Pierre Bourdieu (Text)

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Name: Martina Tscherny

Matrikelnummer: 0303083

Studienkennzahl: A297


Einleitung

Im folgenden Text werde ich,

'Pierre Bourdieu, die Person und seine Theoreme beziehungsweise Konzepte genauer betrachten und inwiefern sie zueinander stehen und inwieweit sie ineinander greifen.'


Zuerst werde ich erläutern, wer Pierre Bourdieu war und was er der "akademischen Welt" hinterlassen hat. Folgend werde ich versuchen zu erklären, wie er von seinen empirischen Feldstudien zu den einzelnen Konzepten beziehungsweise Theoremen kam und wie diese in Verbindung oder nicht in Verbindung stehen.

Die Person Pierre Bourdieu

Wer war Pierre Bourdieu? Pierre Bourdieu war kein Fisch im Wasser, er passte nicht in die akademische Welt hinein. Er nahm durch die Kombination von Feldstudien, statistischen Analysen und Philosophie eine einzigartige Position ein und etablierte sich so in der Welt der akademischen Gelehrten. Ein wichtiges Element seiner Arbeit sind die soziologischen Analysen des Intellekts. In seiner letzten Schaffenszeit seiner Arbeit übte er Kritik an der Soziologie als Wissenschaft.


Pierre Bourdieu wurde am 1.August 1930 geboren und starb am 23.Jänner 2002, in Paris an Krebs. Er war einer der führenden Soziologen seiner Generation. Seine bekannteste Arbeit in den United States ist, “Distinction: A Social Critique of the Judgment of Taste”. Obwohl er manchmal mit Jean-Paul Sartre verglichen wird, konnte sich Pierre Bourdieu schnell in der akademischen Welt etablieren und eine zentrale angesehene Position einnehmen. Er war eine öffentliche Figur in öffentlichen Debatten innerhalb Europas und besonders in Deutschland. Er sprach über neue ideologische Ansichten – Neoliberalismus (-Marktlösung für alles!) Pierre Bourdieu zeigt durch seine Analysen von Welt, Wissenschaft, Medien, Erziehung und Kunst die Notwendigkeit auf, dass man diese einzelnen Gebiete von den anti-demokratischen Effekten und der totalen Zerstörung, von der stammenden Herrschaft der Ware beschützen muss. Er wollte den Menschen eine breite Möglichkeit (Instrumente) darbieten, damit diese für sich selbst denken können. Bourdieu wurde verbunden mit der Vernunft und der Wissenschaft und mit der Rolle wie die heutige Gesellschaft damit umgeht. Der Soziologe arbeitete brisante Themen immer sehr methodisch und mit einer gewissen „coolness“ auf, was man in seinen späteren Arbeiten von Erziehung erkennen kann. In den 1990 Jahren änderte sich seine Art des Schreibens, sie wurde direkter, umso die öffentlichen Debatten zu beeinflussen.

Nach seinen akademischen Abschluss in Philosophie nahm er eine Stelle als Lehrer an. Als er Mittte der 1950er Jahre als Wehrpflichtiger im Algerienkrieg eingesetzt wurde, fing seine soziologische Laufbahn an. Er betrieb im nördlichen Teil von Algerien Feldforschung, wo er die Gesellschaftsstrukturen erforschte. Seiner Ansicht nach fehlte in diesem Krieg der Gegner, da sich der Aufstand gegen das System richtete. Algerien war eine Kolonie von Frankreich. Der Aufstand richtete sich gegen dessen Diskriminierungen und Klassendifferenzierungen. Bourdieu beschreibt diese Situation in Algerien als ein Zusammenstoß von einer kapitalistischen und vorkapitalistischen Gesellschaftsordnung.

Er beschrieb die Zwangsumsiedelung von großen Bevölkerungsgruppen, welche in einem Sammellager zusammengelegt wurden. Daher glich das Land einem „Experiment“. Es prallten die traditionellen Pfeiler der algerischen Gesellschaft auf ein kapitalistisches System, welches die soziale, die moralische, die psychologische kurzum die gesamte Ordnung umstieß. An die Menschen wurden neue Anforderungen gestellt, wie andere psychologische Tugenden, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, diese waren Voraussetzungen für ein erfolgreiches Handeln wurden.

