Höhle (CP)

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Die platonische Höhle ist ein Landschaftsmotiv und eine Erleuchtungsstrategie. Sie ist ein Image der Philosophie. Mit einem natürlichen Sachverhalt (vgl. Spiegel, Meer) wird eine Organisation von Gedanken "versinnbildlicht". Das geologische Phänomen ist "overloaded": mehrfach mit Bedeutung besetzt.

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Eine Höhle wird von aussen beschrieben. In diesem Begriff ist enthalten, dass es einen Höhlenausgang gibt, typisch nach oben. Dieses Bild präformiert also bereits eine Geschichte. Es bietet ein Muster zur Organisation eines Sachbereiches.

Speziell diese Umstände bieten suggestive Perspektiven:

  • die Hilfsbedürftigkeit
  • der Lichteinfall
  • die Richtung Nach-oben-und-aussen


Plato: Phaidon (78-79)

Also ungefähr so, sprach Sokrates, müssen wir uns selbst fragen: Welcherlei Dingen kommt es wohl zu, dies zu erfahren, das Zerstieben, und für welche muß man also fürchten, daß ihnen dieses begegne, welchen aber kommt es nicht zu? Dann müssen wir untersuchen, zu welchen von beiden die Seele gehört, und hieraus und demgemäß entweder Mut fassen oder besorgt sein für unsere Seelen? Ganz richtig, sagte er.

Und nicht wahr, dem, was man zusammengesetzt hat und was seiner Natur nach zusammengesetzt ist, kommt wohl zu, auf dieselbe Weise aufgelöst zu werden, wie es zusammengesetzt worden ist; wenn es aber etwas Unzusammengesetztes gibt, diesem, wenn sonst irgend einem, kommt wohl zu, daß ihm dieses nicht begegne? Das scheint mir sich so zu verhalten, sprach Kebes.

Und nicht wahr, was sich immer gleich verhält und auf einerlei Weise, davon ist wohl am wahrscheinlichsten, daß es das Unzusammengesetzte sei; was aber bald so, bald anders und nimmer auf gleiche Weise, dieses das Zusammengesetzte?

Mir wenigstens scheint es so.

So gehen wir denn, sprach er, zu dem, wovon wir auch vorher sprachen! Jenes Wesen selbst, welchem wir das eigentliche Sein zuschreiben in unsern Fragen und Antworten, verhält sich dies wohl immer auf gleiche Weise, oder bald so, bald anders? Das Gleiche selbst, das Schöne selbst, und so jegliches, was nur ist, selbst, nimmt das wohl jemals auch nur irgend eine Veränderung an? Oder verhält sich nicht jedes dergleichen als ein einartiges Sein an und für sich immer auf gleiche Weise und nimmt niemals auf keine Weise irgendwie eine Veränderung an?

Auf gleiche Weise, sprach Kebes, und einerlei verhält es sich notwendig, o Sokrates. Wie aber das viele Schöne, wie Menschen, Pferde, Kleider oder sonst irgend etwas dergleichen Schönes oder Gleiches oder sonst einem von jenem Gleichnamiges, verhalten sich auch diese immer gleich, oder ganz jenem entgegengesetzt, weder mit sich selbst jedes noch untereinander jemals, um es kurz zu sagen, auch nur im mindesten gleich?

Wiederum so, sprach Kebes, scheint mir dieses niemals einerlei sich zu verhalten.

[79 St.] Und diese Dinge, sprach er, kannst du doch anrühren, sehen und mit den andern Sinnen wahrnehmen; aber zu jenen sich Gleichseienden kannst du doch wohl auf keine Weise irgend anders gelangen, als durch das Denken der Seele selbst; sondern unsichtbar sind diese Dinge und werden nicht gesehen? Auf alle Weise, sagte er, hast du recht.

Sollen wir also, sprach er, zwei Arten der Dinge setzen: sichtbar die eine und die andere unsichtbar? Das wollen wir, sprach er.

Und die unsichtbare als immer auf gleiche Weise sich verhaltend, die sichtbare aber niemals gleich? Auch das, sagte er, wollen wir setzen.

Wohlan denn, sprach er, ist nicht von uns selbst das eine Leib und das andere Seele?

Allerdings.

