Philosophie und Logik (K&L)

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Philosophie und Logik

Nach einem Text von G. H. R. Parkinson

Referat von Gerhard Leicht


IV. Mögliche Welten:

Die Frage nach Möglichkeit oder Notwendigkeit der existierenden Welt bilden den zentralen Punkt in der Auseinandersetzung zwischen Leibniz und Spinoza. Spinoza verfolgt die These: Alles was möglich ist existiert, darüber hinaus gibt es nichts und alles was geschieht, geschieht notwendigerweise. Leibniz stellt dagegen die These auf, daß es unerfüllte Möglichkeiten gibt. Leibniz nennt sie "mögliche Universen" oder "mögliche Welten" von denen es unendliche viele gibt (Monadologie § 53-55). Aber nur ein einziges dieser Universen wurde von Gott erschaffen und kann existieren, nämlich das bestmögliche (Prinzip des Bestmöglichen als Spezialfall des Prinzips vom Grunde). Das bildet den Kern der Schrift: Theodizee, die von Voltaire verspottet und von den christlichen Theologen abgelehnt wurde.

Parkinson untersucht was Leibniz unter dem Begriff "mögliche Welt" versteht. Er meint, das lasse sich aus den Texten klar herauslesen, weil L selbst eine Definition gibt: Zitat aus der Theodizee: "Ein Universum ist: die gesamte Abfolge und gesamte Ansammlung aller existierender Dinge". Also alle Dinge, die je gewesen sind und sein werden in ihrer Wechselwirkung. Möglich ist dabei alles, was im Begriff der Dinge keinen logischen Widerspruch enthält. Aber existieren kann nur ein einziges, wie die Monadenlehre klar aussagt (Monadologie § 53). David Lewis argumentiert anders: Er meint, der Begriff "mögliche Welt" ist nicht nur ein begriffliches Werkzeug, sondern solchen möglichen Welten muß man zugestehen, daß sie wirklich existieren. Er beruft sich dabei auf Textstellen von Leibniz, die eine solche Ansicht nahelegen. Z. B. "Es ist mein Prinzip, daß das, was existieren kann und mit dem übrigen verträglich ist, existiert" (Philosophische Schriften 1676. In: Poser S.75); oder: "Alle Dinge, die möglich sind.....neigen mit gleichem Recht zur Existenz in Proportion zu....dem Grad der Vollkommenheit (perfectio) der ihnen zukommt." (On the Ultimate Origination of Things 1697. In: Parkinson S. 214). (Prinzip des Strebens nach Existenz). Parkinson fragt nun, ob solche Passagen nun metaphorisch zu verstehen sind, oder ob ein Widerspruch in der Lehre L's vorliegt und kommt zur Antwort: Es ist metaphorisch zu verstehen. Die möglichen Welten liegen eindeutig nur als Ideen im Verstand Gottes vor. Sie sind eine Kette von möglichen und zueinander verträglichen Begriffen einer Zahl von Substanzen. Sie haben daher nur eine ideelle, begriffliche Existenz. Der Begriff "Verträglichkeit" oder "Kompossibilität" taucht hier auf (L verwendet auch die Ausdrücke: combinabilis, Fähigkeit zur Vereinigung, oder compatibilis, Verträglichkeit). Eine Welt wird erst dann möglich, wenn sich die Dinge und Sequenzen in ihr gegenseitig vertragen. Das bedeutet, daß Möglichkeiten nicht isoliert voneinander betrachten werden dürfen, sondern in ihrer Verträglichkeit zueinander. Sind mögliche Sequenzen und Dinge nicht verträglich zu anderen, so scheiden sie aus. Die Kopossibilität oder das Prinzip der Verträglichkeit wird als Modalisator von Leibniz eingeführt und hat eine verknüpfende, übergeordnete Funktion (Brief von L an Louis Bourguet 1717). Kompossibilität bildet eine Brücke. Sie verbindet die rein logischen mit den ontologischen Modalitäten, anders gesagt die Brücke von einer rein abstrakt logischen Betrachtung zu einer Betrachtung von real möglichen Welten. Denn es genügt nicht, nur die rein formallogischen Unverträglichkeiten festzustellen, sondern es muß auch die inhaltliche Möglichkeit berücksichtigt werden. Z. B: könnten in einer anderen Welt andere Naturgesetze gelten, eine Idee, mit der auch L gespielt hat. Aber eine Welt in der es keine zusammenziehenden Kräfte (Schwerkraft) oder in der es keine Kontinuität gäbe ist nicht denkbar. Logisch mögliche, weil keinen Widerspruch enthaltende, aber sonst chaotische Welten schließt L von vornherein aus, weil sie nicht einem weiteren Prinzip, nämlich dem der maximalen Ordnung entsprechen würden.

