Im Vorfeld (FiK)

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Zur Problemsituation

Eine Besonderheit der Philosophie besteht darin, ihre Aufmerksamkeit auf das Zusammenspiel dreier gedanklicher Tätigkeitstypen zu richten:

Intuition unter druck.jpg

Als charakteristischen Anwendungsfall für philosophische Betätigung kann man die Einführung des Terminus "Wissensbilanz" nennen. Er evoziert Intuitionen über Wissen und Bilanz; sein Auftreten besitzt einen theoretischen Hintergrund und praktisch-rechentechnische Relevanz. Um sich ein Bild der damit erzeugten Situation zu machen, empfiehlt sich eine gedankliche Orientierung.


Beispiel: Gehirn und Freiheit

Eine ähnlich ungewöhnliche Formulierung ist Das Gehirn und seine Freiheit (Gerhard Roth und Klaus-Jürgen Grün, Göttingen 2006). Sie bringt - auf der Basis neuer wissenschaftlicher Instrumente - Bewegung in unsere Voreinstellungen über das Verhältnis zwischen Anatomie und Lebensführung (und über deren theoretische Artikulation). Zwei typische Wortmeldungen:


"Wie das Gehirn mit Willensakten umgeht, ist eine Frage von grundlegender Bedeutung für die Rolle des bewussten Willens und darüber hinaus für die Frage nach der Willensfreiheit. Ge­meinhin nimmt man an, dass bei einem Willensakt der bewusste Wille vor oder bei Beginn der Gehirnaktivitäten erscheinen würde, die zu der Handlung führen. Wenn das richtig wäre, dann würde der Willensakt durch den bewussten Geist eingelei­tet und bestimmt. Was aber, wenn das nicht der Fall wäre? Ist es möglich, dass die spezifischen Hirnaktivitäten, die zu einem Willensakt führen, vor dem bewussten Handlungswillen anfan­gen? Mit anderen Worten, bevor die Person sich dessen bewusst ist, dass sie eine Handlungsabsicht hat?" (Benjamin Libet)
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"Zum einen stellt sich heraus, dass fast niemand von den an der Debatte Beteiligten an dem traditionellen starken Begriff von Willensfreiheit festhält ... Die Mehrzahl der Philosophen, Juristen und sogar Theologen sind das, was man minimale Naturalisten oder Physikalisten nennt, das heißt, sie lehnen zumindest verbal ein dualistisches Weltbild ab, in dem es geistige Prozesse gibt, die dieses Naturgeschehen transzendieren, es aber gleichzeitig beeinflussen können. Sie lehnen dies ab, weil ein solches dualistisches Weltbild in sich logisch widersprüchlich ist und unvereinbar mit allem, was wir über die Geschehnisse in dieser Welt wissen, insbesondere über die engen Beziehungen zwischen geistigen Prozessen und physiologischen Hirnvorgängen.
Gleichzeitig geht die Mehrzahl der geistes- und sozialwissenschaftlichen Diskussionsteilnehmer davon aus, dass der Mensch in seinem Fühlen, Denken und Handeln nicht vollkommen durch seine biologische Natur einschließlich seiner Hirnvorgänge festgelegt ist, sondern dass seine Subjektivität und Intentionalität (das Handeln aus Gründen und nicht nur aus Ursachen) und auch seine Gesellschaftlichkeit die biologische Natur des Menschen transzendieren. »Der Mensch ist mehr als seine Natur und seine Hirnfunktionen!«, heißt es." (Gerhard Roth)

An diesen Äußerungen sind einige Punkte hervorzuheben:

  • Die Darstellung des Problems operiert von vornherein mit der Gegenüberstellung Gehirn/Willensakt, also mit einem Dualismus, der eine weithin bekannte Spannung innerhalb unserer intuitiven Weltsicht aufgreift.
  • Diesem Dualismus wird eine spezifische Deutung gegeben: Gehirnaktivitäten und Willensentscheidungen auf einer Zeitachse, das Transzendieren der Natur durch den Geist.
  • Die Fragestellung bewegt sich quasi instinktiv innerhalb eines "Kriegs der Kulturen". Ein Gegensatz wird aufgebaut, der im weiteren Verlauf ausgefochten wird. Es findet sich keine Bemerkung dazu, dass dies ein zu speziellen Zwecken zugespitzter Konflikt ist.

In der Philosophie wird auf derartige Themenstellungen unterschiedlich reagiert.

Philosophische Klärungsansätze (Zitate)

Aus den zahlreichen Zugangsweisen zum Problem hier vier Tendenzen.

