PIRCHER, Simon (Arbeit2)

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DISKUSSION (2.Arbeit PIRCHER, Simon)

Ring-Vorlesung „Methoden und Disziplinen der Philosophie“, Schriftliche Arbeit zur Vorlesung von Referent: Böhler Arno

  • Datum: 4. Dezember 2008
  • Name: Pircher Simon, Matr.Nr.: 0847162


Einleitung zur schriftlichen Arbeit

Am 27. November 2008 hielt Professor Böhler Arno seine erste Vorlesung im Rahmen der Lehrveranstaltung: Ring-Vorlesung: Methoden und Disziplinen der Philosophie, als ersten von zwei Teilen des diesbezüglichen seinerseits behandelnden Stoffes ab. Der erste Abschnitt des Gesamtinhalts der Vorlesung umfasste „die Entwicklung eines aisthetisch-korporalen Handlungsbegriffs im Kontext zeitgenössischer Performanztheorien.“ (Homepage) Im Anschluss, also in der darauffolgenden Vorlesung, griff Böhler diesen aisthetisch-korporalen Handlungsbegriff erneut auf, um ihn in Folge anhand eines literarischen Kunstwerks, nämlich dem Roman Verbrechen und Strafe von Fjodor M. Dostojewskij, zu fokussieren und konkretisieren. Meine Aufgabe war es, in Anlehnung an den zweiten Abschnitt, ein Referat zu halten und darüber eine schriftliche Arbeit zu verfassen, die ich hiermit präsentieren möchte. Nun zur eigentlichen schriftlichen Arbeit. Vorhang auf!

1) Einleitende Wiederholung: Die allgemeine elementare Körperlichkeit von Tätigkeiten In seiner ersten Vorlesung sprach Böhler davon, dass jegliche aktuell vollzogene Tätigkeit an sich einen Acter, einen Ausführenden benötige um überhaupt tatsächlich stattfinden zu können, d.i. ein Individuum welches aus der potenziellen Tätigkeit eine tatsächliche Tätigkeit mache. Analog dazu ist das tatsächliche Denken an sich nur anhand eines denkenden Individuums möglich, „ebenso wie der Akt des Fühlens, des Wollens, des Handelns.“ (hp) Folglich bedürfen Tätigkeiten an sich, wortwörtlich elementarer Körperlichkeit. "Tätigkeiten müssen aktuell vollzogen werden, damit sie in der Tat stattfinden." (hp) Nietzsches Auffassung läuft parallel zu dieser These. In einem seiner späten Werke, nämlich der Götzendämmerung, versteht er, dass Denken Theorie, Praxis und Handwerk ist und interpretiert das Denken als Form des Handelns, dem notwendigerweise ein Subjekt zu Grunde liegen muss.

Die grammatikalische Grundform aller Tätigkeit wir als das Partizip Präsens bezeichnet. „Der lateinische Name Participium ist die Übersetzung des griechischen μετοχή. Das Teilhaben von etwas an etwas heißt μετέχειν. Im Denken Platons ist dieses Wort ein Grundwort. […] Die μέθεξις, die Teilhabe des Seiendem am Sein, beruht in dem, was grammatisch die μετοχή, das Partizipium ἐόν, ὄν nennt.“ (Heidegger 1984(4), S. 134) Wir sehen, dass das heutige Partizip Präsens bereits bei den alten Griechen die Bedeutung von „Teilhaben“ hatte, d.h., dass parallel zur Tätigkeit an sich ein teilhabender Acter dieser notwendigerweise beiwohne.