Interessant hierzu ist die Meinung von Bertrand Russel, der von sich selbst sagt, ein Leibnizkenner zu sein. Er hat in der ersten Hälfte des 20. Jh. darauf hingewiesen (Z. B. Philosophie des Abendlandes 1950), daß es 2 Leibnize gibt: den offiziellen, der verschiedene Schriften veröffentlicht hat in der Absicht populär zu werden, als Hauptwerk z. B. ist die Theodizee der Königin von Preußen Charlotte gewidmet und die Monadologie ist eine Gelegenheitsschrift für den philosophisch interessierten Kreis um den französischen Adeligen Remond. Gott spielt in ihnen die zentrale Rolle, was unter den damals herrschenden historischen Bedingungen für jemand, der populär werden wollte, gar nicht anders denkbar gewesen wäre. Wie Russel meint gibt es daneben den inoffiziellen Leibniz, der nur in Notizen und in den regen Briefwechseln mit Freunden sichtbar wird. Diese Schriften, wie die vorher erwähnten, haben erst die Leibnizforschung zu Tage gebracht. In ihnen ist von Gott kaum die Rede und sie skizzieren eine Welt, die sich rein logisch aus Prinzipien ergibt und dem Pantheismus Spinozas, der damals verpönt war, nahekommt. Er meint, dieser inoffizielle Leibniz sei viel interessanter als der offizielle. Seine zu seiner Zeit geheim gehaltenen Denkansätze können heute noch fruchtbar sein und z. B einer modernen Logik und einer modernen Monadologie zugrunde liegen.

Die Bedeutung der Namen in möglichen Welten am Beispiel des Adam:

Leibniz wählt in seinen Überlegungen zu möglichen Welten als Beispiel Adam, den ersten Menschen, dessen Entscheidung die verbotene Frucht zu essen den Weltenlauf entscheidend verändert hat. Es gab einen regen Briefwechsel mit Arnauld. Dieser kritisierte die Denkmöglichkeit, daß es viele verschiedene Adams geben könnte. Er argumentiert mit dem "Ich". Adam war ein "Ich" und es ist unvorstellbar, daß es verschiedene Ichs geben könnte, die voneinander verschieden sind, weil das ein offensichtlicher Widerspruch sei. Leibniz antwortet, es stimmt, wenn man Adam als Begriff einer individuellen Substanz auffaßt, so kann es nur einen Adam geben. Er aber meine einen vagen, verschwommenen, nicht kompletten Adam und erläutert das so: Wenn wir an Adam denken, so denken wir den Begriff mit einer Reihe von konkreten Prädikaten, z. B der erste Mensch, lebt im Garten Eden, Eva entstand aus seiner Rippe, seine Söhne heißen Kain und Abel usw. Wenn man bei jedem Prädikat, das Adam zukommt, die Individualität wegläßt also die Namen wie Eva, Eden, Kain und Abel usw. und nur allgemeines aussagt, so entsteht eben dieser vage Adam, von dem es unendlich viele geben könnte. Alle anderen Adams sind nur Annäherungen an den real gelebt habenden. Ein weiteres Beispiel aus der Theodizee ist die reale Person des Sextus Tarquinius, der Lucretia vergewaltigt hat. Es gibt nun vielerlei Annäherungen an diese Person, denen gemeinsam ist, daß sie diese Tat nicht begangen haben. David Lewis spricht in diesem Zusammenhang von je einem "Gegenstück" (counterpart) der realen Person mit der, wie Parkinson meint, paradoxen Konsequenz, daß die Identität einer Person über unzählige Welten hinweg bewahrt bleibt. Das ist auch die Position von Saul Kripke, der diese These kraftvoll verteidigt hat (Trans-World Identity). Parkinson meint, L würde das zurückweisen. Es gibt nach Leibniz nur einen vollständigen Begriff einer Individualität, alle andern Möglichkeiten sind nur fiktive Annäherungen an diesen. Der komplette Begriff von Adam ist gebunden an eine bestimmte mögliche Welt, in der der Begriff ein Bestandteil (member) ist.


