum Bruttosozialprodukt beschreibt, erweitert die Psychologie den Begriff der Produktivität in ihrer Definition um eine weitere Dimension, wenn sie auch auf die ausschließlich das Individuum selbst oder seine nähere Umgebung bezogene Wirkung mit einschließt. Ein interessanter Aspekt der psychologischen Produktivität in Bezug auf die Vorlesung ist, dass der Aspekt des Beobachters relativiert wird. Die Lösung des Problems, dass sich ältere Menschen oft nicht produktiv fühlen, um die es der psychologischen Forschung dieses Bereichs geht, benötigt vordergründig gar keinen Beobachter. Beobachterabhängig mögen ältere Menschen möglicherweise immer noch unproduktiv sein, in einem psychologischen Sinn sind ältere Menschen, die positives Denken entwickeln, äußerst produktiv. Nicht vergessen darf man, dass es sehr wohl einen Beobachter braucht, um überhaupt diese psychologische Sicht einzunehmen.

Produktivität der Philosophie

Entsprechend der Perspektive bzw. dem Aspekt des Beobachters erscheint die Philosophie unter dem Begriff der Produktivität als ein in beide Seiten weitestgehend hinterfragbarer Wissenschaftszweig. Einerseits trägt sie zur ständigen Aktualisierung und Thematisierung der verschiedenen Rahmenbedingungen der anderen Wissenschaftszweige bzw. Bereiche Relativer Eigenständigkeit bei, andererseits ist diese Aktualisierung unter dem Blickwinkel der Problembeseitigung aus ökonimischer Sicht sowie aus Sicht anderer Bereiche durchaus kritisierbar und zurückweisbar.