Lacan: Präsenz des Analytikers

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Lacan betont, dass das Unbewusste "nicht von der Präsenz des Analytikers abzutrennen" sei (Lacan 1987, 131). Das ist eine Voraussetzung, die bei Freud nicht so gemacht wird. Als Diskussionsgrundlage folgen hier Hinweise zum Unbewussten bei Freud.


Bemerkungen zum Unbewussten bei Freud

Guntram Knapp hat sieben verschiedene Weisen unterschieden (Knapp 1976, 280), in denen Freud den Terminus „das Unbewusste“ verwendet, nämlich als

- psychische Repräsentanz der Triebe

- energetische Quelle des Seelenlebens

- lebensgeschichtlich Verdrängtes (infantiles)

- eine besondere seelische Arbeitsweise (Primärvorgang)

- Anteile von Ich und Über-Ich

- archaische Erbschaft

- Gegenbegriff zum Bewußtsein

Mit dieser Aufstellung ist keine umfassende Darstellung des Begriffs des Unbewussten gegeben. Wichtige Momente des Freudschen Begriffs sind nämlich damit noch gar nicht erfasst. Aber es wird deutlich, von wieviel verschiedenen Seiten die Frage nach dem Unbewussten gestellt werden kann.


Das deskriptive Unbewusste

In seinem ersten systematischen Text über das Unbewusste ist Freud bemüht, die Bedeutung des Ausdrucks „Unbewußtes“ auf eine psychoanalytische Verwendungsweise einzugrenzen (Freud 1912, 29). Die Schwierigkeit einer solchen eingrenzenden Sprachkontrolle wird allerdings sofort deutlich. Wenn Freud nämlich erklärt, dass eine Vorstellung auftauchen, verschwinden und später wieder erscheinen kann und sich damit das Problem ihres Verbleibs in der Zwischenzeit stellt, schließt er an eine bereits Jahrhunderte früher aufgetretene Frage an. Auch Leibniz suchte (auf einem von Locke bearbeiteten Feld) nach einer Lösung, die einerseits das Postulat der „unaufhörliche[n] Thätigkeit der Vorstellungskraft (von Hartmann 171)“ und andererseits das Faktum des Verschwindens von Vorstellungen aus dem Bewusstsein zu erklären in der Lage war.

Freud greift auf eigene frühere Überlegungen zurück, wenn er schreibt, dass jene Phase, in welcher eine Vorstellung nicht bewusst ist, durch ein Verschwinden des psychischen Phänomens ins Physische gekennzeichnet sein könnte. Schon 1895 in der Niederschrift seines Entwurfs einer Psychologie hatte er versucht eine Psychologie auf neurologischer Basis zu entwerfen und war daran gescheitert. 1912 bestätigt er dieses Scheitern, indem er 1) den Bedeutungsumfang von psychisch und bewusst als nicht identisch erklärt und 2) darauf besteht, dass die Psychologie über ausreichend Mittel verfüge, um Phänomene in ihrem Gegenstandsbereich ohne Rückgriff auf Hilfswissenschaften wie die Neurologie zu erklären. Freuds Definition des Unbewussten lautet 1912: „Eine unbewußte Vorstellung ist dann eine solche, die wir nicht bemerken, deren Existenz wir aber trotzdem auf Grund anderweitiger Anzeichen und Beweise zuzugeben bereit sind (Freud 1912, 29).“ Freud scheint mit dieser Beschreibung Erinnerungsspuren und latente Vorstellungen mit einzubeziehen. Er schärft seinen Begriff allerdings in einem nächsten Schritt, wenn er auf klinisches Material, nämlich auf das Bernheimsche Experiment der posthypnotischen Suggestion verweist. In diesem Rahmen führen Hypnotisierte nach dem Erwachen Handlungen aus, zu denen sie während der Hypnose beauftragt sind. Die Hypnotisierten führen einen Vorsatz aus, der ihnen erst im Anschluss an die Hypnose zu Bewusstsein kommt. Das, was Freud hiermit anspricht, nennt er das deskriptive Unbewusste.


Das dynamische Unbewusste

Von einem deskriptiven Begriff unterscheidet Freud einen dynamischen. Die Hypnotisierten können sich im Wachzustand nicht mehr an die Auftragsvergabe durch den Hypnotiseur selbst erinnern. Es wird etwas aus einer Erinnerungslücke des Hypnotisierten heraus wirksam. Während in der Handlung der Vorsatz zum Vorschein kommt, bleibt dieser Anteil der Vorstellung auch nach dem Erwachen verborgen. Das ist wohl der Grund, weshalb Freud ihn als „die auffallendere Seite des Tatbestandes (Freud 1912, 30)“ bezeichnet. Freud findet dasselbe Phänomen bei HysterikerInnen. Ihre Symptome (körperliche Symptome ohne eindeutiges physiologisches Korrelat) sieht Freud parallel zu dem Auftrag, der während der Hypnose erteilt worden ist. Die Hysterika reinszeniert Geschehnisse aus ihrem Leben, an deren erstes Auftreten sie sich aus dynamischen Gründen nicht mehr erinnern kann.