Durch den Aufenthalt in Algerien, wo Pierre Bourdieu, die Erschütterung einer ursprünglichen Sozialordnung und dessen neuen Anforderungen von Seiten des Kapitalismus miterlebte, entwickelte er bereits einen Grundzug der sich durch all seine Arbeiten durchzog. Statt nur Teilbereiche der Gesellschaft zu betrachten, wollte er die vollständige Komplexität der vor sich gehende Prozesse erfassen und die unterschiedlichen Strategien und Einstellungen, vor allem zur Zeit und zur Zukunft, in den Blick nehmen.

Feldstudie in Algerien

Anfang der 60er Jahre machte Pierre Bourdieu eine ethnologische Feldstudie und soziologische Analyse zum Verhältnis von Wirtschafts- und Zeitstrukturen in der algerischen Übergangsgesellschaft.

„Angesichts der gegenwärtigen Krise der Arbeitsgesellschaft, wachsender Massenarbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung treten zunehmend Symptome der Anomie an den Tag: Destrukturierung und Nichtigwerden von Zeit, Sinnentleerung des Alltags, fatalistisches Verharren in „toter Zeit“.“ (Pierre Bourdieu,1977)

Im Zuge des Befreiungskrieges in Algerien wurden durch die französische Armee ganze Bevölkerungsgruppen in Sammellagern zusammengeführt. Hier sah Pierre Bourdieu zwei Typen von Wirtschaftssystemen mit völlig konträren Anforderungen zur Koexistenz, welche gewöhnlich durch einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren voneinander getrennt sind.


  • Einige Eigenschaften der vorkapitalistischen Ökonomie

Charakteristika vorkapitalistischer ökonomischer Praktiken finden ihren gemeinsamen Nenner darin, dass sie als ökonomische Verhaltensweisen angesehen werden, dennoch sind sie nicht als solche konstituiert und verselbstständigt, dass heißt sie werden noch nicht aus einer besonderen Ordnung stammend betrachtet.

„Die Logik des Gabentausches vereint sich mit der mythisch-rituellen Logik zu einem Verbot, ein Utensil leer zurückzugeben.“(Pierre Bourdieu,1977, 8f.)

Meistens sind beide Parteien daran interessiert ihren Handel nicht in aller Öffentlichkeit zu schließen. Der Ausleihende versucht seine Mittellosigkeit zu verdecken und der Besitzer spielt bei diesem Spiel mit um die Transaktion geheim zu halten, welche nicht ganz mit dem Gerechtigkeitssinn in Einklang steht. Solche Praktiken werden bedeutend unverhohlener praktiziert, wenn sich die Partner untereinander nicht kennen und deren Beziehung neutral und unpersönlich ist. Ein Prototyp für solch kriegerische ökonomische Praktiken sind Märkte, allerdings nicht so sehr Dorfmärkte, da sich hier die Leute untereinander kennen und schätzen. Durch die Transformation von landwirtschaftlichen zu handwerklichen Tätigkeiten, welche zuvor immer der landwirtschaftlichen Tätigkeit untergeordnet war, ging das gesamte System an Konventionen, welche mit der traditionellen Solidarität verbunden ist zugrunde. Jedem wurde ein Beruf zugeschrieben.


  • Die ökonomischen Bedingungen des Zugangs zu den ökonomischen Praktiken

„Der Eintritt in die urbane Lebenswelt und in die ökonomische Ökonomie erzwingt den Bruch, setzt eine tiefgehende Transformation der grundlegenden Verhaltensdispositionen voraus, welche die gesamte Beziehung zur ökonomischen Welt bestimmen.“(Pierre Bourdieu, 1977, 19)

Es ist eine Welt mit Wünschen und Bedürfnissen, welche untrennbar mit Regeln und ethischen Werten verwoben sind, diese Werte beziehungsweise Prinzipien, welche in der Sprache als Anerkennung, Schuld oder als Ehre zum Ausdruck kommen. Bourdieu versteht, dass Aneignung der modernen Ökonomie nicht nur in technischer Dimension beschränkt ist, welche aber zweifellos eine wichtige Bedeutung hat. Die ökonomischen und gesellschaftlichen Möglichkeitsbedingungen sind geprägt vom Akt des Kaufs oder des Sparens, welche einem aufgeklärten ökonomischen Urteil zugrunde liegen. Dieses heißt, aber nicht dass die ökonomischen und kulturellen Bedingungen des Zugangs zu jenem Verhalten gibt, welches voreilig für jedes menschliche Wesen als normal angesehene Verhalten ist oder noch schlimmer als natürlich erachtet wird.

