PAUL, Lukas (Arbeit2)

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2. Schriftliche Arbeit zur Lehrveranstaltung “Methoden und Disziplinen der Philosophie” (IK, LV-Nr. 180248) im WS 2008, verfasst von Lukas PAUL, Matr. Nr. 0326533 Darlegung und Kommentierung des Argumentationsganges von Prof. Gotz in seinem im Rahmen der Ringvorlesung am 23.10.2008 gehaltenen Vortrag

Einleitung Im Anschluss an seinen Vortrag am vom 16.10.2009 geht es Prof. Gotz nach wie vor um die Grundfrage, was denn Philosophie sei. Im ersten Vortrag hat er zunächst dargestellt, was der Mensch ist im Sinne seiner Fähigkeit zu reflektieren, und dann auch, welches Problem sich daraus ergibt, dass wir nun nicht bloß hinnehmen müssen, was uns durch unsere Sinne unmittelbar gegeben ist, sondern darüber reflektieren und somit in Frage stellen können. Es führt dazu, dass wir feststellen, dass unsere Wahrnehmungsfähigkeit begrenzt ist, und in weiterer Folge bezweifelt werden muss, dass wir überhaupt wissen können, wie die Wirklichkeit1 ist. Gotz beginnt nun diesen Vortrag mit der Frage, ob vielleicht die Erfahrungswissenschaft eine Hilfe sein kann, die Wirklichkeit zu erfassen. Das letzteres notwendig ist, wird damit begründet, dass wir ja die Möglichkeit zum Handeln2 (im Gegensatz zu den Tieren, die triebgesteuert sind) haben. Die Möglichkeit zum Handeln zu haben wirft aber die Frage nach einer Grundlage für das Handeln auf, etwas, wonach wir uns in unserer Entscheidung, dies zu tun und jenes nicht, richten können. Dies führt Gotz schließlich zu seiner Definition der Philosophie als einer universalen Grundwissenschaft in praxisorientierter Absicht. Die Erfahrungswissenschaft Wie schon in der Einleitung angedeutet drängt sich uns die Erfahrungswissenschaft auf, weil wir ja danach fragen, ob es denn so etwas wie objektive Erfahrung gibt. Die eigene Erfahrung als ein Konglomerat aus den Daten der sinnlichen Wahrnehmung und der Reflexion über diese Daten scheint immer begrenzt und subjektiv zu sein. Selbst wenn viele vernunftbegabte Wesen sich über eine bestimmte sinnliche Wahrnehmung eines Objekts austauschen und sich darauf einigen können, wie denn dieses Objekt einzuordnen und zu beschreiben ist, so kann man daraus doch noch nicht schließen, dass dieses Objekt wirklich so ist3. Es soll nun herausgefunden werden, ob es möglich ist, durch die Methode der Erfahrungswissenschaft zu objektiver Erkenntnis, zur Erfassung der Wirklichkeit zu gelangen. 1

Dass so etwas wie Wirklichkeit ist, also dass das, was wir über unsere Sinne wahrnehmen, mehr ist als 

ausschließlich ein abhängig von unserem Sein Geschaffenes, dass also die Dinge, die wir wahrnehmen, von unserer Wahrnehmung (zumindest teilweise) unabhängig erscheinen, sieht Gotz scheinbar als gegeben. 2

Handeln sei hier einfach verstanden als eine Tat, die nicht bloß aufgrund von Trieben passiert, sondern die das 

Involviert sein einer Instanz bedingt, welche die Triebe oder Neigungen einordnet und entscheidet, ob man gemäß solchen zur Tat schreiten soll oder nicht, die aber auch entscheiden kann, ohne jegliches Getriebensein tätig zu werden. 3