Mit dem Ausdruck „dynamisch“ geraten wir in eine gegenwärtige Sprachgewohnheit. Im klinisch psychiatrischen Alltag wird unter „dynamisch“ jener Bereich verstanden, der 1) nicht über eine neurophysiologische Erklärung zugänglich, 2) auf der Beziehungsebene lokalisiert ist und 3) kein dauerhaftes oder jederzeit unter den gleichen Bedingungen reproduzierbares Phänomen darstellt, weil eben von Beziehungsmomenten abhängig. In dieser Verwendung des Ausdrucks „dynamisch“ taucht etwas auf, was Lacan am Unbewussten für zentral gehalten hat, wenn er in seiner Beschreibung des Unbewussten als Diskurs des Anderen die konstitutive Rolle einer (sich im Sprechen manifestierenden) Beziehung zwischen Subjekten in der Psychoanalyse in den Vordergrund rückt.


Das systematische Unbewusste

Freud trennt vorbewusste, latente Gedanken von unbewussten (Freud 1912, 32). Letztere unterscheiden sich von den ersten dadurch, dass sie, die stark und wirksam, intensiv sind, trotzdem nicht zu Bewusstsein gelangen können. Ursache dafür ist eine Schranke, der Freud große Kraft zuschreibt: Unter Abwehr und Widerstand begreift er jene Mechanismen, die dem unbewussten Gedanken im Unterschied zum vorbewussten den Weg zum Bewusstsein versperren. Hier wird übrigens ein Schwanken sichtbar: Freud denkt sich die Kraftrichtungen nicht immer gleich: Bisweilen spricht er von einem Sog des Ubw, das zur Verdrängung führt, hier geht es um einen Druck von Seiten des Ubw, dem Einhalt zu gebieten ist. Freud versucht diese doppelte Konzeption später durch eine dialektische Bewegung von Besetzung und Gegenbesetzung zu harmonisieren.

Zunächst ist jeder psychische Akt für Freud unbewusst (Freud 1912, 33 f.). Doch Freud spricht auch explizit von unbewussten Gedanken (Freud 1912, 32). Als zentralen Fundort für unbewusste Produktionen bezeichnet Freud den Traum (Freud 1912, 34). Latente Traumgedanken stehen aufgrund der Verbindung, die sich zum Unbewussten hergestellt hat, den unbewussten Gedanken nahe. Freud beschreibt den Weg jener Gedanken, die er als latente Traumgedanken bezeichnet, folgendermaßen: Sie stammen vom Tag, aus geistiger Tätigkeit, aus dem Bewusstsein. Im Einschlafen entsteht eine Verbindung zu einem unbewussten Wunsch. An dieser Stelle konzipiert Freud das Unbewusste als Pool kindlicher Wünsche. Durch diese Verbindung verändert sich der Gehalt der Gedanken. Diese modifizierten Gedanken gewinnen neuerlich Zugang zum Bewusstsein über den Traum. Sie bringen etwas Unbewusstes an die Oberfläche. Dadurch lassen sich an ihnen die völlig anderen Gesetze des unbewussten Seelenlebens erfassen.

Freud ordnet die Mehrfältigkeit seiner Überlegungen durch Einführung eines Systems. Das systematische Unbewusste umfasst alle unbewussten Vorgänge. Es ist im Vergleich zum deskriptiven und zum dynamischen Unbewussten die wichtigste Bedeutung des Ausdrucks „unbewusst“.

Drei Jahre später schließt er an eine der drei Auffassungen, nämlich an die dynamische Auffassung des Unbewussten an, wenn er Unbewusstes in erster Linie als Ergebnis einer Verdrängung von triebrepräsentierenden Vorstellungen deutet. Das Verdrängte stellt allerdings nur einen Teil des Unbewussten dar (Freud 1915, 125). Das Unbewusste ist mehr als das Verdrängte (Freud 1915, 131). Zu ihm gehören neben den verdrängten Akten auch lediglich zeitweise nicht bewusste (latente). Freud sieht hier die Schwierigkeit, dass sich die verschiedenen Einteilungssysteme überlappen. Auch die Einteilung in systematisch Unbewusstes und deskriptiv Unbewusstes hilft nicht. Freud beschließt, das systematisch Unbewusste durch die Abkürzung Ubw kenntlich zu machen.


Topisch, dynamisch, ökonomisch: der Verkehr zwischen den Systemen

In seinem Text über das Unbewusste spricht Freud über das Schicksal der unbewussten Gedanken. Es lassen sich zwei Klassen unterscheiden: diejenigen Gedanken, die immer unbewusst bleiben und diejenigen, die eine Zensur am Eingang zum Bewussten überstehen und ins Bewusstsein eintreten können. Hier können sie an die Oberfläche treten oder auch nicht, sie sind bewusstseinsfähig, können aber durchaus latent oder vorbewusst bleiben. So trennt Freud die Räume der ersten Topik: Unbewusst, Vorbewusst, Bewusst.

