Fichtes Universitätsplan (BD14)

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Ausschnitte aus Fichtes: Deduzierter Plan einer in Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt

Lernen des Lernens (§ 5)

Man studiert ja nicht, um lebenslänglich und stets dem Examen bereit das Erlernte in Worten wieder von sich zu geben, sondern um dasselbe auf die vorkommenden Fälle des Lebens anzuwenden, und so es in Werke zu verwandeln; es nicht bloß zu wiederholen, sondern etwas anderes daraus und damit zu machen; es ist demnach auch hier letzter Zweck keinesweges das Wissen, sondern vielmehr die Kunst, das Wissen zu gebrauchen. Nun setzt diese Kunst der Anwendung der Wissenschaft im Leben noch andere der Akademie fremde Bestandteile, Kenntnis des Lebens nämlich, und Übung der Beurteilungsfähigkeit der Fälle der Anwendung voraus, und es ist demnach von ihr zunächst nicht die Rede. Wohl aber gehört hierher die Frage, auf welche Weise man denn die Wissenschaft selbst so zum freien und auf unendliche Weise zu gestaltenden Eigentume und Werkzeuge erhalte, daß eine fertige Anwendung derselben auf das, freilich auf anderm Wege zu erkennende, Leben möglich werde.

Offenbar geschieht dies nur dadurch, daß man jene Wissenschaft gleich anfangs mit klarem und freiem Bewußtsein erhalte. Man verstehe uns also. Es macht sich vieles von selbst in unserm Geiste, und legt sich demselben gleichsam an, durch einen blinden und uns selber verborgen bleibenden Mechanismus. Was also entstanden, ist nicht mit klarem und freiem Bewußtsein durchdrungen, es ist auch nicht unser sicheres und stets wieder herbeizurufendes Eigentum, sondern es kommt wieder oder verschwindet nach den Gesetzen desselben verborgenen Mechanismus, nach welchem es sich erst in uns anlegte. Was wir hingegen mit dem Bewußtsein, daß wir es tätig erlernen, und dem Bewußtsein der Regeln dieser erlernenden Tätigkeit, auffassen, das wird zufolge dieser eigenen Tätigkeit und dem Bewußtsein ihrer Regeln ein eigentümlicher Bestandteil unsrer Persönlichkeit und unseres, frei und beliebig zu entwickelnden, Lebens.

Klarheit, Freiheit, Bewusstsein, Regeln. Also: uneingeschränkte Transparenz des Prozesses der Entstehung von Wissen. Keine Basteleien, keine Zufälle. Zum Beispiel eine Bedienungsanleitung oder ein systematisches Lehrbuch. Ein "How to" zur Installation eines Graphiktreibers. So wird das Wissen "freies Eigentum". Vergleiche cMOOCs und xMOOCs.

Die freie Tätigkeit des Auffassens heißt Verstand. Bei dem zuerst erwähnten mechanischen Erlernen wird der Verstand gar nicht angewendet, sondern es waltet allein die blinde Natur. Wenn jene Tätigkeit des Verstandes und die bestimmten Weisen, wie dieselbe verfährt, um etwas aufzufassen, wiederum zu klarem Bewußtsein erhoben werden, so wird dadurch entstehen eine besonnene Kunst des Verstandesgebrauchs im Erlernen. Eine kunstmäßige Entwicklung jenes Bewußtseins der Weise des Erlernens – im Erlernen irgend eines Gegebenen – würde somit, unbeschadet des jetzt aufgegebenen Lernens, zunächst nicht auf das Lernen, sondern auf die Bildung des Vermögens zum Lernen ausgehen. Unbeschadet des jetzt aufgegebenen Lernens, habe ich gesagt, vielmehr zu seinem großen Vorteile, denn man weiß gründlich und unvergeßlich nur das, wovon man weiß, wie man dazu gelangt ist. Sodann wird, indem nicht bloß das zuerst Gegebene gelernt, sondern an ihm zugleich die Kunst des Erlernens überhaupt gelernt und geübt wird, die Fertigkeit entwickelt, ins Unendliche fort nach Belieben leicht und sicher alles andere zu lernen; und es entstehen Künstler im Lernen. Endlich wird dadurch alles Erlernte oder zu Erlernende ein sicheres Eigentum des Menschen, womit er nach Belieben schalten könne, und es ist somit die erste und ausschließende Bedingung des praktischen Kunstgebrauchs der Wissenschaft im Leben herbeigeführt und erfüllet. Eine Anstalt, in welcher mit Besonnenheit, und nach Regeln, das beschriebene Bewußtsein entwickelt und die dabei beabsichtigte Kunst geübt würde, wäre, was folgende Benennung ausspricht: eine Schule der Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrauches.

Eine spezielle Lerntheorie, das Wissen aus Prinzipien und dazu die Kenntnis der Prinzipien des Wissens aus Prinzipien..