siehe dazu auch Paul, 2009: 3 - 4 

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Die Erfahrungswissenschaft lässt sich einteilen in die wissenschaftliche Beobachtung und in das wissenschaftliche Denken. Die wissenschaftliche Beobachtung wiederum ist zunächst Qualifizierung, Klassifizierung, dann Quantifizierung. Als Beobachtung ist sie an sich schon Erfahrung, denn sie nimmt etwas (ein Objekt, eine Farbe, einen Geruch, ein Geräusch, eine Bewegung, etc.) durch die Sinne wahr und ordnet es intersubjektiv festgelegten Kategorien zu (qualifiziert), es ist also bereits Reflexion beteiligt. Sie quantifiziert durch zählen und messen (z.B. der Masse, der Länge, etc). Dann setzt das wissenschaftliche Denken ein im Versuch, die Erfahrung zu begründen. Dies wird durch die Bildung einer Hypothese getan, welche durch Experimente geprueft wird. Als Hypothese prognostiziert sie den Ausgang von Experimenten. Je öfter eine von der Hypothese gestellte Prognose eintrifft, desto besser ist die Hypothese. Wenn die Prognose nicht eintrifft, wird die Hypothese nachgebessert und kommt so der "Wirklichkeit" immer näher4. Die Schwachheiten der Erfahrungswissenschaften sind zunächst offensichtlich, denn wie schon vorher erwähnt ist unsere Wahrnehmung begrenzt. Alle wahrnehmbaren Daten lassen sich also gar nicht erfassen, es werden also Daten selektiert, und die Auswahl, welche Daten selektiert werden und welche nicht, liegt nicht in der Wahrnehmung selbst, ist also eine willkürliche Beschneidung aller verfügbaren Daten. Aber, viel wichtiger, selbst wenn wir eine Hypothese haben, die begründet, warum etwas so passiert, die eine Prognose geben kann, die durch ein Experiment bestätigt wird - wenn wir das Experiment beobachten, dann sehen wir nie den Grund selbst, wir sehen nur die Auswirkung, die die Auswirkung des von unserer Hypothese genannten Grundes5. So könnten es aber auch beliebig viele andere Gründe sein. So können wir zwar wohl beobachten, dass ein Objekt hinunterfällt, wenn wir es fallen lassen, aber ob der dahinterliegende Grund die Schwerkraft ist, ist für uns nicht einsichtig. Wir können zwar eine Theorie der Schwerkraft bilden und mit dieser gewisse Ereignisse prognostizieren, aber eben nicht die Schwerkraft selbst verifizieren. 4

Das "der Wirklichkeit näherkommen" wäre dadurch messbar, dass immer mehr Prognosen vom Experiment oder 

einfach aufgrund der Anwendung der Hypothese erreicht werden. Das allein ist ja schon problematisch, denn in keiner Anwendung kann es bloß eine begrenzte Anzahl von Fällen geben. Gibt es aber eine unbegrenzte Anzahl von möglichen Fällen und damit Prognosen und wir haben, wenn vielleicht auch für eine große Zahl, Versuche durchgeführt, wo Prognose und Ergebnis übereinstimmen, bleibt doch die Prozentzahl solcher Versuche im Vergleich zu den möglichen Versuchen immer Null. Karl Popper formuliert es drastisch: "Man könnte sagen, dass wir der Hypothese eine gewisse, nicht scharf abgebbare Wahrscheinlichkeit zuschreiben, etwa auf Grund einer Abschätzung der relativen Häufigkeitsverhältnisse zwischen den bereits geglückten Überprüfungen und den noch nicht durchgeführten. [... D]iese Abschätzung kann exakt durchgeführt werden und führt auf den Wahrscheinlichkeitswert 0." (Popper, 1984: 203) 5

Natürlich kann hier eingewendet werden, dass es bereits eine Hypothese ist, dass es so etwas wie ein 

Kausalitätsprinzip überhaupt gibt. Hume meint, dass "Ursachen und Wirkungen nicht durch Vernunft, sondern durch Erfahrung zu entdecken sind" (Hume, 2002: 44. Kursiv im Original). Damit hätten wir natürlich ein doppeltes Problem, denn der Prozess der Bestätigung der Hypothese müsste gleichzeitig einer sein, der die Struktur, die jeder Hypothese (zumindest teilweise) zugrunde liegt, nämlich das Kausalitätsprinzip, verifiziert. Seite 3 2. schriftliche Arbeit zur Lehrveranstaltung “Methoden und Disziplinen der Philosophie” (IK, LV-Nr. 180248) im WS 2008, verfasst von Lukas PAUL, Matr. Nr. 0326533.

