Parmenides (IH): Unterschied zwischen den Versionen

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Darin liegt der große Unterschied: konventionelle Eigenschaften werden zugeschrieben und ihre Zuschreibung kann bestritten werden. Es wird ihnen das Gegenteil, oder eine andere Qualität zugeschrieben. Im Bereich des "Zuschreibens überhaupt" entsteht die Schwierigkeit, dass der Gegensatz zum "Zuschreiben" nicht zu einem anderen Satz führt ''sondern aus der Satzstruktur herausfällt''.   
 
Darin liegt der große Unterschied: konventionelle Eigenschaften werden zugeschrieben und ihre Zuschreibung kann bestritten werden. Es wird ihnen das Gegenteil, oder eine andere Qualität zugeschrieben. Im Bereich des "Zuschreibens überhaupt" entsteht die Schwierigkeit, dass der Gegensatz zum "Zuschreiben" nicht zu einem anderen Satz führt ''sondern aus der Satzstruktur herausfällt''.   
  
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Dadurch wird "das nicht Seiende" (das Nichtsein, das Nichts) aus dem Bereich der Besprechbarkeit verbannt. Das ist die Folge der Substantivierung eines Ausdrucks, der für die allgemeinen Bedingungen der Prädikation steht. Also für den Zustand, ''überhaupt irgendetwas "haben" zu können''. Die parmenideische Tendenz geht in die Richtung, den Besitz von Eigenschaften zu statuieren und das Bestreiten eines solchen Besitzes nicht zuzulassen: Besitz ist eben kein Nicht-Besitz.
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Diese Resultate ergeben sich aus der größtmöglichen Abstraktion des Satzbaus. Offen bleibt, wie das im Umgang mit ''inhaltlich bestimmten'' Sätzen aussieht.
  
 
   
 
   
  
 
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Aktuelle Version vom 11. April 2010, 12:11 Uhr

Fragment zur (griechischen) Satzkonstruktion

Sprache besteht aus Worten eines Alphabets. Sie können aufgezählt werden.

  • Ball
  • blau
  • ist
  • nicht

Sie können aber auch zu einem Satz geformt werden: "Der Ball ist blau". Diese Formulierung unterscheidet sich in eintscheidenden Punkten von Listen, Ausrufen oder Lexikoneinträgen.

  • Sie statuiert eine Zugehörigkeit
  • und statuiert eine Zugehörigkeit

Parm-praed.jpg

Diese Satzbildung wird durch die Operation der Negation ergänzt. Sie kann sich ("von außen") auf den Satz beziehen, oder intern auf die Zugehörigkeit. Sie spielt eine entscheidende Rolle dabei, verständlich zu machen, wieso wir überhaupt von Zusprechen und von Behauptung (statt von Wortübungen) reden können. Es liegt im Sinn von Behauptungen, dass ihnen widersprochen werden kann.

Parm-neg.jpg


Zugehörigkeit und Behauptung

Parm.jpg


Weitere sprachliche Vorkehrungen sind:

  • das Partizip Präsens. "Das Präsenspartizip drückt aus, dass die mit dem Verb bezeichnete Handlung (oder das Sein) geschehend, dauernd, nicht abgeschlossen ist." Zum Verbum "gehen" ==> "gehend".
  • und Hilfszeitwörter wie "haben", "sein" und "werden". Sie werden für die Bildung der verschiedenen Zeiten (Tempora) verwendet. z. B.: ich 'bin' gewesen, ich 'hatte' gesehen. "Der Ball ist blau.", "Der Ball war blau."

Die Partikel "ist" läßt sich als Symbol für die Zugehörigkeit der Satzteile eines Aussagesatzes auffassen. Sie signalisiert, dass dem Ball eine Farbe zukommt. "Sieben ist eine Primzahl": diese Zahl hat die Eigenschaft, eine Primzahl zu sein.

Zwischenbemerkung: "hat die Eigenschaft"

Sie kommt nicht nur in zahlreichen Sätzen vor, sie steht für den Zusammenhalt der Aussage. Und von ihr läßt sich ein Präsens-Partizip bilden: "seiend". Diese Form des Hilfszeitwortes hat einen interessanten philosophischen Gebrauch.

"Etwas ist blau", "Etwas ist 5 Meter groß", "Etwas ist nicht mehr aktuell". Alle diese "Etwas" befinden sich in einem Zustand: sie sind Träger möglicher Zuschreibungen. Umgangssprachlich formuliert: "Sie können etwas sein". Die genannten Satzkonstruktionen legen fest, dass dieser unbestimmte Terminus sich auf alle möglichen Gegenstände beziehen kann. Und eben diese Konstruktionen synthetisieren diesen Terminus mit einem weiteren Ausdruck (einem Prädikat). Wenn man nun von der Satzkonstruktion auf die durch sie präformierten Weltzustände blickt, ergibt sich: Die gemeinsame Beschaffenheit der durch "etwas" bezeichneten Dinge liegt darin, dass sie sich im Zustand der Zuschreibungsfähigkeit befinden. Das ist sehr umständlich ausgedrückt. Sie sind. Oder, um es zum leichteren Gebrauch in ein Hauptwort zu übersetzen: es handelt sich um "Seiendes".