Freud fragt, wie sich unbewusste von bewussten Vorstellungen unterscheiden. Erfolgen an der Grenze zwischen den Systemen neuerliche Niederschriften psychischer Akte wie etwa von Vorstellungen? Freud nimmt hier indirekt Bezug auf seine Notiz über den Wunderblock. Als Alternativen schlägt Freud neben der neuerlichen Niederschrift einer Vorstellung eine funktionelle Zustandsänderung vor. Er votiert zunächst für die neuerliche Niederschrift, mit der er eine radikale Trennung der Systeme Ubw und Bw verbindet und die Möglichkeit der gleichzeitigen Existenz mehrerer Aufzeichnungen. Er beschreibt am Beispiel der Mitteilung einer unbewussten Vorstellung, wie er sich den Vorgang denkt. Der Patient verfügt nach der Mitteilung über zwei Formen der Vorstellung – eine bewusste, mitgeteilte und eine unbewusste, als Erinnerungsspur. Die Verdrängung verschwindet nicht mit der Mitteilung, sondern erst dann, wenn sich bewusster und unbewusster Anteil miteinander verbunden haben. Es genügen also nicht die zwei verschiedenen Formen von Niederschriften, sondern da kommt möglicherweise eine Zustandsänderung dazu. Hören und Erleben ist nicht dasselbe, sagt Freud. Und bleibt die Antwort auf die Frage nach der neuerlichen Niederschrift damit schuldig (Freud, 1915, 135).

Verdrängung ist Arbeit an Vorstellungen im Sinne von Entziehung von Besetzung. Diese Arbeit geschieht an der Grenze zwischen Bewusstem und Unbewusstem. Freud fragt, in welchem seiner drei Systeme die Entziehung genau passiert und wohin der Rest, das Entzogene, verschwindet. Seine Antwort: eine Besetzung bleibt auf jeden Fall, sonst hätte die Vorstellung keine Bedeutung mehr für ein Subjekt. Es verschwindet die vorbewusste Besetzung, wodurch nur noch eine unbewusste Besetzung vorhanden ist, oder die vorbewusste Besetzung verwandelt sich in eine unbewusste. Hier votiert Freud also wieder gegen die neue Niederschrift im neuen System und für eine qualitative, funktionale Veränderung.

Er macht sich selbst den Einwand, dass die im Ubw besetzten Vorstellungen tendenziell wieder ins Vorbewusste drängen müssten, denn so hatte er sich ja auch den Mechanismus, der zu latenten Traumgedanken führt, zurechtgelegt. Freud entwickelt hier die Hypothese einer Gegenbesetzung. Mit ihr kann er das Nachdrängen und die Urverdrängung besser verbinden. Mit dieser Gegenbesetzung hält das System Vbw unbewusste Vorstellungen davon ab, wieder bewusst zu werden. Diese Gegenbesetzung ist die Ursache, dass die Urverdrängung beständig bestehen bleiben kann. Bei der Verdrängung geht dieser Bewegung die Entziehung der Besetzung (= Entziehung von Libido) voraus. Freud hält eine Umwandlung der Energie der ersten Besetzung in die Gegenbesetzung für möglich.

Außer dynamisch und topisch nimmt damit ein dritter Terminus Gestalt an: der ökonomische. Alle drei gemeinsam bilden für Freud die metapsychologische Betrachtungsweise. Freud kennt also drei Weisen, das Unbewusste zu charakterisieren: eine dynamische, eine systematische und eine deskriptive und drei Weisen, sich den Verkehr zwischen den Systemen Bw und Ubw zurecht zu legen: dynamisch, topisch und ökonomisch.

Wichtig ist der VII. Abschnitt des Textes über das Unbewusste: Hier spricht Freud von Wort- und Sachvorstellungen, welche als bewusste Vorstellung verbunden sind. Im Ubw, wo der Primärvorgang herrscht, finden wir die Sachvorstellungen allein. Im Vorbewussten werden beide verknüpft durch die Überbesetzung der Sachvorstellung. Das ist ein Abschnitt, von dem eine Auseinandersetzung zwischen Laplanche und Lacan handelt. Denn hier sieht es so aus, als würde Freud das Ubw nicht mit Wortvorstellungen – Signifikanten, sondern mit Sachvorstellungen / Signifikaten verbinden. Was Lacans These der sprachlichen Verfasstheit des Ubw erschüttern könnte.


Lit.:

Freud, Sigmund (1912): Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten, in: ders.: Studienausgabe (SA) Bd. III, Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2000, 27-36.

Freud, Sigmund (1915): Das Unbewußte, in: ders.: SA Bd. III, Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2000, 125-144.

Hartmann, Eduard von (1923): Philosophie des Unbewussten, in: Ludger Lütkehaus (Hg.): „Dieses wahre innere Afrika“. Texte zur Entdeckung des Unbewußten vor Freud. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1989, 169-199.

Knapp, Guntram (1976): Begriff und Bedeutung des Unbewußten bei Freud, in: D. Eicke (Hg.): Tiefenpsychologie, Bd. I, Weinheim, Basel: Beltz, 261-283.

Lacan, Jacques (1987): Das Seminar. Buch XI (1964), Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Weinheim, Berlin: Quadriga 1987.


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