Ingenieure, Bildung, Geist (AW)

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Ich kopiere hier einen Teil der Diskussion zur "Hermeneutik einer Fehlermeldung" zur weiteren Verwendung. --anna 11:05, 19. Nov 2005 (CET)

Das Problem liegt doch auf dem Desktop! Geht man den Text allerdings von hinten nach vorne durch, bemerkt man, dass es sich lediglich um ein "Ingenieursopfer" handelt, welches dazu dient, den eigenen Reihen die Leviten zu lesen. Das Kompetenzoutsourcing, auch im wissenschaftlichen Alltag scheinbar unumgänglich, macht aus den ehemaligen Patriarchen(m/w) des Verständnisses, erklärungsbedürftigeabhängige "Admiratorinnen(m/w)" mirakulöser Phänomene, die, ungeachtet ihrer sonstigen Systemadministrationskompetenzen, vor einfachsten "Protokollismen" kapitulieren. --Koe

Das habe ich nicht verstanden. Ist gemeint: Professoren haben Angst vor der Technik? Wäre das nicht spätestens mit der Dampfmaschine plausibel? Das Professoren keine Alleinherrscher sind, sondern Spezialisten in einem bestimmten Gegenstandsbereich, ist doch nach Leibniz (der ja als letzter Universalgelehrter kolportiert wird) eigentlich klar. Mirakulöse Phänomene, die zu einem Kompetenzverlust führen, kann ich im Zusammenhang mit der Comptuertechnik jedenfalls nicht feststellen: Da ist nichts magisches zu sehen - alles berechenbar! --Cswertz 13:41, 14. Nov 2005 (CET)

Diese argumentative Strategie teile ich nicht. Sie unterscheidet zwischen der Technik, die geheimnislose Algorithmen implementiert und Ingenieuren, die als menschliche Wesen eine Geschichte und Interessen haben. Reden wir nicht von Algorithmen, die kann man abstrakt zwar als Muster der Transparenz betrachten, aber im Einzelnen sind sie natürlich ihrerseits vielgestaltig, undurchsichtig und umstritten. Reden wir auch nicht über die Umsetzung von Algorithmen in Maschinen. Hier ist die Nicht-Planbarkeit und Unberechenbarkeit komplex in real existierender Hardware interagierender Algorithmen offenkundig.

Mein Text handelt von einer verbreiteten philosophischen Figur: Ingenieuren wird vorgeworfen, dass sie Zwecke verfolgen, über die sie nicht eigens nachdenken. Das hat eine gewisse Plausibilität. Unlängst bat ich in einer Kommission einen Juristen um Rat. Seine Antwort: "Sagen Sie mir, was herauskommen soll, dann gebe ich Ihnen die entsprechenden juridischen Argumente dafür." So etwas kommt auch im Maschinenbau vor. Damit setzen sich Philosophinnen gerne in Szene. Und mein "Ingenieursopfer" besteht nun darin, zu leugnen, dass Ingenieure in ihrer Arbeit nicht denken. Sie reflektieren nicht über den Sinn von eMail, stattdessen realisieren sie ein Verständnis von eMail. Das heisst: sie produzieren handgreifliches Denken. Sie tun etwas auf der Grundlage von Gedanken. Nicht die Philosophie ist dafür verantwortlich, sondern ihr Arbeitsauftrag. Wenn sich Philosophinnen einmischen wollen, müssen sie diese kognitiven Strukturen zur Kenntnis nehmen - das Denken der Ingenieure.

Das führt mich zur Frage der "Magie". Auch das sehe ich anders. Ich habe in einem Artikel eigens dafür argumentiert, dass eMail "ein Wunder" sei. Kein Mirakel, sondern ein Phänomen, das man berechtigterweise unter diesem Aspekt sehen kann. Das ist nicht Geheimniskrämerei, wohl aber ein Gegenstandpunkt zur oben angesprochenen glatten Trennung zwischen Algorithmen und Humankapazitäten. Er bringt eine fragwürdige Entlastung, indem er (grob gesprochen) einen Bereich der Fachleute und einen der Politik gegenüberstellt. Prozesse der Aneignung von Fremdem (inklusive Technischem) verlaufen über Stauen, Fragen, Ausprobieren. Ohne die Verwirrung durch - vorgeblich - selbstverständliche Abläufe macht Ausbildung keinen Sinn (um von Bildung gar nicht zu sprechen).

