Michael Pauen - Positionen zum Freiheitsbegriff (FiK): Unterschied zwischen den Versionen

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche
K (Kontext)
Zeile 47: Zeile 47:
  
 
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass mir persönlich dieser Ansatz außerordentlich plausibel erscheint. Es ist mir intuitiv einleuchtend, dass das (Selbst-)Bewusstsein im Laufe der Evolution Schritt für Schritt, sukzessive zugenommen hat und sich dabei notwendigerweise von einer präreflexiven Stufe her entwickeln muss. Überdies finde ich die klassische Auffassung von der Selbstzuschreibung recht künstlich. Das Selbstbewusstsein sollte meiner Ansicht nach mehr phänomenologisch betrachtet werden.
 
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass mir persönlich dieser Ansatz außerordentlich plausibel erscheint. Es ist mir intuitiv einleuchtend, dass das (Selbst-)Bewusstsein im Laufe der Evolution Schritt für Schritt, sukzessive zugenommen hat und sich dabei notwendigerweise von einer präreflexiven Stufe her entwickeln muss. Überdies finde ich die klassische Auffassung von der Selbstzuschreibung recht künstlich. Das Selbstbewusstsein sollte meiner Ansicht nach mehr phänomenologisch betrachtet werden.
 +
 +
===Tugendhat===
 +
[[Tugendhat]] entwickelt seine Theorie in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Heidelberger Schule, insbesondere mit Henrich. Er versucht zu zeigen, dass die vom Heidelberg’schen Ansatz scheinbar gelösten Probleme, erst durch ihn geschaffen worden sind. Tugendhat geht von der Frage aus, was im Alltag gemeint ist, wenn man vom sich selbst oder seinen mentalen und körperlichen Zuständen spricht. Dabei wird ihm klar, dass hier nicht von einem „Ich“ oder einem „Selbst“, also nicht von einem Substantiv die Rede ist, sondern von einem Personalpronomen. So kommt es etwa häufig vor, dass jemand jammert: „Ich habe Schmerzen!“. Damit ist aber normalerweise nicht gemeint, dass das Ich oder das Selbst Schmerzen hat, sondern es geht zunächst einmal lediglich um eine Zustandsbeschreibung. Es handelt sich um expressive und nicht um kognitive Sätze. Tugendhat folgt dabei Wittgenstein, im Gegensatz zu diesem aber hält er diese Aussagen nicht für bloße Beschreibungen eines Sachverhaltes und damit für einen Bestandteil desselben. Er merkt vielmehr an, dass es sich bei der Aussage: „Ich habe Schmerzen!“ um das Ausdrücken eines Wissens handelt, das wahr oder falsch sein kann. Darüber hinaus kann ich auch über einen anderen Menschen sagen, er habe Schmerzen, ob das nun stimmen mag oder nicht, was bei dem Ausruf „Au!“ nicht möglich ist. Anders als bei Aussagen über andere stellen allerdings Selbstzuschreibungen eine eigenständige Form des Wissens dar. Sie basieren auf anderen Erkenntnissen, nämlich solchen die mitunter nur mir selbst zur Verfügung stehen. Fremdbeobachtungen hingegen beruhen auf Beobachtungen und Schlussfolgerungen, die weniger direkt und damit auch weniger sicher sind. Tugendhat nennt dies eine „epistemische Assymetrie“ zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen. In ähnlicher Weise kann man von einer „veritativen Symmetrie“ sprechen, insofern als Selbstzuschreibungen genau dann wahr sind, wenn auch die entsprechenden Fremdzuschreibungen wahr sind.
 +
Wichtig ist, dass diese Merkmale nicht aus empirischen Untersuchungen gewonnen worden sind, sondern direkte Implikationen der verwendeten Begriffe darstellen. Ebenso wichtig, ist dass es sich in der Lebenspraxis wann immer Ausdrücke wie „ich“, „hier“ oder „du“ verwendet werden um Konzepte handelt, die von der jeweiligen Sprechsituation abhängen. Es macht einen Unterschied ob ich „ich“ sage, oder mein Freund Peter. Es handelt sich dabei um „Indexikalische“ Ausdrücke, wie Tugendhat sie nennt.
 +
Es stellt sich die Frage, wie wir dazu kommen, uns auf uns selbst zu beziehen. Geht es um einen externen Sachverhalt wie „singt falsch“, so ist die Notwendigkeit einer Zuordnung sofort klar. Man muss klären, wer falsch singt. Aus der Perspektive der eigenen Person ist die Erfahrung dieser Zustände aber überhaupt nicht zu unterscheiden von dem Bewusstsein, dass es sich um die eigene Person handelt, die die Erfahrung macht. Das knifflige Problem des Selbstbezugs, dass die Heidelberger Schule mit der Einführung eines präreflexiven Selbstbewusstseins zu meistern versucht, scheint bei Tugendhat gar nicht aufzutreten und das deshalb, weil Tugendhat den Begriff des Ichs als eigenständiges Subjekt von vornherein vermeidet. Überdies kommt Tugendhat nicht in die Verlegenheit, die Entstehung des Ichs erklären zu müssen. Er meint, die Heidelberger Schule hätte sich mit dem Ich ein Problem ohne Not eingehandelt. Meiner Ansicht nach umgeht damit Tugendhat zwar elegant die skizzierten Probleme, es ist damit aber nicht gezeigt, dass es kein Ich gibt.
 +
  