Nachdem wir also mit der Erfahrungswissenschaft an die Gründe nicht herankommen, sie nur vermuten können, kommen wir auch nicht an die Wirklichkeit heran. Sie ist wohl eine methodische Untersuchung der Mittelwahl, kann uns also helfen, für von uns gesetzte Zwecke geeignete Mittel zu finden, die dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit funktionieren, aber nicht, die Zwecke der Natur herauszufinden. Es bleibt nur eines: dass die einzige Sicherheit (über die dahinterliegenden Gründe) die Unsicherheit ist6 und dass alle Theorien über Gründe subjektive Meinungen sind. Egoismus und Ideologien Trotz der Feststellung, dass uns die Erfahrungswissenschaft nicht den sicheren, absoluten Grund liefern kann, den wir zu echtem Handeln benötigen, handeln wir. Handeln, das immer Mittel zu einem Zweck ist7, scheint zu passieren, ohne dass wir in der Lage sind, den höchsten Zweck über allen selbst gewählten Zwecken anzugeben. Momentan stecken wir in der Spannung, entweder einfach unseren Trieben zu folgen (Hunger, Sexualität, etc.) oder über unsere Triebe zu reflektieren, um dadurch zur Erkenntnis der richtigen Handlung zu kommen. Ersteres sei Egoismus bezeichnet, charakterisiert dadurch, dass wir auch unsere Reflexionsfähigkeit in den Dienst der Befriedigung unserer unmittelbaren Bedürfnisse stellen. Problematisch wird ein solches Handeln dadurch, dass uns unsere Umwelt nicht als Zweck anerkennen wird, dem sie sich unterzuordnen hat, wird anzunehmenderweise sogar versuchen, uns als Mittel für ihre Zwecke zu verwenden. Um mich zu schützen, aus egoistischen Gründen also, muss ich meinen Egoismus einschränken. Man könnte dem noch hinzufügen, dass im Sinne des Egoismus wir nicht anders können als unseren Körper auch als Mittel zum Zweck zu gebrauchen8. Wenn wir aber unsere Unmittelbarkeit unter die Reflexion stellen, also gemäß Ideologien handeln wollen, ist uns auch nicht wirklich geholfen, denn jede Ideologie kann ja 6

Popper drückt es so aus: "So ist die empirische Basis der objektiven [Erfahrungswissenschaft] nichts ”Absolutes“; 

die Wissenschaft baut nicht auf Felsengrund. Es ist eher ein Sumpfland, über dem sich die kühne Konstruktion ihrer Theorien erhebt; sie ist ein Pfeilerbau, dessen Pfeiler sich von oben her in den Sumpf senken, aber nicht bis zu einem natürlichen [...] Grund.” (Popper, 1984: 75. Anführungszeichen im Original) 7

so formuliert von Gotz. Vielleicht könnte man es vorsichtiger so ausdrücken: Handeln beinhaltet (1) die Annahme 

eines Zweckes und (2) die Tat, die dann Mittel zum Zweck ist. Offen bleibt aber nach wie vor, wo der Zweck herkommt, der angenommen wird. Dazu wird Gotz noch Stellung nehmen. Eine andere Stossrichtung wäre, zu prüfen, inwiefern eine Tat Zweck in sich selbst sein kann, siehe dazu auch Aristoteles, 1911: 1094a. Man kann ja in drei Richtungen denken: 1. Eine Tat, die Mittel zu einem Zweck ist (z.B. das Bauen eines Hauses ist Mittel zum Zweck des Hauses, das daraus resultieren soll), 2. Eine Tat, die Mittel und Zweck zugleich ist im Sinne ihrer Perfektionierung aber nicht gleichzeitig (z.B. Die Schwimmerin schwimmt wohl um des Schwimmens willen, aber eigentlich trainiert sie, um besser zu Schwimmen, so ist also die momentane Handlung wieder nur Mittel für eine spätere Handlung), 3. die Tat, die tatsächlich gleichzeitig Mittel und Zweck und somit ein Zweck in sich selbst ist, man denke an das Aufgehen im Spiel oder ähnliches, wobei sich hier sofort die Frage stellt, ob man dann nicht bloß in die Unmittelbarkeit zurückgefallen ist und sein Menschsein als vernünftiges Wesen verneint, ob man also in diesem Sinne überhaupt Mensch im vollen Umfang und in voller Würde sein kann. 8

