Maurice Merleau-Ponty: Natur und Logos

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Maurice Merleau-Ponty: „Natur und Logos: der menschliche Leib“, in: Die Natur: Vorlesungen am Collège de France 1956-1960, (München, Wilhelm Fink, 2000), S.275-300.


Maurice Merleau-Ponty gilt seit dem Erscheinen seiner Phänomenologie der Wahrnehmung im Jahre 1945 als der Theoretiker der Leiblichkeit innerhalb der phänomenologischen Strömung, denn die Wahrnehmung findet in diesem frühen Hauptwerk des französischen Denkers ihr Fundament in einer Phänomenologie des Leibes. Der Leib – ehemals lediglich (Be-)Sitz der menschlichen cogitationes – wird für Merleau-Ponty zur transzendentalen Bedingung der Möglichkeit des Denkens, zum ausgezeichneten „Gesichtspunkt zur Welt, der Gesichtspunkt aller Gesichtspunkte, den wir nicht nur faktisch nie je zu verlassen vermögen, und […] ohne den wir nicht mehr weltzugehörig überhaupt nichts zu sehen vermöchten“ (1). Die Ergebnisse seiner frühen phänomenologischen Forschungen eingedenk macht sich Merleau-Ponty in seinem Spätwerk daran, den Begriff der Natur zu klären. Sein Hauptanliegen dabei ist die Verbindung zwischen menschlichem, denkendem Leib und Natur zu entschleiern bzw. die alte Schellingsche Fragestellung, wie Geist und Natur zusammenkommen von einem neuen Gesichtspunkt aus zu beantworten. Die Vorlesungen zum Begriff der Natur, die Merleau-Ponty von 1956-1960 am Collège de France gehalten hat und die zum Teil durch Notizen seiner Studenten und persönlichen Aufzeichnungen zugänglich sind, bilden einen wichtigen Zugang zu seinem leider Fragment gebliebenem Spätwerk Das Sichtbare und das Unsichtbare.

Besagte Vorlesungen zeichnen sich durch einen, bereits auf den ersten Blick erkennbaren, systematisch-didaktischen Zugang zum Begriff der Natur und vor allem dessen Geschichte aus: sie setzen beim antiken griechischen Denken über Natur, bei Aristoteles und den Stoikern ein und spannen einen Bogen über Descartes, Kant, Schelling, Bergson und Husserl zu den modernen Naturwissenschaften eines Einstein oder Uexküll. Diese auf den ersten Blick rein historischen Untersuchungen dürfen jedoch nicht lediglich als philologischer Überblick für seine Studenten verstanden werden, betont Merleau-Ponty doch in der Einleitung zur Vorlesungsreihe er suche den „primordialen, nicht lexikalischen Sinn, der stets gemeint ist, wenn die Leute von ‚Natur‘ sprechen“ (2). Am Ende der Vorlesungsreihe, in den Jahren 1959-1960 kommt Merleau-Ponty auf die Ergebnisse seiner frühen phänomenologischen Forschung zurück und versucht ausgehend von diesen den Begriff „Natur“ neu zu interpretieren. Programmatisch schreibt er hier: „[…] Natur muß […] von der Natur, die wir sind, enthüllt werden. Wir suchen den nexus und nicht die Aufstellung unter dem Blick Gottes. Durch die Natur in uns können wir die Natur erkennen […]“ (3). Und später: „Was die Natur betrifft, so geht es darum, sie wie eine ontologische Blattseite zu untersuchen […] was den Menschen betrifft, geht es darum, ihn an dem Punkt zu fassen, an dem er in der Natur auftaucht.“

Traditionellerweise wird der Mensch durch sein Geistsein definiert. Bereits bei Platon findet sich diese Opposition zwischen Geist und Materie, die sich durch die christliche Philosophie als Leib/Seele-Dualismus bis zu Descartes und Kant durchzieht. Während der Geist als das Auszeichnende des Menschen gesehen wurde, war die Wertschätzung für den Leib geringer, man denke an die platonische Wendung, in der er als der Seele „Kerker“ bezeichnet wird. Die Grundintention Merleau-Pontys, die sich durch seine gesamten Arbeiten durchzieht – von den frühen phänomenologischen Forschungen bis zu seinen Skizzen einer indirekten Ontologie im Spätwerk – besteht genau darin, diese klassische Dichotomie aufzulösen. „Der Leib“, so Merleau-Ponty, „ist nicht nur Ding, sondern Bezug zu seiner Umwelt“ (4); er ist also nicht von der Natur zu trennen, in der er vorkommt. Andererseits will Merleau-Ponty natürlich keineswegs den menschlichen Geist leugnen, vielmehr geht es ihm darum, zu verstehen, wie dieser entstehen konnte und wie wir dieses Phänomen begreifen können ohne auf transzendente Erklärungen zurückzugreifen oder es selbst als Transzendentes, als zweite Positivität getrennt von der Natur zu setzen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist für Merleau-Ponty seine Theorie der „Reflexion“, denn eine erste Reflexion findet bereits im Bereich des Leibes statt: der Leib ist nämlich gleichzeitig Berührendes und Berührtes, Sehendes und Gesehenes. Dies ist der erste Ort einer Reflexion (vom lat. reflectere: zurückbeugen). Der Begriff „Natur“ kann für Merleau-Ponty stets nur wahrgenommene Natur meinen und deshalb hat sie letztlich dieselbe Struktur wie das wahrnehmende, fleischliche Subjekt selbst. Mit den Worten Merleau-Pontys: „Das Fleisch des Leibes läßt uns das Fleisch der Welt verstehen.“(5) In seiner anfangs etwas befremdlichen Rede vom „Fleisch der Welt“ ist für Merleau-Ponty die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt letztlich vollständig aufgehoben.

Meines Wissens spricht Merleau-Ponty an keiner Stelle dezidiert von Umweltschutz oder Umweltethik, jedoch lassen sich aus seiner Philosophie zahlreiche Anregungen für ein solches Anliegen gewinnen. Nicht zuletzt hat sich vor allem Gernot Böhme in diesem Zusammenhang hervorgetan und die Verschränktheit von Leib und Umwelt und deren Konsequenzen für den Umweltschutz in vielen Publikationen betont. Jedoch lässt sich m. E. die gesamte Spätphilosophie Merleau-Pontys als Versuch verstehen, die Wege für ein neues Verständnis von Natur zu bahnen, welches ohne dezidierte Maximen oder Grundsätze für den Schutz der Umwelt auskommt.


Lukas Egger, Wien, 30. Oktober 2008


Fußnoten:

(1) Boehm, Rudolf, in: Maurice Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, (Berlin, Walter de Gruyter & Co., 1966).

(2) Merleau-Ponty, Maurice: Die Natur. Vorlesungen am Collège de France. 1956-1960, Wilhelm Fink Verlag, München, 2000, S.19

(3) Ebd. S.281

(4) Ebd. S.285

(5) Ebd. S.297