Platon: Phaidon (98-99)

Und von dieser wunderbaren Hoffnung, o Freund, fiel ich ganz herunter, als ich fortschritt und las und sah, wie der Mann mit der Vernunft gar nichts anfängt und auch sonst gar nicht Gründe anführt, die sich beziehen auf das Anordnen der Dinge, dagegen aber allerlei Luft und Äther und Wasser vorschiebt und sonst vieles zum Teil Wunderliches. Und mich dünkte, es sei ihm so gegangen, als wenn jemand zuerst sagte: „Sokrates tut alles, was er tut, mit Vernunft“, dann aber, wenn er sich daran machte, die Gründe anzuführen von jeglichem, was ich tue, dann sagen wollte, zuerst, daß ich jetzt deswegen hier säße, weil mein Leib aus Knochen und Sehnen besteht und die Knochen dicht sind und durch Gelenke voneinander geschieden, die Sehnen aber so eingerichtet, daß sie angezogen und nachgelassen werden können und die Knochen umgeben nebst dem Fleisch und der Haut, welche sie zusammenhält. Da nun die Knochen in ihren Gelenken schweben, so machten die Sehnen, wenn ich sie nachlasse und anziehe, daß ich jetzt imstande sei, meine Glieder zu bewegen, und aus diesem Grunde säße ich jetzt hier mit gebogenen Knieen. Ebenso, wenn er von unserm Gespräch andere dergleichen Ursachen anführen wollte, die Töne nämlich und die Luft und das Gehör und tausenderlei dergleichen herbeibringend, ganz vernachlässigend, die wahren Ursachen anzuführen, daß nämlich, weil es den Athenern besser gefallen hat, mich zu verdammen, deshalb es auch mir besser geschienen hat, hier sitzenzubleiben, und gerechter geschienen hat, hier zu bleiben und die Strafe geduldig auf mich zu nehmen, welche sie angeordnet haben. Denn, beim Hunde, schon lange, glaube ich wenigstens, [99 St.] wären diese Sehnen und Knochen in Megara oder bei den Boiotiern, durch die Vorstellung des Besseren in Bewegung gesetzt, hätte ich es nicht für gerechter und schöner gehalten, lieber als daß ich fliehen und davongehen sollte, dem Staate die Strafe zu büßen, die er anordnet. Also dergleichen Ursachen zu nennen ist gar zu wunderlich; wenn aber einer sagte, daß, ohne dergleichen zu haben. Sehnen und Knochen und was ich sonst habe, ich nicht imstande sein würde, das auszuführen, was mir gefällt, der würde richtig reden. Daß ich aber deshalb täte, was ich tue, und es insofern mit Vernunft täte, nicht wegen der Wahl des Besten, das wäre doch gar eine große und breite Leichtfertigkeit der Rede, wenn sie nicht imstande wäre, zu unterscheiden, daß bei einem jeden Dinge etwas anderes ist die Ursache und etwas anderes jenes, ohne welches die Ursache nicht Ursache sein könnte; und eben dies scheinen mir wie im Dunkeln tappend die meisten mit einem ungehörigen Namen, als wäre es selbst die Ursache, zu benennen. Darum legt dann der eine einen Wirbel um die Erde und läßt sie dadurch unter dem Himmel stehenbleiben; der andere stellt ihr, wie einem breiten Troge, einen Fußschemel, die Luft, unter. Daß sie aber nun so liege, wie es am besten war sie zu legen, die Bedeutung davon suchen sie gar nicht auf und glauben auch gar nicht, daß darin eine besondere höhere Kraft liege, sondern meinen, sie hätten wohl einen Atlas aufgefunden, der stärker wäre und unsterblicher als dieser, und der alles besser zusammenhielte; das Gute und Richtige aber, glauben sie, könne überall gar nichts verbinden und zusammenhalten. Ich nun wäre, um zu wissen, wie es sich mit dieser Ursache verhält, gar zu gern jedermanns Schüler geworden, da es mir aber so gut nicht wurde und ich dies weder selbst zu finden noch von einem andern zu lernen vermochte, willst du, daß ich dir von der zweitbesten Fahrt wie ich sie durchgeführt habe zur Erforschung der Ursache, eine Beschreibung gebe, o Kebes?