Dieses Argument ist meiner Meinung darum sehr problematisch, weil es doch nicht so einfach ist, zu beschreiben, 

wie ein Körper nicht auch Mittel zum Zweck sein kann, sobald man handelt. Seite 4 2. schriftliche Arbeit zur Lehrveranstaltung “Methoden und Disziplinen der Philosophie” (IK, LV-Nr. 180248) im WS 2008, verfasst von Lukas PAUL, Matr. Nr. 0326533.

für uns nur als relativ erkennbar sein, und als reflektierende Wesen wissen wir das. So löst die Reflexion in keiner Weise unser Problem, es lässt es uns nur noch schärfer sehen. Über die Befreiung von der Unmittelbarkeit im Sinne der Ermöglichung einer Entscheidung hinaus hilft uns die Reflexion wohl auch über alle subjektiven Ideologien und Zwecke hinaus, aber immer nur zu einem negativen Freiheitsbegriff hin, denn sie kann nicht mehr sagen, als dass es diese oder jene Ideologie eben nicht sein kann. Der Wille So ist also rein egoistisch zu leben ein Widerspruch (oder auch ebenso eine Ideologie) die Reflexion kann nur immer weiter reflektieren und jede denkbare Ideologie in Frage stellen. Aber doch Handeln wir und setzen mehr oder weniger abgesicherte Zwecke. Das heißt doch, dass es neben der Unmittelbarkeit und der Reflexion noch eine weitere Instanz geben muss, die dann beide steuern müsste. Diese Instanz nennen wir den Willen. Man könnte sagen, die Reflexion befreit uns, von der Unmittelbarkeit getrieben zu sein, während uns der Wille von einer endlosen Reflexion befreit: "wenn ich WILL, kann ich den Reflexionsprozess abbrechen". In diesem Sinne wäre der Wille die Begründung unserer Fähigkeit zu handeln. Die Aufgabe der Philosophie nach Gotz Das löst aber das ursprüngliche Problem noch nicht, der Wille kann wohl erklären, wie es kommt, dass wir handeln können, aber nicht, wie wir handeln sollen. Wenn er das aber nicht kann, dann kann er nicht der absolute Grund sein, nachdem wir unsere Zwecke richten können. Auch geht der Wille zwar mit der radikalen Differenz von Unmittelbarkeit und Reflexion um, ist aber auch gewissermaßen erst durch diese Differenz definiert, findet also seinen Grund in dieser Differenz. Über ihn hinaus muss es aber doch noch einen Grund geben, der alle Endlichkeit übersteigt, der absolut ist, indem er sich nicht mehr relativieren lässt. Es muss der Gesamtsinn sein, der alles umfasst. Diese absolute Dimension zu erhellen, ist die eigentliche Aufgabe der Philosophie im Sinne einer universalen Grundwissenschaft in praxisorientierter Absicht, wie sie angesichts unserer Möglichkeit zu Handeln gefordert werden muss. Literaturverzeichnis Aristoteles: Nikomachische Ethik. Leipzig, Felix Meiner, 1911 Hume, David: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Stuttgart, Reclam, 2002 Popper, Karl R.: Logik der Forschung. Tübingen, Mohr, 1984 Paul, Lukas: Schriftliche Arbeit zur Lehrveranstaltung “Methoden und Disziplinen der Philosophie”. Darlegung und Kommentierung des Argumentationsganges von Prof. Gotz in seinem im Rahmen der Ringvorlesung am 16.10.2008 gehaltenen Vortrag. Wien, 2009


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