 
===Willensfreiheit===
 
===Willensfreiheit===

Version vom 29. März 2007, 14:24 Uhr

Exzerpte aus Michael Pauen, Grundprobleme der Philosophie des Geistes, Eine Einführung, III. Subjektivität und Willensfreiheit, Seite 236-297

Rückblick auf traditionelle Vorstellungen von Subjektivität

Begriffliche Vorklärung

Selbst in der einschlägigen wissenschaftlichen Diskussion werden Kernbegriffe oft unterschiedlich gebraucht, daher vorweg eine kurze Vorklärung der mit dem Begriff Subjektivität im Zusammenhang stehender Begriffe. Fürderhin soll der Begriff Subjektivität als Oberbegriff für alle jene Begriffe dienen, welche das Selbst und das Selbstbewusstsein betreffen. Es „umfasst also einzelne Akte des Selbstbewusstseins ebenso wie ein über einen gewissen Zeitraum stabiles Selbst oder Selbstkonzept.“ Ein Akt des Selbstbewusstseins ist zu verstehen als eine Bezugnahme eines Individuums auf seine eigenen geistigen oder körperlichen Vorgänge. Dabei ist das Bewusstsein des Individuums sich auf sich selbst und nicht etwa auf etwas anderes zu beziehen wesentlich. Eine diffuse Vorstellung von Empfindungen ist also nicht ausreichend – der eigene Zustand muss vielmehr auch als eigener erkannt werden. Beispiele für Akte des Selbstbewusstseins sind die Erinnerung an einen eigenen Schmerz, die Irritation über die eigene Ungeduld oder auch die Selbstvergewisserung bezüglich einer eigenen Überzeugung. Wird bei einer solchen reflexiven Bezugnahme Wissen über sich selbst erworben, so spricht man von Selbsterkenntnis. „Die Gesamtheit von zeitlich stabilen Selbstzuschreibungen, die von solchen momentanen Akten des Selbstbewusstseins oder der Selbsterkenntnis herrühren“ bezeichnet Pauen als Selbst, Selbstkonzept oder empirisches Ich. So kann beispielsweise Nervosität, wenn sie in verschiedenen Situationen immer wieder (und in Abgrenzung zu anderen) erlebt wird, ein Bestandteil des Selbstkonzeptes sein. Beim Selbstkonzept handelt es sich also um einen ganzen Komplex von Merkmalen, die sich die betreffende Person selbst zuschreibt. Soviel zur begrifflichen Konvention – damit ist noch keine Aussage getroffen, ob ein solches Objekt wie das Selbst überhaupt existiert.