V. Kontingenz, hypothetische Notwendigkeit und Freiheit

Parkinson macht aufmerksam auf die in der Philosophiegeschichte bisher nicht verwendete Art, wie Leibniz die kontingente Wahrheit behandelt. Bisher wurde zwischen Notwendigkeit und Kontingenz unterschieden. Kontingent bedeutet im Sinne von Aristoteles etwas, das nicht notwendig ist, aber auch nicht unmöglich, im weitesten Sinn also beliebig oder zufällig. Leibniz würde den Begriff "zufällig" aber strikt zurückweisen. Für ihn haben alle Tatsachenwahrheiten einen Grund, den man durch Analyse finden kann soweit es dem endlichen menschlichen Verstand möglich ist. In letzter Konsequenz liegt der letzte Grund im Verstand Gottes. (Diese Argumentation dient Leibniz auch als einer der Gottesbeweise). Weil Gott die beste aller Welten eingerichtet hat, erhalten auch kontingente Wahrheiten für die real existierende Welt Notwendigkeit. Allerdings könnten solche Wahrheiten in einer gedachten anderen Welt auch anders sein. Leibniz nennt sie daher "hypothetische Notwendigkeiten" um diese Art der Notwendigkeit von der "absoluten" oder wie er auch schreibt "metaphysischen" Notwendigkeit zu unterscheiden. Das sind die Vernunftwahrheiten, z. B. die Sätze der Mathematik und der Logik, die in allen möglichen Welten wahr sein müssen. Innerhalb der kontingenten Wahrheiten, die sich nun als hypothetische Notwendigkeiten herausstellen, unterscheidet L noch die Physikalischen, die in der Form von Naturgesetzen auftreten und die moralischen Notwendigkeiten. Z. B. ist die Wahl Gottes, die Beste aller Welten zu wählen eine moralisch hypothetische Notwendigkeit.

Der Gedanke Notwendigkeit als Hypothese taucht schon bei Aristoteles auf (Physik II 9). Aristoteles bringt als Beispiel eine Säge und er fragt: Was macht eine Säge zu dem was sie ist? Nicht allein die Form genügt, sondern um die Funktion zu erfüllen muß sie aus Stahl sein, nicht etwa aus Holz. Eine hölzerne Säge würde nichts taugen, obwohl sie so denkbar wäre. Das nennt Aristoteles hypothetische Notwendigkeit.

Die Einführung der hypothetischen Notwendigkeit kollidiert scheinbar mit der Freiheit der Willensentscheidung, die Leibniz als wichtigen Bestandteil seiner Metaphysik ansieht. Ein Großteil seiner Schriften dient der Rechtfertigung der Freiheit. Das Problem der Freiheit wird im vorliegenden Artikel von Parkinson nur angeschnitten und nicht ausführlich diskutiert.

Das Konzept der hypothetischen Notwendigkeit führt zu einer Aussage Leibniz' : Der momentane Zustand der Welt ist nicht absolut notwendig so wie er ist, sondern er ist kontingent, jedoch mit hypothetischer Notwendigkeit so. Die logische Form ist nur die, daß es einen vorherigen kontingenten Zustand gegeben hat und daß einer neuer, wieder kontingenter Zustand darauf folgt. Die hypothetische Notwendigkeit dieser kontingenten Zustände ergibt sich aus dem Prinzip der Wahl des Bestmöglichen durch Gott oder die Geschöpfe mit Perzeption und Apperzeption. Gottes freier Wille ist nicht so zu verstehen, daß er willkürlich handelt, sondern seiner Wahl geht die Überlegung der Gründe voraus, die zum bestmöglichen Zustand führen. Das bedeutet, freien Willen gibt es überhaupt nicht. Ein solcher wäre reine Willkür oder Indifferenz und der Freiheit geradezu entgegengesetzt. Jeder Handlung gehen Gründe voraus, die nur im Verstand, also ideell bestehen und auf einer Überlegung verschiedener, möglicher Weltzustände beruht. Das trifft auf Gott zu und in eingeschränkter Weise auch auf alle Geschöpfe, die agieren können je nach dem Grad ihrer Erkenntnisfähigkeit. In verkürzter Form kann man sagen, jeder Handlung von Gott oder den Geschöpfen geht die Frage voraus: "Was ist besser?" (mit dem Paradox, daß wir als Menschen zwar nicht genau wissen was gut ist, aber trotzdem können wir entscheiden was uns besser erscheint).

