Nancy Fraser: Soziale Gerechtigkeit in der Wissensgesellschaft: Umverteilung, Anerkennung und Teilhabe
Dieser Text von Nancy Fraser [1] diente als Vorlage ihres Beitrags zum Kongress Gut zu Wissen der Heinrich-Böll-Stiftung
Fraser versteht unter dem Begriff der Wissensgesellschaft das Produkt einer historisch gewachsenen epochalen Veränderung; diese Veränderung ist von einem Wandel des Ford-Kapitalismus zu einer prekären Nach-Ford-Phase, der Auflösung einer internationalen Ordnung souveräner Nationalstaaten und eben einer Verschiebung der Industriegesellschaft zu einer Wissengesellschaft die auf der Informationstechnologie der dritten industriellen Revolution (?) beruht - gekennzeichnet.
Mit dem Wort "prekär" würde ich aufpassen. Ich habe nur gesehen, daß hier eine Situation als prekär bezeichnet wird, daraus kann man noch nicht schließen, daß es um den Begriff Prekarisierung geht, der etwas sehr spezifisches bedeutet. --H.A.L. 20:59, 28. Apr 2006 (CEST)
Mit der Wissensgesellschaft entstanden und entstehen neue Gefahren für soziale Ungerechtigkeit. F. spricht hier von einem Problem der Verdrängung, einem Problem der Verdinglichung und einem Problem falscher Begrenzung. Drei Tendenzen, die F. als problematische Charakteristika der Wissensgesellschaft ortet aber auch Strategien zu deren Lösung ortet.
Die Wissensgesellschaft fordert eine verbreitete Politisierung der Kultur bedingt durch wachsende Konflikte und Kämpfe um Identität und Differenz, F. spricht hier um von Kämpfen um Anerkennung. Diese Neuakzentuierung politischer Kämpfe entmachtet die traditionellen Themen (linker) emanzipatorischer Politik, die sich in ihrer theoretischen (und praktischen) Basis auf ökonomische Ungleichheit stützen und deren Angleichung, also Umverteilung als Ziel von Klassenpolitik, fordern. Themen wie Geschlechts- oder ethische Zugehörigkeit oder Sexualität, Nationalität und Religion werden zu den neuen Maßstäben politischer Auseinandersetzungen.
Vielleicht so: Eine anerkannte Gruppe ist eine, mit der man rechnen muß, eine, die ihren Platz im kollektiven Wissen hat, das ja das wesentliche Kapital darstellt. Wer mit diesem Kapital hantieren will, wer sich als wissend bezeichnen will, muß diese Gruppe berücksichtigen. "Professorin X ist (als Autorität) anerkannt" heißt ja: In diesem Fachgebiet kann nicht mitreden, wer ihre Arbeiten zu dem Thema nicht gelesen hat. Anerkennung heißt in diesem Sinn an der "Gestaltung" des Wissens teilnehmen, Macht über das Wissen zu haben - und je wertvoller Wissen ist, umso bedeutender ist diese Macht.
Immaterielles Kapital ist eben nicht etwas, das ich mir in derselben Weise unter den Nagel reißen kann wie eine Kuh, die Milch gibt. Wissen ist ein Kapital, das ich beeinflusse. Noch ein Gedanke dazu: Wenn A und B beide Gold haben, ist derjenige reicher, der mehr Gold hat. Wenn aber A ein Kilo Gold hat und B ein Kilo Platin, dann hängt ihr Kapital davon ab, welches Metall als wertvoller angesehen wird, und beide werden versuchen, die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen. In diesem Fall wird der angesehenere Metallurg der reichere Mann sein.
H.A.L. 13:45, 7. Jun 2006 (CEST)Einen derart zusammengesetzten Begriff politischer Gerechtigkeit entfaltet F. in zweiten Teil ihres Essays. Hier fordert sie eine bifokale Sicht, die neben der Forderung nach gerechter Verteilung auch dem Anspruch einer wissensgesellschaftlich bedingten Fokussierung auf dem Kampf um gegenseitige Anerkennung erfüllt.
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