Philosophie und (Sozial-) Wissenschaft: Unterschied zwischen den Versionen

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K (Soziologische Geschichte der Philosophie: Was hat die Philosophie der Psychologie mit Macht zu tun?)
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Als erstes „praktisches Beispiel“ zum Forschungsgebiet von Prof. Martin Kusch, steht die Denkpsychologie, bzw. Denkphilosophie zu Beginn des 20. Jh, im speziellen der Kontroverse zwischen der „Leibziger Auffassung“ von Wilhelm Wundt und der „Würzburger“ um Oswald Külpe und Karl Bühler.  
 
Als erstes „praktisches Beispiel“ zum Forschungsgebiet von Prof. Martin Kusch, steht die Denkpsychologie, bzw. Denkphilosophie zu Beginn des 20. Jh, im speziellen der Kontroverse zwischen der „Leibziger Auffassung“ von Wilhelm Wundt und der „Würzburger“ um Oswald Külpe und Karl Bühler.  
Wilhelm Wundt stellte eine Struktur des menschlichen Bewusstseins auf, die auf folgender Klassifikation beruht: Es gibt drei primitive Bewusstseinselemente: Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle, die Wahrnehmung, Erinnerungs- oder Phantasiebilder und Gefühle auf der zentralen Achse von Lust und Unlust einschließen. Gedanken allerdings bauen auf diesem Fundament auf und sind komplizierte Kombinationen dieser Elemente, die durch Willensakte erzeugt werden. GRAFIK Die Gedanken sind nun das eigentlich wertvolle im menschlichen Geist, während die primitiven Elemente zwar vorhanden sein müssen, aber nicht in gleicher Weise bedeutsam sind. Diese strenge, hierarchische Struktur wird grafisch in der Pyramide ausgedrückt. Die Gedanken stehen über der Masse der primitiven Bewusstseinselemente. Die Rolle des Willens ist hervorgehoben, da es ohne ihn gar keine Gedanken geben kann.
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Wilhelm Wundt stellte eine Struktur des menschlichen Bewusstseins auf, die auf folgender Klassifikation beruht: Es gibt drei primitive Bewusstseinselemente: Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle, die Wahrnehmung, Erinnerungs- oder Phantasiebilder und Gefühle auf der zentralen Achse von Lust und Unlust einschließen. Gedanken allerdings bauen auf diesem Fundament auf und sind komplizierte Kombinationen dieser Elemente, die durch Willensakte erzeugt werden. Die Gedanken sind nun das eigentlich wertvolle im menschlichen Geist, während die primitiven Elemente zwar vorhanden sein müssen, aber nicht in gleicher Weise bedeutsam sind. Diese strenge, hierarchische Struktur wird grafisch in einer Pyramide ausgedrückt. Die Gedanken stehen über der Masse der primitiven Bewusstseinselemente. Die Rolle des Willens ist hervorgehoben, da es ohne ihn gar keine Gedanken geben kann.
 
Der „Leibziger Auffassung“ steht nun ein antihierarchisches Modell gegenüber, das in Würzburg vor allem von Oswald Külpe und Karl Bühler vertreten wurde. Der Geist besteht nicht aus drei, sondern aus vier Grundelemente, denn die Gedanken sind selbst genauso primitiv und nicht weiter analysierbar, wie Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle. Es besteht somit keine Notwendigkeit, den Aufbau von Gedanken theoretisch zu begründen.  
 
Der „Leibziger Auffassung“ steht nun ein antihierarchisches Modell gegenüber, das in Würzburg vor allem von Oswald Külpe und Karl Bühler vertreten wurde. Der Geist besteht nicht aus drei, sondern aus vier Grundelemente, denn die Gedanken sind selbst genauso primitiv und nicht weiter analysierbar, wie Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle. Es besteht somit keine Notwendigkeit, den Aufbau von Gedanken theoretisch zu begründen.  
 
Zu dieser Meinungsverschiedenheit gab es eine große öffentliche Resonanz, die nicht nur Psychologen oder Philosophen, sonder z.B. auch Theologen, Rechtswissenschaftler beinhaltete.
 
Zu dieser Meinungsverschiedenheit gab es eine große öffentliche Resonanz, die nicht nur Psychologen oder Philosophen, sonder z.B. auch Theologen, Rechtswissenschaftler beinhaltete.

Version vom 2. November 2009, 14:33 Uhr

Einleitung

Martin Kusch ist erst seit 1. August d.J. Professor für angewandte Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie an unserem Institut. Zu Beginn erzählte er über seinen eigenen philosophischen Werdegang, um zwei grundlegende Fragen zu beantworten, die er sich auch selbst als Studienanfänger gestellt hat: 1. Wie kommen die PhilosophInnen zu ihren Fragestellungen? Und 2. Wie wird man eigentlich PhilosophIn? Danach gab er in drei Blöcken kurze Einblicke in seine Forschungsarbeit. Obwohl es sich auf den ersten Blick um völlig verschiedene Gebiete handelte, bestand ihr Zusammenhang doch in einer zentralen Fragestellung: Wie kann das Soziale im Zusammenhang mit Philosophie verstanden werden? In den drei inhaltlichen Vorlesungsteilen wurden folgende Möglichkeiten davon behandelt:

a) Das Soziale im politischen Sinn als Teil der Philosophiegeschichte b) Das Soziale im Diskurs über das Wissen und der Bedeutung von anderen für dieses Wissen c) Das Soziale als der Prozess des Verhandelns und Neuverhandelns von Bedeutungen und Klassifikationen in der Wissenschaft.