Theoreme und Konzepte

Kapitalsorten

In seiner Laufbahn als Soziologe entwickelte er einige Theoreme und Konzepte. Zu diesen gehört auch das Kapital. Der Begriff des Kapitals bleibt nicht auf den engen Bereich der Ökonomie beschränkt. Neben dem ökonomischen Kapital, das unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar ist und zur Institutionalisierung in Form von Eigentumsrecht geeignet ist, existieren zahlreiche weitere Kapitalsorten. Die Macht und das Privileg soll in den unterschiedlichsten Ausprägungen und subtilsten Formen entlarvt werden, aber auch bei Bourdieu bleibt letztlich das ökonomische Feld dominant.

Die Aneignung von Kapital, durch einzelne oder mehreren Personen ist eine Aneignung von sozialer Energie. Da es ein akkumuliertes, vererbbares oder auf andere Weise übertragbares Kapital gibt, haben die Menschen unterschiedliche Möglichkeiten des Handelns. Die Unterscheidung der einzelnen Kapitalsorten hängt mit dem Feldbegriff zusammen, diese einzelnen Kapitalien bilden Abgrenzungsmöglichkeiten der Felder untereinander. Kapital verleiht Macht über ein Feld, genauer gesagt, über die Produktions- bzw. Reproduktionsmittel. Deren Verteilung macht die Struktur eines Feldes aus. Kapital bildet die Verfügungsmacht im Rahmen eines Feldes und der Überlebenstendenz, weil es die Passivität von Strukturen verstärkt. Es kann sich selbst reproduzieren, Gewinne abwerfen, wachsen. Daher ist es die Ursache dafür, dass nicht alles gleich möglich oder unmöglich ist.

Die verschiedenen Kapitalsorten sind mehr oder weniger gegenseitig frei austauschbar, weil Arbeit, Anstrengung und Mühe in jeder von ihnen materialisiert sind. Bourdieu verwendet die einzelnen Begriffe für Kapitalsorten nicht immer konsistent, er spricht auch manchmal von wissenschaftlichem, staatlichem, literarischem oder juristisch-wirtschaftlichem und technologischem Kapital. Die Kapitalsorten sind in 4 Abschnitte gliedert, in ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital, wobei das letztere ihm nicht allzu wichtig erscheint.


Ökonomisches Kapital

Zum ökonomischen Kapital zählen alle Formen des materiellen Besitzes, welche in Gesellschaften mittels Geld getauscht werden können. Das ökonomische Kapital ist das wichtigste Kapital und liegt allen anderen Kapitalsorten zugrunde, andererseits lassen sich die anderen Kapitalsorten nicht direkt auf das ökonomische Kapital zurückführen.

Kulturelles Kapital

Das kulturelle Kapital ist in drei Kristallisierungsformen gegliedert. Zum Ersten besteht kulturelles Kapital in seiner objektivierenden Form aus Büchern, Bildern, technischen Instrumenten, welches sich meist direkt in Geldbeträgen ausdrücken lässt und somit leicht ins ökonomische Kapital konvertieren.

„Übertragbar ist allerdings nur das juristische Eigentum. Dagegen ist dasjenige Merkmal, das die eigentliche Aneignung erst ermöglicht, nicht (notwendigerweise) übertragbar: nämlich die Verfügung über kulturelle Fähigkeiten, die den Genuss eines Gemäldes oder den Gebrauch einer Maschine erst ermöglichen …“ (Drei Formen 1979/2001, 117)

Das objektivierte kulturelle Kapital ist objektiviert nicht nur, weil es sachlich-materiell existiert, sondern auch, weil es das individuelle kulturelle Kapital übersteigt.

