NEUSSER, Marion (Referat1)
DISKUSSION (1.Referat NEUSSER, Marion)
REFERAT zur Ring-Vorlesung von Konrad Paul Liessmann am 30.10.2008 – TEIL 1
- Neusser Marion
Thema des Referates ist die Ring-Vorlesung vom 30.10.2008, gehalten von Prof. Konrad Paul Liessmann. Thema der Vorlesung war die „Unfähigkeit des Philosophen, sich mit alltäglichen Dingen auseinandersetzen zu können.“
Struktur der Vorlesung: 1. Liessmann hat versucht, die Geschichte der Philosophie anhand einer Fabel, also einem Lehrgedicht aus dem 6.Jhd. v. Chr. aufzuzeigen. Diese Fabel wurde später vielfach aufgegriffen und auch modifiziert. 2. Ausgehend von den verschiedenen Transformationen der Fabel und deren Bedeutung stellt sich dann die Frage: Was ist Philosophie und was macht der Philosoph? Hier kommen Begriffe wie Wissen und Weisheit ins Spiel und damit verbunden auch die Frage, was ist Theorie? 3. Als weiteren Zugang zur Philosophie hat Liessmann dann 2 Begriffe thematisiert, die auf Kant zurückgehen, nämlich den Schulbegriff versus den Weltbegriff der Philosophie.
Mein Teil des Referates umfasst die Fabel und seine Modifikationen.
Ursprüngliche Fabel von ÄSOP: „Ein Astronom hatte es sich zur Regel gemacht, in jeder Nacht aus dem Haus zu gehen und die Sterne anzuschauen. Als er einmal in der Umgebung der Stadt umherging und seine ganze Geisteskraft am Himmel gesammelt hatte, bemerkte er eine Zisterne nicht und stürzte hinein. Da schrie er vor Schmerz und rief um Hilfe. Einer kam vorbei und hörte es, ging hinzu und sah, was vorgefallen war. Da sagte er zu ihm: Bist du also so einer, dass du sehen willst, was am Himmel ist, aber übersiehst, was auf der Erde geschieht?“
Was zeigt uns diese Geschichte? Hier wird angedeutet, dass die Erforschung des Fernen dazu führt, das Naheliegende zu vergessen. Und genau das wird dem Forscher zum Verhängnis. Wobei in der Fabel in seiner Ursprungsversion noch gar nicht von Philosophie die Rede ist. Erst in der Geschichte von PLATON (150 Jahre später) kommt der Aspekt der Philosophie dazu: Aus dem namenlosen Astronom wird Thales, der von einer hübschen und witzigen thrakischen Dienstmagd ausgelacht wird. Ausserdem fügt Platon der Geschichte noch einen Satz hinzu: „Derselbe Spott aber passt auf alle diejenigen, die sich mit Philosophie einlassen.“
Platon hat 2 Transformationen der Geschichte vorgenommen: Einerseits ist seine Version eine Beispielgeschichte der Philosophie und andererseits ein Gegensatz. Beispielgeschichte insofern als der namenlose Astronom durch Thales von Milet ersetzt wird, der sich wirklich mit Astronomie beschäftig hat und in der Antike als erster wirklicher Philosoph galt. Mit dem Stolpern des Thales ist das Stolpern der Philosophie überhaupt gemeint. Der Gegensatz wird einerseits durch das Schauen in den Himmel repräsentiert, als Gegensatz zwischen Nähe und Ferne und andererseits durch die Person der Dienstmagd: Sie ist jung, witzig und hübsch (im Gegensatz zum alten Philosophen), sie ist Ausländerin, was den Gegensatz noch stärker betont. Das Lachen ist als eine Art der Schadenfreude zu verstehen, denn zur Existenz der Dienstmagd gehört es, darauf zu achten, was vor ihr liegt. Platons Version der Geschichte spricht somit den unüberwindbaren Gegensatz zwischen philosophischem Denken und dem praktischen Leben an. Es taucht dabei die Frage auf, ob Philosophie Wissen produziere, dass uns nicht nur nicht weiterhilft, sondern uns geradezu behindert und schadet.