Selbstbewusstsein (1) basiert auf dem direkten Zugang eines intelligenten, bewusstseinsfähigen Wesens oder Systems zu seinen eigenen mentalen Zuständen (2) setzt voraus a) die Fähigkeit, die eigenen Zuständen de facto von fremden zu unterscheiden und die eigenen als eigene zu erkennen b) langfristige stabile Selbstzuschreibungen bestimmter Eigenschaften (Selbstkonzept)

Historisch hat die Ansicht vom Ich als einem kohärenten Gebilde im Leben der Menschen eine große Rolle gespielt. Gefördert wurde diese Vorstellung von den meisten Weltreligionen, jedenfalls von der Mehrheit der westlichen. Dabei wurde das Selbst oder die Seele zunächst als etwas durchaus materielles gesehen, das etwa beim Austritt aus dem Körper als „besonders feine Materie“ beobachtet werden könnte. Diese Auffassung wurde später zugunsten einer dualistischen aufgegeben, wobei das Selbst nunmehr als lediglich dem Denken nicht aber der physischen Welt zugänglich gedacht wurde. In beiden Fällen handelt es sich um eine Vorstellung und zwar um eine Vorstellung, die sich selbst zum Gegenstand hat. Diese Vorstellung kommt erst durch die reflexive Selbstzuschreibung zustande. Das Selbstbewusstsein ist hierbei ein Spezialfall des Bewusstseins von etwas anderem. Soweit die Tradition. Moderne Auffassungen sind diesem Standpunkt gegenüber in der Regel sehr skeptisch eingestellt. Kritisiert wurden (und werden) nicht nur einzelne Aspekte der Konzeption, sondern auch und vor allem die Konzeption von einem Ich selbst. Namhafte moderne Wissenschafter und Philosophen weisen darauf hin, dass das Konzept vom Ich eine bloße Fiktion sei und dass es ein Objekt mit den oben umrissenen Eigenschaften in der objektiven Realität nicht geben kann bzw. muss. Im Lichte dieser durchaus berechtigten Kritik an der traditionellen Auffassung kann das Ich entweder ganz verworfen werden oder eine Neukonzeption versucht werden. Die Unterscheidung der verschiedenen Standpunkte ist allerdings nicht so einfach und geht insbesondere weit über die Diskussion von Grundpositionen in der Gehirn-Bewusstseins-Debatte hinaus. „Tatsächlich stellt das Verhältnis von psychischen und physischen Prozessen nur einen Aspekt des Problems der Subjektivität dar. Hinzu kommen noch Fragen nach Status und Voraussetzungen von Selbsterkenntnis und Selbstzuschreibung sowie empirische Erkenntnisse über die Entstehung des Selbstbewusstseins und der ihm zugrunde liegenden Eigenschaften und Fähigkeiten.“ Zunächst einige skeptische Positionen:

Skeptische Positionen

Bedeutende Vertreter: Kenny (1988), Marvin Minsky (1988/1990), David Dennett (1991) Sie meinen, das Ich sei eine bloße Fiktion, die zwar denkökonomische Vorteile bringt und daher unter pragmatischen Gesichtspunkten berechtigt ist, aber dem strengen Auge des Wissenschaftlers nicht standzuhalten vermag. Die vermeintliche Einheit des Ich gliedere sich auf in „eine nicht mehr integrierbare Vielfalt unterschiedlicher Motive, Handlungstendenzen und Charakterzüge […]“

Minsky

Minsky kritisiert wie schon angedeutet die Vorstellung eines einheitlichen (monolithischen) Ichs und spricht stattdessen von einer society of mind. Damit meint er eine Vielzahl unterschiedlicher und weitgehend unabhängiger Agenten, die auch unterschiedliche Erfahrungen machen können und obwohl sie mehr oder minder gut zusammenarbeiten meist nicht mehr von einander wissen, als „Leute, die Wand an Wand wohnen“. Auch bestreitet Minsky, wir hätten einen direkten Zugang zu unseren eigenen mentalen Zuständen. Dieser Zugang ist vielmehr vermittelt durch eine Reihe vorgeschalteter Prozesse deren wir uns meist nicht bewusst sind. Wir entwickeln Theorien über uns selbst in ähnlicher Weise wie wir Theorien über die Welt entwickeln und versuchen uns diese sogar durch „Experimente“ zu bestätigen. Das Bewusstsein, welches dem Ich zugänglich ist, bildet nur die Spitze des Eisberges und nach Minsky ist das auch gut so, weil wir nur dadurch unsere Aufmerksamkeit der äußeren Welt zuwenden können ohne uns selbst zu blockieren, indem wir uns nur mit inneren Prozessen beschäftigen. Unser subjektives Gefühl von der Einheit des Ichs rührt lediglich von unserer Unkenntnisse der im Verborgenen ablaufenden Prozesse her. Es gibt kein Ich, sondern nur die Vielfalt der unterschiedlichen Agenten, die miteinander im Widerstreit liegen und Koalitionen bilden können. Die Gesamtheit dieser Agenten bildet ein einigermaßen kohärentes Bild, das wir nur Ich nennen.