2) Ek-phantische Präsenz (Mersch) - Der Vollzug der Seins-Aktivität Im Anschluss an das Partizip Präsens als Grundform aller Tätigkeit, stellt sich nun diesbezüglich die Frage, wie die Tätigkeit des Seins, d.h. der aktuelle Vollzug des Seins-Akts, der Seins-Aktivität, zu verstehen sei. Wenn nämlich alle Tätigkeit um ihrer tatsächlichen Wirklichkeit willen einen Ausführenden benötigt, so ist die Existenz des Sein unmittelbar geknüpft am tätigenden Seienden. Mit anderen Worten: Sein impliziert Bewegung. Der Stillstand bedeute das Nicht-Sein. Aristoteles ging davon aus, dass das Wesen der Dinge in den Dingen selbst liege, d.h., dass das Wesen des Dinges nicht ohne das wirkliche Existieren des Dinges selbst existent ist. Nur unter der Bedingung der Existenz einer Sache können wir auch von einem dementsprechenden Universal sprechen, d.h. Sache an sich und ihre Sachlichkeit, d.h. das Einzelne und das Allgemeine sind unmittelbar miteinander verknüpft. Unter der Voraussetzung, dass es Konkretes gibt, gibt es auch Abstraktes. Daher sprach Aristoteles nicht von einem Sein als metaphysische Instanz über dem Subjekt, sondern von einem Sein aufgrund eines seienden Subjekts an sich. Im Gegensatz dazu steht die Ideenlehre Platons, nach der das Wesen einer Sache unabhängig von ihrer tatsächlichen Existenz, dem Menschen als Idee, sozusagen als Ahnung, bekannt sei. Thomas von Aquin wiederrum folgt Aristoteles Lehre wenn er feststellt: „Das Seiende ist das Bekannteste“. In unserer Zeit ist sie jedoch öfters als naiv oder als „oberflächliche Seinsmeinung“ (Heidegger) kritisiert worden. Böhler stellt sich dieser Frage in Anlehnung an Dieter Mersch mit der Gleichsetzung von Sein = Erscheinen/ek-phaino. (ἐκ-φαίνο: act. zum Vorschein bringen, offenbaren, kundtun pass. Hervorleuchten, sichtbar werden). Also schreibt er auf seiner Homepage: „Ein ekphantisches Seinsverständnis (Mersch 2007) interpretiert die Aktivität des Seins als Tätigkeit des Zum-Vorschein-Bringens von solchem, was durch diese Aktivität in Zeit und Raum allererst entsteht (creatio).“ Mersch kritisiert somit „Die Transzendentale Ästhetik“, die in Kants Kritik der reinen Vernunft den ersten Teil der „Transzendentalen Elementarlehre“ bildet. Kant nämlich, als Transzendentalist schlechthin, ist der Auffassung, dass die Erscheinung von etwas, sich über oder außerhalb seines elementaren Erscheinens befindet, d.h. eine Metaphysik als abstrakte Dimension analog zu jener konkreten der Physik existiert. Ein anschauliches Beispiel von der Annahme Sein = Erscheinen ist der Satz: „Die Sonne scheint.“ Das Scheinen der Sonne ist die Erscheinung ihres Seins, ihr Scheinen ist die aktuelle Verwirklichung ihres Wesens. Die Sonne scheint indem sie ihre Seins-Aktivität aktuell vollzieht und ihr Wesen offenbart. Nietzsche folgend ist dieses Tun nicht als selbstbewusstes Tun zu verstehen, sondern als Tun im Sinne eines aus sich selbst herausrollenden Rades, sozusagen aus der Physis der Physis. Erscheinungen haben eine eigentümliche Charakteristik: Ihrem Wesen folgend breiten sie sich in der Zeit mit der Zeit im Raum aus, indem sich ihre elementare Existenz anhand ihrer Seins-Aktivität präsentiert, sobald diese in Erscheinung tritt. Das Sein des tätig Seienden führt zu einer zeiträumlichen Ausbreitung/ Ausdehnung/ Ausweitung der Erscheinung des Seins des Seienden. Das Prinzip dieser Ausdehnung ist die uneingeschränkte expansive Tendenz in Raum und Zeit über den Weltraum hinaus. Diese Expansion an sich beruht auf der Existenz eines elementaren Körpers, welcher seiner eigenen Natur folgt, d.h. sein Wesen verwirklicht und dadurch ist und dieses Sein explizit in die Form der sichtbaren Erscheinung überträgt.

