Interpretieren oder Verändern? (Vorlesung, Füllsack, 2006/07)

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Die Vorlesung geht vom 11. Feuerbach-Axiom von Karl Marx aus (MEW Bd.3):

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kömmt drauf an, sie zu verändern."


Philosophen haben ein menschliches Anliegen, die Welt zu verändern, sowie eine Vorstellung, wie diese aussehen sollte. Verbessern heißt dabei, ihren Ist-Zustand zu verändern und setzt voraus, dass es einen Unterschied zwischen dem Sein der Welt und dem Sollen gibt.

Man könnte sich auch fragen, ob es sinnhaft ist die Welt zu verändern. Nicht selten waren Philosophen Erfüllungsgehilfen für totalitäre Versuche die Welt zu verändern (etwa im Nationalsozialismus). Die Frage die im Vorlesungstitel anklingt - "Interpretieren oder Verändern?" - ist sinnhaft. Worin liegen Vor- und worin liegen Nachteile für das Interpretieren und für das Verändern?

Sozialphilosophie im Unterschied zur Klassischen Philosophie behandelt diese Spannung zwischen Sein und Sollen. Die Bearbeitung dieser Spannung, der Versuch der Veränderung des Ist-Zustandes, unterliegt immer Dynamiken und Pfadvorgaben. Als Beispiel dafür wurde in der Vorlesung das QWERTY-Phänomen genannt.


Sozialphilosophie

Unter den Sozialwissenschaften (= Gesellschaftswissenschaften) nimmt die Sozialphilosophie eine sehr wichtige und fundamentale Rolle ein. Dabei knüpft sie an die klassische Philosophie an und erweitert diese um den sozialen Aspekt, der eine neue Auffassung des Begriffes Individuum hervorgebracht hat. Außerdem thematisiert sie die dynamischen Prozesse und Vorgänge und versucht diese zu erklären, um so eine Basis für die Thematik aller Sozialwissenschaften zu schaffen. Charakteristisch für die Sozialphilosophie ist:


  • 1.) Erweiterung der Philosophie um Sozialen Aspekt
Die Sozialphilosophie knüpft an die Ideen der Klassischen Philosophie an, fügt aber eine weitere Dimension hinzu, die soziale Dimension, wobei die soziale Dimension als Betrachtung der Gesellschaft zum Individuum gesehen werden kann.
  • 2.) Polykontexturalität
Die Vorstellung einer besseren Welt wird so eine sozial bedingte Vorstellung, da sie immer von allen bisherigen Ideen und Veränderungen ausgeht. Der ständige Wissensfluss der Gesellschaft verursacht einen dynamischen Prozess, der das Individuum zur neuen Wissensförderung (= Veränderung) anregt.
  • 3.) Neue Auffassung von Individualität
Die Vorstellung der besseren Welt entsteht nicht individuell in Abschottung, sondern ist das Ergebnis eines Prägungsprozesses, verschiedener Werte und sind von frühester Kindheit an sozial vermittelt. Durch Sozialisation, Kulturation etc. seitens der Familie, den Freunden, den Mitschülern, Mitstudenten etc. wird das "Individuum" geprägt. So sind denn auch die Individuen nicht völlig individuell vorstellbar als vielmehr das Produkt der Reflexion des Subjekts auf sein Umfeld. All diese Merkmale prägen das Bild des Individuums in der Sozialphilosophie.
  • 4.) Kontextsteuerung
Der durch die Informationstechnologie sich im Vormarsch befindende Informationsfluss, steigert auf der einen Seite die Wissensentstehung, führt aber auf der anderen Seite zu einem Problem der effektiven Kontextsteuerung im Wandel des dabei beschleunigten dynamischen Prozesses.


Der Sozialphilosophie geht es anders als den anderen Sozialwissenschaften nicht um eine reine Beobachtung (= Soziologie), auch nicht um die reine Nutzung von Dynamiken (= Betriebswirtschaft) oder um die historische Erfassung (= Sozialgeschichte), oder um das reine Wirken auf das Individuum (= Sozialpsychologie) als vielmehr um das Erklären der Sache an sich und der damit verbundenen Kritik, womit sie der klassischen Philosophie treu bleibt. Dabei liegt ihr unter anderem folgende Überlegung zu Grunde:


Philosophische Überlegungen von Hegel

zur Nicht-Übereinkunft von Ist- und Soll-Zustand: In dem Moment, in dem ich arbeite, negiere ich den aktuellen Zustand. Je nachdem wie die Arbeit geschieht, verschiebt sich die Weltsicht zumindest in geringem Ausmaß durch die durch Arbeit veränderte Wahrnehmung. Darüber hinaus sind unentwegt politische, technische, ökonomische, etc. Dynamiken am Werk, die gemeinsam mit dem zuvor Gesagten bewirken, dass jeder positive Zustand zugleich wieder der negierte Ausgangspunkt für eine weitere Polarisierung ist. Durch jeden erreichten Soll-Zustand entstehen neue Soll-Zustände. Eine völlige Übereinstimmung des Ist-Zustandes mit dem Soll-Zustand ist deshalb faktisch nicht möglich. Diese Überlegung spiegelt sich in der wahrscheinlich von Hegel bekanntesten dialektischen Formulierung These - Antithese - Synthese (die wieder zur These wird) wieder.


Interpretation und interpretieren

Interpretation ist der lateinische Begriff für Auslegung, Deutung und Erklärung. Wissenschaftlich betrachtet ist die Hermeneutik diejenige Methode, die als Lehre vom Verstehen und wissenschaftlichen Begreifen geisteswissenschaftlicher Begriffe bezeichnet werden kann und somit die vermutlich häufigste Methode um zu Interpretieren. Die Interpretation ist weiters vom interpretierenden Subjekt bzw. Individuum, dessen sozialer Prägung und dem Kontext der Interpretation abhängig.


Veränderung und verändern

Veränderung heißt im 21. Jahrhundert etwas anderes als im 19. Jahrhundert. Veränderung ist immer vom Kontext abhängig und von einer Vorstellung geleitet, da sie von einem Ist-Zustand ausgeht. Jede Veränderung in der Gesellschaft ruft auch Gegenreaktionen hervor, die den neuen Ist-Zustand wiederum verändern. Somit ist Veränderung ein soziales Phänomen. Daher wird (nachhaltige) Veränderung auch gleich versuchen, mögliche Gegenreaktionen bereits vorherzusehen und deren Vorstellungen soweit möglich in die Veränderung zu integrieren. Veränderung ist heute ein ungemein komplizierter und komplexer Prozess geworden. In Anlehnung an den von Luhmann gebrauchten Begriff der Interpenetration können wir feststellen, dass eine Beziehung zwischen Veränderungen besteht, die füreinander wechselseitig zum Kontext, vor welchem die Veränderung stattfindet, werden.

Beispiel
Nehmen wir dieses Wiki und einen Satz daraus als Beispiel. Angenommen zwei Akteure A und B haben jeweils eine bestimmte Fassung des Satzes im Sinn, so werden sie nicht das ganze Semester hindurch den Satz jeweils der eigenen Vorstellung anpassen und regelmäßig von einem Zustand in den anderen (und wieder zurück) bringen, sondern sich auf eine Fassung einigen, die der Vorstellung beider Akteure in dem Kontext dieses Wikis am besten entspricht. Das entspräche der Annahme, dass aktuelle Diskurs vor dem Hintergrund einer polykontexturalen Welt ablaufen, wissend, dass es keine absoluten Wahrheiten, Richtlinen und Maßstäbe mehr gibt.

Polykontexturalität

Die Polykontexturalität meint die in neuerer Zeit durch die Vielfalt der Wissensstände und allgemeine Dynamisierung des Wissenschaftsprozesses entstehende Pluralität von Kontexten. Waren etwa noch im Europäischen Mittelalter Wissen und Wissenschaft statische Begriffe, die in ihrer Relevanz von der Institution Kirche definiert wurden, so werden die Grenzen, die Wissen immer zieht, indem es auch das Nichtwissen definiert ("Omnis determinatio est negatio" - "Jede Bestimmung ist eine Verneinung", Spinoza), heute permanent verschoben. Unter anderem verschiedene Auffassungen und Herangehensweisen (gerade in der Philosophie) schaffen jene Wissensvielfalt, die für den Begriff Polykontexturalität wesentlich ist und natürlich auch dem Vorhaben der Veränderung Schwierigkeiten bereitet.

Content & Kontext

Sowohl der Content als auch der Kontext befinden sich in steter Veränderung. Im Laufe eines Versuchs können sich die Bedingungen desselben ändern (etwa das Ich, die individuelle Wahrnehmung oder auch wissenschaftliche Erkenntnisse) und es findet damit eine Rekonfiguration des Content und des Kontext statt. Neuer Content wird im nächsten Moment vom nächsten Menschen als Kontext für wieder neuen Content benutzt, usw. Ein spezifischer Kontext oder Content ist immer nur perspektivisch und temporär im Zentrum. Dies muss für das Vorhaben der Veränderung beachtet werden.