Zur philosophischen Biografie von Prof. Martin Kusch

Zu Beginn standen zwei Interessen im Zentrum: Einerseits war dies der Marxismus, der die Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen zwischen Klassen, die sich durch ihre verschiedenen Positionen im Produktionsprozess definieren, versteht, und andererseits die Psychoanalyse, die das menschliche Verhalten durch unsere Triebe, allen voran dem sexuellen Trieb, zu erklären versucht. Nachdem Kusch sich eine reale Form der klassenlosen Gesellschaft in einem israelischen Kibbutz angesehen hatte, begann er 1979 sein Studium in Berlin (West), wo zur selben Zeit Ernst Tugendhat seine Lehrtätigkeit dort begann. Für Tugendhat war das große Thema damals die sprachanalytische Philosophie, in der durch Analyse Fragestellungen aufgeworfen, wie: „Was ist eigentlich ein Satz?“ oder „Wie können wir uns mit Sätzen auf die Welt beziehen?“ Die Philosophie sollte dabei neu überdacht werden, wobei die neue Grundlage in der Sprache zu suchen bestehen sollte. Wichtige Namen in diesem Zusammenhang sind: Ludwig Wittgenstein und für die sprachanalytische Betrachtung von Moralphilosophie Georg Henrik von Wright. Ab 1981 setzt Kusch sein Studium in Finnland fort, wo vor allem die Klassiker (Kant, Hegel, Aristoteles, Platon) gelehrt wurden. Um den Kontakt zur gegenwärtigen Philosophie weiter aufrecht zu erhalten, begann er das zu dieser Zeit neu erschiene Buch „Theorie des kommunikativen Handelns“ von Jürgen Habermas zu lesen. Hier verbinden sich Marxismus und Soziologie als Hintergrund mit Psychoanalyse und schließlich der Sprachanalyse. 1998 schrieb er seine Dissertation zur Sprachphilosophie von Husserl und Heidegger, obwohl ihn das nicht sonderlich interessierte. Das eigentlich wichtig war die „Lehre“ bei seinem Doktorvater Jaakko Hintikka, dem wichtigsten finnischen Philosophen und Logiker. Als Lehrstuhlvertreter an der Universität von Oulu, beschäftigte er sich erstmals – auf Wunsch der Studierenden – mit Michel Foucault und der französischen Wissenschaftsgeschichte. Kusch bezeichnet dies als „die Wende“ in seiner Forschungsbiografie, durch die er endlich zu seinem Thema fand. Denn Foucault sucht den Zusammenhang von wissenschaftlichen Wissen und Macht, bzw. Kontrolle, wobei Gebiete wie Psychiatrie, Psychoanalyse oder die Polizeiwissenschaft im 19. Jh. untersucht werden. Da in diesen Feldern die politische Funktion bereits von vornherein offensichtlich ist, war Kusch unzufrieden und suchte seitdem eben jene Zusammenhänge in anderen Disziplinen, wie der experimentellen Psychologie, der Mathematik oder der Statistik. Als Lehrstuhlinhaber in Edinburgh, das damals das Zentrum der Wissenschaftssoziologie war, kam es zum Kontakt mit David Bloor, Collins und Steve Shapin. Sie waren der Meinung, Philosophie würde durch die Wissenschaftssoziologie ersetzt werden. Da Martin Kusch philosophisch argumentieren musste, um die Wissenschaftssoziologie zu verteidigen, kehrte er schließlich wieder stärker zu Philosophie zurück. Das zentrale Thema seither (in Cambridge und Wien) ist das Soziale und Politische in der Philosophie, und zwar in den Bereichen, wo es nicht selbstverständlich ist, wie z.B. in der Erkenntnistheorie oder der Sprachphilosophie.


Soziologische Geschichte der Philosophie: Was hat die Philosophie der Psychologie mit Macht zu tun?