Dennett

Dennett greift Minskys Argumentation auf und führt sie weiter. Auch er nimmt an, dass scheinbar direkte Wahrnehmungen auf komplexen internen Verarbeitungsmechanismen und Hypothesenbildungen beruhen, die auch keineswegs fehlerfrei sind. Dabei kann ein und dieselbe Situation durch gleichzeitig mit verschiedenen Interpretationen versehen werden, ohne dass dem Ich dies bewusst würde. Stets wird die jeweils letzte Interpretation an Stelle der vorangegangenen gesetzt und diese vergessen. Damit, folgert Dennett, ist die Richtigkeit unserer Selbstzuschreibungen schwer in Zweifel gezogen und es kann sicherlich nicht mehr von dem in der Tradition postulierten privilegierten Zugang zu unseren eigenen mentalen Zuständen gesprochen werden. In Dennetts Theorie ist für ein Selbst kein Platz mehr. Es handelt sich um eine Fiktion zweiter Ordnung, denn das Selbst ist das fiktive Zentrum jener Interpretationen, die ihrerseits wieder auf der Fiktion der Unmittelbarkeit beruhen. Das Selbst ist also nichts anderes als ein Modell jenes Komplexes, der uns ausmacht (Körper, Wahrnehmungen, Selbstzuschreibungen, usw.), ein Modell allerdings, das großen praktischen Wert hat, weil es auf alle anderen Modelle großen Einfluss ausübt. Nach Dennetts Interpretation von Libets Experimenten kommt dem Ich nicht die letzte Entscheidungsinstanz zu, sondern es schaltet sich erst ein, wenn die Entscheidung durch vorbewusste Prozesse schon längst gefallen ist. In einer späteren Fassung seiner Theorie greift Dennett auf Richard Dawkins’ Theorie der Meme zurück, welche die kulturellen Entsprechungen der Gene sind. Der Großteil unserer Entscheidungen beruht auf kulturell oder sozial vermittelten Werten bzw. von Werten die innerhalb der Kultur, in der das Individuum lebt, weitergegeben werden. Diese Meme unterliegen genau wie die Gene einem ständigen Selektionsprozess und verbreiten sich entsprechend ihrer Nützlichkeit mehr oder weniger schnell oder sterben aus. Das Ich ist somit ein relativ stabiler Komplex von Memen, ganz ähnlich wie in Minskys Konzeption mit den Agenten. Ihren Ursprung haben die Meme, die zusammengenommen unser „Selbst“ bilden in unserer sozialen und intellektuellen Umgebung. Dadurch verliert das Ich seine Eigenständigkeit und ist nur „Durchlaufstation der Meme“.

Blackmore

Dennetts Ansatz wurde wiederum von Susan Blackmore (1999) aufgegriffen. Auch Blackmore hält unser Wissen und unsere Überzeugungen für eine Akkumulation von Memen. Im Gegensatz zu Minsky und Dennett streitet Blackmore allerdings den positiven Nutzen der Vorstellung des Selbst ab. Die Befreiung vom Selbst sei nicht nur wissenschaftlich notwendig, sondern auch für den Alltag positiv (weniger abhängig von den Meinungen anderer, weniger egozentrisch usw.). Diese Ansicht erinnert an manche östliche Religionen, vor allem den Buddhismus, wo die Aufgabe der Begierden erklärtes Ziel ist. Und tatsächlich ortet Blackmore das Selbst als Ort der Begierden und Wünsche. Genauer gesagt ist es jener Ort, wo diese gebündelt werden. Fällt das Selbst weg, sind aber auch längerfristige zielgerichtete Anstrengungen nicht möglich (z.B. Wissenschaftsbetrieb).