Zweitens im inkorporierten Zustand besteht kulturelles Kapital aus den kulturellen Fähigkeiten, Kenntnissen und Fertigkeiten eines Individuums, also jenes was in der deutschen Sprache Bildung bedeutet. In dieser Form ist kulturelles Kapital weder durch Geld zu erwerben noch direkt in Geld zu bewerten. Es wird durch persönliche Bildungsbemühungen erworben, niemand kann für jemanden anderen ein kulturelles Kapital erwerben. Durch die Gebundenheit an dieses Kapital enstehen einige Probleme, wie lässt sich diese an die Person gebundene Kapitalform kaufen, ohne die Person selbst zu kaufen? Hierzu kommt noch der Einfluss der Herkunft, das heißt, die Erziehung in der Familie und das Aufwachsen in einem bestimmten Milieu, welches entscheidend beiträgt, was für welche Fähigkeiten und Fertigkeiten wir im Laufe unseres Lebens erlernen, wie Akzente in der Sprache, Unsicherheiten im geselligen Umgang mit Mitmenschen. Aus dieser grundlegenden Einverleibung des kulturellen Kapitals in der Familie folgt, dass die Übertragung vom Kulturkapital die am Besten verschleierte Form erblicher Übertragung von Kapital ist.

Drittens tritt das kulturelle Kapital in Gestalt von Abschlusszeugnissen und Bildungstiteln auf. Die Legitimität spielt hier eine große Rolle. Bourdieu bezeichnet die Wirkung der Institutionalisierung des kulturellen Kapitals als Magie, die eine soziale Wirklichkeit hervorbringt. Prüfungen setzen Grenzen zwischen denen, die es geschafft haben und denen die durchgefallen sind.

Kulturelles Kapital ist also nicht immer und manchmal nur nach schwieriger Konvertierungsarbeit in Geld umzuwandeln. Hier verwendet Bourdieu oft den Begriff des Bildungskapitals und meint damit das Endergebnis von der durch Familie, andererseits durch die Schule gewährleisteter kultureller Vermittlung und deren kumulierenden Einflüsse. Es wird nur ein Teil des mitgebrachten kulturellen Kapitals in Bildungskapital umgewandelt, dies liegt daran, dass die Bildungseinrichtungen nicht für alle aus der Familie mitgebrachten Fähigkeiten und Kenntnisse zuständig sind. In den letzten Jahrzehnten ist die gesellschaftliche Bedeutung des Bildungssystem gewachsen und damit auch die Konkurrenz der Individuen innerhalb des Systems.

Soziales Kapital

Das soziale Kapital besteht aus Möglichkeiten, wie andere um Hilfe zu bitten. Das Substrat dieser Kapitalsorte ist das Netz der sozialen Beziehungen. (Freundeskreis, etc.) Dieses Kapital dient vor allem dazu, die Chancen der Erhaltung und der Vermehrung des ökonomischen und des kulturellen Kapitals zu sichern. Die gegenseitige Wertschätzung innerhalb dieser Vereinigungen, wie Mitgliedschaften in Gruppen, Organisationen, Berufsverbänden, Klubs, erhöhen die Chance, im Bedarfsfall Unterstützung zu erhalten oder durch den Hinweis auf die Mitgliedschaft zur Geltung bringen zu können. Zur Bildung und Aufrechterhaltung dieser Beziehung ist es einer zeitintensiven und aufwändigen Beziehungsarbeit.

Das soziale Kapital muss daher ständig erneuert, gehalten und bestätigt werden. In bestimmten Situation wird man sich das soziale Kapital als politisches Kapital vorstellen müssen, wie in etwa in kommunistischen Staaten, die eine Art von private Aneignung öffentlicher Gütern ist. Der Zusammenhang zwischen sozialen und ökonomischen Kapital, wo zu betonen ist, dass sich das soziale Kapital zwischen den Individuen gebunden ist und bleibt, wo man aber gewiss sein kann, dass diese einen erwünschten Vorteil erbringen. Insofern ist es viel weniger leicht handhabbar und abschätzbar als das ökonomische Kapital. Pierre Bourdieu verwendet diese Kapitalsorte in seinen Forschungsarbeiten nur sehr selten, meistens betrachtet er das Gesamtbild, dies heißt er betrachtet das ausgehende soziale Kapital einer Gruppe oder Organisation.


