Heidegger über Verweisung, Eigentlichkeit und Sein (Code): Unterschied zwischen den Versionen

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:Wer auch nur einmal Code geschrieben hat, in Computerhochsprachen oder gar Assembler, weiß aus eigener Erfahrung zwei sehr schlichte Dinge. Zum einen führen alle Worte, aus denen das Programm ja mit Notwendigkeit entstanden und entwickelt worden ist, nur zu lauter Fehlern, Wanzen oder Bugs: zum anderen läuft das Programm mit einem Mal, sobald der eigene Kopf von Worten ganz ganz entleert ist. [[Friedrich Kittler: Code oder wie sich etwas anders schreiben lässt]]
  
:Wer auch nur einmal Code geschrieben hat, in Computerhochsprachen oder gar Assembler, weiß aus eigener Erfahrung zwei sehr schlichte Dinge. Zum einen führen alle Worte, aus denen das Programm ja mit Notwendigkeit entstanden und entwickelt worden ist, nur zu lauter Fehlern, Wanzen oder Bugs: zum anderen läuft das Programm mit einem Mal, sobald der eigene Kopf von Worten ganz ganz entleert ist.
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Hinter diesen pointierten Formulierungen liegt eine eigenwillige Transformation der Gedanken Husserls und Heideggers. Husserls wunderbare Maschine wird sowohl von der Uneigentlichkeit, als auch vom Menschen befreit. Der erste Schritt folgt dem frühen, der zweite dem späten Heidegger.
  
  
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Die Unterscheidung zwischen "eigentlich" und "uneigentlich" ist jedoch ein Grundzug von SZ. Der oben genannte Fehler liegt nun darin, die Ebene der Existenzialontologie und des untersuchten Daseins nicht scharf auseinanderzuhalten. ''Existenzialontologisch'' ist der "besorgende Umgang" ebenso wichtig und legitim, wie das "Sein zum Tod". Insofern ist der "lebensweltliche" (Husserl) Zeichengebrauch ein positiv zu explizierendes Phänomen und wenn darin Werkzeuge und Verweisungen vorkommen, so gehört das zur menschlichen Verfassung. Existenzialontologisch gibt es aber zweitens die "Entschlossenheit", zusammen mit dem Anspruch auf Ganzheit und Ursprünglichkeit. Aus dieser Sicht ist der "besorgende Umgang" dingverhaftet und - in einer Weise - unzureichend.
 
Die Unterscheidung zwischen "eigentlich" und "uneigentlich" ist jedoch ein Grundzug von SZ. Der oben genannte Fehler liegt nun darin, die Ebene der Existenzialontologie und des untersuchten Daseins nicht scharf auseinanderzuhalten. ''Existenzialontologisch'' ist der "besorgende Umgang" ebenso wichtig und legitim, wie das "Sein zum Tod". Insofern ist der "lebensweltliche" (Husserl) Zeichengebrauch ein positiv zu explizierendes Phänomen und wenn darin Werkzeuge und Verweisungen vorkommen, so gehört das zur menschlichen Verfassung. Existenzialontologisch gibt es aber zweitens die "Entschlossenheit", zusammen mit dem Anspruch auf Ganzheit und Ursprünglichkeit. Aus dieser Sicht ist der "besorgende Umgang" dingverhaftet und - in einer Weise - unzureichend.
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Heideggers Verhältnis zu Husserl kann man nun in diesem Punkt so charakterisieren: Während Husserl uneigentliche Zeichen als Grundlage eines "wunderbaren Apparates" sieht, der letztlich die moderne Wissenschaft ermöglicht, platziert Heidegger Eigentlichkeit nicht in der naturbezogenen Wahrnehmungssituation, sondern in der Durchkreuzung der Weltverbundenheit des Menschen in Angst, Gewissen, Schuld und Tod. So gesehen wird der gesamte Zusammenhang des besorgenden Verweisens ("natürlich" ''und'' "künstlich") distanziert. Und der Anteil des Künstlichen darin wird angesichts des hier durchbrechenden ''Existenzialismus'' eigens ausgegrenzt und problematisiert.
 
Heideggers Verhältnis zu Husserl kann man nun in diesem Punkt so charakterisieren: Während Husserl uneigentliche Zeichen als Grundlage eines "wunderbaren Apparates" sieht, der letztlich die moderne Wissenschaft ermöglicht, platziert Heidegger Eigentlichkeit nicht in der naturbezogenen Wahrnehmungssituation, sondern in der Durchkreuzung der Weltverbundenheit des Menschen in Angst, Gewissen, Schuld und Tod. So gesehen wird der gesamte Zusammenhang des besorgenden Verweisens ("natürlich" ''und'' "künstlich") distanziert. Und der Anteil des Künstlichen darin wird angesichts des hier durchbrechenden ''Existenzialismus'' eigens ausgegrenzt und problematisiert.
  
