HANSEN, Anna Sofie (Arbeit1)

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Ein Essay über Nicolaus Notabene und Kierkegaard


Am selben Tag wie ’Der Begriff Angst’ erschien, erschien 17. Juni 1844 das kleine, kuriose Buch ‚Vorwort’ unter dem Pseudonym Nicolaus Notabene. Alle wussten damals, das Kierkegaard hinter den beiden pseudonymen Büchern stand. ‚Vorwort’ besteht aus sieben Vorworte und eine kleine Nachschrift und ist – ganz im Gegenteil zu ‚Der Begriff Angst’ - eine kleine satirische ‚Gelegenheitsschrift’ in bunten Charakter, die sich polemisch gegen den Hegelianern richtet. Als solche, als Entwurf in einer schon angeheizten Debatte, bekam ‚Vorwort’ viel mehr Aufmerksamkeit als ‚Der Begriff Angst’, es überschattete ihn völlig. Dass heute das Verhältnis zwischen den beiden umgekehrt ist, liegt daran, dass Vorwort eben zu einer uns schon entfernte Gegenwart eng verbunden ist, und die polemische Bedeutung verwischt sich. Nun in Bezug auf Kierkegaards erst spätere erschienene ‚Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift, unter dem Pseudonym Johannes Climacus wird es möglich einige interessante Pointen über Kierkegaards Pseudonymität herabzuleiten: der kleine Schrift, der sich nur als Vorwort verstehen lassen will, ist für Kierkegaards Gesamtwerk symptomatisch.