Symbolisches Kapital

Das symbolische Kapital besteht aus den Chancen, soziale Anerkennung und soziales Prestige zu gewinnen und zu erhalten, dazu gehört die Legitimierung des kulturellen Kapitals. In diesen Konzentrationsprozessen, die das symbolische Kapital monopolisieren, liegt bis heute die Macht des Staates begründet. Das symbolische Kapital ist einer der komplexesten Begriffe des Werks von Bourdieu. Dessen gesamte Forschungstätigkeit könnte als eine Suche nach den verschiedenen Formen und Effekten dieser Kapitalform verstanden werden.

Symbolische Macht entfaltet sich auf der Ebene von Sinn und Erkennen und muss wie jede Form vom "performativen Diskurs auf Besitz" von symbolischem Kapital gründen. Seinerseits hat das symbolische Kapital als Vorbedingung, dass es wahrgenommen und als legitim anerkannt wird. Es kann in den unterschiedlichsten Kapitalien in Vorschein treten.

“Die soziale Welt vergibt das seltenste Gut überhaupt: Anerkennung, Ansehen, das heißt ganz einfach Daseinsberechtigung. Die ist imstande, dem Leben Sinn zu verleihen, und, indem sie ihn zum höchsten Opfer weiht, selbst noch dem Tod. Weniges ist so ungleich und wohl nichts grausamer verteilt als das symbolische Kapital, das heißt die soziale Bedeutung und die Lebensberechtigung.“ (Meditationen 1997/2001, 309f.)

Den stigmatisierten Sozialgruppen (z. B. den Afroamerikaner in den USA) werden durch die Aberkennung vom symbolischen Kapital zugleich Lebenswert aberkannt.


Feld

Pierre Bourdieus Feldbegriff (Kräftefeld, sozialer Raum oder Handlungsraum) bildet das Gegenstück zum Habitus-Begriff. Das Feld setzt den Individuen Grenzen und gibt ihnen Möglichkeiten vor. En Feld ist ein Ensemble objektiver historischer Relation zwischen Positionen, die auf bestimmten Formen von Macht oder Kapital beruhen. Durch den Feldbegriff stellt Bourdieu die Relationen in den Mittelpunkt und verabschiedet sich von den Vorstellungen des Sozialen.

„Was in der sozialen Welt existiert, sind Relationen – nicht Interaktionen oder intersubjektive Beziehungen zwischen Akteuren, sondern objektive Relationen, die unabhängig vom Bewusstsein und Willen der Individuen bestehen, wie Marx gesagt hat.“(Reflexive Soziologie 1992/1996, 127)

Ein Feld ist nicht einfach ein Bereich der Gesellschaft, sondern es hat ihr gegenüber eigene Grenzen. Zu Reife gekommene Felder haben einen hohen Grad von Autonomie. In jedem Feld gelten andere Werte oder Spielregeln, in gewisser Weise gilt in jedem Feld eine eigene Ökonomie. Die Begriffe Kapital und Feld sind also eng aufeinander bezogen. Im wissenschaftlichen Feld geht es zum Beispiel um ein wissenschaftliches Kapital. Kapital existiert nicht ohne Feld. Das Feld ist das eigentliche Objekt der Sozialwissenschaften und nicht das Individuum. Der Begriff des Feldes fördert eine relationale Denkweise und soll den Unterschied zwischen Struktur und Geschichte einebnen.

Der soziale Raum besteht aus Feldern, aus historischen konstituierten Spielräumen mit spezifischen Institutionen und eigenen Funktionsgesetzen. Gespielt wird um die Wahrung oder Veränderung der Kräfteverhältnisse. Spiel ist damit tendenziell ein Synonym für Kampf. In einer ersten Annäherung können wir daher ein Feld als jenes Universum verstehen, wo Institutionen und Individuen um dieselbe Sache konkurrieren. Die Struktur eines Feldes ist durch die Verteilungsstruktur der besonderen Kapitalarten bestimmt, die im Feld aktiv sind. Die Verhältnisse zwischen den Feldern, etwa jenem der Kunst und jenem der Ökonomie, stehen nicht fest. Nicht einmal die allgemeinen Entwicklungstendenzen sind bekannt.