Zum Vergleich der Artikel eines Informatiker zum "Wunder der Informatik" --anna 13:25, 19. Nov 2005 (CET)


Ich bin nicht überzeugt davon, dass hinter Fehlermeldungen ein Normsystem liegt, das im Sinne einer philosophischen Analyse zu hinterfragen wäre. Was hinter der Fehlermeldung liegt, ist ein klar definierter Algorithmus, und der Algorithmus hält sich an die "Norm" der Turingschen Definition. Hier sind die medialen Strukturen in den Blick zu nehmen, nicht ein sozialer Konsens, der sich in einer Norm manifestiert.

  • Ein Normsystem liegt jedenfalls zu Grunde. Fehler sind (wie gesagt) nur relativ auf Normen möglich.
  • Es handelt sich in meinem Beispiel um Normen, welche den Austausch von Mitteilungen zwischen zwei "Personen" regeln. Die beiden Computer tauschen - auf der Systemebene - ihre Mitteilungen korrekt aus. Was nicht klappt ist die Identifikation des Empfängers. Diese Unterscheidung wird nicht in einem Algorithmus getroffen.
  • Der Hinweis auf Turing läuft leer. Beliebig viele Algorithmen können entworfen und implementiert werden. Interessant wird es dort, wo eine solche Implementierung in Erwartungsstrukturen eingreift. Wenn also der Knopfdruck "eine Cola-Flasche freigeben soll". Derselbe Algorithmus könnte eine Heizung einschalten. Die Norm, um die es sich hier handelt, ist nicht jene der (Turing-)Definition, sondern sie ist dem Algorithmus aus dem Umfeld seiner Applikation vorgezeichnet. Die "Norm" der formalen Definition und die Norm, der entsprechend eine danach konstruierte Maschine etwas bewirken soll, testen einander gegenseitig. --anna 13:25, 19. Nov 2005 (CET)


Selbst Ingenieur, meine ich doch, dass hier übers Ziel geschossen wird. Einige Gedanken:

  • Geisteswissenschaft können wir uns nur leisten, wenn wir uns in einer globalen Gesellschaft behaupten.

Was zu beweisen war...

Mir erscheint das umgekehrte plaubsibler: Wir können uns in einer globalen Gesellschaft nur durch die Geisteswissenschaften behaupten. Geisteswissenschaften sind kein "Goodie", das sich eine starke Ingenieursgesellschaft als Luxus leistet - es sei denn, Ingenieure arbeiten ohne zu denken. Wenn Ingenieure auch denken, dann sind sie auf die Teilhabe an einer Kultur angewiesen, die Denken auch ermöglicht, die technische Visionen entwirft, Utopien vorlegt, Querverbindungen herstellt etc. --Cswertz 14:07, 14. Nov 2005 (CET)

  • Wissenschaft soll Fortschritt und/oder Nuzen bringen. Bei aller Fragwürdigkeit von Benchmarks und privatwirtschaftlichen Unternehmensmodellen reicht geistige Selbstbefriedigung (wie die tausendste Dissertation über das Sein des Seienden) nicht.

Genau dieses wird sowohl in der "Hermeneutik einer Fehlermeldung", als auch in meiner Diagnose, subcutan gefordert.