Der Verfasser des ‚Vorworts’, Nicolaus Notabene weiht uns in den tragischen Umstände seine Schriftstellerei ein indem er erzählt wie, kurz nach seiner Heirat wieder den Lust auf schriftstellerische Scharmützeln sich in ihm erregte, und wie seine neue Frau ihm verbotet diese Beschäftigung wieder aufzunehmen. Sie hielt es nämlich für die schlimmste Untreue: Gehe er jeder Abend ins Klub, wäre er nur abwesend, wenn er wirklich abwesend ist - als Schriftsteller wäre er immer abwesend obwohl er da ist, d.h. immer geistig abwesend. Das Kompromiss wird, dass er sie verspreche nur Vorworte zu schreiben, damit ist er kein richtiger Schriftsteller. Nicolaus Notabene schreibt also nur Vorworte. Nun ist das Vorwort als Genre vielleicht auch nicht uninteressant. Nicolaus Notabene meint: ‚Eine Vorrede ist im Verhältnis zu einem Buch etwas Unbedeutendes; jedoch sollte man nicht durch sorgfältigeres vergleichendes Studium von Vorreden sich spottbillig Gelegenheit zu Beobachtungen verschaffen! Man hat in der Wissenschaft überaus viel getan um die Literatur zu ordnen […], kein Mensch denkt aber daran welchen Vorteil es hätte […] nichts als Vorreden zu lesen’ (11/12, 173). Das Vorrede trägt das Gepräge der Zeit, deren Sitte und Gebrauch. Wie die Mode, wechselt sich der Stil der Vorworte. Wendet man sich aber ‚der neueren Wissenschaft’ zu, wird es klar, dass das Vorwort seinen ‚Todesstoss’ empfangen hat, weil‚ wenn man das Buch mit der Sache beginnt und das System mit Nichts, so bleibt ersichtlicht nichts übrig, was man in einer Vorrede sagen könnte’ (11/12, 174). Ein Paradox ist es, dass die Mode der Zeit groß aufgezogene Vorworte fördert, die in ihre subjektive Stil sich zu dem Anspruch des eigentlichen wissenschaftlichen Inhalts auf objektiv Nüchternheit, kontrahiert: Das große Universalsystemaufbauens, die notwendigerweise beim Nichts anfangen sollten, schließt den subjektiven Standpunkt völlig aus. Die konsequente Wissenschaft sollte die Sache selbst zu Wort kommen lassen und auf das Vorwort verzichten, weil ‚Können das Vorwort und das Buch nicht miteinander karren, so lass das eine dem anderen einen Scheidebrief geben’ (11/12, 174). Nicolaus Notabene hat mit der Scheidung Ernst gemacht. Das Vorwort ist prinzipiell ein marginal und überflüssig Genre der Philosophie indem es als Äußerung des subjektiven Standpunkts nicht an das eigentliche Inhalt beteiligen. Nicolaus Notabene ist der marginalisierte „Schriftsteller“, dessen „Schriften“ prinzipiell von Nichts handeln darf, weil er sonst ein Schriftsteller sein würde und seine Schriften richtige schriftlichen Arbeiten. Der Name Notabene muss buchstäblich genommen werden als ‚übrigens, was ich noch sagen würde’ , eine Intermezzo, ein kleiner Entwurf - vielleicht eine Referenz zu dem romantischen Begriff des Fragments, das sich gleichzeitig als eine isolierte, selbstgestaltende Ganzheit und ein über sich selbst hinaus verweisende Teilchen einer (vielleicht unbekannten, undefinierten) Ganzheit verstehen lass . Nun Nicolaus Notabene ist auch mehr als nur eine humorvolle Einlage in Kierkegaards Gesamtwerk: er verweis über sich selbst hinaus auf eine unendliche auf-einander-verweisen wo letztlich Kierkegaard selbst aufgelost wird als nur eine Teil der pseudonymen Kette. In einer ersten und letzten Erklärung über diese wahnsinnige Pseudonymität heißt es: ‚Das Geschriebene ist daher zwar das Meine, aber nur insofern, als ich der produzierenden dichterisch-wirklichen Individualität ihrer Lebensanschauung mittels der Hörbarkeit der Replik in den Mund gelegt habe. Denn mein Verhältnis ist noch äußerlicher als eines Dichters, der Personen dichtet und doch selbst im Vorwort der Verfasser ist’ (16 II, 339-340). So schreibt: Johannes Climacus, d.h. noch ein Pseudonym übernimmt die ganze pseudonyme Autorschaft. Hier wird aber klar welche Bedeutung Nicolaus Notabene und seine Vorworte hat: Mit diesem seltsamen Existenz Nicolaus Notabene ist auf eine Pseudonymität in zweiter Potenz aufmerksam gemacht. Und man fragt sich unvermeidlich ob alles was je von – wage man es Kierkegaard zu sagen – geschrieben ist nur als Vorworte zu verstehen ist. Ein Zitat von Johannes Climacus will zeigen wie sehr das fragmentarische, unvollendete, immer über sich selbst hinaus verweisende Vorwort als übergeordnete Metapher Kierkegaards Gesamtwerk gelten kann, insofern wir wiederum an Kierkegaards Philosophie als Existenzphilosophie denkt: ‚Besteht das Unglück unsere Zeit darin, dass sie vergessen hat, was Innerlichkeit und was Existenz ist, so gilt es ja ganz besonderes, der Existenz so nahe wie möglich zu kommen. Das Experiment nimmt daher seinen Ausgangspunkt nicht in einem späteren Zeitmoment und erzählt einen merkwürdigen Konflikt als etwas Vergangenes, es schafft auch keine Entspannung für die Spannung des Konflikts durch eine beruhigen Resultat, sondern macht den Leser durch seine foppende Form noch gleichzeitiger, als er durch eine gleichzeitige Wirklichkeit werden kann, und lässt ihn darin stecken, weil es kein Resultat gibt. […] Das Ausblieben des Resultats aber ist gerade eine Bestimmung der Innerlichkeit; denn Resultat ist etwas Äußeres, und die Mitteilung eines Resultats ein äußeres Verhältnis zwischen einem Wissenden und einem Nicht-Wissenden’ (16 I, 285).

Literatur: Søren Kierkegaard Gesammelte Werke, übersetzt von Hans Martin Junghans, Eugen Diederichs Verlag, Regensburg 1958 Søre Kierkegaard Samlede Værker herausgegeben von A.B. Drachmann, J. L. Heiberg og O.H. Lange, Gyldendal 1963 ‚Den udødelige’ herausgegeben von Tonny Aagaard Olesen og Pia Søltoft, C.A. Retizels Forlag København 2007 ‚Ironiens tænker - tænkningens ironi’ Jacob Bøggild, Museum Tusculanum Press Odense2002


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