Interpretieren oder Verändern? (Vorlesung, Füllsack, 2006/07)

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Anmerkung Füllsack: die Idee eines Wiki ist es, "sich selbst zu schreiben", d.h. sich aus den verschiedenen Beiträgen UND den Einwänden dagegen MIT DER ZEIT selbst zu dem zu formen, was damit bezweckt wird, nämlich im vorliegenden Fall ein Skriptum, ein Lehrbehelf. In diesem Sinn können Beitragende beitragen, was immer sie für relevant halten UND dabei glauben, dass dies auch die Gemeinschaft der anderen BeiträgerInnen fuer relevant hält. Ist die Gemeinschaft anderer Meinung, wird sie unpassende Beiträge problematisieren. Es bedarf hierzu keiner "Autorität", die in diesen Selbst-Schreibungsprozess lenkend oder zensurierend eingreift. Ich werde dies, obwohl ich selbst eine Reihe der hier dargestellten Zusammenhänge anders formulieren oder akzentuieren würde, daher auch nicht tun. Die folgende Darstellung ist einzig die Leistung des Kollektivs der HörerInnen meiner Vorlesung. Da allerdings selbst eine gutbesuchte Lehrveranstaltung, wie die vorliegende, vermutlich keine so große Gemeinschaft bereitstellt, dass diese Selbst-Problematisierung hinreichend gewährleistet wird, werde ich mich von den Beiträgen im Wiki gelegentlich auch anregen lassen und in der Vorlesung darauf zu sprechen kommen, wenn Dinge gepostet werden, die nicht meiner Meinung, meinen Vorstellungen und meinem Kenntnisstand entsprechen, oder die ich vielleicht zu erwähnen vergessen habe oder überhaupt übersehen habe. Abgesehen davon, dass also ein Wiki geradezu idealtypisch jene Bedingungen beleuchtet, die in der Vorlesung als Bedingungen des Interpretierens und Veränderns sozialer Zusammenhänge thematisiert werden, bietet es die Möglichkeit, klassische Frontalvorlesungen noch während ihres Stattfindens zu beeinflussen und damit zu effektivieren. Ich fordere daher dazu auf, diese Möglichkeit intensiv zu nutzen


Die Vorlesung geht vom 11. Feuerbach-Axiom von Karl Marx aus (MEW Bd.3):

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kömmt drauf an, sie zu verändern."

Menschen haben das Anliegen, die Welt zu verändern, sowie eine Vorstellung, wie diese aussehen sollte. Durch die Verwerfungen, die sich aus der Sicht auf die Welt und der Vorstellung der Welt ergibt, versuchen sie, die Welt zu verbessern. Verbessern heißt dabei, ihren Ist-Zustand zu verändern und setzt voraus, dass es einen Unterschied zwischen dem Sein der Welt und dem Sollen gibt.

Man könnte sich auch fragen, ob es sinnhaft ist, die Welt zu verändern. Nicht selten waren Philosophen Erfüllungsgehilfen für totalitäre Versuche, die Welt zu verändern (etwa im Nationalsozialismus). Die Frage, die im Vorlesungstitel anklingt - "Interpretieren oder Verändern?" - ist sinnhaft. Worin liegen Vor- und worin liegen Nachteile für das Interpretieren und für das Verändern?


Sozialphilosophie

Die Sozialphilosophie im Unterschied zur Klassischen Philosophie behandelt die Spannung zwischen Sein (Ist-Zustand) und Sollen (Soll-Zustand). Die Bearbeitung dieser Spannung, der Versuch der Veränderung des Ist-Zustandes, unterliegt immer Dynamiken und Pfadvorgaben (siehe QWERTY-Phänomen).

Unter den Sozialwissenschaften (= Gesellschaftswissenschaften) nimmt die Sozialphilosophie eine sehr wichtige und fundamentale Rolle ein. Dabei knüpft sie an die klassische Philosophie an und erweitert diese um den sozialen Aspekt, der eine neue Auffassung des Begriffes Individuum hervorgebracht hat. Außerdem thematisiert sie die dynamischen Prozesse und Vorgänge und versucht diese zu erklären, um so eine Basis für die Thematik aller Sozialwissenschaften zu schaffen.

Charakteristisch für die Sozialphilosophie ist:


  • Erweiterung der Philosophie um den sozialen Aspekt
Die Sozialphilosophie knüpft an die Ideen der Klassischen Philosophie an und fügt die soziale Dimension hinzu, welche die Beziehung zwischen Gesellschaft und Individuum betrachtet.
  • Polykontexturalität
Die Idee von einer besseren Welt wird zu einer sozial bedingten Vorstellung, weil sie von bisherigen Ideen und Veränderungen (Vorwissen) abhängig ist. Der ständige Wissensfluss in der Gesellschaft verursacht einen dynamischen Prozess, der das Individuum zu einer neuen Wissensförderung (Veränderung) anregt.
  • Neue Auffassung von Individualität
Das Individuum ist nicht das Produkt seiner selbst, sondern wird durch die Gesellschaft entscheidend geprägt. Werte werden von frühester Kindheit an sozial vermittelt. Durch Sozialisation und Kulturation seitens der Familie, Freunden, Kollegen - kurz dem sozialen Umfeld - wird das "Individuum" geprägt. So ist das Individuum nicht völlig individuell vorstellbar. Es ist vielmehr das Produkt der Reflexion des Subjekts auf sein Umfeld.
  • Kontextsteuerung
Mit der Kontextsteuerung versucht man Dynamiken zu nutzen, die in intendierte Richtungen laufen könnten und versucht Multiplikationseffekte auszulösen. Sie funktioniert ohne Mahnung oder Zwang.


Der Sozialphilosophie geht es anders als den anderen Sozialwissenschaften nicht um eine reine Beobachtung (= Soziologie), auch nicht um die reine Nutzung von Dynamiken (= Betriebswirtschaft) oder um die historische Erfassung (= Sozialgeschichte), oder um das reine Wirken auf das Individuum (= Sozialpsychologie) als vielmehr um das Erklären der Sache an sich und der damit verbundenen Kritik, womit sie der klassischen Philosophie treu bleibt. Dabei liegt ihr unter anderem folgende Überlegung zu Grunde:

Philosophische Überlegungen von Hegel

zur Unmöglichkeit der Übereinkunft von Ist- und Soll-Zustand: In dem Moment, in dem ich arbeite, negiere ich den aktuellen Zustand. Die Bearbeitung der Welt bringt etwas Neues, Positives (im Sinne von Gegebenes) hervor. Je nachdem wie die Arbeit geschieht, verschiebt sich die Weltsicht zumindest in geringem Ausmaß durch die durch Arbeit veränderte Wahrnehmung. Darüber hinaus sind unentwegt politische, technische, ökonomische, etc. Dynamiken am Werk, die gemeinsam mit dem zuvor Gesagten bewirken, dass jeder neue, positive Zustand zugleich wieder Ausgangspunkt für einen weiteren Negationsakt ist. Jeder erreichte Soll-Zustand zieht neue Probleme nach sich und neue Soll-Zustände entwickeln sich. Eine völlige Übereinstimmung des Ist-Zustandes mit dem Soll-Zustand ist deshalb faktisch nicht möglich. Eine spannungsfreie Gesellschaft ist nicht denkbar. Diese Überlegung spiegelt sich in der wahrscheinlich von Hegel bekanntesten dialektischen Formulierung These - Antithese - Synthese (die wieder zur These wird) wider.

Interpretation und interpretieren

Interpretation ist der lateinische Begriff für Auslegung, Deutung und Erklärung. Wissenschaftlich betrachtet ist die Hermeneutik diejenige Methode, die als Lehre vom Verstehen und wissenschaftlichen Begreifen geisteswissenschaftlicher Begriffe bezeichnet werden kann und somit die vermutlich häufigste Methode um zu interpretieren. Die Interpretation ist weiters vom interpretierenden Subjekt bzw. Individuum, dessen sozialer Prägung und dem Kontext der Interpretation abhängig. Die Hermeneutik als interdisziplinäre Wissenschaft trägt diesen bis zu einem gewissen Grad determinierenden sozialen Gesichtspunkten Rechnung. Die Wahrnehmung der Welt und das Verstehen sind unzertrennbar miteinander verbunden. Ein Montaigne, Langschläfer und Vermögender, nahm die Welt bspw. anders wahr als ein Bauer seiner Zeit. Das Verstehen resultiert immer auch schon aus unterschiedlichen Voraussetzungen (Faktizitäten), die nie ganz eingeholt und nivelliert werden können.

Sprache und Interpretation

Wenn wir gewöhnlich von "Interpretation" und "interpretieren" sprechen, nehmen wir meistens an, es handelt sich hierbei ausschließlich um bewusste, reflektierte Deutungen und Auslegungsakte. Doch unser alltäglicher Gebrauch der Sprache, das schlichte Benennen von Sachverhalten und Dingen, stellt bereits eine Interpretation der Welt dar. Die Sprache gilt als Ausdruck für die Tatsache, dass der Mensch für ein Leben in der Gemeinschaft angelegt ist. Sie gilt als soziales Projekt und soll dazu beitragen, dass die Interaktion und Kommunikation zwischen Individuen ermöglicht und Verständigung „wahrscheinlicher“ wird. Um diese Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, sind die Laute, mit denen wir die Dinge bezeichnen, unterschiedlich von den Dingen, die bezeichnet werden. Es gibt so genannte onomatopoetische Begriffe wie z.B.: "zischen" oder "kratzen" bei dem das Zeichen dem Bezeichneten sehr ähnlich ist. Sie stellen jedoch eine Ausnahme dar. In den meisten Fällen herrscht ein scharfer Kontrast zwischen Zeichen und Bezeichneten. Man spricht auch von der Arbitrarität ( arbiträr = willkürlich, beliebig, nicht naturgegeben) der Zeichen. Durch diesen Unterschied zwischen Lautgestalt und Wortinhalt wird es möglich eine Mitteilung von einer bloßen Information zu unterscheiden. Er ist funktional. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikation gelingt erhöht sich. Die Schrift bietet in weiterer Folge die Möglichkeit der Telekommunikation, das heißt der ortsunabhängigen Kommunikation. Dadurch steigt die Zahl der potentiellen Rezipienten und Kommunikationspartner einer Botschaft exponentiell an. Aus diesem Grund ist es auch notwendig, dass die schriftlichen Zeichen sehr stark typisiert und abstrakt sind. Doch diese einheitliche Erscheinung und Verwendung der Zeichen verhindert nicht die Tatsache, dass die Zeichen und Begriffe von den unterschiedlichen Kommunikationspartnern unterschiedlich interpretiert und aufgefasst werden. Ein Zeichen ermöglicht eine Vielzahl von Interpretationen. Temporär einigt man sich auf Bedeutungen für gewisse Zeichen. Eine vollkommene, eindeutige und unveränderliche Deckung zwischen Zeichen und Bezeichneten gibt es jedoch nie.

