Interaktivität (PhÜD): Unterschied zwischen den Versionen

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Ein elementares Beispiel ist der Umgang mit einer “Maus” zur Steuerung einer graphischen Benutzeroberfläche. Im Vokabular der Metaphysik und Epistemologie finden sich zahlreiche Ausdrücke zur Beschreibung von Repräsentationsverhältnissen. Der Umweg über den “exotischen” Begriff des Avatars bietet den Vorteil, den Sachverhalt terminologisch neutral ansprechen zu können. Der Mauszeiger ist im medientheoretischen Verständnis ein Avatar der Person, die mit der Maus operiert. Die Benutzeroberfläche bietet eine in Echtzeit generierte
 
Ein elementares Beispiel ist der Umgang mit einer “Maus” zur Steuerung einer graphischen Benutzeroberfläche. Im Vokabular der Metaphysik und Epistemologie finden sich zahlreiche Ausdrücke zur Beschreibung von Repräsentationsverhältnissen. Der Umweg über den “exotischen” Begriff des Avatars bietet den Vorteil, den Sachverhalt terminologisch neutral ansprechen zu können. Der Mauszeiger ist im medientheoretischen Verständnis ein Avatar der Person, die mit der Maus operiert. Die Benutzeroberfläche bietet eine in Echtzeit generierte

Version vom 14. April 2016, 14:17 Uhr

Av1.jpg Computer-and-child.jpg

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Ein elementares Beispiel ist der Umgang mit einer “Maus” zur Steuerung einer graphischen Benutzeroberfläche. Im Vokabular der Metaphysik und Epistemologie finden sich zahlreiche Ausdrücke zur Beschreibung von Repräsentationsverhältnissen. Der Umweg über den “exotischen” Begriff des Avatars bietet den Vorteil, den Sachverhalt terminologisch neutral ansprechen zu können. Der Mauszeiger ist im medientheoretischen Verständnis ein Avatar der Person, die mit der Maus operiert. Die Benutzeroberfläche bietet eine in Echtzeit generierte Zeichenwelt, in die mittels des Zeigers live eingegriffen werden kann. Die Besitzerinnen dieser Welt sind in deren Binnenraum durch von ihnen steuerbare Zeichen vertreten.

Das beschriebene Arrangement ist in erster Annäherung ein Handwerksgebrauch, z.B. nach dem Vorbild ferngesteuerter Greifarme. Die menschliche Hand wird technisch unterstützt. Doch in dieser Beschreibung fehlt die Eigenart des “user interface”. Konventionelle Werkzeuge manipulieren handfeste Materialien, hier haben wir es dagegen mit Symbolgestalten zu tun. Der Mauszeiger ist abhängig von Handbewegungen, soweit passt das alte Schema. Doch dieser Zeiger bewegt nichts Materielles; wenn er “am Desktop ein Dokument verschiebt”, handelt es sich um die bildliche Beschreibung symbolischer Transaktionen, die sich das Aussehen von Ordnungsarbeiten auf einem Schreibtisch gegeben haben.

Der Vorgang ist in wichtigen Punkten einem Taschenrechner vergleichbar. Die Benutzerin tippt Zahlen und eine Rechenoperation, die Maschine reagiert nach prädeterminierten Schaltungen, im Endeffekt wird eine passende Symbolkette ausgegeben. Ein solches Gerät ist kein Werkzeug im Sinn eines Hammers oder auch einer Fernbedienung.

Ein Versuch, diese neuartigen Zusammenhänge konzeptuell zu fassen, ist die Rede von virtuellen Welten. Im Jargon der Ingenieure ist “virtual memory” eine Auslagerungsdatei auf der Festplatte, welche dieselben Funktionen bietet, wie das im (schnelleren) Speicherchip untergebrachte “random access memory”. Ein “virtueller Freitag” ist der Donnerstag einer Woche, in welcher der Freitag arbeitsfrei ist. Virtualität ist danach Funktionsäquivalenz vor dem Hintergrund unterschiedlicher materieller Vorgaben. So läßt sich auch die handwerkliche Extradimension beschreiben, die im Gebrauch der Computermaus zu beobachten ist: Mit Hilfe dieses Geräts greift die Benutzerin in eine virtuelle Welt ein. Sie arbeitet nicht im Bereich ihrer physischen Umwelt, sondern in einer Dimension, die quasi eine solche Umwelt ist. Genauer gesagt: in einer Dimension, die (unter anderem) für den Zweck der Dokumentenverwaltung jene Funktionalität bietet, die vom gewöhnlichen Bürobetrieb bekannt ist.