Existenzsicherung (§ 10)

Sicherung vor jeder Sorge um das Äußere, vermittelst einer angemessenen Unterhaltung fürs Gegenwärtige, und Garantie einer gehörigen Versorgung in der Zukunft.

Daß das Detail der kleinen Sorgfältigkeiten um die täglichen Bedürfnisse des Lebens zum Studieren nicht paßt, daß Nahrungssorgen den Geist niederdrücken, Nebenarbeiten ums Brot die Tätigkeit zerstreuen und die Wissenschaft als einen Broterwerb hinstellen, Zurücksetzung von Begüterten dürftigkeitshalber, oder die Demut, der man sich unterzieht, um jener Zurücksetzung auszuweichen, den Charakter herabwürdigen: dieses alles ist, wenn auch nicht allenthalben sattsam erwogen, denn doch ziemlich allgemein zugestanden. Aber man kann von demselben Gegenstande auch noch eine tiefere Ansicht nehmen. Es wird nämlich ohne dies gar bald sehr klar die Notwendigkeit sich zeigen, daß im Staate, und besonders bei den höhern Dienern desselben recht fest einwurzle die Denkart, nach welcher man nicht der Gesellschaft dienen will, um leben zu können, sondern leben mag, allein um der Gesellschaft dienen zu können, und in welcher man durch kein Erbarmen mit dem eignen, oder irgend eines anderen, Lebensgenusse bewegt wird, zu tun, zu raten, oder, wo man hindern könnte, zuzulassen, was nicht auch gänzlich ohne diese Rücksicht durch sich selber sich gebührt; aber es kann diese Denkart Wurzel fassen nur in einem durch das Leben in der Wissenschaft veredelten Geiste. Mächtig aber wird dieser Veredlung und dieser Unabhängigkeit von der erwähnten Rücksicht vorgearbeitet werden, wenn die künftigen Gelehrten, aus deren Mitte ja wohl die Staatsämter werden besetzt werden, von früher Jugend an gewöhnt werden, die Bedürfnisse des Lebens nicht als Beweggrund irgend einer Tätigkeit, sondern als etwas, das für sich selbst seinen eigenen Weg geht, anzusehen, indem es ihnen, sogar ohne Rücksicht auf ihren gegenwärtigen zweckmäßigen Fleiß, der aus der Liebe zur Sache hervorgehen soll, zugesichert ist.

Kunst der Kunstbildung (§11, 12)

Aber sogar dieses klare Bewußtsein und dieses Auffassen der wissenschaftlichen Kunst, als eines organischen Ganzen, reicht ihm noch nicht hin, denn auch dieses könnte, wie alles bloße Wissen, tot sein, höchstens bis zur historischen Niederlegung in einem Buche ausgebildet. Er bedarf noch überdies, für die wirkliche Ausübung, der Fertigkeit, jeden Augenblick diejenige Regel, die hier Anwendung findet, hervorzurufen, und der Kunst, das Mittel ihrer Anwendung auf der Stelle zu finden. Zu diesem hohen Grade der Klarheit und Freiheit muß die wissenschaftliche Kunst sich in ihm gesteigert haben. Sein Wesen ist die Kunst, den wissenschaftlichen Künstler selber zu bilden, welche Kunst eine Wissenschaft der wissenschaftlichen Kunst auf ihrer ersten Stufe voraussetzt, für deren Möglichkeit wiederum der eigene Besitz dieser Kunst auf der ersten Stufe vorausgesetzt wird; in dieser Vereinigung und Folge sonach besteht das Wesen eines Lehrers an einer Kunstschule des wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs.

Das Prinzip, durch welches die wissenschaftliche Kunst zu dieser Höhe sich steigert, ist die Liebe zur Kunst.

Dieselbe Liebe ist es auch, die die wirklich entstandene Kunst der Künstlerbildung immerfort von neuem beleben, und in jedem besonderen Falle sie anregen und sie auf das Rechte leiten muß. Sie ist, wie alle Liebe, göttlichen Ursprungs und genialischer Natur, und erzeugt sich frei aus sich selber; für sie ist die übrige wissenschaftliche Kunstbildung ein sicher zu berechnendes Produkt, sie selbst aber, die Kunst dieser Kunstbildung, läßt sich nicht jedermann anmuten, noch läßt sie selbst da, wo sie war, sich erhalten, falls ihr freier Geniusflügel sich hinwegwendet.

...

Sie ist, wie oben gesagt, selbst der höchste Grad der wissenschaftlichen Kunst, erfordernd die höchste Liebe und die höchste Fertigkeit und Geistesgewandtheit. Es ist drum klar, daß sie nicht allen angemutet werden könne, wie man denn auch nur weniger, die sie ausüben, bedarf; aber sie muß allen angeboten, und mit ihnen der Versuch gemacht werden, damit man sicher sei, daß nirgends dieses seltne Talent, aus Mangel an Kunde seiner, ungebraucht verloren gehe.