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=== [[SZ §§9, 45: Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit (Code)]] ===
  
=== [[SZ §§9, 45: Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit (Code)]] ===
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Ein Blick auf den späten Heidegger zeigt, was im Rahmen der Seinsgeschichte aus den technischen Zusammenhängen wird. Die Weltpolitik des kalten Krieges zeigt sich als Hintergrund der Auseinandersetzung mit der Technik.
  
 
=== [[GA 40: Die Aushöhlung des Seyns (Code)]] ===
 
=== [[GA 40: Die Aushöhlung des Seyns (Code)]] ===

Version vom 25. April 2008, 08:08 Uhr

Friedrich Kittler:

Wer auch nur einmal Code geschrieben hat, in Computerhochsprachen oder gar Assembler, weiß aus eigener Erfahrung zwei sehr schlichte Dinge. Zum einen führen alle Worte, aus denen das Programm ja mit Notwendigkeit entstanden und entwickelt worden ist, nur zu lauter Fehlern, Wanzen oder Bugs: zum anderen läuft das Programm mit einem Mal, sobald der eigene Kopf von Worten ganz ganz entleert ist. Friedrich Kittler: Code oder wie sich etwas anders schreiben lässt

Hinter diesen pointierten Formulierungen liegt eine eigenwillige Transformation der Gedanken Husserls und Heideggers. Husserls wunderbare Maschine wird sowohl von der Uneigentlichkeit, als auch vom Menschen befreit. Der erste Schritt folgt dem frühen, der zweite dem späten Heidegger.


Nach der Mitschrift von A. Kirchner [1] habe ich in der ersten Husserl-Vorlesung gesagt: "Heidegger hat Husserls Unterscheidung auf den Kopf gestellt: Der Mensch ist zunächst und zumeist in der Uneigentlichkeit verhaftet (verloren an die Dinge)." Das ist ungenau und irreführend. In der Diskussion mit R. Demiray haben wir das deutlicher auseinandergenommen[2].

Heidegger nimmt in "Sein und Zeit" das Thema Zeichen von Husserl auf und stellt es in seinen eigenen philosophischen Zusammenhang. Dabei geht er zunächst deskriptiv vor und unterscheidet nicht zwischen eigentlichen und uneigentlichen Zeichen:

SZ §17: Verweisung und Zeichen (Code)

Die Unterscheidung zwischen "eigentlich" und "uneigentlich" ist jedoch ein Grundzug von SZ. Der oben genannte Fehler liegt nun darin, die Ebene der Existenzialontologie und des untersuchten Daseins nicht scharf auseinanderzuhalten. Existenzialontologisch ist der "besorgende Umgang" ebenso wichtig und legitim, wie das "Sein zum Tod". Insofern ist der "lebensweltliche" (Husserl) Zeichengebrauch ein positiv zu explizierendes Phänomen und wenn darin Werkzeuge und Verweisungen vorkommen, so gehört das zur menschlichen Verfassung. Existenzialontologisch gibt es aber zweitens die "Entschlossenheit", zusammen mit dem Anspruch auf Ganzheit und Ursprünglichkeit. Aus dieser Sicht ist der "besorgende Umgang" dingverhaftet und - in einer Weise - unzureichend.

Heideggers Verhältnis zu Husserl kann man nun in diesem Punkt so charakterisieren: Während Husserl uneigentliche Zeichen als Grundlage eines "wunderbaren Apparates" sieht, der letztlich die moderne Wissenschaft ermöglicht, platziert Heidegger Eigentlichkeit nicht in der naturbezogenen Wahrnehmungssituation, sondern in der Durchkreuzung der Weltverbundenheit des Menschen in Angst, Gewissen, Schuld und Tod. So gesehen wird der gesamte Zusammenhang des besorgenden Verweisens ("natürlich" und "künstlich") distanziert. Und der Anteil des Künstlichen darin wird angesichts des hier durchbrechenden Existenzialismus eigens ausgegrenzt und problematisiert.

SZ §§9, 45: Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit (Code)

Ein Blick auf den späten Heidegger zeigt, was im Rahmen der Seinsgeschichte aus den technischen Zusammenhängen wird. Die Weltpolitik des kalten Krieges zeigt sich als Hintergrund der Auseinandersetzung mit der Technik.

GA 40: Die Aushöhlung des Seyns (Code)



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