Als erstes „praktisches Beispiel“ zum Forschungsgebiet von Prof. Martin Kusch, steht die Denkpsychologie, bzw. Denkphilosophie zu Beginn des 20. Jh, im speziellen der Kontroverse zwischen der „Leibziger Auffassung“ von Wilhelm Wundt und der „Würzburger“ um Oswald Külpe und Karl Bühler. Wilhelm Wundt stellte eine Struktur des menschlichen Bewusstseins auf, die auf folgender Klassifikation beruht: Es gibt drei primitive Bewusstseinselemente: Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle, die Wahrnehmung, Erinnerungs- oder Phantasiebilder und Gefühle auf der zentralen Achse von Lust und Unlust einschließen. Gedanken allerdings bauen auf diesem Fundament auf und sind komplizierte Kombinationen dieser Elemente, die durch Willensakte erzeugt werden. Die Gedanken sind nun das eigentlich wertvolle im menschlichen Geist, während die primitiven Elemente zwar vorhanden sein müssen, aber nicht in gleicher Weise bedeutsam sind. Diese strenge, hierarchische Struktur wird grafisch in einer Pyramide ausgedrückt. Die Gedanken stehen über der Masse der primitiven Bewusstseinselemente. Die Rolle des Willens ist hervorgehoben, da es ohne ihn gar keine Gedanken geben kann. Der „Leibziger Auffassung“ steht nun ein antihierarchisches Modell gegenüber, das in Würzburg vor allem von Oswald Külpe und Karl Bühler vertreten wurde. Der Geist besteht nicht aus drei, sondern aus vier Grundelemente, denn die Gedanken sind selbst genauso primitiv und nicht weiter analysierbar, wie Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle. Es besteht somit keine Notwendigkeit, den Aufbau von Gedanken theoretisch zu begründen. Zu dieser Meinungsverschiedenheit gab es eine große öffentliche Resonanz, die nicht nur Psychologen oder Philosophen, sonder z.B. auch Theologen, Rechtswissenschaftler beinhaltete.


Durch eine soziologische Analyse können nun drei politische Dimensionen aus dieser Denkauffassung und dem darum entstandenen Disput herausgelesen werden:

1) Für Wundt ist die hierarchische Struktur des Bewusstseins nun gleichzusetzen mit der Struktur des Faches Psychologie. Die experimentelle Psychologie, stellvertretend für das Individuum steht nun der Psychologie des „ethnisch homogenen Volkes“, gegenüber. Wobei die „Völkerpsychologie“ den Platz der Gedanken an der Spitze der Pyramide einnimmt, denn die komplizierten Gedanken können laut Wundt nur auf der Ebene des Kollektivs untersucht werden, was durch die Analyse von Sprache und Sitte geschieht. Das Volk steht weit über dem Individuum, dessen moralische Pflicht es ist, sich für den viel wertvolleren Staat (auch mit dem Leben) zu opfern. Auch an Wundts Institut in Leibzig ist diese Hierarchie anwendbar, so durfte sich nur er selbst mit der Völkerpsychologie auseinandersetzen. Privatdozenten, Assistenten und Studenten hatten sich mit experimenteller Psychologie auseinander setzen, als dessen Vater aber paradoxerweise Wilhelm Wundt selbst gilt. Es gibt also eine Verknüpfung zwischen der sozialen Struktur von Wundts Institut, einer bestimmten Vorstellung des Faches Psychologie und einer bestimmten Struktur des menschlichen Bewusstseins. Die Würzburger griffen diese hierarchische Struktur, und damit auch die Unterscheidung zwischen experimenteller Psychologie und Völkerpsychologie, an. Denn wenn Gedanken genauso einfach sind, wie die übrigen Bewusstseinselemente, ist keine spezialisierte Völkerpsychologie, bzw. deren Spezialisten notwendig.

2) Es stellt sich die Frage, was ist wichtiger, der Staat oder das Individuum? Für Wundt sind das ganz klar der Staat und das Volk, die die höchsten Werte repräsentieren, was auch das Denken mit einschließt. Diesem Nationalismus steht der Individualismus gegenüber, den die Würzburger vertreten. Denn Gedanken lassen sich laut ihnen auch im Individuum erforschen und der Staat muss sich vor dem Einzelnen rechtfertigen. Gleichzeitig waren die Würzburger – vor dem Hintergrund des ersten Weltkrieges – auch stark international orientiert.

3) Als letzte Dimension, die der Disput um die Denkphilosophie erreichte, ist der Konfessionsstreit zwischen Katholizismus und Protestantismus zu nennen. Letzterer ist stark mit dem Voluntarismus, also der Bedeutung des Willens, von Martin Luther und Emmanuel Kant verknüpft. Kantisch war damals gleich protestantisch, schließlich müssen sich die Katholiken der römischen Kirche unterordnen, was der Selbstbestimmung Kants widerspricht. Während Wundt in Leibzig militanter Protestant war, lehrten Külpe und Bühler an der katholisch orientierten Universität in Würzburg. Hier war die Idee des „reinen Intellekts“ von Thomas von Aquin zentral, die (u.a.) erklärte, warum sich die Seele des Körpers bedient. In der Würzburger Bewusstseinsauffassung sind die Gedanken rein und haben nichts mit Empfindungen etc. zu tun. Damit wurde Thomas von Aquins Idee durch experimentelle Psychologie bewiesen. Das war der Grund, warum die Theologen ebenfalls an dieser Kontroverse interessiert waren. Sie hatten so die Möglichkeit, einen Beweis für die ihre jeweilige Auffassung der Seele, in der Psychologie, bzw. Philosophie zu finden.


Das Protokoll ist noch nicht vollständig. Der Rest folgt in Kürze.