Den Begriff der geistigen Selbstbefriedigung hätte ich ja doch gerne einmal genauer bestimmt, vor wegen der körperlichen Analogie, die hier mit einem offenbar katholischen Duktus verwendet wird, der den Nutzen des Samens nur im Sinne der Vermehrung der Menschheit als Ausdruck göttlichen Willens erlaubt - und weitere Gründe für die Schädlichkeit der Selbstbefriedigung schuldig bleibt. Ich würde hier eher vermuten, dass gerade die Individualisierungstendenzen der privatwirtschaftlich forcierten Globalisierung genau die Ablösung von solchen Vorstellungen forcieren und nur gehandhabt werden können, wenn wir uns etwas von unvernünftigen Moralvorstellungen lösen (schließlich leben wir unter dem Diktat einer rationalen Maschine) und eben die geistige Selbstbefriedigung nicht nur durchführen, sondern auch genießen können. Nicht ausreichen tut alles andere. --Cswertz 14:07, 14. Nov 2005 (CET)

  • Für das Überleben in der globalen Gesellschaft ist exzellente Ausbildung erforderlich, und zwar dort, wo es einen (Arbeits-) Markt gibt und wo Stärken bestehen (Österreich hat eine gute Ausgangsposition in I&K, bezüglich Infrastruktur sogar Platz 2 in der EU).
  • Wenn wir unter "Bildung" die Aneigung und lebenslange Aktualisierung jener Fähigkeiten verstehen, die für die aktuellen Herausforderungen im Beruf und im anspruchsvollen Alttagsleben erforderlich sind (im Deutschen eher als "Ausbildung" bezeichnet), dann gehört der routinierte Umgang mit den aktuellen Medien dazu, wie zB jener mit Tools, von Tabellenverarbeitung bis zum Erstellen von Webseiten, während bisherige Skills wie Rechtschreibung an Bedeutung verlieren.

Siehe dazu meinen Kommentar auf der Diskussionsseite. Diese Definition entspricht nur in Teilen einer Ausbildung (das angesprochene System-Deutsch hat bald nicht einmal mehr den Status einer lebenden Fremdsprache), vielmehr zeigt sich, dass eine scharfe Grenze nicht zu ziehen ist. Es darf Gewis geben, die technisches Know-How haben und zum Teil auch anwenden, wie auch Nawis, die Wissen über Philosophie, Geschichte, Literatur... nicht nur aus dem Schwanitz besitzen - und es gibt sie auch. Im Übrigen gehe ich mit deiner Definition 1 von Bildung vollkommen konform.

Bildung wurde oben von Ausbildung unterschieden. Dabei ist, wenn ich richtig verstanden habe, Bildung als genus proxiums intendiert, die differentia specifica der Ausbildung ist die Anforderung aus dem Beruf und aus dem Alltagsleben. In der Ausbildung kommt damit als Merkmal die Nützlichkeit hinzu. Dieses Merkmal ist legitim (vergessen wurden hier noch politische Anforderungen - wenn man noch zwischen Politik und Wirtschaft unterscheiden will - und religiöse Anforderungen). In solchen Forderungen von außen geht Bildung jedoch nicht auf.

Bildung ist orientiert am Menschsein, d.h. (auch) an einer Vorstellung von Vernunft und Denken (aber eben auch etwa von Fühlen, ich erinnere nur an Pestalozzis Kopf - Hand - Herz), die sich eben auch unabhängig von Anforderungen von außen bestimmt, und die diese Anforderungen von außen wieder zu vermitteln, d.h. kritisch zu hinterfragen weiß. Und dabei ist Kritik nicht als herumnörgeln an bösen Kapitalisten oder böser Technik gemeint (OK, zugestanden: es ist auch so gemeint :-) ), sondern als Fähigkeit zur Selbstbestimmung der eigenen Person. Und das ist auch in postmodernen Zeiten nicht obsolet, sondern allenfalls anspruchsvoller geworden. --Cswertz 14:07, 14. Nov 2005 (CET)

  • Wenn wir unter "Bildung" das verstehen, was nicht einmal in unsere aktuelle lingua franca übersetzbar ist und primär der intellektuellen Unterhaltung oder dem Prestige dient, dann halte ich ein Grundverständnis der Quantentheorie (samt Kopenhagener Deutung und Schrödingers Katze) für wichtiger als Kenntnisse von Latein oder gar vom IP Protokoll.
  • Die Uni Innsbruck hat mit ihrem Entwicklungsplan (Verlagerung von Geistes- zu Naturwissenschaften) einen gewagten Schritt in der beschriebenen Richtung begangen.

Raimund Hofbauer, 8.11.05



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