Parallel zu den dem Begriffspaar von Zeichen und Bezeichnetem existiert auch jenes von Erscheinung und Wesen - dem "Ding an sich", wie es Immanuel Kant nennt.

Die von den Menschen subjektiv wahrgenommenen Gegenstände sind nach Kant nicht Dinge an sich, sondern nur Erscheinungen, wie sie abhängig von unserer Erkenntnis objektiv in Raum und Zeit vorhanden sind; Raum und Zeit sind hierbei Anschauungsformen, nach denen die Gegenstände erkannt werden.

Das An-sich-seinende ("Ding an sich") kennen wir also demnach gar nicht, und es hat mit unseren apriori gegebenen Erkenntnisstrukturen nichts zu tun. (Kant: "Was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht und brauche es nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders als in der Erscheinung vorkommen kann")

Das "Ding an sich" bleibt somit unerreichbar. Die Möglichkeit eines bedeutungsfreien Zugangs zur Welt bietet sich uns nicht. Die Natur, das Leben ist nicht zeichenfrei zugänglich, immer leben wir in einer interpretierten Wirklichkeit, ja man könnte behaupten: leben heißt interpretieren Die Hülle des "Für-uns-Seins" der Dinge kann nie abgestreift werden. Die Frage, die sich aufdrängt, ist also, ob ein Bezeichnetes als eigenständige Entität überhaupt existiert, etwas, das unseren zahlreichen Interpretationen als Feststehendes zugrunde liegt.

Veränderung und verändern

Veränderung heißt im 21. Jahrhundert etwas anderes als im 19. Jahrhundert. Veränderung ist immer vom Kontext abhängig und von einer Vorstellung geleitet, da sie von einem Ist-Zustand ausgeht. Jede Veränderung in der Gesellschaft ruft auch Gegenreaktionen hervor, die den neuen Ist-Zustand wiederum verändern. Somit ist Veränderung ein soziales Phänomen. Daher wird man versuchen, eine (nachhaltige) Veränderung dadurch zu erreichen, indem man mögliche Gegenreaktionen bereits vorweg einkalkuliert und deren Vorstellungen soweit wie möglich in ihr integriert. Veränderung ist heute ein ungemein komplizierter und komplexer Prozess geworden. In Anlehnung an den von Luhmann gebrauchten Begriff der Interpenetration können wir feststellen, dass eine Beziehung zwischen Veränderungen besteht, die füreinander wechselseitig zum Kontext, vor welchem die Veränderung stattfindet, werden.

Beispiel:
Nehmen wir dieses Wiki und einen Satz daraus als Beispiel. Angenommen zwei Akteure A und B haben jeweils eine bestimmte Fassung des Satzes im Sinn, so werden sie nicht das ganze Semester hindurch den Satz jeweils der eigenen Vorstellung anpassen und regelmäßig von einem Zustand in den anderen (und wieder zurück) bringen, sondern sich auf eine Fassung einigen, die der Vorstellung beider Akteure in dem Kontext dieses Wikis am besten entspricht. Das entspräche der Annahme, dass aktuelle Diskurse vor dem Hintergrund einer polykontexturalen Welt ablaufen, wissend, dass es keine absoluten Wahrheiten, Richtlinien und Maßstäbe mehr gibt.

Lösungen schaffen neue Probleme (bzw. sind zumindest potentiell dazu in der Lage)

These: Je weiter wir uns von unserem Urzustand wegentwickeln, desto mehr Probleme treten auf, es werden aber kaum welche gelöst. So beschäftigen uns dieselben bzw. ähnliche (Haupt)Probleme wie sie die Menschen in der Antike beschäftigt haben. Darüber hinaus aber bspw. haben wir uns mit vielen neuen (Prinzipial- und Derivativ-)Problemen auseinanderzusetzen bzw. sehen uns mit diesen konfrontiert wie etwa Umweltverschmutzung, Rohstoffknappheit etc.

Beispiel:
Durch die Erfindung des Automobils wurde ein wahrgenommenens Mobilitätsdefizit in gewisser Weise gelöst. Dadurch und infolge wurden nach und nach daraus resultierende weitere Probleme, die ihrer Bewältigung harrten, wahrgenommen, wie die Bewältigung des mit dieser Erfindung einhergehenden Rohstoffsbedarf, der auf sie zurückführenden steigenden Umweltbelastung und folglich der intendierten Sanierung der Umwelt, um sie überhaupt als lebensermöglichend und unser Leben darin als lebenswert zu erhalten.

Zudem führt die Art von Lösung des Mobilitätsproblems u.a. zu einem neuen Mobilitätsproblem aufgrund der einhergehenden Beschleunigung der Welt und der Vorgänge darin. Mit der Entwicklung zum Serienfahrzeug hin wurden an den Menschen von der Gesellschaft, insbesondere auch an die Erwerbstätigen aber freilich in neuerer Zeit nicht zu vergessen auch an die Arbeitslosen, neue Anforderungen gestellt. Nun gilt es um etwa die erreicht Zeitersparnis mehr zu leisten und die Leistung schneller zu erbringen. Es erfolgte eine Revolution nicht nur des Alltags, sondern der Wahrnehmung der Welt in vielen Bereichen. Mitunter ist das Burn-Out-Syndrom auf die Beschleunigung der Welt, die aus der Lösung eines Mobilitätsdefizits resultiert, rückzuführen bzw. steht mit dieser in Verhältnis. Das Burn-Out-Syndrom wiederum ist dafür verantwortlich, dass sich der völlig Überlastete sich einer medizinisch-psychologischen Behandlung unterziehen lässt etc. etc.

Welches grundlegende Problem aber wurde durch diese Erfindung gelöst bzw. war die Lösung dieses Mobilitätsdefizits die Folgen wert - all die neuen Probleme die dadurch auftraten? Das Mobilitätsproblem freilich ist nur einer von unzähligen Problemen das gelöst wurde und an das wie auch an die unzähligen anderen gelösten Probleme wieder potenziert viele unzählige andere Probleme gekoppelt sind. Die grundlegenden (auch wenn dieser Begriff noch so problematisch sein mag) Probleme der Welt wie etwa Hungersnot, Armut etc. wurden durch all die gelösten Probleme seit Beginn der Geschichtsschreibung und darüber hinaus nicht gelöst, sondern allenfalls zugespitzt, jedoch folgten aufgrund des bloßen Lösungsversuchs eben neue, bisher gar nicht wahrnehmbare, weil oft vorher gar nicht vorhandene, Probleme, die wir nun basierend auf dem Lösungsversuch und nicht basierend auf einer etwaig finalen Lösung bearbeiten.

Auch wäre durchaus denkbar, dass das Auto keine Lösung, sondern allenfalls nur ein Lösungsversuch eines vielleicht nur scheinbaren Mobilitätsproblems ist. Hierzu mögen wir Jean-Paul Satres Theorie eingedenk sein, dass ein Problem erst durch unseren Entwurf, durch den die Faktizität transzendierenden Akt, durch den eine neue relevante Faktizität entsteht, geschaffen wird. Sartre bringt das Beispiel der Differenz wie unterschiedlich wir einen Fels wahrnehmen bzw. was seine Existenz für uns unterschiedliches bedeuten kann. Für einen Bergsteiger bedeutet ein Fels etwas anderes als bspw. für einen Weinbauern im Flachland und wieder anderes für einen Wanderer. Es kann sein, dass der Bergsteiger den Fels als willkommene Erprobung seiner Kletterkünste erlebt wird, andererseits aber der Wanderer ihn als Hindernis wahrnimmt. Der Grund dafür wurzelt nach Sartre in den von den Individuen gefassten verschiedenen Entwürfen, die den Fels erst als etwas: bspw. etwas Hinderliches, etwas Willkommenes oder auch für den Weinbauern, der niemals in die Berge kommt auch etwas völlig Irrelevantes wahrnehmen lässt.

--- eu zen (gut leben) ---

Leben versus gut Leben:

Der Modernde scheint in einem infiniten Progress (progressus infinitus), in Abgrenzung zum infiniten Regress (regressus infinitus), gefangen. Er steckt sich immer wieder ein Ziel, dass zum gut Leben (und wir erinnern uns - es war das gut Leben das den Ausschlag dafür gab, wie Sokrates gegen Kriton argumentierte und aufgrund dessen er schließlich den Tod dem bloßen (nach der Flucht und dem Gesetzesbruch dann eben nicht mehr guten) Leben vorzog) hinführen soll, ohne dass es der Moderne auch nur annähernd je erreichte. Man arbeitet mit Unbehagen an sich (oder boshafter aber wahrscheinlicher realistischer: gegen sich) und an und für die Gesellschaft in der Absicht einmal gut zu leben, revidiert aber einerseits immer wieder seine Ziele und gelangt nie zum eigentlichen Ziel des Lebens aufgrund der Gesellschaftsdynamik, der Dynamik der Veränderungen und auch seiner eigenen dynamischen Persönlichkeit (im negativen Sinn des Wortes) wie auch seiner daraus resultierenden eigenen Orientierungslosigkeit. Der Moderne ist es, der Schopenhauers Metapher von der Zuchthausarbeit des Wollens in ihrem höchsten Ausdruck realisiert. Alles dient dem Kapitalismus mehr als je zuvor: früher wurde der Reichtum als Eröffnung von Möglichkeiten betrachtet (als Telos), womit man sich Gewisses leisten konnte, wie etwa eine klassische Bildung, die selbst nicht wieder in den Kapitalismus (zumindest nicht direkt)rückfloss, ihm diente. Heute lässt sich beobachten, dass sich die Söhne von "Kapitalisten" kaum mehr im Musischen bilden, sondern allenfalls in Gegenständen, die für den Kapitalismus eine unmittelbare Bewandtnis haben. Um das Entenjagdzitat zu modifizieren: Heute gleicht alles einer auf Dauer gestellten Zweckjagd ohne Ende. Telos heißt tatsächlich nicht nur Ende und Ziel, sondern auch Zweck, aber ein auf ein Ziel gerichteter Zweck. Die Zwecke der Modernen aber haben meist weder Ziel noch ein Ende.