Die Gründe oder Motive für die Entscheidung etwas so oder so zu machen, sind nicht gleichgewichtig. Es gibt immer einen vorherrschenden oder stärksten Grund der den Ausschlag für die Entscheidung gibt. Leibniz formuliert dies häufig, z. B. in einen Brief an Clarke, mit der Neigung etwas zu tun, ohne daß dieses notwendig so sein muß (incline without nessesitate). Das ist nur eine andere Formulierung einer hypothetische Notwendigkeit. (Beispiel Streikbeschluß und die Entscheidung mitzuwirken oder abzulehnen).

Im gesamten der Philosophie Leibniz' könnte der Eindruck entstehen, daß das Weltgeschehen durch Gott prädeterminiert ist. Leibniz meint das keineswegs so und er begegnet dem in langen Ausführungen. Auf eine Kurzformel gebracht lautet die Argumentation etwa so: Gott hat den Weltenlauf nicht vorherbestimmt, sondern ihn nur vorhergesehen und die unendlich vielen möglichen Handlungen der Geschöpfe in seinen Weltenplan einbezogen, was eben in die von Leibniz angenommene prästabilierte Harmonie führt.

Die Sicht von Freiheit bei Leibniz wurde vielfach kritisiert. Ein von Parkinson angeführter Kritiker ist z. B. Stuart Hamshire. Er kritisiert die rein logisch möglichen Implikationen im Freiheitsbegriff von Leibniz. Er fordert statt Möglichkeiten, die bloß keinen Widerspruch enthalten und nur im Geiste bestehen, reale, wirkliche ("actually") Möglichkeiten. Anhand eines Beispieles erläutert er seine Kritik: Ein Einbrecher fesselt den Hausherrn und raubt das Haus aus. Er meint niemand würde annehmen, daß dieser Mann frei war, den Raub zu verhindern. Nach rein logischer Modalität hätte er das tun können, in dem er sich in eine andere Welt hineindenkt, aber in der praktischen Wirklichkeit der realen Welt nicht. Er vermißt bei Leibniz die Verbindung zur Praxis. Dieser Einwand dürfte jedoch nicht zutreffend sein. Denn wie wir bereits gesehen haben, legt Leibniz größten Wert auf die Verbindung von logischen und ontologischen Möglichkeiten.

Parkinson steht auf der Seite von Leibniz. Er weist auf die Äußerungen Leibniz' hin, in denen er zum Ausdruck bringt, daß zur Freiheit neben der modalen Möglichkeit auch die Spontaneität, das heißt die Fähigkeit zu einer Handlung gehört. Leibniz betont, daß ein frei Handelnder nicht gezwungen ist ein Spielball externer Kräfte zu sein. Aber Spontaneität allein reicht nicht aus, wie er in einem Beispiel erläutert: Eine Kugel rollt spontan eine schiefe Ebene geradlinig hinab, wenn sie nicht behindert wird. Dennoch ist sie nicht frei, denn es fehlt ihr die Wahlmöglichkeit.

Parkinson schließt den Artikel in dem er feststellt, daß Leibniz für die zufriedenstellende Verteidigung des Freiheitsbegriffs mehr tun muß als rein logische Unterscheidungen zwischen 2 Arten von Notwendigkeiten zu treffen. Ob das Leibniz in seinen Schriften tatsächlich gelungen ist, wird unterschiedlich aufgefaßt. Z. B. ist der Begriff der Spontaneität nicht näher erläutert, wo kommt sie her und wie kann sie Physisches bewirken? Scheinbar verbirgt sich hinter diesem Begriff das psycho-physische Problem, das schon Descartes nicht lösen konnte.