Beispiel:
A mag keinen Fisch da er im Fernsehen gesehen hat, dass viele Menschen durch das Essen von Fisch an Salmonellen erkranken. Da A seinen Körper nicht unnötig belasten will, isst er keinen Fisch und erzählt seinem Umfeld, dass man durch Fische Salmonellen bekommen kann. Einige Jahre später entdeckt die Ernährungswissenschaft, dass Fisch eine nahezu einzigartige Quelle für wichtige Fette darstellt, welche der Körper benötigt und dass das Nicht-Essen von Fisch den Körper belasten kann. A beschließt nun, doch Fisch zu essen und erzählt seinem Umfeld, dass man durch Fische zwar Salmonellen bekommen kann, man aber dennoch Fisch essen sollte.


Epistemologische Problematik

Die Polykontexturalität birgt vor allem eine epistemologische (erkenntnistheoretische) Problematik. In einer sich immer mehr spezialisierenden (Wissenschafts-)Welt basieren Fragestellungen in einem wachsenden Ausmaß auf einem hoch differenzierten Problembewusstsein, welches nur von Spezialisten in dem jeweiligen Gebiet entwickelt werden kann. Alle anderen haben nicht mehr die Voraussetzungen, die jeweiligen Problemlagen zu verstehen oder zu erkennen, was im weitern zu einem Unverständnis bzw. zu fehlender Akzeptanz mit der Beschäftigung dieser Probleme führt.

Ein simples Beispiel hierfür ist die Müllproblematik. Wenn jemanden nicht klar ist, dass das Hinauswerfen von Plastikflaschen aus dem Zugfenster negative Folgen für die Umwelt haben wird, weil in der Gesellschaft noch kein Umweltschutzbewusstsein besteht, so wird er den Hinweis, dass dies nicht die beste Idee war, nicht verstehen.

Ohne die Problemlösungsschritte, die einer Problemlösung vorangehen, kann man die betreffende Problemlösung nicht erkennen.

Galilei wurde dieses Problem zum Verhängnis. Er hatte zwar die Problemlösungsschritte befolgt, die Inquisitoren aber nicht. Diese konnten nicht wahrnehmen, was Galilei wahrnahm, weil diese eben nicht die Problemlösungsschritte durchgegangen waren, die zur Problemlösung führten. So konnten sie gar nicht erkennen, auch wenn sie wirklich wollten, dass sich die Planeten eigentlich um die Sonne drehen.

Wahrnehmungen werden auch durch das gesellschaftliche Umfeld geprägt. Nur für ein als relevant wahrgenommenes Wissen kann sich auch ein Problembewusstsein entwickeln. Die Einteilung der Welt in gewusste und nicht gewusste Welt stellt somit eine Grenze des Problembewusstseins dar.


Historische Entwicklung des Begriffes Polykontexturalität

Der Begriff Polykontexturalität bzw. die Polykontexturalitätstheorie wurde um 1970 von dem Philosophen und Logiker Gotthard Günther eingeführt und stellt eine Weiterentwicklung der Günther'schen Stellenwertlogik dar, welche versucht, ein mehrwertiges onthologisches Ortswert-Logik-System zu entwickeln. Das System der Polykontexturalität basiert dabei auf der ebenfalls von Gotthard Günther entwickelten Morphogrammatik. Dabei geht es dem Wissenschaftler vor allem darum, die Reflexion auf Anderes und zugleich auf sich selbst widerspruchsfrei darstellen zu können. Die Kritik zur antiken Vorstellung liegt darin, dass ein Subjekt, welches auf sich selbst blickt, zugleich Subjekt und Objekt ist. So ist dies aber in einer zweiwertigen Logik (Subjekt und Objekt) nicht logisch darstellbar. Folglich ergeben sich mindestens drei Werte (Subjekt, Objekt, Verweigerung dieser Alternative) welche Gotthard Günther zur Entwicklung seines mehrwertigen Systems führen. Der Begriff der Polykontexturalität wurde später von zahlreichen Sozialwissenschaftlern weiterentwickelt und wird heute als ein dynamischer Prozess verstanden, welcher die Wechselwirkung zwischen Individuum ("Subjekt") und Gesellschaft ("Objekt") darstellt und dadurch zu unterschiedlichen Wissenständen führt.

Individuum

Siehe auch Bild des Individuums.