Polykontexturalität

Siehe auch Historische Entwicklung des Begriffes Polykontexturalität.

Die Polykontexturalität meint die in neuerer Zeit durch die Vielfalt der Wissensstände und allgemeine Dynamisierung des Wissenschaftsprozesses entstehende Pluralität von Kontexten. Waren etwa noch im europäischen Mittelalter Wissen und Wissenschaft statische Begriffe, die in ihrer Relevanz von der Institution Kirche definiert wurden, so werden die Grenzen, die Wissen immer zieht, indem es auch das Nichtwissen definiert ("Omnis determinatio est negatio" - "Jede Bestimmung ist eine Verneinung", Spinoza), heute permanent verschoben. Unter anderem verschiedene Auffassungen und Herangehensweisen (gerade in der Philosophie) schaffen jene Wissensvielfalt, die für den Begriff Polykontexturalität wesentlich ist und natürlich auch dem Vorhaben der Veränderung Schwierigkeiten bereitet.

Content & Kontext

Sowohl der Content als auch der Kontext befinden sich in steter Veränderung. Im Laufe eines Versuchs können sich die Bedingungen desselben ändern (etwa das Ich, die individuelle Wahrnehmung oder auch wissenschaftliche Erkenntnisse) und es findet damit eine Rekonfiguration des Content und des Kontext statt. Neuer Content wird im nächsten Moment vom nächsten Menschen als Kontext für wieder neuen Content benutzt, usw. Ein spezifischer Kontext oder Content ist immer nur perspektivisch und temporär im Zentrum. Dies muss für das Vorhaben der Veränderung beachtet werden.

Beispiel:
A mag keinen Fisch da er im Fernsehen gesehen hat, dass viele Menschen durch das Essen von Fisch an Salmonellen erkranken. Da A seinen Körper nicht unnötig belasten will, isst er keinen Fisch und erzählt seinem Umfeld, dass man durch Fische Salmonellen bekommen kann. Einige Jahre später entdeckt die Ernährungswissenschaft, dass Fisch eine nahezu einzigartige Quelle für wichtige Fette darstellt, welche der Körper benötigt und dass das Nicht-Essen von Fisch den Körper belasten kann. A beschließt nun, doch Fisch zu essen und erzählt seinem Umfeld, dass man durch Fische zwar Salmonellen bekommen kann, man aber dennoch Fisch essen sollte.

Epistemologische Problematik

Die Polykontexturalität birgt vor allem eine epistemologische (erkenntnistheoretische) Problematik. In einer sich immer mehr spezialisierenden (Wissenschafts-)Welt basieren Fragestellungen in einem wachsenden Ausmaß auf einem hoch differenzierten Problembewusstsein, welches nur von Spezialisten in dem jeweiligen Gebiet entwickelt werden kann. Nicht-Spezialisten des jeweiligen Gebiets haben nicht mehr die Voraussetzungen, die jeweiligen Problemlagen zu verstehen oder zu erkennen. Dies führt im Weiteren zu einem Unverständnis bzw. einer fehlenden Akzeptanz dieser Probleme.

Ein simples Beispiel hierfür ist die Müllproblematik. Wenn jemanden nicht klar ist, dass das Hinauswerfen von Plastikflaschen aus dem Zugfenster negative Folgen für die Umwelt haben wird, weil in der Gesellschaft noch kein Bewusstsein für Umweltschutz besteht, so wird er den Hinweis, dass sein Handeln nicht die beste Idee war, nicht verstehen.

Ohne die Problemlösungsschritte, die einer Problemlösung vorangehen, kann man die betreffende Problemlösung nicht erkennen.

Beispiel:
Galilei wurde dieses Problem zum Verhängnis. Er hatte zwar die Problemlösungsschritte befolgt, die Inquisitoren aber nicht. Diese konnten nicht wahrnehmen, was Galilei wahrnahm, weil diese eben nicht die Problemlösungsschritte mitvollzogen hatten, die zu Galileis Problemlösung führten. So konnten sie gar nicht erkennen, auch wenn sie wirklich wollten, dass sich die Planeten eigentlich um die Sonne und nicht um die Erde drehen.

Wahrnehmungen werden auch durch das gesellschaftliche Umfeld geprägt. Nur für ein als relevant wahrgenommenes Wissen kann sich auch ein Problembewusstsein entwickeln. Die Einteilung der Welt in gewusste und nicht gewusste Welt stellt somit eine Grenze des Problembewusstseins dar.


Das Leben und die Entenjagd - Die Notwendigkeit der Antizipation

Der Begriff der Kybernetik (altgriech."Steuermannskunst" abgeleitet von kybernétes "Steuermann") wurde 1947 von dem amerikanischen Mathematiker Norbert Wiener (1894-1964) geprägt und bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Steuerung und Regelung von Systemen- sowohl im Bereich der Lebewesen als auch im technischen, maschinellen Bereich- beschäftigt. Die Kybernetik entwickelte sich aus der Balistik des Zweiten Weltkriegs, wo es darum ging, das Treffen von bestimmten Zielen zu optimieren. Nach und nach weitete sich diese Wissenschaft auf unzählige andere Wissensgebiete aus, in denen Regelungskreise anzutreffen sind. Der Fokus liegt auf selbstregulierenden Systemen, in denen Dynamiken wirksam werden, die über einfache, lineare Ursache-Wirkungsketten hinausgehen und wo so genannte Rückkoppelungsphänomene auftreten. Darunter versteht man die Rückwirkung einer Wirkung auf eine Ursache. Wird in einem Prozess ein gewisses Ziel angepeilt, und möglicherweise auch getroffen, so findet in komplexeren Systemen immer auch eine Rückwirkung von dem Ziel auf die Ursache statt. Um dieses zirkuläre Verhältnis, diese ständige Bewegtheit und gegenseitige Beeinflussung von Ursache und Wirkung, von Ziel und Zielendem (oder Steuermann und Schiff)zu veranschaulichen, hat Norbert Wiener die Metapher der Entenjagd herangezogen. Von ihm stammt der Satz: "Das Leben ist wie eine auf Dauer gestellte Entenjagd." Diese anfangs zweifellos kurios erscheindene Aussage trägt eigentlich eine tiefgreifende Wahrheit in sich. Um die Ente zu treffen, ist es notwendig, nicht direkt auf das Tier zu zielen, sondern dorthin, wo es zum Zeitpunkt des Wirkens der Kugel sein wird, es ist also notwendig vorauszudenken. Das kann berechtigterweise auf viele Bereiche umgelegt werden, etwa auf soziale Dynamiken und Veränderungen oder auf betriebswirtschaftliche Planungen. Auch bei gewollten Veränderungen der Gesellschaft oder der Wirtschaft muss man antizipieren, muss man das Augenmerk auf den Punkt richten, an dem die Wirkung auftreten wird. Denn allein schon durch Interaktion oder Verarbeitung entsteht Bewegung und Dynamik. Im Grunde ist die ganze Welt ständig im Fluss. Natürlich schaffen Beobachtungen, Erfahrungen und Vorwissen eine Erwartungshaltung, deren Wahrscheinlichkeit sich durch andere Umstände und Gewohnheiten noch steigern lässt, doch ganz vorhersehbar ist eine Bewegung vor allem im gesellschaftlichen Bereich selten. Verschiedene Gebräuche und Vertrautheiten bedingen das ebenso wie die Tatsache, dass sich eine Gesellschaft einfach nicht linear entwickelt oder das Faktum, dass der Beobachter das Beobachtete beeinflusst, ob er will oder nicht.

Das Prinzip findet sich äquivalent beschrieben in Hegels Darstellung der Wirkungsweise des Protagonisten und dessen Affiziertwerdens durch seine eigene Handlung (Bewegung, Reagieren) in der Tragödie (Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke 15, Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986, 478): "Was nämlich aus der Tat herauskommt, geht für das Individuum selber daraus hervor und übt seinen Rückschlag auf den subjektiven Charakter und dessen Zustände aus."

Individuum

Siehe auch Bild des Individuums.

Als Gegensatz zur Antike entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert vor allem durch das Forschen der Sozialwissenschaften eine neue Vorstellung des Begriffs des Individuums heraus. So unterliegt das Individuum heute durch beschleunigte, dynamische Prozesse einem stärkeren Einfluss durch sein Umfeld als in früherer Zeit. Dieser verstärkte Einfluss lässt sich vor allem auf den verbesserten Wissensfluss zurückführen, der nicht nur eine Polykontexturalität mit sich bringt, sondern auch eine völlig neue Vorstellung des Wirkens des Individuums auf die Gesellschaft erfordert. Zwar bauen sowohl das Interpretieren als auch das darauf basierende Verändern auf individueller Perspektive auf, allerdings ist der Vorgang der Veränderung der Gesellschaft und das Verändern durch die Gesellschaft zu einem nahezu übergangslosen Vorgang geworden.

Das Individuum ("unteilbar") deutet, zweifelt, interpretiert, ist Subjekt und Identität. Ihm gegenüber steht das Objekt Gesellschaft, das zentrale Objekt gerade der Sozialphilosophie. Das Individuum ist mehr als die Summe seiner Teile. Gleichzeitig konnotiert der Begriff Individuum auch die analytische Teilbarkeit mit - wir können uns nichts Unteilbares vorstellen, ohne die Differenz, die Teilbarkeit mitzudenken. Nach Descartes ("Cogito ergo sum." - "Ich denke, als bin ich.") ist das Individuum/Subjekt das einzige, an dem nicht gezweifelt werden kann. Das Ich, das Individuum ist für Descartes die Grundlage allen Zweifelns.

