Knowledge Based Economy (Vorlesung, Füllsack, 2008S)

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Organisatorisches zur Vorlesung:

180308 VO § 4.2.3 "Knowledge Based Economy - Ethische und epistemologische Implikationen"
2 Stunden, 3 ECTS-Punkte
Mo 14:15-15:45 Hs. 2i NIG
Kommentar & Infos unter: http://homepage.univie.ac.at/manfred.fuellsack/ss08a.htm
Schriftliche Prüfung am Ende des Semester (letzte Vorlesung)


Einleitung

Der Begriff des Wissen hat im Zuge seines Bestehens enorme Veränderungen erfahren. So haben sich zum Beispiel im Laufe der letzten Jahrzehnte die Zugangsmöglichkeiten zu Wissen in Folge fortschreitender Technologisierung und Vernetzung (nicht zuletzt durch das Internet) drastisch verändert. Die Aktualisierung, Bearbeitung und auch Archivierung von Wissen hat sich demgemäß unmittelbar ins Zentrum ökonomischer Interessen gedrängt (Diffusion, Selektion, Organisation und Messung von Wissen) und wirkt auf diese Weise durchaus beschleunigt auf die Gesellschaft zurück. Ziel der Vorlesung ist es, Wissen in seiner aktuellen Besonderheit sowohl aus gesellschaftlicher (Zentrale Begriffe: "Wissensgesellschaft") als auch ökonomischer Sicht (Zentrale Begriffe: "Wissensökonomie und Wissensmanagement") zu thematisieren und dabei gleichzeitig auf die sich ergebenden Dynamiken und Prozesse hinzuweisen.


Wissen & Nichtwissen als Produktionsfaktor

Beispiel anhand einer Urgesellschaft
Datei:Neolithischerevolution.PNG
Neolithische Revolution

Wissen als Produktionsfaktor besitzt im Gegensatz zu anderen Produktionsfaktoren einzigartige Eigenschaften. So gestaltet sich z.b die Weitergabe von Wissen nicht als ein "weggeben" oder "weitergeben" als vielmehr ein duplizieren oder vervielfältigen des Wissens. Jemand der Wissen weitergibt verliert sein Wissen nicht, und ist auch nach seiner Weitergabe des Wissen immer noch im Besitz seines Wissens. (Gegenbeispiel z.B. die Weitergabe eines Pakets) Eine weitere besondere Eigenschaft von Wissen ist, dass es Voraussetzung für jede Tätigkeit und jeden Produktionsprozess ist. (für jede menschliche Handlung) Dennoch ist es vor allem das Nichtwissen ("Risiko"), dass in gegenwärtigen Produktionsprozessen verstärkt berücksichtigt wird und ein Grenzphänomen darstellt das Niklas Luhmann in seinem berühmten Zitat "Man sieht nicht, was man nicht sieht!" zum Ausdruck bringt. Aufgrund fortschreitender Technologisierung und Rationalisierung der Produktionspozesse die mit einer Expansion des Produzenten bzw. Unternehmens einhergehen, steigt die zu verwaltende Menge an Wissen & Nichtwissen. (Mitarbeiterverwaltung, Produktmanagment, Promotion usw.) Es dürfte klar sein, dass es sich hierbei nicht um Phänomen neuester Zeit handelt, sondern dass die Menschen, die Gesellschaft, die Unternehmen usw. relativ früh gezwungen waren das generierte Wissen produktiv zu verwalten. Es kam daher relativ früh zu einer Gliederung in verschiedenste Bereiche relativer Eigenständigkeit, die selbst wiederum das Wissen welches sie selbst generieren bestmöglich zu verwalten versuchen um damit eine gesteigerte Interaktion mit anderen Bereichen sei dies zum Beispiel dem Markt zu erzielen. Am einfachsten lässt sich dieser Umstand anhand einer Urgesellschaft verdeutlichen, welche vorerst nur aus Jägern und Sammlern besteht und durch fortschreitende Verbesserung der Kenntnis von Standorten von umliegenden Jagdgebieten und Sammelstätten und der damit einhergehenden Verbesserung der Nahrungsversorgung gezwungen ist, ihre Gesellschaftlichen Strukturen zu überdenken. Denn eine Nichtberücksichtigung dieser Faktoren könnte ausserst negativ zurückrückwirken. (sei es aufgrund von Überwilderung usw.) Diese Urgesellschaft ist folglich ab jenen Zeitpunkt gezwungen nicht nur gegenwartsbezogen zu aggieren sondern auch zukunftsweisend zu wirschaften um ihren einen Fortbestand gleichbleibend zu garantieren. Als einer der zentralsten Punkte dürfte hierfür, die neolithische Revolution die vor ca. 20000 Jahren im orientalischen Raum ihren Anfang nahm sein. Diese markiert die Sesshaftwerdung von Gesellschaften durch Ackerbau und Viehzucht sowie eine neu eingeführte Vorratshaltung. Mit ähnlichen, anderen und teilweise denselben Dynamiken und Problematiken operiert die Gesellschaft bis heute, sei es im Zuge von Risikomanagment usw. auf wirtschaftlicher Ebene.