Ein spezielles Feld ist das Feld der Macht. Dies ist der Raum der Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen Kapitalsorten. Hier wird der relative Wert der verschiedenen „der Wechselkurs“ bestimmt. Das literarische Feld spielt eine spezifische Rolle im Feld der Macht. Die Intellektuellen sind eine beherrschte Fraktion der herrschenden Klasse. Ihre Aufgabe ist keine bewusste Absicherung der Klassenherrschaft, aber indem sie ihre eigenen Ziele verfolgen, leisten sie einen Beitrag zur Herrschaftserhaltung.

Schließlich ergibt sich folgender "hermeneutischer Zirkel": um das Feld zusammenszusetzen zu können, muss man die Formen des spezifischen Kapitals bestimmen, die in ihm wirksam sind und dafür muss man wiederum die Denklehre des Feldes kennen. Eine Analyse in Feldbegriffen hat also drei notwendige Momente. Erstens die Verteilungsstruktur der im Feld relevanten Kapitalsorten, welche die Struktur des Feldes bestimmt, zweitens die objektive Struktur der Relationen zwischen den Positionen der im Feld konkurrierenden Momente und drittens der Habitus der handelnden Personen.

In einer Hinsicht verwendet Bourdieu den Feldbegriff nicht ganz systematisch. Er kennt neben den genannten Feldern noch ein Feld der Macht, welches in die anderen Feldern hineinreicht. Das Verhältnis von Feld und Habitus klärt Bourdieu nicht in jeder Hinsicht. Einerseits können Menschen einen passenden oder unpassenden Habitus ins Feld mitbringen, der Habitus existiert also in gewisser Weise unabhängig von dem Feld, indem sein träger sich bewegt, andererseits wird der Habitus immer in Bezug auf ein bestimmtes Feld erworben, entsteht also im und durch ein Feld.

Bourdieu stellt seinen Feldbegriff als neue konzeptuelle Lösung vor. Seine große Hoffnung ist für die Sozialwissenschaft, dass der Begriff Gesellschaft unnötig wird und die Trennung zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaft überwunden werden kann.


Habitus

In seinen Theoremen und Konzepten ist der Habitus bei Bourdieu das „Kernstück“ seiner Soziologie, welches in seiner Bedeutung ein vielseitiges und leicht variierendes Konzept ist. Wissenschaftlichtheoretische und anthropologische Grundsatzannahmen treffen bei dem Versuch zusammen, die soziologische Relevanz des Denkens und Tuns der Individuen zu fassen.

Der Habitusbegriff soll darauf hinweisen, dass unserem Handeln öfter der praktische Sinn zugrunde liegt. Der Habitus schließt den Ethos mit ein. Mit dem Begriff Habitus ist gemeint, die Lebensweise, die Dispositionen, die Haltung des Individuums in der sozialen Welt, die Einstellungen und die Wertvorstellungen im weiteren Sinne. Das Individuum bewegt sich in der sozialen Welt nicht als selbstständiger Kalkulator der eigenen Lebensführung, es folgt den Regeln oder Normen der Gesellschaft. Das Individuum ist im Inneren auch vergesellschaftlicht.

„Das Habitus-Konzept bedeutet nichts anderes als einen Paradigmenwechsel im sozial-wissenschaftlichen Denken, nämlich die Abkehr von einer Vorstellung vom sozialen Handeln, die dieses als Resultat bewusster Entscheidungen bzw. als das Befolgen von Regeln begreift.“ (Krais/Gebauer 2002,5)

Der Habitus ist keine allgemeine Fähigkeit der Menschen zur Teilhabe an der Sozialität, sondern eine immer schon an eine spezifische Soziallage gebundenen. Er ist von vornherein Ausdruck und Ergebnis der Konstellation der Großgruppen im Raum der sozialen Differenzen. Insofern spiegelt er die soziale Differenzen.

Der Habitus hat eine Funktion wie das transzendentale Bewusstsein. Es ist der strukturierte Körper, der sich die Strukturen eines bestimmten Feldes einverleibt und die Wahrnehmung und das Handeln strukturiert. Handlungen sind zwar nach einen Zweck gerichtet aber nicht bewusst.