Einwände zu Descartes

  • Das Zweifeln Descartes ist nicht konsequent genug. Die faktische Existenz eines wahrnehmenden und denkenden Individuums ist damit noch lange nicht bewiesen, bloß das Sein von irgendetwas. Wer sagt, dass das, was denkt, tatsächlich ich bin? Besser wäre: "Cogito ergo est" - "Ich denke, also ist etwas". Eine weitere Abwandlung Descartes', die im Zuge der Vorlesung vorgeschlagen wurde, zeigt deutlich die zuvor angesprochenen Probleme des Begriffes Individuum im Kontext der Gesellschaft: "Sumus ergo cogito" - "Wir sind, also denke ich".
  • Um zweifeln zu können, sind laut Charles Sanders Peirce bereits Sprachsysteme und Begrifflichkeiten notwendig. Die Sprache wird zur Grundvoraussetzung des Denkens.

Nachdem die Sprache sozial vermittelt wird, ist der Dialog mit der Umwelt die Voraussetzung für eine Ich-Identität. Diese Gedanken führen schließlich zur Linguistischen Wende

Interpretieren oder Verändern?

Es stellt sich nun die Frage, inwieweit das Individuum in diesem übergangslosen Vorgang des Wirkens und Wirken interpretieren oder verändern kann. Denn das Bedürfnis der Veränderung resultiert eben aus dem Wirken der Gesellschaft auf das Individuum. Möchte nun das Individuum etwas verändern oder möchte die Gesellschaft, dass das Individuum etwas verändert. Wer ist Verursacher der Veränderung und Interpretation? Zudem stellt jede Veränderung des Individuums der Gesellschaft eine Veränderung des Individuums selbst dar.

Beispiel:
A nimmt sich vor, in 3 Jahren genau 1 Million Euro zu sparen, um sich ein Haus zu kaufen. Drei Jahre später verfügt A über 1 Million Euro, allerdings kann er sich sein Haus nun nicht mehr kaufen, da ein Haus nun 1,3 Millionen Euro kostet.
Erklärung:
A hat in diesem Beispiel seine Vorstellung von 1 Millionen Euro über die drei Jahre behalten. Er kann deshalb die Veränderung (Haus bauen) nicht durchführen. A hätte also seine Vorstellung innerhalb dieser drei Jahre von 1 Million Euro schrittweise auf 1,3 Millionen Euro ändern müssen. Er hätte also seine Vorstellung durch die Gesellschaft ändern lassen müssen!

Die Sozialphilosophie interessiert in diesem Zusammenhang natürlich die Dynamik an sich am meisten, und sie versucht daher so viele Dynamiken wie möglich zu verstehen und zu erfassen. Doch auch gerade ethnische Dynamiken stellen für die Sozialphilosophie eine mächtige Herausforderung dar, weshalb eine intensive, kritische Auseinandersezung erfordlich ist. So versuchen führende Sozialwissenschaftler Lösungen für soziale Misstände, die aus solchen Dynamiken resultieren, zu liefern.

Ethische Hinterfragung von Interpretation & Veränderung?

In der früheren Geschichte gab es auch eine Zeit, in der man versuchte, die Entwicklung solcher dynamischen Prozesse zu unterbinden. Im europäischen Mittelalter versuchte etwa die Kirche über lange Zeit den Wissensstand auf einem "kontrollierbaren Maß" der Veränderung zu halten. Sie akzeptierte also nur Wissen, welches auch auf längere Zeit keinen negativen Einfluss auf die Gesellschaft haben sollte. Natürlich durfte es auch nicht ihre eigene Vorstellung und Erklärung der Welt bedrohen, um eben diese "Kontrolle" zu gewährleisten. Dadurch wurde das Individuum verstärkt in die Rolle des Interpretierenden gezwungen.

Die Aufklärung schließlich bedeutete eine große Veränderung. Heute befinden wir uns in einer "aufgeklärten Zeit", in welcher jedes Individuum die Möglichkeit der Wissensschaffung hat. Wirtschaft und Informationstechnologie gewähren uns einen schnellen Zugang zu Wissen und Information. Dabei handelt es sich aber mittlerweile um eine solche Masse von Information, dass das einzelne Individuum nicht mehr in der Lage ist, alles zu interpretieren. Dennoch versucht das Individuum (oder muss es versuchen?) zumindest das, was es interpretiert, in seiner Vorstellung zu verändern. Diese Unüberschaubarkeit für das Individuum liefert es gleichzeitig dem Einfluss gewisser Dynamiken aus, welche zu ethisch fragwürdigen Entwicklungen führen können. Das Problem besteht darin, dass es dem Individuum zwar möglich ist, die "short run effects" dessen zu überblicken, was es verändern möchte, die "long run effects" hingegen nahezu unüberschaubar werden.

Beispiel:
Aufgrund einer Reihe von Verkehrsunfällen, in denen mehrere Menschen schwer verletzt wurden, warf man der Autoindustrie vor, für zu wenig Sicherheit im Fahrzeug zu sorgen. Die Reaktion der Autoindustrie war die Entwicklung verbesserter Fahrzeugkarosserien und Airbags als Mindeststandard. Das Ergebnis dieser Entwicklung war eine erhöhte Sicherheit im Fahrzeug, aber eine ebenso erhöhte Unfallgefahr im Straßenverkehr. Zudem erhöhte sich dennoch das Risiko der Verletzungsgefahr, da jene Sicherheit nur bei gewissen Geschwindigkeiten garantiert werden konnte.

Gefangenendilemma

Das Gefangenendilemma (engl.: prisoner's dilemma) ist ein aus der Spieltheorie kommendes Paradoxon.

Folgende Situation präsentiert sich: Zwei einer gemeinsamen Straftat Verdächtigte sitzen in Untersuchungshaft. Da die Anklage keinerlei Beweise gegen die beiden hat, bietet sie den in separate Zellen Gesperrten einen Handel an. Gesteht einer die Tat und der andere nicht, so kommt der Geständige sofort frei und der andere muss die Höchststrafe von fünf Jahren absitzen. Schweigen beide, so werden sie wegen Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Justiz mit jeweils zwei Jahren Freiheitsentzug bestraft. Gestehen aber beide, werden beide für jeweils vier Jahre eingesperrt. Die beiden Gefangenen haben keine Möglichkeit miteinander zu kommunizieren, jeder muss die Entscheidung alleine treffen. Beide sind also gezwungen, mit Nichtwissen zu operieren.

Geht man taktisch rational an das Problem heran, so ist es am sinnvollsten für den Einzelnen der beiden, zu gestehen, denn gesteht der Andere auch, so muss der Erste vier statt volle fünf Jahre absitzen, gesteht der Andere nicht, so wird der Erste sofort freigelassen, anstatt zwei Jahre absitzen zu müssen. Die für beide vernünftigste Entscheidung ist aber das Schweigen beider. Auch unter egoistischen Agenten ist also Kooperation sinnvoll.

Varianten des Gefangenendilemmas: Im Rahmen der Spieltheorie gibt es zahlreiche Varianten des Gefangenendilemmas, etwa die des iterativen Gefangenendilemmas. In diesem Fall ist die beschriebene Situation beliebig oft, aber endlich wiederholbar. Es entsteht dadurch die Möglichkeit, aus der Erfahrung zu lernen. Wenn man die Iteration (= Wiederholung) von Spielzügen zulässt, sammeln sich Informationen an, mit Hilfe deren man strategisch Entscheidungen treffen kann. Letzten Endes kann sich ein nicht-egoistisches Verhalten als durchaus gewinnbringend erweisen. Auch unter sonst egoistisch agierenden Individuen ("homo homini lupus") kann sich Altruismus durchsetzen, kann Kooperation entstehen und sich als sinnvoll herausstellen.

Tit for tat

Tit for tat ("Wie Du mir, so ich dir") wird die Strategie eines Spielers bezeichnet, der in einem mehrperiodigen Spiel im ersten Zug kooperiert und danach genauso handelt, wie sein Gegenspieler in der jeweiligen Vorperiode. Die Regel lautet: Hat der Gegenspieler zuvor kooperiert, so kooperiert auch der TIT FOR TAT-Spieler. Hat der Gegenspieler in der Vorrunde hingegen defektiert (d.h. nicht kooperiert) , so antwortet der TIT FOR TAT-Spieler zur Vergeltung ebenfalls mit Defektion. Bekannt wurde diese Strategie im Zuge der Buches Die Evolution der Kooperation von Robert Axelrod, der Computerprogramme im Rahmen des iterativen Gefangenendilemmas gegeneinander antreten ließ, um herauszufinden, welche Strategie sich als gewinnbringend erweist. Die von Prof. Anatol Rapoport von der Universität Toronto entwickelte Strategie TIT FOR TAT erwies sich dabei als die gewinnbringenste Strategie. Auch bei wiederholten Versuchen blieb TIT FOR TAT die erfolgreichste Strategie. Man kann damit in einem Spiel über mehrere Runden zwar nie besser abschneiden als der eigene Gegenspieler, aber der maximale Rückstand ist dafür verhältnismäßig klein. Axelrod führt dies auf die leichte Verständlichkeit und der Unmöglichkeit, TIT FOR TAT auszunutzen, zurück:

"Was den robusten Erfolg von TIT FOR TAT erklärt, ist die Kombination, freundlich zu sein, zurückzuschlagen, Nachsicht zu üben und verständlich zu sein. Freundlichkeit schützt vor überflüssigen Scherereien. Zurückschlagen hält die andere Seite nach einer versuchten Defektion davon ab, diese unbeirrt fortzusetzen. Nachsicht ist hilfreich bei der Wiederherstellung wechselseitiger Kooperation. Schließlich erleichtert Verständlichkeit die Identifikation und löst dadurch langfristige Kooperation aus." (Axelrod: Die Evolution der Kooperation, S. 47)

Axelrod leitet daraus vier Grundregeln ab, die in sozialer Interaktion als Basis robuster Kooperation angesehen werden können: Sei nicht neidisch, defektiere nicht als erster, erwidere sowohl Kooperation als auch Defektion und sei nicht zu raffiniert.