Als Gegensatz zur Antike entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert vor allem durch das Forschen der Sozialwissenschaften eine neue Vorstellung des Begriffes Individuum heraus. So unterliegt das Individuum heute durch beschleunigte dynamische Prozesse einem stärkeren Einfluss durch sein Umfeld als in früheren Zeiten. Dieser verstärkte Einfluss lässt sich vor allem auf den verbesserten Wissensfluss zurückführen, der nicht nur eine Polykontexturalität mit sich bringt, sondern auch eine völlig neue Vorstellung des Wirkens des Individuums auf die Gesellschaft erfordert. Zwar bauen sowohl das Interpretieren als auch das darauf basierende Verändern auf individueller Perspektive auf, allerdings ist der Vorgang der Veränderung der Gesellschaft und das Verändern durch die Gesellschaft zu einem nahezu übergangslosen Vorgang geworden.

Das Individuum ("unteilbar") deutet, zweifelt, interpretiert, ist Subjekt und Identität. Ihm gegenüber steht das Objekt Gesellschaft, das zentrale Objekt gerade der Sozialphilosophie. Das Individuum ist mehr als die Summe seiner Teile. Gleichzeitig konnotiert der Begriff Individuum auch die analytische Teilbarkeit mit - wir können uns nichts Unteilbares vorstellen, ohne die Differenz nicht mitzudenken. Nach Descartes ("Cogito ergo sum." - "Ich denke, als bin ich.") ist das Individuum/Subjekt das einzige über alle Zweifel Erhabene.

Freilich, die Sprache und somit alle Begrifflichkeiten sind sozial bedingt, das Denken aber ist immer individuell.

Einwände zu Descartes

  • Das Zweifeln Descartes' ist nicht konsequent genug. Die faktische Existenz eines wahrnehmenden und denkenden Individuums ist damit noch lange nicht bewiesen, bloß das Sein von irgendetwas. Wer sagt, dass das, das denkt, tatsächlich ich bin? Besser wäre: "Cogito ergo est" - "Ich denke, also ist etwas". Eine weitere Abwandlung Descartes', die im Zuge der Vorlesung vorgeschlagen wurde, zeigt deutlich die zuvor angesprochenen Probleme des Begriffes Individuum im Kontext der Gesellschaft: "Sumus ergo cogito" - "Wir sind, also denke ich".
  • Um zweifeln zu können, sind laut Charles Sanders Peirce bereits Sprachsysteme und Begrifflichkeiten notwendig. Die Sprache wird zur Grundvoraussetzung des Denkens. Dieser Gedanke findet auch Eingang in die Linguistische Wende.

Identität: Der Begriff kommt etymologisch vom lateinischen Wort "identitas". Er stammt aus der Logik und beschreibt dort die Übereinstimmung eines Gegenstandes mit sich selbst und somit indirekt die Annahme, dass es eine Differenz zwischen einem Soll- und einem Ist-Zustand geben kann. Die Psychologie greift diesen Begriff auf und beschreibt damit den Wunsch zu werden was man "ist", bzw. den Wunsch zu sein was man "ist".


Interpretieren oder Verändern?

Es stellt sich nun die Frage inwieweit das Individuum in diesem übergangslosen Vorgang des Wirkens und Wirken interpretieren oder verändern kann. Denn das Bedürfnis der Veränderung resultiert eben aus dem wirken der Gesellschaft auf das Individuum. Möchte nun das Individuum etwas verändern oder möchte die Gesellschaft dass, das Individuum verändert. Wer ist Verursacher der Veränderung und Interpretation? Zudem stellt jede Veränderung des Individuums der Gesellschaft eine Veränderung des Individuums selbst dar. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen:


Beispiel:
A nimmt sich vor, in 3 Jahren genau 1 Millionen Euro zu sparen, um sich ein Haus zu kaufen. Drei Jahre später verfügt A über 1 Million Euro, allerdings kann er sich sein Haus nun nicht mehr kaufen, da ein Haus nun 1,3 Millionen Euro kostet.
Erklärung:
A hat in diesem Beispiel seine Vorstellung von 1 Millionen Euro über die drei Jahre behalten. Er kann deshalb die Veränderung (Haus bauen) nicht durchführen. A hätte also seine Vorstellung innerhalb dieser drei Jahre von 1 Million Euro schrittweise auf 1,3 Millionen Euro ändern müssen. Er hätte also seine Vorstellung durch die Gesellschaft ändern lassen müssen!