Ein weiteres nennenswertes Beispiel ist nach Manfred Füllsack auch die historiche Entwicklung der Scholastik, insbesondere ihre Auslagerung von "Problemstellungen" in Bildungssysteme wie Schulen. Dieser Aspekt findet sich auch unter anderem im zur Vorlesung begleitenden Buch "Zuviel Wissen":

"In diesem Zusammenhang ist es, wie angenommen, zunächst nur um die Etablierung und Stabilisierung des christlichen Wissens gegangen, um die Behauptung und Sicherung der Wahrheit dieses Wissens, und damit um die hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit, mit der dieses Wissen auf seine spezifische Nachfrage treffen soll. In dieser Hinsicht hat sich die Schrift als äusserst effektifes Mittel erwiesen, das im schnell wachsenden, sich räumlich ausdehnenden und zeitlich Kohärenz gewinnenden Christentum sehr wesentlich zur Korrelation von dessen Wissensangebot mit der gesellschaftlichen Nachfrage danach beigetragen hat. Nicht zuletzt mit Hilfe der Dom- und Klosterschulen und ihrer Lehrmethoden und Lehrschriften hat die Etablierung und Stabilisierung des christlichen Wissens im europäischen Raum doch erstaunlich effizient funktioniert." (Füllsack, Manfred: Zuviel Wissen. Avinus Verlag 2005 S.95)

Relation von Wissen & Wahrheit

Mit der gewagten These: "Wenn alle dieselbe Wahrnehmung hätten, gäbe es die Wahrheitsfrage nicht." versucht Manfred Füllsack auf den Umstand aufmerksam zu machen, dass sich die Frage nach Wahrheit überhaupt erst stellt, alsbald über denselben Inhalt sei es aufgrund unterschiedlicher Perspektive unterschiedliche Meinungen bilden lassen. Inwieweit sich Wahrheit demzufolge durch Wissen beschreiben lässt ist fragich, und gilt es in diesem Zusammenhang zu überlegen, ob Wissen nicht grundlegend auf einer Art Konsens beruhen könnte, der schlichtweg durch verschiedenste Mechanismen von Bereichen Relativer Eigenständigkeit durchgesetzt wird und demgemäß von Wahrheit abweichen könnte. Wird Wissen als ein eigenständiges System verstanden und Wahrheit als ein eigenständiges System verstanden, bricht ein Problem auf, das folgendermaßen umschrieben werden könnte.

Struktur oder Chaos

Die Struktur der Wahrheit könnte entgegen der Struktur von Wissen unbestimmbar (chaotisch) sein. Wissen als strukturelles Konstrukt verstanden liese sich zwar auf Wahrheit anwenden, würde aber dieser aufgrund ihrer unstrukturiertheit nicht entsprechen. Der wissenschaftlich Zweig der sich mit solchen chaotischen Systemen beschäftigt wird als Chaosforschung bezeichnet und die Systeme die er behandelt werden als chaotische (nicht lineare) Systeme bezeichnet und werden in der sogenannten Chaostheorie thematisiert. Ziel ist es, das Phänomen einer nicht vorhersagbarkeit von Systemen betrachtet auf einer Zeitachse festzustellen, was vor allem durch Beobachtung von sich verselbstständigenden Dynamiken und Prozessen bewerkstelligt wird. Desweiteren versucht die Chaostheorie selbst einen nicht vorhersagbaren Algorithmus bzw. ein nicht vorhersagbares Gesetz zu entwickeln um ihre These eines deterministischen Chaos zu wissenschaftlich zu begründen. Ein Beispiel wäre z.B. "Der Schmetterlingseffekt" der besagt, dass die Flügelbewegung eines Schmetterlings unvorhersagbare Katastrophen auslösen könnte.