Fichtes akademischer Lehrer ist ein genialer Typ, "A sage on a stage". Im Kontrast dazu steht die periodische Lehrevaluation durch Fragebögen, propagiert auf youtube. Hier könnte man Fichtes Prinzip der uneingeschränkten Transparenz geltend machen. Welche Prozesse liegen zwischen einer Lehrveranstaltung und einem Videoclip auf einem global zugänglichen Portal?
Das Instrument der Vergewisserung der Regeln eines Vorgangs ist nützlich. So werden Zusammenhänge aufgeklärt, z.B. in einem Untersuchungsausschuss oder einem kritischen Interview. Doch dieses Instrument hat auch seine spezifischen Schwächen. Man merkt auch das in Untersuchungsausschüssen und bei Journalistenfragen.

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Über alles (§16)


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Mit diesem Ausgangspunkte der wissenschaftlichen Kunst verhält es sich nun also. Kunst wird (§ 4) dadurch erzeugt, daß man deutlich versteht, was man, und wie man es macht. Die besondere Wissenschaft aber ist in allen ihren einzelnen Fächern ein besonderes Machen und Verfahren mit dem Geistesvermögen; und man hat dies von jeher anerkannt, wenn man z. B. vom historischen Genie, Takt und Sinne, oder von Beobachtungsgabe und dergl. als von besondern, ihren eigentümlichen Charakter tragenden Talenten gesprochen. Nun ist ein solches Talent allemal Naturgabe, und, da es ein besonderes Talent ist, so ist der Besitzer desselben eine besondere und auf diesen Standpunkt beschränkte Natur, die nicht wiederum über diesen Punkt sich erheben, ihn frei anschauen, ihn mit dem Begriffe durchdringen, und so aus der bloßen Naturgabe eine freie Kunst machen könnte. Und so würde denn die besondere Wissenschaft entweder gar nicht getrieben werden können, weil es an Talent fehlte, oder, wo sie getrieben würde, könnte es, eben weil dazu Talent, das eben nur Talent sei, gehört, niemals zu einer besonnenen Kunst derselben kommen. So ist es denn auch wirklich. Der Geist jeder besondern Wissenschaft ist ein beschränkter und beschränkender Geist, der zwar in sich selber lebt und treibet und köstliche Früchte gewährt, der aber weder sich selbst, noch andere Geister außer ihm zu verstehen vermag. Sollte es nun doch zu einer solchen Kunst in der besondern Wissenschaft kommen, so müßte dieselbe, unabhängig von ihrer Ausübung, und noch ehe sie getrieben würde, verstanden, d. i. die Art und Weise der geistigen Tätigkeit, deren es dazu bedarf, erkannt werden, und so der allgemeine Begriff ihrer Kunst der Ausübung dieser Kunst selbst vorhergehen können. Nun ist dasjenige, was die gesamte geistige Tätigkeit, mithin auch alle besonderen und weiter bestimmten Äußerungen derselben wissenschaftlich erfaßt, die Philosophie: von philosophischer Kunstbildung aus müßte sonach den besondern Wissenschaften ihre Kunst gegeben, und das, was in ihnen bisher bloße vom guten Glücke abhängende Naturgabe war, zu besonnenem Können und Treiben erhoben werden; der Geist der Philosophie wäre derjenige, welcher zuerst sich selbst, und sodann in sich selber alle andern Geister verstände; der Künstler in einer besondern Wissenschaft müßte vor allen Dingen ein philosophischer Künstler werden, und seine besondere Kunst wäre lediglich eine weitere Bestimmung und einzelne Anwendung seiner allgemeinen philosophischen Kunst.

(Dies dunkel fühlend hat man, wenigstens bis auf die letzten durch und durch verworrenen und seichten Zeiten, geglaubt, daß alle höhere wissenschaftliche Bildung von der Philosophie ausgehen, und daß auf Universitäten die philosophischen Vorlesungen von allen und zuerst gehört werden müßten. Ferner hat man in den besondern Wissenschaften z. B. von philosophischen Juristen oder Geschichtsforschern oder Ärzten gesprochen, und man wird finden, daß von denen, welche sich selber verstanden, immer diejenigen mit dieser Benennung bezeichnet wurden, die mit der größten Fertigkeit und Gewandtheit ihre Wissenschaft vielseitig anzuwenden wußten, sonach die Künstler in der Wissenschaft. Denn diejenigen, welche a priori phantasierten, wo es galt Facta beizubringen, sind eben so, wie diejenigen, die sich auf die wirkliche Beschaffenheit der Dinge beriefen, wo das apriorische Ideal dargestellt werden sollte, von den Verständigen mit der gebührenden Verachtung angesehen worden.)