Doppelte Kontingenz:

In diesem Kontext des Operierens mit Nicht-Wissen kann man auch auf den von Talcott Parsons geprägten Begriff der "doppelten Kontingenz“ hinweisen. Er bezeichnet Situationen, in denen sich zwei oder mehrere Akteure gegenüberstehen und nicht wissen, wie der jeweils andere agieren wird. Auf beiden Seiten ist Zufälligkeit, Kontingenz im Spiel. Jeder versucht nun sein eigenes Verhalten vom Verhalten des Interaktionspartners abhängig zu machen. Wenn dies der Fall ist und wirklich jeder der Akteure sein Verhalten vom anderen abhängig machen will, kommt jedoch keine Interaktion zustande. Der Möglichkeitsspielraum ist einfach zu groß. Das Problem löst sich für Parsons durch die Tatsache, dass sich Interaktionsteilnehmer nie unmittelbar, unvorbelastet gegenüberstehen, sondern immer auf ein „shared symbolic system“, eine Kultur zurückgreifen können, die den Handlungsspielraum einschränkt. Iterativ angereicherte Erfahrung und Informationen, die sich im Laufe der Sozialisation angesammelt haben, stellen einen Motivationszusammenhang her und bauen ein System gegenseitiger Erwartung auf. In den meisten Situationen- am Arbeitsplatz, in unserem Haus, im Kriegsgebiet etc.- wissen wir ziemlich genau, welche Art von Verhalten wir von unseren Interaktionspartnern erwarten können. Der enorme Raum an Handlungsoptionen ist durch kulturelle, handlungsleitende Strukturen eingeschränkt. Interaktion wird dadurch wahrscheinlicher und möglich. Meistens agieren wir also nicht mit absolutem Nicht-Wissen, sondern orientieren uns an relativ begrenzten, kulturellen Handlungs- und Wahrnehmungsschemata.

Wirkungsverhältnis Individuum-Welt-Ideen

Idealtypisches Schema des Wirkungsverhältnisses

In der klassischen Philosophie existieren im Grunde drei verschiedene Elemente der Wahrnehmung: das Subjekt, die objektive Welt und die Welt der Ideen und Vorstellungen. Die ontologische Statik des Subjekts galt lange Zeit als unumstößliches Dogma. Der Materialismus und der Realismus sahen die Welt als statisch und ohne Vorbedingungen, also unabhängig vom Subjekt, an. Seit Platon sind die Ideen ewig gültig und unveränderlich. Die "klassische Philosophie" sieht alle drei idealtypischen Elemente also statisch und als streng voneinander separierbar. Tatsächlich konstituiert sich das Subjekt (also das Individuum) aber erst in seiner Interaktion mit der Welt und der Subjektumwelt (also seinen Mitmenschen). Das scheinbar unveränderliche Subjekt ist also veränderlich und befindet sich in einem ständigen, lebendigen Wandel. Auch die Welt ist eigentlich ein veränderliches Konstrukt von Subjekten. Andernfalls wäre keinerlei Veränderung durch das Subjekt möglich. Der aktuelle Weltzustand basiert auf den unzähligen vorangegangenen Veränderungsversuchen. Wie in der Lehrveranstaltung behauptet wurde, sind auch die Ideen keineswegs ewiggültig, so wie dies Platon behauptete. Auch sie kommen durch Interaktion von Individuen zustande und sind den Bedingungen der Bounded Rationality und dem jeweiligen sozialen und historischen Kontext unterworfen. Von der Absolutheit ewiggültiger Ideen kann also nicht die Rede sein. Ihre Relativität und Kontextualität sollte immer mitgedacht werden. Die drei Begriffe beeinflussen einander in stetiger rekursiver und inkursiver Dynamik. Berechtigte Fragen sind freilich, ob denn nicht Welt und Ideen eigentlich eine Einheit bilden, also auch in einen Begriff zusammenfallen können, oder ob nicht gar alle drei Pole eine Einheit bilden. Was wir als Welt wahrnehmen, ist immer schon eine bestimmte Vorstellung der Welt. Eine Welt an sich gibt es nicht. Auch die Selbstwahrnehmung ist wesentlich von der jeweiligen Umwelt und dem Ideenkonvolut der Gesellschaft geprägt, auf das ich mich in meiner Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung beziehe. Um das Zusammenwirken der drei Pole zu verstehen, kann es jedoch sinnvoll sein sie zunächst voneinander zu trennen. Durch die Analyse kann schließlich ersichtlich werden, dass - sofern die Frage der Einheit der Pole positiv beantwortet wird - die Pole "Subjekt-Welt-Idee" zusammenfallen.

Verhältnis Zeichen-Bezeichnetes

Alles Interpretieren setzt bereits sprachliche Benennungen und Erfassungen und als solches einen sozialen Zusammenhang voraus. Erst durch kollektive Benennungen, die Einigung auf ein gemeinsames Zeichensystem, also Sprache, wird Kommunikation und Interpretation möglich. Eine Sprache besteht aus Zeichen. Für eine funktionierende, komplexe Sprache ist es unerlässlich, dass ihre Zeichen zufällig und vom Bezeichneten verschieden sind, dass also die Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem deutlich ist. Je stärker ein Zeichen vom Bezeichneten abweicht, desto eher und desto präziser kann Kommunikation geschehen. Das ist auch auf die Schrift umlegbar. Hier wird eine übergreifende Kommunikation erst möglich, wenn zuvor eine Vereinheitlichung, eine Typologisierung erfolgt ist. Bei komplexeren Zeichen kann trotzdem die Interpretation variieren. Hier wird es notwendig, dass sich das Kollektiv temporär auf eine Bedeutung einigt, damit Kommunikation gelingen kann. Es gibt freilich keine vollkommene Interpretation, also keine totale Übereinstimmung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Alle Wahrnehmungen werden interpretiert und einem Zeichen zugeordnet, sind jedoch durch diese Interpretation hindurch als "Ding an sich" wahrnehmbar.

Das Verhältnis Bezeichnetes-Zeichen kann auf das von Platon und Kant geprägte Verhältnis von "Ding an sich" und Erscheinungsform umgelegt werden. Die Erscheinungsform ist das Wahrgenommene und von Ideologien, Überzeugungen und Erfahrungen Kategorisierte. Das "Ding an sich" ist nichts anderes als die reine Wahrnehmung, die nicht abgegrenzt ("definiert") ist. Laut Kant kann das "Ding an sich" im eigentlichen Sinne nicht wahrgenommen werden.

Der Begriff des "Nicht-Identischen"

Theodor Adorno hat den Begriff des "Nicht-Identischen" geprägt. Dieser Begriff bezeichnet die prinzipielle Unmöglichkeit der Deckungsgleichheit von Begriff und verwiesenem Ding oder eben Zeichen und Bezeichnetem. Die Perspektivität der Wahrnehmung und viele andere Aspekte bedingen, dass an einem Ding stets ein nicht erfasster philosophischer Rest verbleibt. Das Ding an sich kann also nie in seiner Gesamtheit beschrieben werden. Ein Begriff ist immer konstruiert, ist immer Zeichen. Gerade die unmögliche Aufgabe, eine handhabbare, präzise Beschreibung zu schaffen, dieses Nicht-Bezeichenbare in Zeichen zu fassen, oder wie Adorno selbst sagt, mit Hilfe von Begriffen über den Begriff hinauszukommen, ist nach Adorno das Ziel der Philosophie. Die Tatsache, dass man sich des Nicht-Identischen bewusst ist, bedingt, dass Philosophen stets neue Unternehmungen starten, um sich diesem Nicht-Identischen doch anzunähern. Aus diesem Grund ist die Philosophie keine reine Wissenschaft, da die Wissenschaft immer Begriffsdefinitionen schafft, und nie darüber hinaus geht. Immer wieder wird erneut der Versuch unternommen, das per se Nicht-Fassbare fassbar zu machen. Es gilt hierbei zu betonen, dass Adorno prinzipiell die Meinung vertrat, dem Nicht-Identischen, dem Unsagbaren, dem Besonderen sein Eigenrecht zuzugestehen und es nicht ständig mittels Begriffen und im Zuge des wissenschaftlichen Systematisierungszwangs auf ein Allgemeines hin aufzulösen. Er sprach sich explizit dafür aus, dass wir die Unfassbarkeit des Nicht-Identischen "ertragen" lernen müssen. Die Aufgabe der Philosophie besteht für ihn darin, die einzelnen Wissenschaften immer wieder auf die Inkongruenz von Zeichen und Bezeichnetem aufmerksam zu machen, sodass sie ihre Begrifflichkeiten reflektieren und hinterfragen. Die Kunst stellt für Adorno jenen Bereich dar, der sich dem "Unsagbaren" am ehesten annähern kann. Sobald jedoch Sprache im Spiel ist, wird dieses Unternehmen immer schwieriger. So viele Möglichkeiten durch Sprache geschaffen werden, so bedeutet das Operieren mit sprachlichen Zeichen auch immer eine Einschränkung. Jedes Zeichen ist eine Begrenzung, eine Festlegung und greift zu kurz in Bezug auf das, was eigentlich bezeichnet werden soll. Doch was genau ist dieses "Eigentliche"? Wieder ist man bei der Kantschen Unterscheidung von "Ding an sich" und Erscheinung angelangt. Wie die Dinge nun "für uns" sind, all jene Kategorien, wodurch sie uns erscheinen, haben wir uns selbst (sprachlich) auferlegt. Mit Hilfe der Zeichen, durch Bezeichnungsakte, schaffen wir erst die Phänomene, die wir vorgeben mit unseren Zeichen zu bezeichnen. Der Platonsche Demiurg, der Weltenbildner, das sind wir doch selbst!?

Im weiteren Verlauf wurden in der Lehrveranstaltung diverse Unterschiede zwischen Kunst und Philosophie und Kunst und Sprache und auch Definitionen der Kunst behauptet, auch wurde postuliert, dass die Sprache immer eindeutig ist, die Kunst nicht, oder, dass die Sprache im Gegensatz zur Kunst klar negieren kann. Diese Meinungen kann ich nicht teilen, jedoch ist diese Seite nicht das adequate Medium für eine Diskussion dieser Themen.

Kontextsteuerung

Mit der Kontextsteuerung gilt es Dynamiken und ihre Richtungen zu erkennen (vgl. auch Polykontexturalität). Diese sind einzuberechnen und unter Umständen auch zu nutzen, etwa um Multiplikationsprozesse oder anderes auszulösen. Man hat also nicht (mehr) konkrete statische Objekte vor sich, sondern starken Veränderungen unterliegende Objekte, auf deren Veränderungsprozessen das Augenmerk liegen muss.