3) Ek-phantische Präsenz (Mersch) in Bezug auf das Phänomen Mensch Verwenden wir nun dieses ekphantische Theorem um das Wesen des Menschen zu bestimmen, so muss sogleich gesagt werden, dass man damit den Mensch als Individuum, d.h. als singuläres Erscheinen betrachten muss. Der isolierte Mensch, d.h. das einzelne Individuum an sich, überbrückt durch sein tätiges Sein, durch die Realisation seiner Essenz, wiederrum diese Isolation und dehnt sich in Raum und Zeit aus. Erst durch dieses singuläre Erscheinen des Menschen, also durch das singuläre Sich-zum-Vorschein-bringen, die wirkliche Verwirklichung des einzelnen Menschen entstehen erst die Welt des Menschen und ein Kollektiv individueller Erscheinungen, dessen Regulation die Intensität der einzelnen Erscheinungen, d.i. die Eigenschaft der realisierten Essenz des einzelnen Individuums, übernimmt und welches in seinem Modus von den Individuen als intersubjektives Gefüge wahrgenommen wird. So schreibt etwa Böhler auf seiner Homepage: „Selbst die kulturelle Erschaffung einer Welt ist aber eine Fähigkeit von „Körpern“ (Spinoza), insofern auch diese Fähigkeit ihren elementaren Sitz in Körpern hat, in denen sie sich vollziehen muss, um de facto elementar getätigt zu werden.“ Dieses intersubjektive Gefüge will als dynamisch verstanden sein, da die, dieses Gefüge konstituierenden, Individuen im Laufe der Realisation ihrer Essenz, eben durch dieses „soziale Netzwerk“ wiederrum beeinflusst und verändert werden. Somit erfolgt stets eine wechselseitige Beeinflussung von Individuum und sozialem Kollektiv. Während das Erscheinen des singulären Subjekt zur Erscheinung des intersubjektiven Gefüges beiträgt, dieses kann auch nur auf minimaler Basis stattfinden, d.h. zwischen nur zwei einzelnen Individuen, so zeigt sich dieses Gefüge durch seine eigentliche Erscheinung dem Subjekt und wirkt auf ihn ein. Die Frage welche mir durch den Vortrag von Böhler aufgeworfen aber nicht beantworten werden konnte, auch nicht anhand des von ihm auf seiner Homepage veröffentlichten Konzepts, bleibt nach wie vor im Raum stehen, nämlich, ob, wenn das Wesen einer Sache existiert, und es existiert in dem Moment wo es ist, und die Theorie der ekphantischen Präsenz die Gleichsetzung von Sein und Erscheinung verlangt, und sich die Erscheinungen ihrer innewohnenden Natur folgend tendenziell ausdehnen und in Kontakt treten, in Folge sich dadurch wechselseitig beschränken und beeinflussen, dabei das Wesen selbst der Sache verändert werde. Denn wenn dem so wäre, würde das bedeuten, dass es kein bestimmtes, sondern ein bloße dynamisches Wesen gäbe, weil von der Ausgesetztheit des Wesens aufgrund seiner Erscheinung jederzeit zu sprechen wäre. Impliziert also die Theorie der ekphantischen Präsenz, dass es kein definiertes Wesen gibt, sondern ein bloß dynamisches? Eine grundliegende Frage ist dabei ob das Sein des Wesens das Wesen bestimmt. Denn erst der Moment, in dem die Dynamik des Wesens zum Stillstand kommt, wäre die Bedingung für seine Bestimmtheit erfüllt. Es ist aber so, dass die Dynamik als Analogie des Seins, der Erscheinungen und ihren Einflüssen verstanden werden muss, und ihr Erliegen den Stillstand, also das Nicht-Sein der Sache bedeuten würde.

4) Der Weltraum Nach dem Prinzip der ekphantischen Präsenz dehnen sich sowohl die Erscheinungen als auch deren elementare Grundlage ab dem Moment ihrer Existenz, durch die Verwirklichung ihrer Essenz, ihres Wesens, in Zeit und Raum aus. Die tendenziell uneingeschränkte Exposition der Erscheinungen findet im Welt-Raum den Ort ihrer Aktivität, d.h. die Erscheinungen entfalten sich im Weltraum. Der Weltraum aber umfasst nicht bloß eine Erscheinung, sondern eine riesige Vielfalt, ein Kollektiv von Erscheinungen. Die Beschaffenheit des Weltraum ist hierfür nicht von Belangen. Denn entweder sind der Weltraum und die Erscheinungen als endlich, oder als unendlich anzunehmen, was uns aber hier nicht beschäftigen soll. Die Potenz der unendlichen Ausdehnung der Erscheinungen im Weltraum wird durch den Widerstand, das Widerstreiten durch die Exposition anderer Erscheinungen zur Impotenz. Das bedeutet, dass die Erscheinungen im Laufe ihrer Ausdehnung mit anderen Erscheinungen in Kontakt treten und ihre potenzielle tendenzielle unendliche Ausweitung erst durch fremde Erscheinungsexpositionen begrenzt werden. Durch dieses Widerstreiten der Erscheinungen bilden sich sogenannte Kontaktpunkte aus, in welchen sich die Peripherien der jeweiligen Erscheinungen treffen. Diese Treff-, Kontaktpunkte finden aber nicht nur auf der Ebene der Erscheinungen statt, sondern unter der Annahme der Theorie der ekphantischen Präsenz, auch auf elementarer Basis. Sie sind somit Berührungspunkte in denen das Gefühl der Ausgesetztheit für die einzelnen Phänomene körperlich spürbar wird. Nun stellt sich die Frage, wie sich die einzelnen Erscheinungen, im Rahmen des Weltraums, untereinander verhalten bzw. wie das Kollektiv von Erscheinungen seine komplexe Struktur regelt.