Die Sozialphilosophie interessiert in diesem Zusammenhang natürlich die Dynamik an sich am meisten, und sie versucht daher so viele Dynamiken wie möglich zu verstehen und zu erfassen. Doch gerade ethnische Dynamiken stellen auch für die Sozialphilosophie eine mächtige Herausforderung dar und erfordern auch einer intensiven kritischen Auseinandersetzung durch die Sozialphilosophie. So versuchen führende Sozialwissenschaftler Lösungen für soziale Misstände, die aus solchen Dynamiken resultieren, zu liefern.

Ethische Hinterfragung von Interpretation & Veränderung?

In der Geschichte lässt sich auch eine Zeit mit dem Versuch der Unterbindung der Entwicklung solcher dynamischen Prozesse finden. Dazu versuchte etwa im europäischen Mittelalter die Religion über lange Zeit den Wissenstand in einem "kontrollierbaren Maß" der Veränderung zu halten. So akzeptierte die Kirche nur Wissen, welches auch auf längere Zeit für die Gesellschaft keinen negativen Einfluss haben sollte und natürlich ihre eigene Vorstellung und Erklärung der Welt nicht bedrohte, um eben diese "Kontrolle" zu gewährleisten. Dadurch wurde das Individuum verstärkt in die Rolle der Interpretation gezwungen. Die Aufklärung schließlich bedeutete eine große Veränderung. Heute befinden wir uns in einer "aufgeklärten Zeit", in welcher jedes Individuum die Möglichkeit der Wissensschaffung hat. Wirtschaft und Informationstechnologie gewähren uns einen schnellen Zugang zu Wissen und Information. Dabei handelt es sich aber mittlerweile um eine solche Masse von Informationen, dass das einzelne Individuum nicht mehr in der Lage ist, alles zu interpretieren. Dennoch versucht das Individuum (oder muss es versuchen?) aber, zumindest das, was es interpretiert, teilweise zu verändern. Diese Unüberschaubarkeit für das Individuum liefert es gleichzeitig dem Einfluss gewisser Dynamiken aus, welche zu ethisch fragwürdigen Entwicklungen führen können. Das Problem besteht darin, dass es dem Individuum möglich ist, die "short run effects" dessen zu überblicken, was es verändern möchte, hingegen die "long run effects" nahezu unüberschaubar werden.


Beispiel:
Man machte der Autoindustrie den Vorwurf für zu wenig Sicherheit im Fahrzeug, da zu viele Menschen schwere Verletzungen durch Unfälle erleiden. Die Reaktion der Autoindustrie war die Entwicklung verbesserter Fahrzeugkarosserien und Airbags als Mindeststandard für Fahrzeuge. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist eine erhöhte Sicherheit im Fahrzeug, aber eine ebenso erhöhte Unfallgefahr im Straßenverkehr. Zudem erhöhte sich aber auch das Risiko der Verletzungsgefahr, da jene Sicherheit nur bei gewissen Geschwindigkeiten garantiert werden kann welche die Fahrzeuglenker überschreiten.


prisoner's dilemma

Das Gefangenendilemma (English prisoner's dilemma) ist ein aus der Spieltheorie kommendes Paradoxon. Folgende Situation präsentiert sich: Zwei einer gemeinsamen Straftat Verdächtigte sitzen in Untersuchungshaft. Da die Anklage keinerlei Beweise gegen die beiden hat, bietet sie den in separate Zellen Gesperrten einen Handel an. Gesteht einer die Tat und der andere nicht, so kommt der Geständige sofort frei und der andere muss die Höchststrafe von fünf Jahren absitzen. Schweigen beide, so werden sie wegen Verweigerung der Mitarbeit mit der Justiz mit jeweils zwei Jahren Freiheitsentzug bestraft. Gestehen aber beide, werden beide für jeweils vier Jahre eingesperrt. Die beiden Gefangenen haben keine Möglichkeit miteinander zu kommunizieren, jeder muss die Entscheidung alleine treffen. Beide sind also gezwungen, mit Nichtwissen zu operieren.

Geht man taktisch rational an das Problem heran, so ist es am sinnvollsten für den einzelnen der beiden, zu gestehen, denn gesteht der andere auch, so muss der erste vier statt volle fünf Jahre absitzen, gesteht der andere nicht, so wird der erste sofort freigelassen, anstatt zwei Jahre absitzen zu müssen. Die für beide vernünftigste Entscheidung ist aber das Schweigen beider. Auch unter egoistischen Agenten ist also Kooperation sinnvoll.


Varianten des Gefangenendilemmas. Im Rahmen der Spieltheorie gibt es zahlreiche Varianten des Gefangenendilemmas, etwa die des iterativen Gefangenendilemmas. In diesem Fall ist die beschriebene Situation beliebig oft, aber endlich wiederholbar. Es entsteht die Möglichkeit zu lernen und sich Strategien zuzulegen.