Andererseits können/wollen Weltveränderungsabsichten oft nicht auf Entwicklungen, Revisionen oder Prozesse warten (etwa die Entstehung eines Problembewusstseins).

Begrifflichkeiten geben Möglichkeiten zu Veränderungen. Die Welt muss erst in Begriffe und Kategorien umgewandelt werden. Gleichzeitig sind Kategorien aber auch wieder Beschränkungen.

Die Schwierigkeit einer effektiven Kontextsteuerung wird in vielen Bereichen unterschiedlicher Wissenschaften sichtbar und ist auf eine andauernde Verschiebung von Content und Kontext zurückzuführen. Diese ständige Veränderung stellt unter anderem für Wirtschaftswissenschaften ein Problem dar, da sie sich gerade eben mit einem dynamischen Prozess, dem Markt, periodenbezogen auseinandersetzten. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen.

Beispiel:
Bei der hohen Nachfrage nach Informatikern in den 80ern, reagierte die Regierung darauf, indem sie die Gelder für diese Bereiche erhöhte. Dies endete in einem Überschuss an Informatikern. Man verringerte die Gelder also wieder. Daraufhin stieg die Nachfrage aber wieder, was wieder in eine Erhöhung der Gelder resultierte usw.
Erklärung:
Der Markt für Informatiker wurde über eine vergangene Periode beobachtet und es wurde festgestellt, dass x Informatiker erforderlich sind um den Markt für Informatiker vollständig zu füllen. Die Regierung versuchte diese Zahl durch finanzielle Unterstützung möglichst genau zu erreichen. Nach einer Betrachtung der Periode vom Unterstützen der Regierung an, bis hin zur Zielsetzung, wurde aber festgestellt, dass sich die Zahl x verkleinerte, wodurch ein Überschuss der Investition der Regierung erfolgte. Das Problem ist, dass der Informatikermarkt so großen Schwankungen unterliegt, dass aufgrund der langen Ausbildungszeit der Break Even Point (die optimale Zahl x) nicht erreicht werden kann. Die Ausbildungsperiode ist größer als die Veränderungsperiode!

Entdeckt wurde dieses Phänomen am Schweinemarkt, weshalb dieses Problem auch als Schweinezyklus bezeichnet wird, ein Begriff, der aus der Wirtschaftswissenschaft kommt und ein Marktversagen ("market failure") aufzeigt. In diesem theoretischen Gedankenexperiment wird durch einseitige periodische Schwankungen im Angebot des Marktes für Schweinefleisch Kontextveränderung und -steuerung problematisiert. Es zeigt sich, dass die idealtypische lineare Vorstellung (= Angebot und Nachfrage pendeln sich immer am optimalen Punkt ein) nach dem derzeitigen Wissensstand und Berechnungen, aufgrund des sich ständig verändernden Umfelds, eine in vielen Bereichen sehr gute Annäherung an den Optimalwert darstellt, aber in manchen Bereichen (Märkte, die starken Schwankungen unterliegen) fehleranfällig wird.

Nur durch Austausch, also durch den Handel in Gesellschaften, innerhalb eines Kollektivs, etc. ist Leben möglich. Der Mensch ist grundsätzlich sozial konstituiert, auf die Gesellschaft angewiesen und ein Teil von ihr (zoon politikon). Im Zuge unserer Spezialisierungen dürfen wir uns nicht nur auf die Spezialprodukte konzentrieren, sondern müssen auch die Tauschmöglichkeiten berücksichtigen. Man muss daran arbeiten, seinen Problemlösungsversuch als relevant darzustellen, "die relative Unwahrscheinlichkeit der Korrelation von Angebot und Nachfrage in hinreichende Wahrscheinlichkeit zu verwandeln" (Füllsack S2006). Durch diese Arbeit wird eine weitere Spezialisierung erzeugt. Zusätzliche Dynamiken spielen da auch noch mit, die man auf den ersten Blick nicht sieht und die für weitere Dynamiken und Verwerfungen sorgen.

Diese Dynamiken gilt es dynamisch zu erfassen!

Arbeit und Handel

Arbeit (die auch als eine Bearbeitung des Ist-Zustandes wahrgenommen werden kann) zielt immer auf die Beseitigung von Knappheiten. Wir arbeiten, um eine von uns als Individuum wahrgenommene Knappheit (zB. der Ressourcen) zu beseitigen, dh. einen vom Individuum definierten Soll-Zustand zu erreichen. Knappheiten können grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten beseitigt werden: Individuell oder im Rückgriff auf andere menschliche Ressourcen.

Handel entsteht, wenn bemerkt wird, dass durch Ressourcentransfer von einem Ort an einen anderen die beiderseitige Ressourcenknappheit zu einem Teil beseitigt wird. Diese Knappheitsbehebung findet jedoch immer nur temporär statt, während sowohl die Individuen an beiden Orten, als auch die, die den Transfer ausführen und davon profitieren, an einer längerfristigen Knappheitsbeseitigung interessiert sind.

In ihrem Versuch, eine Knappheit mit Handel zu beseitigen, löst eine Gesellschaft jedoch Dynamiken aus, die man unter dem abstrakten Begriff der Markt- oder Wirtschaftsdynamiken zusammenfassen könnte: Der Versuch, Knappheiten zu beseitigen, löst demnach Dynamiken aus, deren Ziel es ist, Knappheiten zu schaffen, dh. die Definitionen des Soll-Zustandes der Individuen gemäß den Interessen der Handeltreibenden zu verändern. Die Dynamiken der Individuen liegen also quer zu jenen des Marktes, welche jedoch erst durch die Bearbeitung der Knappheiten entstanden sind. Mit anderen Worten: In den Versuchen, den Ist-Zustand (in diesem Fall den speziellen Aspekt der Knappheit) zu verändern, werden Interessen ausgelöst, die ihrerseits wieder Dynamiken generieren, die Verwerfungen mit den ursprünglichen Dynamiken - oder Interessen - bilden. Es kommen Dynamiken ins Spiel, die erst als Konsequenz individueller Wünsche entstanden sind, mit diesen Wünschen aber nichts mehr zu tun haben. Der Markt reicht über die ursprünglichen Dynamiken hinaus, wird als etwas völlig Losgelöstes betrachtet, das sich scheinbar nicht mehr steuern lässt. Tatsächlich lassen sich Dynamiken aber immer bis zu einem gewissen Grad steuern, indem Anreize (engl.: incentives) gesetzt oder Rahmenbedingungen geschaffen werden. Damit wird die Existenz einer Gesellschaft wie der heutigen erst möglich gemacht. Wir als Individuen sind darauf angewiesen, die Welt (und ihre Dynamiken) zu interpretieren und, gemäß unserer Möglichkeiten, zu verändern.

Bounded Rationality

Siehe auch homo oeconomicus.

Nach Herbert Simon meint Bounded Rationality (dt. Gebundene, eingeschränkte Rationalität) die Kontextsteuerung, die auch auf persönlichen Kalkulationen und Überlegungen des Individuums wirkt. Laut Simon gibt es keine perfekten Denkprozesse, sondern immer nur solche, die satisficing (von englisch: "suffice" und "satisfy") dh. in einer bestimmten Situation genügend sind. Intelligenz ist daher auch immer abhängig von den jeweiligen gegebenen sozialen, politischen, ökonomischen etc. Umständen. Wenn jeder Agent eines Marktes den persönlichen Nutzen mit den Kosten abwiegt und ökonomisch rational handelt, so ist nach der klassischen Wirtschaftstheorie der Markt als Ganzes rational. Der Marktpreis gilt (in der klassischen Wirtschaftstheorie) als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Wissensbereichen der einzelnen sogenannten "Wirtschaftssubjekten". Er ermöglicht - durch Beobachtung und Interpretation - das Entstehen komplexer Netzwerke, auf Basis dieser minimalen Überlappungen von individuellen Wissensbereichen.


Nun denkt das Individuum nach Herbert Simon aber immer in Nischen, bezieht Aspekte nicht in die Kalkulation ein, kalkuliert in Korridoren, bewertet manche Vor- bzw. Nachteile stärker, ist also kontextgesteuert im Hinblick auf verfügbares Wissen und vor allem Nichtwissen. So hat es etwa keine Kenntnis von zukünftigen Dynamiken. Ein Individuum handelt nur insofern ökonomisch rational, als es der Kontext auch erlaubt. Vollkommen rationales Handeln, absolute Informiertheit sind unmöglich. Als Beispiel führt Simon Albert Einstein an.

So scheint nur eine provisorische Kosten-Nutzen-Kalkulation möglich, weil man mit bloßem Teil(wissen) operiert. Was sich aber im Teil als positiv erweist, kann sich im Ganzen als fatal erweisen. - Dieser Status des bloß Provisorischem ist es mit dem operiert wird. So sind denn auch ethische Normen solche provisorische Konstrukte, sodass die Ethiken in der Regel auf keinem fundamentum inconcussum aufruhen.

Ist vielleicht auch Platons absolut gesetzt scheinende Idee des Guten ein solches provisorisches Konstrukt, dessen Verwirklichung Sokrates bzw. Platon im Demos Attika aufgrund der ähnlichen Interessenslage der Bürger als realisierbar erschien? Die zur Idee des Guten in der Vorlesung geäusserte Prämisse von Dr. Füllsack, die platonische Ideen seien Konstruktionen, die von Interagierenden geschaffen werden (bspw. was gut ist), könnte einen solchen Schluss nahelegen.

Gebrauchswert und Tauschwert

Siehe auch Auszüge aus Kritik der politischen Ökonomie von Marx zu Gebrauchswert und Tauschwert, 1859 (Erstes Heft) und 1890 (Das Kapital).

Nach Marx ist

  • der Gebrauchswert der Wert, den wir einer Ware zumessen und
  • der Tauschwert ist der Wert, den der Markt bestimmt.