Kant is King

"Der Willensruck findet statt, weil zuvor ein Bereitschaftspotential aufgebaut wurde. Wer eine Ereignisfolge als objektiv behauptet, setzt - so Kant - eine Ursache-Wirkungs-Beziehung, mithin Kausalität, voraus. ... Um den Willensruck als ein objektives Ereignis zu erkennen, muß man nämlich ein vorangehendes Ereignis als dessen Ursache annehmen. Diese Notwendigkeit scheint freilich die Freiheit samt Moral als unmöglich zu entlarven. Im dritten Teil seiner Kritik der reinen Vernunft, der "Dialektik", entpuppt sich dieser Anschein als ein veritabler Schein ... Kant entlarvt die angebliche Entlarvung der Freiheit als eine Illusion." (Otfried Höffe)

nicht transzendent

"In der Moderne kam es dann aber zu einer, wie ich meine, höchst unglücklichen Tradition (vertreten vor allem durch Kant), die auf die eigentümliche Vorstellung verfiel, mit dieser Möglichkeit sei nicht einfach Nichtzwanghaftigkeit gemeint, sondern daß die Handlung nicht notwendig sei in dem Sinn, daß sie nicht kausal verursacht sei." (Ernst Tugendhat)

Moderation

"Die Philosophie kann sich nämlich nicht nur um die Klärung zentraler Begriffe bemühen. Darüber hinaus vermag sie deutlich zu machen, welche Lösungsoptionen überhaupt in Frage kommen und welche systematischen Beziehungen zwischen diesen Optionen bestehen: Dies betrifft beispielsweise den grundsätzlichen Gegensatz zwischen monistischen und dualistischen Ansätzen ebenso wie die konkreten Differenzen zwischen den einzelnen Varianten dieser Positionen. Die Philosophie kann überdies eine Vorauswahl unter diesen Optionen treffen, indem sie zeigt, dass bestimmte theoretisch mögliche Konzeptionen wie etwa der Epiphänomenalismus oder der Eliminative Materialismus höchst problematische Konsequenzen haben, die bei anderen Ansätzen nicht auftreten." (Michael Pauen)

Selbstverständigung

" 'Verstehen', damit meine ich ein Korrelat der Erklärung, nicht einer - etwa medizinischen - Beeinflussung. Mit dem Worte 'Mißverständnis' meine ich also wesentlich etwas, was sich durch Erklärung beseitigen läßt. Eine andere Nichtübereinstimmung nenne ich nicht 'Mißverständnis'. " (Ludwig Wittgenstein)

Eine Fingerübung zu Dualismus, Zeit und Kausalität

Heute in den Nachrichten: Ein Gericht hat entschieden, dass die Flugzeugattacke auf das WTC in New York als ein Schadensfall anzusehen ist und nicht als zwei Fälle. Der Unterschied ist für Versicherungen hochwichtig. Der Vorgang macht deutlich, wie mehrschichtige Interpretationsprozesse verlaufen.

Rein physikalisch ist die Frage nach Schadensfällen nicht zu klären. Die Abläufe sind registriert worden und enthalten für sich genommen keinen juristischen Befund. Sie haben denselben Status, wie der (gefilmte) Einschlag eines Blitzes in einem menschenleeren Wald.

Gegeben ein Film des Ereignisses. Er verläuft entlang einer Zeitachse. Zuerst prallt ein Flugzeug gegen einen Turm, dann entwickelt sich eine Rauchwolke. Intuitiv wird das als Kausalverhältnis betrachtet. Dann folgt eine zweite Flugzeug-Kollision. Ist sie kausal von der ersten abhängig? Das hängt daran, wie weit man den Kausalbegriff fasst.

Wie findet man heraus, ob es sich um einen oder zwei Schadensfälle handelt? Juridische Kategorien werden -- unter Anwendung diverser Prinzipien vernünftiger Urteilspraxis -- auf einen Sachverhalt angewandt. Per se gibt er keine Antwort. Das Auftreten von zwei Explosionen ist kein schlagendes Argument dafür, dass es sich um zwei juridisch differente Tatbestände handelt. (Das Aufbrechen zweier Türen sind nicht zwei Einbrüche.) Stattdessen wird der Tatbestand nach den Regelvorgaben möglichst plausibel interpretiert. Dabei lassen sich unterschiedliche Einteilungen vertreten.

Siehe auch

Herbert Hrachovec: Altbekannte Konsequenzen aus neuen Trends der Kognitiven Wissenschaft

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Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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