Kontextsteuerung

funktioniert ohne Mahnung oder Zwang. Es gilt vielmehr Dynamiken und ihre Richtungen zu erkennen (vgl. auch Polykontexturalität). Diese sind einzuberechnen und unter Umständen auch zu nutzen, etwa um Multiplikationsprozesse auszulösen oder anderes. Man hat also nicht (mehr) konkrete statische Objekte vor sich, sondern starken Veränderungen unterliegende Objekte, auf deren Veränderungsprozessen das Augenmerk liegen muss.

Andererseits können/wollen Weltveränderungsabsichten oft nicht auf Entwicklungen, Revisionen oder Prozesse warten (etwa die Entstehung eines Problembewusstseins).

Begrifflichkeiten geben Möglichkeiten zu Veränderungen. Die Welt muss erst in Begriffe und Kategorien umgewandelt werden. Gleichzeitig sind Kategorien aber auch wieder Beschränkungen.

Die Schwierigkeit einer effektiven Kontextsteuerung wird in vielen Bereichen unterschiedlicher Wissenschaften sichtbar und ist auf eine andauernde Verschiebung von "Content" und "Kontext" zurückzuführen. Diese ständige Veränderung stellt unter anderem für Wirtschaftswissenschaften ein Problem dar, da sie sich gerade eben mit einem dynamischen Prozess, dem Markt, periodenbezogen auseinandersetzten. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen.


Beispiel:
Bei der hohen Nachfrage nach Informatikern in den 80ern, reagierte die Regierung darauf, indem sie die Gelder für diese Bereiche erhöhte. Dies endete in einem Überschuss an Informatikern. Man verringerte die Gelder also wieder. Daraufhin stieg die Nachfrage aber wieder, was wieder in eine Erhöhung der Gelder resultierte usw.
Erklärung:
Der Markt für Informatiker wurde über eine vergangene Periode beobachtet und es wurde festgestellt, das (X)Informatiker erforderlich sind um den Markt für Informatiker vollständig zu füllen. Die Regierung versuchte durch eine finanzielle Unterstützung diese Zahl möglichst genau zu erreichen. Nach einer Betrachtung der Periode von dem unterstützen der Regierung bis hin zur Zielsetzung wurde aber festgestellt das sich die Zahl der (X) Informatiker verkleinerte, woraus sich ein Überschuss der Investition der Regierung ergab. Das Problem ist, dass der Informatikermarkt so großen Schwankungen unterliegt, das aufgrund der langen Ausbildungszeit von Informatikern der Break Even Point (die optimale Zahl (X)) nicht erreicht werden kann. Die Ausbildungsperiode ist größer als die Veränderungsperiode!


Entdeckt wurde dieses Phänomen am Schweinemarkt, weshalb dieses Problem auch als Schweinezyklus bezeichnet wird, ein Begriff, der aus der Wirtschaftswissenschaft kommt und ein Marktversagen ("market failure") aufzeigt. In diesem theoretischen Gedankenexperiment wird durch einseitige periodische Schwankungen im Angebot des Marktes für Schweinefleisch Kontextveränderung und -steuerung problematisiert. Es zeigt sich das die idealtypische lineare Vorstellung (= Angebot und Nachfrage pendelt sich immer auf optimalsten Punkt ein) nach dem derzeitigen Wissensstand und Berechnungen aufgrund des sich ständig verändernden Umfelds eine in vielen Bereichen sehr gute Annäherung an den Optimalwert darstellt, aber in manchen Bereichen (Märkte, die starken Schwankungen unterliegen) fehleranfällig wird.


Nur durch Austauschbarkeit in Gesellschaft, Kollektiv, etc. ist Leben möglich, der Mensch ist immer grundlegend sozial konstituiert, ist auf die Gesellschaft angewiesen, ist immer Teil derselben (zoon politikon). Im Zuge unserer Spezialisierungen dürfen wir uns nicht nur auf die Spezialprodukte konzentrieren, sondern müssen auch die Tauschmöglichkeiten sehen. Man muss daran arbeiten, seine Problemlösung als relevant darzustellen, "die relative Unwahrscheinlichkeit der Korrelation von Angebot und Nachfrage in hinreichende Wahrscheinlichkeit zu verwandeln" (Füllsack S2006). Durch diese Arbeit wird eine weitere Spezialisierung erzeugt. Zusätzliche Dynamiken spielen da auch noch mit, die man am ersten Blick nicht sieht.