Nach Marx verkürzt und abstrahiert der Tauschwert den Gebrauchswert. Die Marxisten, die Marxens Lehre weiterführten, sahen den individuellen Gebrauchswert als absolut und ontologisch feststehend an, den marktgeschaffenen Tauschwert als sozial konstruiert und in stetiger Veränderung befindlich. Tatsächlich ist aber auch der Gebrauchswert nicht statisch. Auch menschliche Bedürfnisse, die ja für die Konstituierung des Gebrauchswertes maßgeblich sind, sind sozial bedingt und veränderlich. Gebrauchs- und Marktwert verändern sich vielmehr beide in Beziehung zueinander, da sich auch ein individueller Gebrauchswert in der Regel am erlernten Tauschwert im spezifischen Markt orientiert. Also auch hier sind Dynamiken zu beobachten, die aus der Bearbeitung der Welt mit der Absicht der Veränderung heraus Beachtung finden müssen.

Ein gutes Beispiel um die Tauschwert-Gebrauchswert-Differenz aufzuzeigen ist die Ware "Wasser". Wasser hat einen sehr hohen Gebrauchswert für den Menschen (es ist überlebenswichtig), der Tauschwert in Österreich ist aber relativ gering (wobei bei dem Produkt Wasser mit einspielt, dass der Markt für Wasser in Österreich noch immer reguliert ist und Österreich viel Wasser innerhalb seines Territoriums hat).
Ein umgekehrtes Beispiel sind Diamanten, dessen Gebrauchswert für den Menschen relativ gering ist, der Tauschwert jedoch immens hoch. Der Tauschwert bestimmt sich aus der durchschnittlichen gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zur Erstellung des Gebrauchswerts. Deshalb ist der Diamant wertvoll und Wasser in Österreich billig. In der Wüste, wo die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, um Wasser zu bekommen, höher ist, vervielfacht sich dementsprechend der Tauschwert des Wassers.

Da der Preis, der sich aus den Nützlichkeiten eines Produktes zusammensetzt, einen wichtigen Einfluss auf den Gebrauchswert hat, wird der Gebrauchswert unter Preiserhöhung und Preissenkung sichtbar. Wirtschaftlich spricht man dann von einer elastischen oder inelastischen Nachfragekurve. Die Wirtschaft versucht bei höchstmöglicher Nachfrage den höchstmöglichen Preis zu erzielen.

Bereiche relativer Eigenständigkeit

Arbeit neigt dazu die Notwendigkeit neuer, spezialisierterer Arbeitsprozesse nach sich zu ziehen. Arbeit scheint sich also aus sich selbst heraus dynamisch zu spezialisieren. Dieses spezialisiertere Wissen benötigt nun aber günstige Bedingungen, um weiterprozessiert zu werden, da in einer spezialisierten, arbeitsteiligen Gesellschaft alle Mitglieder unterschiedliche Wahrnehmungen haben, spezielles Wissen und Arbeit immer als verschieden relevant wahrnehmen. Diese günstigen Bedingungen finden sich in den Bereichen relativer Eigenständigkeit, selbstsubversiven Bereichen, in denen Wissen relativ eigenständig von anderen gesellschaftlichen Bedingungen prozessiert werden kann. Die Bereiche relativer Eigenständigkeit unterliegen - wie alles andere auch - ebenfalls ständiger Veränderung. Dynamiken, Regeln und Normen bilden sich heraus, die, sobald sie fixiert werden, mit gesellschaftlichen Bedingungen in Konflikt geraten können und so die Bereiche relativer Eigenständigkeit destabilisieren.

Weiterführende Überlegungen

Macht

Es stellt sich nun die Frage, ob Macht im System der Polykontexturalität, in einer sich ständig verändernden, dynamischen Umgebung als solche überhaupt existieren kann, und wenn es sie gibt, wie sie zu verstehen ist und auf welche Art und Weise sie auf uns wirkt.

Machtverhältnis innerhalb einer Demokratie

Macht hat sich historisch gesehen in ihrer Eigenheit von einer unkontrollierten, hin zu einer kontrollierten Macht entwickelt. War es in frühester Zeit "jedem" gestattet Macht als solche durch Gewalt & Brutalität auszuüben, so ist es heute nur mehr der Staat, dem es gestattet ist Macht als solche auszuüben, um für das Wohlergehen aller zu sorgen. In einer Demokratie wird Macht aus einer Übereinstimmung aller ihrer Teilnehmer begründet, um ihr Funktionieren zu garantieren. Folglich muss, um diese Garantie aufrecht zu erhalten, gewährleistet werden dass das Mitspracherecht, die Stimme aller Teilnehmer, dasselbe Gewicht dieselbe Machwirkung hat und zudem die Beeinflussung der einzelnen Teilnehmer untereinander weitestgehend unterbunden wird. Macht ist in einer Demokratie demzufolge kein selbständiges Individuum mehr, welche für sich selbst Macht anreichern kann. Macht ist deshalb innerhalb dieses dynamischen Prozesses selbst nur das Produkt einer Übereinstimmung aller Teilnehmer einer Demokratie. Macht reguliert und wird reguliert. Sie ist demzufolge selbst ein dynamischer Prozess innerhalb des dynamischen Prozesses der Gesellschaft. Dennoch darf nicht vergessen werden, welche Eigendynamik Machtprozesse entwickeln können, wo keine Rede mehr von der "Übereinstimmung aller Teilnehmer einer Demokratie" ist. Es gibt so viele subtile Formen von Macht, die uns oft unbewusst sind und in den verschiedensten Ausprägungen auftreten. Es gibt Machtdynamiken, die uns unterdrücken, in zahlreichen Fällen tragen wir jedoch zur Perpetuierung dieser Repressionsverhätnisse selbst bei. Foucault spricht beispielsweise von unserer Disziplinar-und Kontrollgesellschaft, wo "die Kontrolle der Normalität mit der Normalität der Kontrolle korrespondiert". Auch strenge, inkorporierte Regeln von Normalität können ein Machtverhältnis bedeuten und es gibt kein Organ oder eine Institution, die man als Zentrum dieser Macht benennen kann. Es handelt sich um viel unauffälligere Strukturen, die sich in unserer Gesellschaft etabliert und verfestigt haben und die wir allesamt akzeptieren und selbst zu deren Fortbestand beitragen beziehungsweise die wir akzeptieren müssen, wollen wir nicht aus allen sozialen und das Leben ordnenden Strukturen herausfallen. Ein solcher Strukturkomplex ist etwa der Staat. Neben einem derartig offensichtlichen Machtorgan wie dem Staat existieren aber auch zahlreiche andere Machtmonopole und -komplexe, die viel weniger augenscheinlich sind.

Machtverhältnis innerhalb der Wirtschaft

Ganz im Gegensatz dazu verhält sich Macht innerhalb des dynamischen Prozesses der Wirtschaft. So reguliert sich die Wirtschaft im Hinblick auf ihre Produktivität und Effektivität selbst, doch nicht im Hinblick auf ihre Machtverhältnisse und Machtverteilung der einzelnen (Markt-)Teilnehmer. Dies ergibt sich aus der anderen Aufgabe von Macht innerhalb der Wirtschaft. Manfred Füllsack beschreibt die Aufgabe der Macht folgendermaßen:


"Die Verteilungsordnung muss damit also in der Lage sein, etwas als tauschenswert auszuweisen, was nicht von allen in gleichem Ausmaß als Tauschenswert betrachtet wird. Sie löst dieses Problem eben mit Hilfe von Macht. Macht ist also ein Mittel, um hoch spezialisierte Angebote an Arbeitsprodukten, Arbeitsleistungen oder, in diesem Kontext, Wissensständen, die als solche nicht von allen Mitgesellschaftern in gleicher Weise wahrgenommen werden, mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit auf ihre ebenfalls notwendig hoch spezialisierte Nachfrage treffen zu lassen. Macht ist ein Mittel zur Korrelation von Angebot und Nachfrage. Macht lässt Unwahrscheinliches, nämlich den Austausch von streng genommenen "Unbrauchbarem", wahrscheinlich werden."(Füllsack Manfred, "Zuviel Wissen?", Avinus Verlag 2006, S.71)


Demzufolge setzt sich Macht in diesem Zusammenhang ebenfalls aus der Übereinstimmung aller Marktteilnehmer zusammen, allerdings können die Machtverhältnisse der einzelnen Teilnehmer verschieden groß sein. Nicht umsonst schreibt Manfred Füllsack bei seiner einleitenden Beschreibung der Macht:


"Wo bereits Macht ist, sammelt sich weitere Macht an. Wer bereits die Möglichkeit hat andere zu etwas zu bringen, was diese aus eigenem Antrieb nicht tun würden, wird dies nützen können, um sich noch mehr solche Macht zu verschaffen. Und umgekehrt scheint auch, wer keine Macht hat und damit gezwungen ist, Dinge zu tun, die er selbst nicht tun würde, immer ohnmächtiger zu werden." (Füllsack Manfred, "Zuviel Wissen?", Avinus Verlag 2006, S.70)


Jenes Ungleichgewicht der Machtverhältnisse lässt sich auf die Eigenschaften von Geld zurückführen. Füllsack schreibt in seiner allgemeinen Beschreibung des Geldes folgendes:


"So wie wir bereits etwa die Macht, die Schrift, Schulen, Universitäten und ganz allgemein Bereiche relativer Eigenständigkeit als Korrelationseinrichtungen kennen gelernt haben, die dies gewährleisten, so sorgt im Prinzip auch das Geld dafür, dass die hoch spezialisierten Angebote von Arbeitsprodukten und -leistungen in differenzierten Gesellschaften hinreichend wahrscheinlich auf ihre Nachfrage treffen und so der gesamtgesellschaftliche Austausch und damit die gesamtgesellschaftlichen Problemlösungsaktivitäten am Laufen gehalten werden." (Füllsack Manfred, "Zuviel Wissen?", Avinus Verlag 2006, S.170-171)


Geld übernimmt innerhalb einer Wirtschaft also dieselbe Aufgabe wie Macht und kann im Gegensatz zum System in der Demokratie angereichert und vermehrt werden. Eine Geld- und somit auch Machtanreicherung ist demzufolge innerhalb einer Wirtschaft durchaus gestattet und wird demzufolge durchaus praktiziert.