Die Theorien von Dennett und Blackmore sind zwar gut fundiert, allerdings ist fraglich, ob wir Menschen tatsächlich so sehr von externen (kulturellen) Entwicklungen abhängen. Dagegen spricht, dass verschiedene in der Regel Menschen auf ganz verschieden auf gleiche intellektuelle oder kulturelle Veränderungen reagieren und auch die relativ große psychische Stabilität, die schwer nachzuvollziehen wäre, wenn das Selbst tatsächlich nichts weiter als der Spielball der Meme wäre.

Metzinger

Metzinger sieht mentale Modelle als die Basis unserer Repräsentation der Wirklichkeit an. Er knüpft dabei an die Theorien von Craik und Johnson-Laird (1983) an. Besonders bedeutend sind die Wahrnehmungsmodelle. Sie integrieren Informationen der verschiedenen Sinnesorgane zu einem einheitlichen ganzen Bild und schaffen eine mentale Repräsentation im dreidimensionalen Raum. Mentale Modelle dienen unter anderem dazu Ereignisse vorauszusehen, d.h. die Wirklichkeit zu simulieren. Dabei werden mitunter verschiedene mentale Modelle hierarchisch ineinander eingebettet. Dadurch entstehen kompliziertere Repräsentationen, die neben den Sinnesmodalitäten auch Vorerfahrungen beinhalten. Das umfassendste Modell ist das Realitätsmodell, das so wichtige Modelle wie das Körpermodell umfasst. Besonders wichtig sind die Metamodelle, das sind Modelle über Modelle, die zu Bewusstsein gelangen können. Ein Spezialfall davon ist das Selbstmodell, das ein Subjekt von sich selbst entwirft. Dieses ist wie alle anderen auch in das Realitätsmodell eingebettet und sorgt für die Ausrichtung des Individuums in der Realität. Eine generelle Eigenschaft der mentalen Modelle ist, dass sie zwar gewisse Inhalte, nicht aber die Mechanismen ihrer eigenen Entstehung beinhalten. Das hat auf das Selbstmodell bezogen die Folge, dass aus der Perspektive der ersten Person nicht ersichtlich ist, dass es sich lediglich um ein Modell handelt und somit wird das Selbstmodell für das Selbst gehalten. Metzinger bezeichnet das Selbst demgemäß als repräsentationale Fiktion.

Metzingers Theorie erscheint recht plausibel. Es liefert überzeugende Einwände gegen die traditionelle Konzeption, die sich in wesentlichen Punkten mit denen von Minsky, Dennett und Blackmore decken. Auch die Beschreibung der Mechanismen, die der Ichvorstellung zugrunde liegen scheinen einleuchtend. Allerdings ist nicht klar, ob das Selbst damit tatsächlich als Fiktion ausgewiesen ist. Immerhin ist es das Produkt einer ganzen Reihe von Modellbildungen und erhält seinen Status also erst durch nachträgliche Reflexion in der Introspektion. Dies scheint mir nicht zwangsläufig in zu krassem Widerspruch zur traditionellen Konzeption zu stehen.

Neuere Konzeptionen des Selbstbewusstseins

Das Subjekt-Objekt-Modell des Selbstbewusstseins und die Konzeption der Heidelberger Schule