Elisabeth List: Kybernetischer Platonismus (Ausschnitte)

Original | Kopie

Tatsächlich hat gerade das Thema des Cyberspace die besten Voraussetzungen, sich als vorläufig letztes Glied an eine Tradition der "großen Erzählungen" vom Fortschritt der Vernunft seit der Antike einzureihen, und zwar vor allem, weil es sich im Vokabular der arriviertesten Wissenschaften der Gegenwart, der Neurobiologie und der Telematik präsentiert und zugleich einem altehrwürdigen Mythos, dem platonischen Mythos vom Geist jenseits des Körpers, neue Inhalte gibt. "Mind Children" nennt Hans Moravec, einer der Pioniere in der Entwicklung der neueren Computergenerationen, die intelligenten Rechner und Zukunft, die möglicherweise auf der Rennbahn der Evolution des Lebendigen den homo sapiens hinter sich lassen könnten.(12)

Mythos, Science Fiction oder Wissenschaft? Alfred Whitehead, ein in diesen Fragen zuverlässiger Zeuge, hat einmal festgestellt, daß die Selbstdarstellungen, in denen sich der wissenschaftliche Geist als Heros der Zivilisationsgeschichte stilisiert, in erstaunlicher Weise den Inszenierungen der antiken Tragödie gleicht (13): Seit dem Augenblick, wo sich der Homo Sapiens zum aufrechten Gang erhebt und Werkzeuge gebraucht, ist der menschliche Geist, unausgesetzt nach Erkenntnis und Wissen strebend, im Kampf mit einer widerständigen und unberechenbaren Natur. So sind es die Wissenschaften und die geistigen Fähigkeiten, die dem Menschen im triumphalen Siegeszug an die Spitze der Pyramide der Formen des Lebens setzt, und er feiert seinen Endsieg mit den revolutionären Erkenntnissen der modernen Biowissenschaften und der Informationstechnologien.

Betrachten wir die platonische Version des Mythos. Platon ist in der Geistes- und Religionsgeschichte des Abendlandes nicht zuletzt deshalb so einflußreich, weil seine Dialoge voll sind von Mythen und Bildern vom erkennenden Selbst auf der Suche nach Wahrheit, von Bildern des Menschlichen und des Göttlichen. Platons mythische Deutungen von Wissen und Eros im Symposion, seine verschiedenen Versionen von der Reise aus dem Reich des Werdens und des Scheins, die den sinnlich-körperlich Existierenden in die höheren Regionen der ewigen Ideen führt, gehören noch heute zum Grundbestand des Bildungs- und Kulturwissens. Bei Platon sind die Mythen vom reinen Geist verbunden mit der Lehre vom Guten und mit seiner Vorstellung vom idealen Staat, was ihn davor bewahrte, die empirische Welt des Erkennens und Handelns vollständig zu verleugnen. Aber als Subtext vermittelt er die alte Lehre des Parmenides, daß der Zugang zum höheren Wissen und zum wahren Sein die Überwindung der Kontingenzen der leiblichen Existenz voraussetzt, ja ihr eigentliches Ziel ist. Darin ist auch die Leugnung der Präsenz des Weiblichen im Kosmos der Ideen mitgesetzt. (15) Denn aus Pandoras Büchse stammt, wie es bei Hesiod steht, all das Übel, von dem Platon sagt: "mit Notwendigkeit umkreist es die sterbliche Natur und ihre irdische Stätte".(16) Parmenides' Lehrgedicht beschreibt die Reise des Erkennenden von der Welt des Werdens und Vergehens in jene andere Wirklichkeit des körperlosen, ewigen Seins, zu der die seherischen und schamanischen Ahnen der antiken Philosophen in aller Form glaubten, in der Lage zu sein. Das Reisen ist offenbar auch die Lieblingsbeschäftigung der Bewohner des Cyberspace, und die Prospekte für die postmaterialen Exkursionen in die technisch fabrizierten virtuellen Realitäten ähneln auffällig ihren antiken Vorläufern.

Zwar befindet sich Platon in deutlicher Kontinuität mit einer "ursprungsmythischen Geisteslage";(17) zugleich aber ist seine Philosophie ebenso unzweifelhaft der Anfang philosophischen Denkens über das Denken, über Geist und Bewußtsein. Und auch wenn man seinen Mythen nicht Glauben schenken will, kann man doch die Faszination nachvollziehen, die sich mit dem Gewahrwerden der Eigentümlichkeiten menschlichen Bewußtseins verbunden haben muß. Vor allem die Fähigkeit von Denken und Vorstellen, das leibgebundene Hier und Jetzt in Bildern und Gedanken zu transzendieren, im Denken an einem anderen Ort zu sein, war Anlaß zu solcher Faszination, und aus eben diesem Grund behielten die Phänomene des Geistes und des Bewußtseins lange eine theologisch-mystische Qualität. Das besondere Interesse, das sie auf sich zogen, war aber möglicherweise verantwortlich für das relative Desinteresse an der spezifischen Leiblichkeit menschlicher Bewußtseinsleistungen, ganz abgesehen davon, daß Leiblichkeit mit den ängstigenden und bedrohenden Erfahrungen der Hinfälligkeit, der Verletzbarkeit und vor allem der Sterblichkeit assoziiert war und mit diesen Erfahrungen leicht der Verdrängung und dem Vergessen anheimfiel.