Soweit der Vorspann zur Analyse des Avatars. Funktionale Äquivalenzen zwischen künstlich hergestellten Umwelten finden sich auch in Filmstudios oder gruppendynamischen Szenarien. Entscheidend kommt hinzu, dass sich die faktische und die virtuelle Welt durch digital gesteuerte Interaktionsmechanismen ineinander verschachteln. Die Absicht, Kopien eines Schriftstücks anzulegen, wird am Desktop nicht abgebildet und nicht "händisch" bewirkt. Sie wird innerhalb der Parallelwelt so umgesetzt, dass sich dieses Ergebnis in die Ausgangssituation zurückübersetzen läßt. Die Vermittlungsrolle übernimmt der Avatar, also z.B. der Mauszeiger am Monitor. Er unterliegt der Steuerung einer Person, insofern kann man sagen, dass er deren Absichten repräsentiert. Aber er erfüllt diese Aufgabe in einer Umgebung, die solchen Absichten nicht direkt zugänglich ist. Die Vorgänge im Computer bleiben für die Benutzerin opak. Zugänglich ist ihr nur die – passend entworfene – Oberfläche, d.h. die Symbolwelt, die plangemäß bestimmte Funktionalitäten beitet, als handle es sich um einen Schreibtisch.

Der Zweck des Mauszeigers, als Avatar gefasst, liegt letztlich darin, eine Handlung durch Übersetzung in eine Kunstwelt in der Ausgangswelt zu unterstützen. Die Besonderheit des Avatars in dieser Konstruktion wird noch deutlicher, wenn man mögliche Fehlfunktionen betrachtet. Eine Art Störung kann die Signalübertragung betreffen. So betrachtet sind konventionelle Werkzeuge und Maus in der gleichen Schwierigkeit: die Leitung ist unterbrochen. Zweitens kann die erfolgreiche Verwendung eines Werkzeugs daran scheitern, dass die zu bearbeitende Umgebung falsch eingeschätzt wird. Die Schraube klemmt oder der Mauszeiger bewegt sich zu schnell; auch diese Störungen laufen parallel. Im Computergebrauch ist jedoch, drittens, ein Ausfall möglich, den es in den anderen Beispielen nicht gibt.

Als digital generiertes Signal innerhalb einer graphischen Oberfläche unterliegt der Mauszeiger den Gesetzlichkeiten der Hardware und Programmtechnik, auf welchen diese virtuelle Welt aufbaut. Er reagiert nicht nur auf Steuerung "von außen", sondern auch auf “interne” Interdependenzen. Und da sich diese Interna als eine funktional eigenständige Welt darstellen, entsteht ein Eigenleben der Virtualität, an dem der Avatar – abgesehen von der steuernden Person – teilnimmt. Die Reaktionszeit des Zeigers verlangsamt sich, wenn (mit seiner Hilfe) zu viele Prozesse gestartet werden; er “friert ein”, nachdem auf ein Symbol geklickt, sprich ein Programm aufgerufen wurde. Das sind Vorgänge, in denen der Avatar der Kontrolle seitens der Ausgangswelt durch eine Komplikation innerhalb der virtuellen Welt entgleitet. Der Greifarm bekommt vielleicht den Felsbrocken nicht zu fassen. Anders der Mauszeiger, wenn ihm ein Scherzprogramm bei jedem Zugriff das Fenster wegzieht. Seine Welt ist nicht bloß (partiell) widerständig, sie ist so gebaut, dass Avatare im virtuellen Raum mit absichtsvollen Gegenwirkungen konfrontiert sein können.

Der Punkt ist in vernetzten Spielumgebungen unmittelbar greifbar: der Avatar einer Spielerin trifft auf symbolische Konstrukte und andere Avatare, die fremder Kontrolle unterliegen. Die Doppelwelt besteht nicht nur aus der Repräsentanz einer Akteurin in einer symbolisch (semi-)geschlossenen Umgebung. Diese Umgebung kann auch die interaktiven – und damit konfliktträchtigen – Aspekte der realen Welt modellieren.