Diese Dynamiken gilt es dynamisch zu erfassen!

Arbeit und Handel

Arbeit (die auch als eine Bearbeitung des Ist-Zustandes wahrgenommen werden kann) zielt immer auf die Beseitigung von Knappheiten. Wir arbeiten, um eine von uns als Individuum wahrgenommene Knappheit (zB. der Ressourcen) zu beseitigen, d.h. einen vom Individuum definierten Soll-Zustand zu erreichen. Knappheiten können grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten beseitigt werden: Individuell oder im Rückgriff auf andere menschliche Ressourcen. Handel entsteht, wenn bemerkt wird, dass durch Ressourcentransfer von einem Ort an einen anderen Ort die beiderseitige Ressourcenknappheit zu einem Teil beseitigt wird. Diese Knappheitsbehebung findet jedoch immer nur temporär statt, während sowohl die Individuen an beiden Orten, als auch die, die den Transfer ausführen und davon profitieren, an einer längerfristigen Knappheitsbeseitigung interessiert sind. In ihrem Versuch, eine Knappheit mit Handel zu beseitigen, löst eine Gesellschaft jedoch Dynamiken aus, die man unter dem abstrakten Begriff der Markt- oder Wirtschaftsdynamiken zusammenfassen könnte: Der Versuch, Knappheiten zu beseitigen, löst demnach Dynamiken aus, deren Ziel es ist, Knappheiten zu schaffen, d.h. die Definitionen des Soll-Zustandes der Individuen gemäß den Interessen der Handeltreibenden zu verändern. Die Dynamiken der Individuen liegen also quer zu jenen des Marktes, welche jedoch erst durch die Bearbeitung der Knappheiten entstanden sind. Mit anderen Worten: In den Versuchen, den Ist-Zustand (in diesem Fall den speziellen Aspekt der Knappheit) zu verändern, werden Interessen ausgelöst, die ihrerseits wieder Dynamiken generieren, die Verwerfungen mit den ursprünglichen Dynamiken - oder Interessen - bilden. Es kommen Dynamiken ins Spiel, die erst als Konsequenz individueller Wünsche entstanden sind, mit diesen Wünschen aber nichts mehr zu tun haben. Der Markt reicht über die ursprünglichen Dynamiken hinaus, wird als etwas völlig Losgelöstes betrachtet, das sich scheinbar nicht mehr steuern lässt. Tatsächlich lassen sich Dynamiken immer bis zu einem gewissen Grad steuern, indem Anreize gesetzt oder Rahmenbedingungen geschaffen werden. Damit wird die Existenz einer Gesellschaft wie der heutigen erst möglich gemacht. Wir als Indivuduen sind darauf angewiesen, die Welt (und ihre Dynamiken) zu interpretieren und, gemäß unserer Möglichkeiten, zu verändern.

Begriff der "bounded rationality"

Siehe auch homo oeconomicus.

Nach Herbert Simon meint bounded rationality (dt. "Gebundene Rationalität") die Kontextsteuerung auch der persönlichen Kalkulationen und Überlegungen des Individuums. Wenn jeder Agent eines Marktes den persönlichen Nutzen mit den Kosten abwiegt und ökonomisch rational handelt, so ist nach der klassischen Wirtschaftstheorie der Markt als Ganzes rational. Der Marktpreis gilt (in der klassischen Wirtschaftstheorie) als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Wissensbereichen der einzelnen sogenannten "Wirtschaftssubjekten". Er ermöglicht - durch Beobachtung und Interpretation - das Entstehen komplexer Netzwerke, auf Basis dieser minimalen Überlappungen von individuellen Wissensbereichen.

Nun denkt das Individuum nach Herbert Simon aber immer in Nischen, bezieht Aspekte nicht in die Kalkulation ein, kalkuliert in Korridoren, bewertet manche Vor- bzw. Nachteile stärker, ist also kontextgesteuert im Hinblick auf verfügbares Wissen und vor allem Nichtwissen. So hat es etwa keine Kenntnis zukünftiger Dynamiken. Ein Individuum handelt nur insofern ökonomisch rational, als es der Kontext auch erlaubt. Als Beispiel führt Simon Albert Einstein an.