Moderne Form der Machtgewinnung

Wenn Geld im Markt eine ähnliche Funktion wie Macht hat und als solche angereichert werden kann so lässt sich daraus schließen, dass es Möglichkeiten geben muss, zu eben mehr Geld als andere zu kommen, um so zu mehr Macht zu gelangen. Außerdem wird Geld in modernen Wirtschaften selbst schon wie eine Ware behandelt. Dass dem so ist, zeigt z.B. der Kredit. Manfred Füllsack schreibt hierzu:


"Der Kredit aber, der zur Herstellung dieses Produkts notwendig war, läuft über fünf oder gar zehn Jahre [...] Die Folge davon kann zum einen die Notwendigkeit sein, weitere Kredite aufzunehmen, um den ersten Kredit zu bedienen. Zum anderen fordert dieser Umstand natürlich auch seinerseits weitere Arbeit heraus, nämlich etwa die Schaffung von "künstlichen Nachfragen" nach den angebotenen Produkten, also zum Beispiel die zusätzliche Investition in Werbung und Reklameindustrie."(Füllsack Manfred, "Zuviel Wissen?", Avinus Verlag 2006, S.173)


Da nun also innerhalb einer Wirtschaft ein Ungleichgewicht der Macht gestattet ist, ist es eben erlaubt, Macht (Geld) dazu zu verwenden, andere Marktteilnehmer zu beeinflussen. Wie oben bereits erwähnt, kann also die Macht (Kaufkraft) der einzelnen Markteilnehmer dazu benützt (beeinflusst) werden, um zu noch mehr Macht (Geld) zu gelangen. Die uns dazu wohl vertrauteste Strategie ist die der Werbung. Denn Werbung ist eben ein Mittel, um die Macht der einzelnen Markteilnehmer, die Kaufkraft zu beeinflussen.

Grundlegend ist Werbung dazu da, Nützlichkeiten aufzuzeigen, um das betreffende Produkt dadurch "nützlicher" zu machen. Der Gebrauchswert setzt sich eben aus der Nützlichkeit, dem Preis und der Verfügbarkeit zusammen. (siehe Wikipedia) Wenn nun also etwas durch die Werbung nützlicher gemacht wurde, so wird folglich auch der Preis, der stark mit der Nützlichkeit verbunden ist, steigen. Damit steigert Werbung den Gebrauchs- und den Tauschwert. Werbung verbessert somit die Verteilung und ist deshalb mit Hilfe von Macht (Geld) ein Mittel zur Machtgewinnung. Nun ist es aber so, dass die Werbung auch die Nachfrage nach "Unbrauchbarem" beeinflussen kann. Somit ist sie in der Lage, Bedürfnisse für "Unbrauchbares" zu erzeugen. Mit anderen Worten, Werbung kann "künstlich" neue Märkte schaffen. Da wir uns der Werbung aber nicht entziehen können (sie umgibt uns ja 24 Stunden am Tag), können wir uns auch nicht ihrer Machtwirkung entziehen, und der Aufwand, Werbung oder die Machteinwirkung großer Unternehmen zu "verbieten", ist praktisch unmöglich geworden. Demzufolge unterliegen wir einem Zwang der Macht, die auf uns wirkt, einem Zwang großer Unternehmen. Jener Zwang (Gewalt) stellt eben die moderne Form der Machtgewinnung in modernen Wirtschaftswissenschaften dar.

Ist Werbung Macht?

Eine bedingungslose Bezeichnung von Werbung als moderne Form der Machtgewinnung und eine somit vollzogene Gleichsetzung von Werbung mit Macht scheint im Kontext gängiger Machtvorstellungen etwas zu kurz zu greifen. Eine Annäherung der Begriffe Macht und Werbung als indirektes Mittel zur Machtgewinnung scheint im Zuge dieses Gedankenkomplexes jedoch haltbar.

Geht man davon aus, dass Werbung ein bewusst gesteuerter Prozess zur Steigerung bzw. Erzeugung einer Nachfrage jener Güter ist, die von der Mehrzahl der Teilnehmer einer Gesellschaft ursprünglich (in einem nicht beworbenen Zustand) als nicht relevant wahrgenommen wird, und Werbung grundsätzlich ihr Ziel (die Steigerung des Absatzes des beworbenen Produkts) erreicht, könnte man Werbung als Mittel der Wirtschaft bezeichnen, welches dazu dient, Wahrnehmungsrelevanzdefizite der Konsumenten zu kaschieren. Somit besitzt Werbung Definitionsmacht, deren Zwängen wir als Konsumenten unterliegen.

Statistiken

Statistiken blenden immer gewisse Aspekte aus.

Die Statistik ist ein Phänomen der Moderne, mittels dessen man etwas näher zu fassen, abzuschätzen und zu erklären trachtet. Sie ist aber überdies in einen dynamischen Prozess eingelassen bzw. bestimmt selbst Kontexte und Contents, die wiederum für Interpretationen und Veränderungen herangezogen werden. Sie verändern und schaffen aus sich selbst heraus Wahrnehmungen der sie rezipierenden Subjekte. Ist aber die Statistik für Ihre Intention das geeignete Instrument? Ist sie nicht vielmehr nur partikulär applizierbar, aber keineswegs universell einsetzbar? Kommt sie über den bloß restriktiven Informationsgehalt, den sie aufbereitet, hinaus? Verstecken sich in ihr nicht Konnotationen und Suggestionen, die ohne intensive Reflexion unerkannt bleiben bzw. selbst in der Reflexion in ihrem vollen Ausmaß kaum erschließbar sind? Die Statistik mag vielleicht u.a. nützlich sein, um Dynamiken von Kaufeigenschaften u.ä. auszuwerten und so eine Basis für Bewertungen und darauf basierenden Interpretationen, die eine Veränderung, ein Agieren mit Blick auf einen zukünftigen Markt hin, zur Folge haben, in gewisser Hinsicht schaffen. In vielen anderen Bereichen aber ist eine Statistik wohl bloß verzerrend und der Sache nicht angemessen bzw. kann sie ihr nicht gerecht werden. In der Moderne sehen wir uns mit der Universalisierung von Statistiken und Rankings in fast allen Bereichen konfrontiert. Wie schon Gustav Droysen oder Wilhelm Dilthey bemerkt haben, dass der Universalitätsanspruch der Mathematik zu einem Methodenmonismus ausgehend von den Naturwissenschaften geführt hat, der allerdings in der Sache nicht immer berechtigt und nicht jedem Bereich, wie etwa der Kunst, angemessen ist, so könnte man auch die universelle Applikation von Statistiken auf alle Lebensbereiche auf deren Angemessenheit hin befragen.

Beispiel:
Eine Statistik über straffällige Asylanten. Selbst wenn die Statistik das prozentuell richtige Bild repräsentieren würde, weil es zufällig die repräsentativen Daten zur Verfügung gehabt hätte und sie richtig ausgewertet hätte, so würde trotzdem ein bloßes "Aspektbild" geschaffen und dieses zu leicht als das Bild schlechthin, wofür sich die Statistiken in der Regel ausgeben, missverstanden werden, und es würden aufgrund der Statistik Schlüsse über Asylanten gezogen, die so nicht legitim sind. Die Statistik selbst hinterfragt nämlich nicht, was sie darstellt. Sie fragt nicht, warum es (nach ihrer Darstellung) mehr straffällige Asylanten als straffällige Inländer gibt. Aspekte wie die Struktur der Gesellschaft werden nicht thematisiert und dies ist eine Nachlässigkeit, die der Reputation der Statistik als solcher schwer zusetzen müsste - was aber nicht der Fall ist, weil das Bewusstsein in der Bevölkerung / den Rezipienten dazu fehlt. Außerdem ist die Statistik zweifellos ein einfaches Instrument, leicht zu erstellen, leicht zu handhaben und leicht für spezifische Argumentationen heranzuziehen.

Mitunter ist gerade der Inländer, der die Statistik liest und sich ein negatives Bild allgemeiner Art basierend auf bloß einem Aspekt, über Asylanten bildet, vielleicht ist gerade dieser mit verantwortlich an dem Umstand der im Vergleich höheren Asylantenkriminalität, weil er etwa durch seine politische Wahl oder sein sonstiges Verhalten Asylanten generell (also oft sogar jene, die nie straffällig waren, die die eigentliche Majorität darstellen) ausgrenzt und somit ein kriminelles Verhalten provoziert, weil manch einem Asylanten dann vielleicht kaum eine andere Alternative bleibt, wenn er sich und seine Familie ernähren will. Viele Asylanten werden so wider Willen in die Kriminalität getrieben und darüber sagt die Statistik nichts aus - sie ergeht sich, ihrer ontologischen Struktur gemäß, in Schweigen - und reflektiert weder selbst darüber noch regen die bloßen Zahlen, und das beginnt schon bei den von der Statistik ausgewerteten Daten, den Rezipienten zur Reflexion an.

Statistiken werden auch zu bewusster Manipulation verwendet: Es macht etwa einen Unterschied der Wahrnehmung von Phänomenen, ob auf einer Zeitungsseite nur eine Statistik über hohes Wirtschaftswachstum (was insbesondere in Wirtschaftsblättern und in den Wirtschaftsrubriken der Zeitungen der Fall ist) oder gleich daneben im selben Artikel eine weitere über die damit einhergehende steigende Umweltbelastung und eine andere über die damit verbundene gestiegene Arbeitslosigkeit angeführt ist. Hier stünde ein Aspekt isoliert und gäbe sich als das Ganze (Relevante) aus, dort wären zumindest bereits mehrere (wenn auch freilich nicht alle) Aspekte dargestellt und würde die einseitige Informationsvermittlung etwas eingeschränkt werden, wenngleich wiederum nicht offensichtlich hervorgeht, dass die drei Statistiken in sich selbst wiederum nur gewisse Aspekte fassen. Es wird beispielsweise in einer solchen Wirtschaftsstatistik nicht erfasst, wieviel des Wirtschaftswachstums ausländische Investoren lukrieren und wie wenig Inländer etwa daran partizipieren bzw. diese vielleicht sogar einen wirtschaftsdynamischen Rückgang aufweisen, der lediglich durch Fremdinvestoren - die mitunter darum nicht wünschenswert sein könnten, weil sie sich um Politik, Umwelt, Arbeitslosigkeit und soziale Stituationen im Inland als Ausländer nicht kümmern bzw. ihr im Inland erwirtschaftetes Vermögen nicht dort belassen, sondern abziehen - kompensiert wird. Andererseits zeigt die Arbeitslosenstatistik nicht auf, wieviele Arbeitslose ihre Arbeitslosigkeit provoziert haben, sich darüber freuen, freiwillig aus dem Betrieb ausgeschieden sind etc.