Aus den bereits besprochenen Schwächen des alten Systems folgt indes nicht, dass das Ich damit schon als Fiktion entlarvt worden ist, viel mehr bietet es sich an, anstelle der alten als falsch erkannten Konzeption eine neue stimmige zu setzen. Eine Motivation dafür ist, dass sich das empirische Ich in der (empirischen) Psychologie als ein sehr tragfähiges Konzept erwiesen hat. Ein Versuch einer solchen Neukonzeption wurde von der Heidelberger Schule unternommen und in diesem Zusammenhang die Namen Dieter Henrich und Manfred Frank zu nennen. Henrich veröffentlichte seine diesbezüglichen Überlegungen 1970, 1982 bzw. 1989und Frank baute seinen Ansatz 1991 und 1994 aus. Die Strategie der vorgestellten skeptischen Positionen bestand im Wesentlichen darin, zu zeigen, dass es ein Objekt mit den Eigenschaften, wie sie die traditionelle Auffassung veranschlagt, in der wirklichen Welt nicht geben kann. Es ist jedoch noch eine andere Strategie möglich, die nicht auf der empirischen sondern auf der Begriffsebene ansetzt. Gezeigt werden soll, dass das althergebrachte Modell aus prinzipiellen Gründen nicht möglich ist. Wenn nämlich Selbstbewusstsein als die Erkenntnis von der Identität von Subjekt und Objekt definiert ist, so ergibt sich ein gravierendes Problem: Um zu erkennen, dass es sich bei dem Betrachteten um das Subjekt handelt ist es notwendig bereits zuvor eine grobe Vorstellung von dem Subjekt zu haben. Dafür bedarf es aber schon eines gewissen Ausmaßes an Selbstbewusstsein. Nach Ansicht von Henrich und Frank beschreite man hierbei einen Zirkel und daher sei das klassische Subjekt-Objekt-Modell in sich widersprüchlich. Wenn man aber die Vorstellung vom Ich als einem Objekt aufgibt, umschifft man dieses Problem. Damit geht auch die übliche Kritik ins Leere, wonach das Selbst nicht existiere, weil es kein derartiges Objekt in der Wirklichkeit gibt. Nötig für diese Uminterpretation ist allerdings eine Alternativkonzeption von Selbst- und Selbstbewusstsein, die sich mit den neuesten empirischen Daten deckt. Frank zufolge ist der Versuch, Selbstbewusstsein als einen Komplex von Selbstzuschreibungen zu sehen, aus oben genannten Gründen als gescheitert zu betrachten. Daher kann Selbstbewusstsein auch generell nicht als Relation von etwas zu etwas anderem gefasst werden. Ebenso kann Selbstbewusstsein nicht als Wissen von einem Sachverhalt gefasst werden. Egal wie der Sachverhalt lautet – um zu verstehen dass der Sachverhalt auf mich zutrifft muss ich immer schon wissen wer ich bin. Empirisch ist Selbsterkenntnis aber offensichtlich möglich. Der Grund dafür liegt nach der Heidelberger Konzeption darin, dass vor jeder reflexiven Selbsterkenntnis immer schon eine präreflexive Selbsterkenntnis angesiedelt ist. Dieses ursprüngliche Selbstbewusstsein zeichnet sich Frank gemäß durch drei Besonderheiten aus. Es stellt erstens eine Form des Wissens dar und basiert zweitens nicht auf der Anwendung von Kriterien, die Maßstab dafür sind, wie sich das Subjekt mit dem vorgestellten Objekt identifiziert. Vielmehr ist das ursprüngliche Selbstbewusstsein drittens unmittelbar und basiert also nicht auf der Beziehung des Objektes zu etwas anderem.

Präreflexives Bewusstsein (1) besteht in der ursprünglichen und unmittelbaren Vertrautheit eines Ich mit sich selbst (2) a) ist nicht durch Wissen vermittelt b) basiert nicht auf Kriterien c) beruht nicht auf einer Beziehung von etwas zu etwas anderem

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass mir persönlich dieser Ansatz außerordentlich plausibel erscheint. Es ist mir intuitiv einleuchtend, dass das (Selbst-)Bewusstsein im Laufe der Evolution Schritt für Schritt, sukzessive zugenommen hat und sich dabei notwendigerweise von einer präreflexiven Stufe her entwickeln muss. Überdies finde ich die klassische Auffassung von der Selbstzuschreibung recht künstlich. Das Selbstbewusstsein sollte meiner Ansicht nach mehr phänomenologisch betrachtet werden.