Werke

Hauptwerk:

  • Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1982. ISBN 3-51828-258-1 (französ. La distinction. Critique sociale du jugement. Paris 1979).

Weitere Werke:

  • Titel und Stelle. Über die Reproduktion sozialer Macht. Mitautoren: Luc Boltanski, Monique de Saint Martin, Pascale Maldidier. (französ. 1971), 1978. ISBN 3-43400-496-3
  • Entwurf einer Theorie der Praxis als Grundlage der kabylischen Gesellschaft., Frankfurt a.M. Suhrkamp 1979. ISBN 3-51827-891-6 (französ. 1972)
  • Bourdieu, Pierre; Passeron, Jean-Claude: Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt. *Kulturelle Reproduktion und soziale Reproduktion. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973.
  • Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt a.M. 1998. ISBN 3-51811-985-0
  • Der Einzige und sein Eigenheim., Hamburg 2002. ISBN 3-87975-862-X
  • Über das Fernsehen. (französ. 1996), Frankfurt a.M. 1998. ISBN 3-51812-054-9
  • Schwierige Interdisziplinarität : zum Verhältnis von Soziologie und Geschichtswissenschaft. Münster 2004. ISBN 3-89691-573-8
  • Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. (französ. 1980), Frankfurt a. M. 1987. ISBN 3-51828-666-8
  • Homo Academicus. (französ. 1984), Frankfurt a. M. 1988. ISBN 3-51828-602-1
  • Was heißt sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches (französ. 1987), Hg. Georg Kremnitz, Wien 1990.
  • Die verborgenen Mechnismen der Macht. Schriften zu Politik und Kultur 3, Bd. 1, Hrsg. v. Margareta Steinrücke, Hamburg: VSA 1992. ISBN 3-87975-605-8
  • Soziologische Fragen. Frankfurt a. M. 1994. ISBN 3-51811-872-2
  • Reflexive Anthropologie. Mitautor: Loïc D. Wacquant. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996.
  • Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt a. M. 2000. ISBN 3-51827-707-3
  • Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001. ISBN 3-51829-295-1
  • Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft. (französ. 1993), Konstanz 1997. ISBN 3-87940-568-9, - cultural studies zum Neoliberalismus
  • Perspektiven des Protestes. Initiativen für einen europäischen Wohlfahrtsstaat. Hamburg 1997.
  • Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion. UVK, Konstanz 1998. ISBN 3-89669-903-2
  • Gegenfeuer 2. Für eine europäische soziale Bewegung. UVK, Konstanz 2001. (Raisons d'agir, 7) ISBN 3-89669-997-0
  • Neue Wege der Regulierung. Vom Terror der Ökonomie zum Primat der Politik. Hamburg 2001.
  • Ein soziologischer Selbstversuch. Frankfurt a. M. 2002. ISBN 3-51812-311-4
  • Der Staatsadel. Konstanz 2004. ISBN 3-8969-807-9 (postum)
  • Die männliche Herrschaft (französ. 1998), Frankfurt a. M. 2005. ISBN 3-51841-144-6
  • Die Durchsetzung des amerikanischen Modells und die Folgen, in: Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Hrsg.): Europa des Kapitals oder Europa der Arbeit?, Perspektiven sozialer Gerechtigkeit (Kritische Interventionen 4), Offizin Verlag, Hannover 2000. ISBN 3-930345-22-6
  • Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik. Hamburg: VSA 2001
  • Sozialer Raum und "Klassen". Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen. Frankfurt a.M. : Suhrkamp 1985.
  • Rede und Antwort. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (französisch 1987)
  • Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes. Konstanz: UVK 1998 (französisch 1997).
  • Bourdieu, Pierre; Passeron, Jean-Claude: Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs. Stuttgart: Klett 1971. (französisch: Les héritiers. Les étudiants et la culture. Paris 1964).

Literatur

  • Bourdieu, Pierre:Die zwei Gesichter der Arbeit: Interdependenzen von Zeit-und Wirtschaftsstrukturen am Beispiel einer Ethnologie der algerischen Übergangsgesellschaft / Pierre Bourdieu. - Konstanz: UVK, Univ.-Verl. Konstanz, 2000


  • Fuchs-Heinritz, Werner / König, Alexandra: Pierre Bourdieu: Eine Einführung. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2005