5) Kontaktpunkte, Orte der Berührung Im Prozess der Ausdehnung und Ausweitung von Erscheinungen gerät es unter ihnen zu Zusammenstößen und Kontakten, d.h., wie wir gesehen haben, zur Bildung von Orten der Berührung mit anderen verschiedenen Erscheinungen. Durch die gegenseitige Berührung der Erscheinungen in einem gemeinsamen Punkt, entstehen einerseits Grenzen für die einzelnen Erscheinungen, andererseits treten die Erscheinungen in gegenseitiger Beziehung und Wechselwirkung. Die Bewegung der Ausbreitung der Erscheinungen kommt durch das gegenseitige Aneinanderstoßen ins Stocken und in einem Kampf mit anderen. An jenen Orten des elementaren Kontakts erleiden die einzelnen Erscheinungen eine Beschränkung ihres Daseins. Diese Berührung bedeutet Teilung, Beschränkung. (Nancy) Aristoteles war der gleichen Auffassung. Für ihn reichen Körper gleichfalls genau so weit bis sie andere Körper berühren und dadurch begrenzen. Außerdem erfahren die Körper ein Ausgesetzt-sein in Bezug auf andere Körper und werden durch fremde Einflüsse in ihrem reinen unbefangenen Sein verändert. Durch diese Aushändigung verliert die singuläre Erscheinung an Kontrolle und Einfluss über sich selbst, da nun auch äußerliche Erscheinungen durch den Kontakt Wirkung auf den Berührungspartner ausüben. So kann man davon sprechen, dass an den Berührungspunkten von Erscheinungen diese, durch äußere Einflüsse, in ihrem singulären Sein gebrochen werden. Durch diese Orte des Kontakts entsteht ein dynamisches Gebilde von Erscheinungen.

6) Ethische Implikationen einer Ästhetik der Exposition Betrachten wir in Folge diese Kontaktpunkte und Orte der Berührung aus dem menschlichen Blickwinkel, so stellt sich uns ein weiteres Problem. Wie nämlich soll dieser zwischenmenschliche Kontakt ablaufen? Im speziellen Falle des Menschen geraten nicht nur Körper aneinander, sondern wie wir alle wissen auch „Köpfe“. Wir kommen also, unter der Annahme der Theorie der ekphantischen Präsenz, nicht drum herum Überlegungen über eine Ethik, d.h. über Verhaltensweisen des intersubjektiven Kontakts anzustellen, die hier unbedingt behandelt werden will. Ein anderer für die Philosophie wichtiger Punkt, den wir aber sofort erkennen können ist, dass im Kontext der Theorie der ekphantischen Präsenz, die Ethik eine Implikation der Ästhetik darstellt. „Es ist die ästhetische Erfahrung der Verwundbarkeit des Fleisches, die Fragilität der elementaren „Zerbrechlichkeit und Gebrechlichkeit“ unseres leibhaftigen In-der-Welt-seins, die Ethik erst notwendig macht.“ (Homepage) Der Leib ist der Ort an dem der Mensch seine Ausgesetztheit vor der Welt und die Berührung mit der Welt fühlt. Der Mensch ist nicht fähig den Leib, im Gegensatz zu seinen Gedanken, Wünschen, Ideen, also geistige Phänomene, vor der Außenwelt zu entziehen. Deshalb scheint auch eine körperliche Ethik, welche die leiblichen Berührungen erfasst, notwendiger als eine geistige Ethik.