Tugendhat

Tugendhat entwickelt seine Theorie in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Heidelberger Schule, insbesondere mit Henrich. Er versucht zu zeigen, dass die vom Heidelberg’schen Ansatz scheinbar gelösten Probleme, erst durch ihn geschaffen worden sind. Tugendhat geht von der Frage aus, was im Alltag gemeint ist, wenn man vom sich selbst oder seinen mentalen und körperlichen Zuständen spricht. Dabei wird ihm klar, dass hier nicht von einem „Ich“ oder einem „Selbst“, also nicht von einem Substantiv die Rede ist, sondern von einem Personalpronomen. So kommt es etwa häufig vor, dass jemand jammert: „Ich habe Schmerzen!“. Damit ist aber normalerweise nicht gemeint, dass das Ich oder das Selbst Schmerzen hat, sondern es geht zunächst einmal lediglich um eine Zustandsbeschreibung. Es handelt sich um expressive und nicht um kognitive Sätze. Tugendhat folgt dabei Wittgenstein, im Gegensatz zu diesem aber hält er diese Aussagen nicht für bloße Beschreibungen eines Sachverhaltes und damit für einen Bestandteil desselben. Er merkt vielmehr an, dass es sich bei der Aussage: „Ich habe Schmerzen!“ um das Ausdrücken eines Wissens handelt, das wahr oder falsch sein kann. Darüber hinaus kann ich auch über einen anderen Menschen sagen, er habe Schmerzen, ob das nun stimmen mag oder nicht, was bei dem Ausruf „Au!“ nicht möglich ist. Anders als bei Aussagen über andere stellen allerdings Selbstzuschreibungen eine eigenständige Form des Wissens dar. Sie basieren auf anderen Erkenntnissen, nämlich solchen die mitunter nur mir selbst zur Verfügung stehen. Fremdbeobachtungen hingegen beruhen auf Beobachtungen und Schlussfolgerungen, die weniger direkt und damit auch weniger sicher sind. Tugendhat nennt dies eine „epistemische Assymetrie“ zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen. In ähnlicher Weise kann man von einer „veritativen Symmetrie“ sprechen, insofern als Selbstzuschreibungen genau dann wahr sind, wenn auch die entsprechenden Fremdzuschreibungen wahr sind. Wichtig ist, dass diese Merkmale nicht aus empirischen Untersuchungen gewonnen worden sind, sondern direkte Implikationen der verwendeten Begriffe darstellen. Ebenso wichtig, ist dass es sich in der Lebenspraxis wann immer Ausdrücke wie „ich“, „hier“ oder „du“ verwendet werden um Konzepte handelt, die von der jeweiligen Sprechsituation abhängen. Es macht einen Unterschied ob ich „ich“ sage, oder mein Freund Peter. Es handelt sich dabei um „Indexikalische“ Ausdrücke, wie Tugendhat sie nennt. Es stellt sich die Frage, wie wir dazu kommen, uns auf uns selbst zu beziehen. Geht es um einen externen Sachverhalt wie „singt falsch“, so ist die Notwendigkeit einer Zuordnung sofort klar. Man muss klären, wer falsch singt. Aus der Perspektive der eigenen Person ist die Erfahrung dieser Zustände aber überhaupt nicht zu unterscheiden von dem Bewusstsein, dass es sich um die eigene Person handelt, die die Erfahrung macht. Das knifflige Problem des Selbstbezugs, dass die Heidelberger Schule mit der Einführung eines präreflexiven Selbstbewusstseins zu meistern versucht, scheint bei Tugendhat gar nicht aufzutreten und das deshalb, weil Tugendhat den Begriff des Ichs als eigenständiges Subjekt von vornherein vermeidet. Überdies kommt Tugendhat nicht in die Verlegenheit, die Entstehung des Ichs erklären zu müssen. Er meint, die Heidelberger Schule hätte sich mit dem Ich ein Problem ohne Not eingehandelt. Meiner Ansicht nach umgeht damit Tugendhat zwar elegant die skizzierten Probleme, es ist damit aber nicht gezeigt, dass es kein Ich gibt.


Willensfreiheit

Noch schwieriger als das Problem der Subjektivität scheint das Problem der Willensfreiheit zu sein. „Die Schwierigkeiten ergeben sich aus einem scheinbar klar zutage liegenden Konflikt zwischen monistischen Auffassungen über das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein auf der einen Seite und unseren Intuitionen bezüglich der Willensfreiheit auf der anderen.“ Für den Monisten sind seine Handlungen und Gedanken an sein Gehirn und damit an Naturgesetze geknüpft. Diese determinieren dann sein Verhalten vollständig, bzw. wenn man wie die moderne Physik annimmt, dass die Naturgesetze nur innerhalb gewisser Wahrscheinlichkeiten gelten, so bleibt ein Spielraum für Zufälle. Jedenfalls kann es dann keine freien intentionalen Handlungen geben, denn das würde ja bedeuten, dass ich auch anders hätte handeln können, was innerhalb dieses Paradigmas nicht möglich ist.


<root><br /> <h level="2" i="1">== Kontext ==</h>

Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

<div class="nowiki2scorm">Valid XHTML</div></root>