Dieser Prozeß der Verdrängung von Erfahrungen der Leiblichkeit und Kontingenz steht, wie schon angedeutet, in einem engen Zusammenhang mit der patriarchalen Verfassung der Gesellschaft der Antike. Die Frau als Gebärerin gehörte zum Oikos und damit zum Naturhaften, und die Vorstellungen vom Weiblichen eigneten sich für die philosophische Imagination als Projektionsfläche für die "allzumenschlichen" Erfahrungen der leiblichen Kontingenz und Abhängigkeit, die sich mit dem Selbstbild des Denkenden Ich und seiner Phantasmen der vollkommenen Einheit mit der Sphäre des Logos schwer vereinbaren ließen.

Platon wurde indes namensgebend für jene erkenntnistheoretischen und ontologischen Doktrinen, die die Phänomene des Bewußtseins gänzlich dem Bereich des Geistig-Immateriellen zuordnen und auch so erklären. Sie fanden über den Neoplatonismus, die der Theologie der Kirchenväter einen philosophischen Rahmen bot, Eingang in das Denken des christlichen Abendlandes und ihre Wirkungsgeschichte reicht bis weit ins neunzehnte Jahrhundert.(21) Der Hauptstrom der neuzeitlichen Philosophie, als dessen wichtigste Quelle die Schriften von Descartes gelten, konnten eine idealistische Ontologie und Theorie des Bewußtseins nicht mehr mythologisch begründen. Descartes gab sich alle Mühe, zu ihrer Rechtfertigung deduktive Beweise zu finden. Dergestalt gelang es ihm, die bestimmenden Grundannahmen einer geistmetaphysischen Sicht des menschlichen Bewußtseins mit dem sich etablierenden mechanistischen Weltsicht der Wissenschaft des siebzehnten Jahrhunderts zu versöhnen.

Epistemologisch gesehen ist Virtualität, die Dimension des Imaginären, ein wesentliches Moment aller kognitiven Prozesse. Aber dieses Phänomen hat auch seine ausgezeichneten Orte in der kulturellen Realität. Rituale, auf die die ältesten Symbolismen verweisen, sind heute selten geworden. Aber wenn wir Romane lesen, Musik hören, meditieren, beten oder träumen, verlassen wir in einem gewissen Sinn – mit der Richtung unserer Aufmerksamkeit – die alltägliche Welt der raumzeitlichen Dinge, wechseln in einen Bereich der außeralltäglichen Wirklichkeit, in verschiedene "Subuniversa des Sinns", die alle nicht im selben Sinn real sind wie die Alltagswelt als Sphäre des Handelns, des Agierens mit Objekten oder des leibhaftigen In-Beziehung-Tretens mit anderen Individuen. Wir leben, wie es der Phänomenologe Alfred Schütz nennt, in mannigfaltigen Wirklichkeiten, ohne daß die Alltagswelt jenen ausgezeichneten Realitätsakzent verliert, der ihr eigen ist.(32)

Dieser besondere Realitätsakzent kommt der Alltagswirklichkeit aufgrund ihrer pragmatischen Priorität zu: sie ist die Welt, in der wir handeln und unser Leben fristen. Sie als real zu erkennen, ist auch ein moralisches und politisches Erfordernis: Nur in dieser Realität können wir angesichts politischer, sozialer und ökologischer Krisen verantwortlich handeln. Die damit verbundenen ontologischen Fragen sind hier nicht weiter von Belang. Aber ein epistemologischer Punkt ist von Bedeutung im Hinblick auf die mythologische Hypostasierung von Virtualität in der Rhetorik des Cyberspace: der Zusammenhang von Virtualität und Leiblichkeit. Die gnostischen Mythologeme der Befreiung des Geistes aus der Gefangenschaft des Fleisches, die sie aktualisiert, erfahren eine vielsagende Widerlegung, wenn man der Frage nach dem Ursprung von Sprache und Symbolgebrauch, mit dem offenbar das Phänomen der Virtualität auftritt, konkret nachgeht, das heißt, im Rahmen empirischer Untersuchungen. Aus einer solchen Sicht wird unabweisbar deutlich, daß die Entstehung sprachlicher und kognitiver Fähigkeiten untrennbar verbunden ist mit den sensomotorischen Praktiken der Orientierung in der Umwelt und mit den sinnlichen Vorgängen des Sehens, Hörens, Tastens und Riechens.(33) Alle diese Fähigkeiten sind wesentlich leibgebunden, verankert in der psychobiologischen Verfassung unserer Körperlichkeit.(34) Und es sind diese leibgebundenen Fähigkeiten, die die erste und elementare Ebene der Sinngenerierung organisieren. Mark Johnson und George Lakoff haben gezeigt, daß sich das Universum des sprachlichen Sinns aus einer Anzahl von Sinnschemata entfaltet, auf der Basis eines Mechanismus metaphorischer Projektion.(35)