7) Fjodor M. Dostojewskij: Verbrechen und Strafe Dostojewskij dramatisiert in seinem Roman „Verbrechen und Strafe“ die Einsicht, dass die Notwendigkeit der Ethik erst in ästhetischen Kontakten begründet wird auf einmalige Weise. a) Skizze der Geschichte Schauplatz des Romans ist Sankt Petersburg um 1860. Es geht um die Geschichte des bitterarmen, aber überdurchschnittlich begabten Jura-Studenten Rodion Romanowitsch Raskolnikow. Die Mischung aus Armut und Überlegenheitsdünkel spaltet ihn zunehmend von der Gesellschaft ab. Er begründet die Theorie der „außergewöhnlichen Menschen“, nach der es zwei Arten von Menschen gibt. Die einen sind die souveränen Menschen, das sind diejenigen welche sich selbst Regeln und Prinzipien zum Handeln setzen und sich an diese halten. Die anderen sind diejenigen welche sich zwar Maxime setzen, sich jedoch nicht an diese halten (Kritik des Bürgertums). Nach der von Raskolnikow begründeten Theorie ist es dem souveränen Menschen gestattet über den Unmenschen, wie er ihn nennt, hinwegzugehen. Er findet alsdann den Unmenschen in einer wucherischen Pfandleiherin. Rakolnikow (russ. Der Spaltende/ Abspaltende) besucht die Alte und erschlägt sie und ihre zufällig erscheinende geistig zurückgebliebene Schwester (Symbol der Unschuld) mit einem Beil. Nach der vollzogenen Tat verfällt er jedoch in einen mehrtägigen fiebrigen Dämmerzustand. Er findet keine Ruhe mehr und wird von körperlichen Ausdrücken wie Schweiß oder Zittern geplagt. Es dauert nicht lange bis ihn der zuständige Kriminalermittler als Täter erkennt ohne jedoch jegliche Beweise vorlegen zu können. Beide geraten in einem intellektuellen psychologischen Gefecht welches Raskolnikow innerlich weiter in die Enge treibt. Schließlich gesteht er, unter dem Rat der Prostituierten Sonja, die er später liebt, den begangenen Mord. Er wird zu einer siebenjährigen Haft in einem sibirischen Arbeitslager verurteilt, in dem er sich durch die Unterstützung Sonjas zum Christentum bekennt. (Starke Ähnlichkeit mit Dostojewkijs Schicksal: Vier Jahre Verbannung und Zwangsarbeit in Sibirien, in deren Folge er sich zum Christen bekennt) b) Das „souveräne Individuum“ Das souveräne Individuum kann laut Dostojewskij nur unter einer Bedingung existieren, nämlich die Freiheit des Menschen. Das souveräne Individuum legt die Maxime der Handlungen durch seine praktische Vernunft fest (Kant) und handelt entsprechend den festgelegten Prinzipien. Für Dostojewskij hält sich jeder der eine intellektuelle Redlichkeit besitzt an seine fundierten Maximen. Dostojewskij übt insofern Kritik am Bürgertum als, dass er behauptet dieses stelle zwar Maxime auf, halte sich aber nicht daran. Diese Menschen, die zwar eigene Maxime aufstellen sich in Folge aber nicht daran halten, werden ihrer Menschheit nicht gerecht und sind derer nicht würdig. Er nennt diese Art von Menschen Unmenschen. Für souveräne Individuen ist es legitim über diese Unmenschen hinweg zu steigen, in seinem Roman „Verbrechen und Strafe“ wird dieses Hinwegsteigen als Mord dargestellt. c) Kritik an der modernen Wissenschaft Eine Theorie hat erst dort Wert, wo sie in die Praxis umgesetzt wird, so Dostojewskij. Die Auffassung, dass die Theorie erst dort wertvoll wird wo sie sich an der Praxis beweist, gibt dem Ganzen die Form eines wissenschaftlichen Experiments, nach dem die Aussagekraft von Annahmen und Hypothesen an der Umwelt erprobt wird. Demnach könnte man die Ethik als angewandte Theorie betrachten. Hier stellt sich nun aber die Frage: Ist eine Handlung noch moralisch zu betrachten, wenn sie eine Art Experiment darstellt? Im Verlauf des Romans führt Raskolnikow die Tat unter der Legitimation des souveränen Menschen aus, rechnet aber nicht mit dem Widerstand seines Körpers nach der Tat, der ihn alsdann als Mörder verrät. Hieraus zeigt Dostojewskij den Antagonismus zw. Körper und Geist. Die Unstimmigkeit zeigt sich Raskolnikow leibhaftig. Von der rationalen Richtigkeit seiner Argumentationen bleibt er hingegen zeitlebens überzeugt. „Liegt es doch im Wesen der Ratio (lat. Vernunft), dass sie unabhängig von Gefühlen fungiert, ja die Legitimation ihrer Überlegenheit gerade daraus zieht, dass sie das Gefühl als legitime Quelle und Autorität der Erkenntnis aus rationalen Überlegungen ausschließt. Gerade dieser Ausschluss macht die „Moderne“ für Dostojewskij aber zu einer „kriminellen Angelegenheit“, zu einer epochal stattfindenden Kriminalgeschichte, in der die verdrängten Gefühle rücklings wiederkehren.“ (Hp) Mit dem Protagonisten steht demnach die Figur der modernen angewandten Wissenschaft vor dem Gericht.


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