Parm-partizip.jpg

Parmenides pur

Parm-estin.jpg


Parmenides deutsch

Das Lehrgedicht (Version Hans Zimmermann)

ei d' ag' egôn ereô, komisai de su muthon akousas 
haiper hodoi mounai dizêsios eisi noêsai; 
hê men hopôs estin te kai hôs ouk esti mê einai, 
Peithous esti keleuthos, Alêtheiêi gar opêdei, 
hê d' hôs ouk estin te kai hôs chreôn esti mê einai, 
tên dê toi phrazô panapeuthea emmen atarpon; 
  
Nun denn, ich werde also vortragen, du aber sollst das Wort, nachdem du es gehört hast, 
den Menschen weitergeben, welche Wege der Untersuchung einzig zu erkennen sind: 
die erste, daß es ist und daß nicht ist, daß es nicht ist, 
ist die Bahn der Überzeugung, denn sie richtet sich nach der Wahrheit; 
[5] die zweite, daß es nicht ist und daß es sich gehört, daß es nicht ist. 
Dies jedoch ist, wie ich dir zeige, ein völlig unerfahrbarer Pfad:
denn du kannst weder erkennen das nicht Seiende (es ist nämlich nicht möglich)
noch davon sprechen. 


Das Lehrgedicht (Version Helmut Hille)

Wohlan, so will ich denn sagen - du aber vernehme und pflege die Kunde -,
welch Wege des Suchens und Fragens alleine denkbar sind:
Der eine, daß es (das Sein) ist, und daß es nicht nicht sein kann;
das ist der Weg der Überzeugung der zur Wahrheit gehört.
Der andere aber, daß es (das Nichtsein) nicht ist und nicht sein kann -
ein Weg, so sage ich, ganz und gar nicht zu begehen,
denn Nichtsein kannst du nicht erkennen noch etwas darüber sagen -
es nicht zu (be-)greifen." (Diels/Kranz)

Ein Tableau

Parm-6-3-5.jpg

Die Göttin nach Parmenides erlaubt die Affirmation davon, dass etwas ist und das Bestreiten, dass es nicht sei. Sie verbietet, zu bestreiten, dass etwas sei und zu behaupten, dass es nicht sei.

"Dass etwas ist": es hat die Beschaffenheit, Träger einer Zuschreibung ("seiend") sein zu können. Von etwas, das Träger einer Zuschreibung sein kann, kann nicht behauptet werden, dass es nicht zu den möglichen Zuschreibungsträgern ("nicht seiend") gehört.

Die Formulierung innerhalb des Verbotssatzes lautet "nicht sein". In der Begründung sagt Parmenides: "denn Du kannst das nicht Seiende nicht erkennen". Er bezieht sich auf die negierte Substantivierung des Präsenspartizips. Aus dem elliptischen Ausdruck für das tätige Absprechen wird die Bezeichnung für die Gesamtheit dessen, was nicht der Träger einer Zusprechung werden kann.

Und das ist verständlich: Was dadurch charakterisiert ist, dass ihm etwas zugesprochen werden kann, fällt nicht in den Bereich dessen, dem nichts zugesprochen werden kann. Von dem kann eben nichts gesagt werden. Die Kiste mit den blauen Kugeln enthält blaue Kugeln, so ist sie definiert. Man kann von einer Kugel, die nicht blau ist, allerdings sagen, dass ihr "nicht blau" zugeschrieben werden kann.

Darin liegt der große Unterschied: konventionelle Eigenschaften werden zugeschrieben und ihre Zuschreibung kann bestritten werden. Es wird ihnen das Gegenteil, oder eine andere Qualität zugeschrieben. Im Bereich des "Zuschreibens überhaupt" entsteht die Schwierigkeit, dass der Gegensatz zum "Zuschreiben" nicht zu einem anderen Satz führt sondern aus der Satzstruktur herausfällt.

Dadurch wird "das nicht Seiende" (das Nichtsein, das Nichts) aus dem Bereich der Besprechbarkeit verbannt. Das ist die Folge der Substantivierung eines Ausdrucks, der für die allgemeinen Bedingungen der Prädikation steht. Also für den Zustand, überhaupt irgendetwas "haben" zu können. Die parmenideische Tendenz geht in die Richtung, den Besitz von Eigenschaften zu statuieren und das Bestreiten eines solchen Besitzes nicht zuzulassen: Besitz ist eben kein Nicht-Besitz.

Diese Resultate ergeben sich aus der größtmöglichen Abstraktion des Satzbaus. Offen bleibt, wie das im Umgang mit inhaltlich bestimmten Sätzen aussieht.