Genau dieser Aspekt wurde dann von ARISTOTELES in seiner Version der Geschichte aufgegriffen. Er hat die Fabel weiter ergänzt: In seiner Version wird Thales wegen seiner Armut beschimpft, die zeigt, wie unnütz die Philosophie ist. Thales hat aber aufgrund seiner Astronomie eine reiche Ölernte vorausgesehen, und noch im Winter alle Ölpressen billig gemietet. Als dann die Erntezeit kam, hat er sie teuer weiterverkauft und damit viel Geld verdient. Liessmann hat betont, dass diese Version der Geschichte seine Lieblingsgeschichte ist und dass diese Zusatzgeschichte auch von vielen anderen Philosophen bevorzugt wird, weil sie die Philosophie verteidigt. Die Geschichte soll beweisen, dass Philosophen leicht reich sein könnten, wenn sie wollten, aber das ist nicht ihr Ziel. Der Philosophie geht es nicht um einen unmittelbaren Nutzen, sondern um Erkenntnis, auch wenn man dadurch in einen Brunnen fallen kann. Das wirft natürlich sofort die Frage auf, wozu Philosophieren gut sein soll, wenn nicht dazu, unmittelbar nützlich zu sein: Der Wert des Wissens liegt im Wissen selber, es geht nicht um den Einsatz des Wissens.
Anmerkung: Ich bin der Meinung, dass dieser Schluss „Wir könnten, wenn wir wollten, aber wir wollen nicht“ so nicht aus der Aristoteles-Version gezogen werden kann. In der Geschichte sagt Thales aufgrund seiner astronomischen Kenntnisse die Ölernte voraus, das heißt, aufgrund fundierten Wissens einer Naturwissenschaft. Das würde also heißen, dass jeder Philosoph irgendein anderes Fachgebiet beherrschen müsste, um aus dem Wissen überhaupt einen Nutzen ziehen zu können. Ich weiß, dass in der Antike die Philosophie, die Astronomie und die Mathematik nicht so klar voneinander getrennt waren, aber heute gilt die Astronomie als Einzelwissenschaft, die man als Philosoph nicht unbedingt beherrschen müsste. Nach heutiger Sicht, wäre die Aristoteles-Version der Geschichte der Beweis dafür, dass Astronomie einen direkten Nutzen bringen kann, aber nicht die Philosophie an sich.
Liessmann hat dann noch eine weitere Modifikation der Fabel erzählt, die wesentlich später entstanden ist, und zwar im 17.Jhd. von ABRAHAM A SANTA CLARA, und zwar im Stil der barocken Rhetorik: In dieser Version bleibt Thales erhalten, allerdings mit einer neuen Konnotation (er ist ein heidnischer Philosoph); die die junge, thrakische Magd wird ein altes, buckeliges Weiblein und Thales stürzt nicht in einen Brunnen, sondern in eine Kotlacke. Das alte Weiblein lacht ihn nicht nur aus, weil er gestolpert ist, sondern auch deshalb, weil er glaubt, Dinge zu verstehen, die Gott geschaffen hat. In dieser Variante der Geschichte kommt klar ein christlicher Bezug heraus; die Geschichte stammt aus der Zeit der Gegenreformation und das Stürzen in die Kotlacke zeigt die Verachtung der Philosophie noch deutlicher auf als das Stürzen in den Brunnen. In dieser neueren Geschichte geht es also nicht primär um den Gegensatz zwischen Denken und Leben, sondern zwischen Denken und Glauben.
Jedenfalls stellt sich jetzt die Frage, was das für ein Denken ist, das seit dem 6.Jhd. v. Chr. immer wieder in den verschiedenen Versionen der Fabel aufgegriffen wird.
TEIL 2 - Referat gehalten von Karin Heublein