Datei:Dreikoerperproblem.jpg
Dreikörperproblem

Ebenfalls lässt sich aber auch das von Henri Poincaré entdeckte - n-Körperproblem (Dreikörperproblem) anführen. Dieses thematisiert das Problem von drei bzw. n in Beziehung zueinander stehenden sich bewegenden Körpern. Während das Zweikörperproblem durch die Keplerschen Gesetze streng lösbar ist, erwies sich das Dreikörperproblem lange Zeit als absolut unlösbar und kann bis heute nur durch aufwendiste Berechnungen (Simulationen) in bestimmten Fällen näherungsweise gelöst werden.

Perspektive

Eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit Wissen & Nichtwissen spielt auch die Perspektive. Zum Einen führt eine unterschiedliche Betrachtung von verschiedenen Perspektiven zu unterschiedlichen Wissenständen, und zum Anderen verändert sich Wissen selbst unter der Betrachtung einer Anderen Perspektive. Dieser Umstand ergibt sich vor allem daraus, dass jede Perspektive mit der ein Phänomen betrachtet wird, andere Perspektiven weitestgehend ausschließt. (sog. Ausblendungen) Die Betrachtung unter einer Perspektive generiert damit folglich nicht nur Wissens, sondern eben auch Nichtwissens. Die Problematik die sich folglich ergibt, ist der Aspekt des Doppelcharakters den Wissen & Nichtwissen an dieser Stelle aufweisen. Der Versuch durch gegenseitige Verknüpfung, die sich ohnehin aus der Bedingtheit der einzelnen Bereiche ergibt (siehe: Bereiche relativer Eigenständigkeit) zu lösen, kommt an dieser Stelle vorerst vor dem Problem der Polykontexturalität zu stehen. (Deswegen die These: "Problemlösungen generieren stets neue Probleme")


Bereiche Relativer Eigenständigkeit

Einer der wohl wichtigsten Eigenschaften von Bereichen relativer Eigenständigkeit ist die Ausblendung anderer Bereiche und Faktoren die für das fortschreiten der eigenen Spezialisierung hinderlich sein könnten. Diese Ausblendung anderer Perspektiven, ist der Versuch die eigene Perspektive etablieren zu können. Angelent an das Beispiel der Urgesellschaft, bestehend aus Sammlern und Jägern, spezialisiert sich jeder dieser Bereiche innerhalb jener Perpektive die er verfolgt. Um diesen Prozess zu beschleunigen wird die Interaktion zwischen diesen Bereichen, also die jeweili andere Perspektive weitestgehend ausgeblendet. Diese Ausblendung führen schlussendlich dazu, dass sich die verschiedenen Perspektiven in ausgeprägter Form gegenseitig widersprechen können. (= Polykontexturalität) Als Resultat dieses Phänomens ergibt entseht ein Konkurrenzkampf um die Etablierung des eigenenen Wissens bzw. Wahrheitsstandes. Die Folge daraus ist, dass das generierte Wissen auf seine Produktivität hin geprüft wird, und damit zu einem wirtschaftlichen Faktor wird. Für Bereiche Relativer Eigenständigkeit ergeben sich folglich folgende Drei grundlegende Eigenschaften.

  • Bereiche Relativer Eigenständigkeit nehmen Ausblendungen vor um sich zu Spezialisieren
  • Bereiche Relativer Eigenständigkeit können in „Konkurrenz“ zu anderen Bereichen stehen
  • Bereiche Relativer Eigenständigkeit stehen in einer gewissen Abgängigkeit zu anderen Bereichen


Um sich gegenüber den anderen Bereichen relativer Eigenständigkeit etablieren zu können, muss dieser für eine bestimmte Nachfrage des Wissen sorgen:

"Sie werden, kurz gesagt, ihre Mitgesellschafter davon überzeugen müssen, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit tauschenswert sind. Sie werden, anders gesagt, daran arbeiten müssen, das hochspezifische Angebot an Wissen, das sie generieren, hinreichend wahrscheinlich mit seiner Nachfrage zu korrelieren." (Füllsack, Manfred: Zuviel Wissen. Avinus Verlag 2005 S.45)

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