Gebrauchswert und Tauschwert

Nach Karl Marx kann ein Produkt auf zweierlei Weise bewertet werden. Den Wert eines Produktes für das Individuum selbst nennt er Gebrauchswert, den Wert, den der Markt durch seine Prozesse und Gesetzmäßigkeiten schafft nennt er Tauschwert. Nach Marx verkürzt der Tauschwert den Gebrauchswert. Die Marxisten, die Marxens Lehre weiterführten, sahen den individuellen Gebrauchswert als absolut und ontologisch feststehend an, den marktgeschaffenen Tauschwert als sozial konstituiert und in steter Veränderung befindlich. Tatsächlich ist aber auch der Gebrauchswert nicht statisch, denn auch menschliche Bedürfnisse, die ja für die Konstituierung des Gebrauchswertes maßgeblich sind, sind sozial bedingt und veränderlich. Gebrauchs- und Marktwert verändern sich vielmehr beide in Beziehung zueinander, denn auch ein individueller Gebrauchswert orientiert sich in der Regel am erlernten Tauschwert im spezifischen Markt. Also auch hier sind Dynamiken zu beobachten, die aus der Bearbeitung der Welt mit der Absicht der Veränderung heraus Beachtung finden müssen. Ein gutes Beispiel um die Tauschwert - Gebrauchswert Differenz aufzuzeigen ist die Ware "Wasser". Wasser hat einen sehr hohen Gebrauchswert für den Menschen (überlebenswichtig), der Tauschwert in Österreich ist aber relativ niedrig (wobei bei dem Produkut Wasser miteinspielt, dass der Markt für Wasser in Österreich noch immer reguliert ist und Österreich viel Wasser in seinem Territorium hat). In anderen Gebieten der Erde ist aber der Tauschwert des Wassers dem Gebrauchswert näher (sprich Wasser ist teurer), weil Wasser rahr bzw. wie z.B.: in Bolivien geschehen, die Wasserversorgung privatisiert wurde. Ein umgekehrtes Beispiel sind Diamanten, dessen Gebrauchswert im Prinzip für den Menschen relativ gering ist, jedoch der Tauschwert von Diamanten ist immens hoch. Hier kann man beobachten, wie der Tauschwert den Gebrauchswert beeinflussen kann. Denn dadurch, dass der Tauschwert hoch ist, wird der Gebrauchswert insofern beeinflusst, dass es für einen Menschen attraktiv werden kann, Diamanten zu tragen, um den sozialen Statuts in der Öffentlichkeit zu zeigen bzw. zu erhöhen.


Die moderne Form der Macht

Ein Umstand den die Wirtschaftswissenschaften bereits erkannt haben und welcher heutzutage in vielen Bereichen zur künstlichen Schaffung von Märkten herangezogen wird! So lässt sich heute mit den nötigen finanziellen Mitteln der Gebrauchswert künstlich erhöhen um so später daraus finanzielen Profit zu erschließen. Ging die Grundidee des Marktes von einer reinen Beseitigung existenzbedrohender Knappheiten aus, konzentriert sich der Markt heute zudem mit einer Beseitigung von Bedürfnissen der Marktteilnehmer. So spricht die Wirtschaft auch in folgender Form vom economical man, das er deshalb profitmaximierend handelt um eben so viele (alle) seiner Bedürfnisse abdecken zu können. Tatsache ist aber auch das sehr viele unserer Bedürfnisse nicht der "natur entspringen" als vielmehr das Produkt dynamischer gesellschaftlicher Prozesse sind, die eben auch teilweise bewusst hervorgerufen werden. Schließlich dient die Werbung nicht einem reinen bekannt machen des Produktes sondern eben auch dazu, dieses Knappheitsgefühl hervor zu rufen. Dies ist auch der Grund warum sich am Markt technisch schlechtere Produkte gegen eigentlich bessere durchsetzen können. Tatsache ist auch, das nicht jeder Teilnehmer des Marktes über ein solches Ausmass der Macht verfügt, "sinnlose Produkte" an den Mann/Frau zu bringen um so eben zu noch mehr Geld und damit noch mehr Macht zu gelangen. Vielmehr ist es so, das wir uns wirtschaftlich in einer Situation befinden in der, der Markt uns dazu zwingt nicht nur sinnlose sondern auch qualitativ schlechte Produkte zu kaufen und zu konsumieren. Mittlerweile sind einige Markt Teilnehmer so "mächtig", das der Aufwand sie durch Organisation zu entmächtigen finanziell zu groß und damit existenzbedrohend geworden ist. Denn wenn sie die billige Milch nicht kaufen wollen (um eben jene mächtigen Unternehmen zu schädigen) und sie sich die teure Milch nicht leisten können, und dies mittlerweile bei fast allen Produkten der Fall ist, von was wollen Sie dann Leben? Spätestens hier fühlen sie die Macht und den Einfluss einzelner Unternehmen!