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die entscheidende Frage, wie weit der Prozeß der Entmaterialisierung und Entkörperlichung menschlichen Wissens gehen kann. Hans Morawec hat den logischen Endpunkt dieses Prozesses beschrieben. Er würde auf ein vollständiges "downloading" allen Wissens und aller Information auf eine hochkomplexe, noch nicht verfügbare, aber doch technisch denkbare Hardwarekonstellation hinauslaufen – also auf die vollständige Substitution des menschlichen Organismus durch eine Maschine.(36) Mittlerweile ist Morawec hinsichtlich dieser Möglichkeit weniger optimistisch. Nicht nur wären die erforderlichen Maschinen unerschwinglich. Moravec vertritt neuerdings den Standpunkt, daß die besonderen Weisen des menschlichen Denkens und unserer Erfahrung, die Besonderheiten des menschlichen Bewußtseins von der Weise, wie wir verkörpert sind, grundsätzlich nicht trennen läßt: Selbst wenn wir nur als Software in einem Datennetz existieren würden, würden wir noch glauben, daß wir einen Körper haben. Kurz: Die Idee der vollständigen Entkörperlichung ist irrig, vielleicht aber weniger ein echter Mythos als handfeste Ideologie. Aus diesen Gründen muß man sich fragen, wem daran liegt, die neue Generation der PC-Benutzer davon zu überzeugen, daß die Technologien der Datennetzwerke und der virtuellen Realität die überlegenste Weise ist, menschliche Kreativität zu steigern.

Solche Äußerungen sind ohne Vorbehalt zu begrüßen. Aber statt in Phantasien über Cyborgs und "virtual love" zu schwelgen, sollte gefragt werden, warum denn menschliche Wesen neu erfunden werden müssen. Warum, und wie. Vor allem, was ist diesbezüglich von der sich real entwickelnden Informationsgesellschaft erwarten? Die vorhin erörterte Analogie zwischen der virtuellen Gemeinschaft im Netz und der Gemeinschaft der Christen hat Bernhard Siegert ironisch durchgespielt, in Anspielung auf die Mehrdeutigkeit des Wortes "host", das im Vokabular des Internet eine wichtige Rolle spielt.(42) Die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, so Siegert, ist bekanntlich nicht ein Ort der freien Zirkulation von heiligen Botschaften, sondern im strikten Sinn des Wortes "in-formiert" – in bestimmte Formen gezwungen durch Dogma und kuriale Regulierung. Ähnlich neigt die Feier der Einheit der Gleichen im Netz dazu, zu vergessen, daß die ersten Netzwerke für militärische Zwecke eingerichtet wurden. Und auch dann, wenn dieselbe Technologie für friedliche Zwecke genutzt wird, bleibt zu fragen, welches Monopol die Zugänge und Verbindungen im Netz regelt, dergestalt, daß so etwas wie eine ideale Diskursgemeinschaft im Netz entstehen kann. Dazu Siegert:" Die Administration des Netzwerks funktioniert so ziehmlich nach dem Modell der Administration der mittelalterlichen christianitas. Ein Archiv enthält die RCFs, ein wahrer corpus iuris communicationis. RFCs – Requests for Comments – definieren das interne Arbeiten des Internet und haben durchaus Ähnlichkeiten mit der mittelalterlichen Institution des Kommentars. Erhält ein RFC den Status "required", ist es zum Gesetz geworden. Es wird mit der Autorität des höchsten Standardisierungsgrades ausgestattet, das heißt, es ist für alle Teilnehmer im Netz vorgeschrieben."(43)