Eugenio Mazzarella: Der Wille zur Macht als Wille zur Form

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Eugenio Mazzarella, „Der Wille zur Macht als Wille zur Form: Nietzsche“, in Harald Seubert, (Hrsg.), Natur und Kunst in Nietzsches Denken, (Köln u.a., Böhlau, 2002), S. 153-166.


Nietzsches Ontologie ist eine metaphysische. Dem Sein am nächsten ist das Leben. Nietzsche setzt den Begriff Sein und Leben gleich. Alles Leben ist Sein. Das Leben, das Lebendige ist immer im Begriff zu wollen und zu werden. Daher ist für Nietzsche der Wille das Grundlegende am Sein. Der Wille zur Form, alles was ist, ist aus einer Willensbekundung hervorgegangen. Der Wille als Schöpfer aller Dinge. Der Wille ist die Triebfeder, Dinge vom Nicht-Sein ins Sein zu drängen. Er ist Künstler im weiten Sinne, der seine Kreationen auf der Plattform des Seins präsentiert. Die Kunst in dieser Kunst, also jene im allgemein verstandenem Sinne, macht dieses Machtverhältnis sichtbar. Der Künstler gießt seinen Willen in eine von ihm gewählte Form und verwirklicht diese im wahrsten Sinne des Wortes. Von den absoluten Wahrheiten hält dieser Wille nichts, vielmehr werden Wahrheiten durch das Hineindrängen ins Sein miterschaffen und die Wahrheiten ändern sich sooft wie sich das Erschaffene verändert. Nietzsche unterscheidet zwei unterschiedliche Wahrheitsauffassungen die sich nicht auf einen Nenner bringen lassen. Wahrheiten im Bezug auf das Sein, sind solche die allen Seienden Dingen gemeinsam sind, der Wille. Wahrheiten innerhalb dieses Seins lassen sich nicht ein für allemal aufstellen, denn diese sind dem willentlichen Fluss der Veränderung untergeordnet. Erkenntnistheoretische Aussagen beziehen sich auf Zweites und müssen sich ständig neu beweisen, um nicht ins abseits des Nicht-Seins gedrängt zu werden.

Nietzsche führt die christliche Tradition des subjektiven Bewusstseins radikal zu Ende. Der Geist bzw. das Bewusstsein erhebt sich zu sich selbst, wird sich selbst bewusst und gelangt so zu einer Objektivität die keiner äußeren Umstände bedarf. Der Geist ist jedoch nur innerhalb des Seins aktiv, er ist an die Lebenszeit des Körpers gebunden und kann sich nach dem Tod dem Körper nicht entledigen, sondern geht gemeinsam mit ihm zu Grunde. Der Wille als Künstler, als jenes Urelement dem Schöpfer gleich, herrscht über alle seienden Dinge. Bei Nietzsche verdankt das Ur-Sein Dionysos sein „Leben“ und aus dem folgen alle weiteren Dinge. Dionysos´ Wille spaltete sich bei jeder neuen Schöpfung und so besitzt jedes Sein seinen eigenen Willen. Jeder Wille ist sich seiner selbst bewusst, besitzt also ein Vermögen sich von innen heraus von sich selbst zu entfernen und verlangt über sich selbst herrschen zu dürfen. Gott muss tot sein, damit jedes Quantum ein sich selbst – gesetzgebender Künstler ist und sich nach seinem Willen gestalten kann. Die Freiheit der einzelnen Willen kostet dem Allmächtigen, der überall die Finger im Spiel haben will, den Tod. Anstatt eines Alleinherrschers stehen unzählige Herrscher nebeneinander, jeder mit seinem eigenen Territorium. Das Widersprüchliche an Nietzsches´ Willensontologie liegt daran, dass er in seiner Konzeption den Willen über das endliche Leben hinaus gehen läßt. Einerseits sucht er den Willen im Lebendigen, findet ihn dort, und trägt ihn dann jedoch über das endliche Lebendige hinaus. Der Willensbegriff entsteht im begrenzten Sein, seine Wirkung und seine Lebenszeit ist jedoch ewig.

Bezogen auf die Umwelt lassen sich mehrere Argumentationslinien, die nebeneinander bestehen können, erkennen. Alles Seiende ist verwirklichtes Wollen. Auch die Natur setzt sich aus Willenquanten zusammen, die mächtig genug waren sich zu verwirklichen. Aus Nietzsches Gedankenmodell kann nun gefolgert werden, dass jeder Wille mit den anderen Willen konkurriert. Es findet sozusagen ein Verdrängungswettbewerb statt, bei dem der Mächtigste im Sein verweilt. Die Existenz des Menschen (und auch andere Lebewesen) ist auf ein Ökosystem angewiesen. Heißt das nun, dass der Wille des Menschen sich seine existentiellen Vorraussetzung gleich miterschafft, oder dass er auf andere Willen angewiesen ist? Im Angesicht des Selbsbewusstsein des Willens kann aber auch argumentiert werden, dass der Wille eine Art Ethik konstituiert, welches ein gemeinsames Leben mehrerer Willen ermöglicht, nicht aus altruistischen Gründen, sondern um die eigene Existenz und Entfaltung zu schützen.