Gottfried Boehm – Zu einer Hermeneutik des Bildes (SH)
Hermeneutik des Bildes meint die Frage nach der Übersetzbarkeit von Bild in Sprache. Der Interpret eines Bildes setzt diese Übersetzbarkeit nach Boehm voraus d.h. er geht von einer gemeinsamen Identität aus, an der Bild und Wort gleichermaßen partizipieren. Die Hermeneutik des Bildes stellt diese gemeinsame Identität der beiden Medien nicht in Frage, sondern versucht die Bedingung ihrer Übersetzbarkeit zu reflektieren. Es geht darum „die Sprache des Bildes mit der des Wortes auf die Grundform ihrer Ähnlichkeit hin zu befragen und damit Umfang und Schranke ihrer wechselseitigen Übersetzbarkeit zu überprüfen.“
Die theoretischen Bildanalysen seit dem Humanismus der Renaissance setzen nach Boehm die Vergleichbarkeit von Bild und Sprache voraus und reflektieren sie nicht. Die Analyse von Bildern ist auf „den Vergleich von Inhalten und den Aspekt ihrer angemessenen Darstellung reduziert.“ Als Zeichen deutet das Bild auf einen literarischen Inhalt, der durch das Bild in Erscheinung tritt.
Mit der modernen Malerei, die ihre Selbstständigkeit gegenüber literarischen Inhalten behauptet, wird die Übersetzbarkeit von Bild und Wort plötzlich zu einem Problem.
„In modernen Artefakten sind wir gezwungen, einen Sinn anzuerkennen, der den Dingen nicht ähnelt, für den keine literarische Vorformulierung existiert, der sich in kein präexistente System von Konventionen der Erfahrung einbettet. Die sprachlichen Brücken zur Welt scheinen abgeschlagen und man hat in diesem Rückzug des Bildes aus einer Welt sprachlicher Inflation ein Schrittgesetz für die Genese der modernen Kunst erblickt.
Die Unabhängigkeit der Kunst von der gegenständlichen Welt erfordert nach Boehm einen Zugang, der die Eigenlogik des Bildes respektiert.
In der kunstgeschichtlichen Praxis ist es völlig selbstverständlich das Bild sprachlich zu klären. Diese Selbstverständlichkeit setzt aber eine Reihe von Vorannahmen voraus, die nicht reflektiert werden. Boehm fragt deshalb: „Versteht sich denn wirklich von selbst in der Sprache der Interpretation gültige Substitute für das Bildliche zu vermuten?
Um diese Frage zu klären ist es notwendig, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Medien zu klären, d.h. zu klären ob es Analogien in der Organisation von Wort und Bild gibt. Boehm versucht mittels eines Beispiels die Verschiedenheit von Sprache und Bildsystem zu verdeutlichen. Ein Baum erhält seine Identität als Baum im Wechsel seiner Erscheinungsformen, d. h. sein kategorialer Sachbestand als Baum ist von seinen Erscheinungsweisen getrennt. Diese Identität der Sachlage kann von der Sprache abgebildet werden, weil sie zwischen Subjekt (dem Baum) und seiner prädikativen Erscheinungsweise trennen kann. (Würde die Veränderung der Erscheinung zu einer Veränderung der Sachlage führen, bräuchte man für jede neue Erscheinung ein anderes Wort). Ein gemaltes Ding konstituiert sich hingegen anders: Als Gemaltes ist es von Ort und Kontext in dem es erscheint (d.h. wie es erscheint) nicht zu lösen. Eine Veränderung der Erscheinung würde ein neues Bild ergeben. (= Ununterscheidbarkeit von Sein und Erscheinung im Bilde) „Das Bild enthält eine Logik ohne Sachlagen“
Boehm spricht in diesem Zusammenhang von einem Übergang, der das was im Bild ist, in Erscheinung überführt. Er beschreibt das Bild als Darstellungsprozess, bei dem das Sein (die Sachlage, die Bildlichkeit) sich als Erscheinung ausweist. Es gibt also kein Sein, das dem Bild immanent wäre unabhängig von der Erscheinung.
Die Erscheinung des real existierenden Baumes kann mich über das Ding und sein Sein nicht täuschen und die Wahrheit einer Aussage kann überprüft werden, weil zwischen Sachlage und Erscheinungsform der Sache unterschieden wird. Aber welche Sachlage ist einem Bild angemessen?
Boehm erwähnt in diesem Zusammenhang den Kunsttheoretiker Erwin Panofsky, der durch das Ablösen verschiedener Erscheinungsmodi (Bedeutungsebenen, zB literarisches Wissen) des Bildes zu einer Interpretation des Bildes gelangt. Diese Modi (Schichten) sind Abbilder der Realität und haben als solche eine reale Referenz, einen Sachverhalt. „Aber“ fragt Boehm „löst sich das Bild in Nichts auf, d.h. in nichts-als-Sprache wenn die verschiedenen Schichten abgetragen sind? Gemäß der Methode von E. Panofsky ist das Bild nur ein Abbild eines sprachlichen Sinnes und nicht in der Lage eigene Wahrheiten darzustellen. Es wiederholt sozusagen einen präexistenten, realen Zustand durch eine scheinhafte Darstellung, die „die selbe Anschauung entwirft, die sonst von der Realität ausgeht.“ Das Bild ist dann nur das Substitut einer Sachlage.
Der Eigenlogik des Bildes kann nach Boehm nur genüge getan werden, wenn diese Unterscheidung zwischen dem realen Gegenstand des Bildes und dem Bild aufgegeben wird. (zwischen Zeichen und Bezeichnetem/ Abbild und Wirklichkeit). „Das Bild reicht vor diese Entgegensetzungen zurück.“ Nur wenn die Sprache dieses Merkmal ebenfalls aufweist, kann die Übersetzbarkeit von Bild in Sprache gewährleistet sein. „Das bedeutet, die Natur des Verhältnisses von Bild und Sprache besteht in einem gemeinsamen Grund der Bildlichkeit, an dem sie beide teilhaben.“ Diese Grundstruktur, die in beide Medien eingeschrieben ist, wird mit jeder Übersetzung von Bild in Schrift mitübertragen. Diese Übertragung der Grundstruktur an der beide Medien partizipieren heißt Interpretation bzw. Verstehen.
Nach F. de Saussure gewinnen die Zeichen, die in der Sprache verwendet werden erst in Differenz zu anderen Zeichen ihre Bedeutung. Für die Bedeutung eines Wortes ist also nicht der Gegenstand auf den es verweist konstitutiv, sondern seine Differenz zu anderen Worten. In diese Konzeption des sprachlichen Zeichens ist eine Unabhängigkeit des Bezeichnenden zum Bezeichneten eingeschrieben, d.h. es ist durch keine in ihm selbst liegende und der Zeichensynthese voraus liegende Eigenschaft an eine bestimmte Bedeutung gebunden. Die Bedeutung ist in das „Kontrastgefüge“ der Sprache gebunden. d.h. Sinn ist immer sprachlich artikulierter Sinn, der sich von der Erscheinungsweise seines Gesagtseins nicht abtrennen lässt.“
Das gemalte Bild weist ähnliche Strukturen auf. Entlang der Grenzen (Differenzen) auf der bemalten Fläche bilden sich die einzelnen Sinnrichtungen eines Bildes. Aus dem Geflecht der Grenzlinien entspringt für den Betrachter Sinn (das Blau eines Himmels, die Form eines Gesichts)