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Die These zu stützen, dass sich der Ausdruck >Medium< nicht ausschließlich auf eine bestimmte Klasse von Gegenständen bezieht, lässt sich nicht nur mit Beispielen aus der aktuellen Diskussion belegen. Vielmehr findet sie auch ihre Bestätigung aus der philosophischen Tradition. So hat Stefan Hoffmanns begriffsgeschichtliche Studie erbracht, dass der Medienbegriff durchaus in der Geschichte der Disziplin Philosophie verankert ist; sie machte außerdem deutlich, dass unter ihn nicht Kommunikationsmittel im heutigen Sinn subsumiert wurden. Vielmehr reicht das Spektrum von Medien der Wahrnehmung über technische Medien, den Mittelbegriff des aristotelischen Syllogismus bis hin zu den Reflexionsmedien, in denen sich Denken vollzieht. Ein kommunikationswissenschaftliches Medienverständnis kann in diesem Zusammenhang nur als Spezialfall betrachtet werden.

Weitere Argumente gegen eine vorschnelle Orientierung an aktuellen Bedeutungsfestlegungen lassen sich aus Matthias Vogels Analyse aktueller Medienkonzepte ableiten. Diese macht deutlich, dass kursierende Auffassungen von den “prototypisch eingeführten” und behandelten Medien abhängen und zugleich “deutliche Spuren der theoretischen Kontexte, zu denen sie in Beziehung stehen”, tragen.6 Aus diesem Befund lässt sich schließen, dass der alltägliche Medienbegriff als eine Art Klammer fungiert, die die Breite des thematischen Spektrums zusammenhält. Bemerkenswert ist ein weiteres Ergebnis: Neben der Diversität der verwendeten Medienkonzepte sieht Vogel eine Gemeinsamkeit darin, dass diese sich auf “spezifische Möglichkeitsräume” beziehen. Es lässt sich ein Zusammenhang feststellen “... zwischen der Auszeichnung von Handlungsspielräumen, die sich im Rahmen medienintegrierter Interaktionen ergeben, und der Möglichkeit ..., Handlungen und soziale Prozesse vor dem Hintergrund dieser medialen Handlungsmöglichkeiten zu verstehen.”7

Die Bestimmung eines Zusammenhangs zwischen Medien und Möglichkeit scheint auch in Sybille Krämers Charakterisierung von technischen Apparaten als Medien durch. Krämer differenziert zwischen der Nutzung technischer Artefakte als Werkzeuge (oder Mittel) im Rahmen eindeutiger Zweck-Mittel-Relationen und den medialen Aspekten dieser Artefakte bzw. ihres Gebrauchs. Letztere sind nicht als Eigenschaften von Medienartefakten zu begreifen; vielmehr handelt es sich darum, dass der Einsatz spezifischer Mittel auch neue Möglichkeiten eröffnet. Mit den Worten Krämers:

“Die Technik als Werkzeug erspart Arbeit; die Technik als Apparat aber bringt künstliche Welten hervor, sie eröffnet Erfahrungen und ermöglicht Verfahren, die es ohne Apparaturen nicht etwa abgeschwächt, sondern überhaupt nicht gibt. Nicht Leistungssteigerung, sondern Welterzeugung ist der produktive Sinn von Medientechnologien.”8

In dieser Charakterisierung scheint die von John Dewey eingeführte Unterscheidung zwischen äußerem und innerem Mittel durch. Unter ersterem versteht Dewey das, was Krämer als Werkzeug tituliert – gegenständliche oder symbolische Mittel, die zur Erreichung eines bestimmten Zwecks eingesetzt werden. Diese sind insofern als beliebig anzusehen, als sie von anderen ersetzt werden können.9 Für innere Mittel gilt dagegen, dass sie in einem nicht kontingenten Verhältnis zum gesetzten Zweck stehen. Dewey bezeichnet sie als Medien.

“Mittel werden unter der Voraussetzung zu Medien, wenn sie nicht bloß der Vorbereitung oder als etwas Vorläufiges dienen. Als ein Medium aufgefaßt, ist die Farbe ein Vermittler für Werte, die in gewöhnlichen Erfahrungen schwach und disparat sind, und ein Vermittler für die neue konzentrierte Perzeption, wie sie durch ein Gemälde veranlaßt wird. Ein Plattenspieler ist ein Vehikel, dessen Zweck sich in einer bloßen Wirkung erschöpft. Die Musik, die ihm entspringt, ist ihrerseits ein Vehikel, aber gleichzeitig ist sie doch mehr: sie ist nämlich ein Vehikel, welches mit dem, was es überträgt, eins wird.”10

Deweys Charakterisierung des Plattenspielers als äußeres Mittel fasst diesen als Wiedergabegerät für Musik- oder Sprachaufnahmen auf, das zum ästhetischen Wert eines Kunstwerks nicht beiträgt. Aus dem von Krämer skizzierten Medienverständnis heraus ließe es sich in anderer Hinsicht als Medium interpretieren: Als ein Artefakt, das Hörgewohnheiten verändert – sei es, dass unsere Aufnahmerhythmen sich an die Wiedergabe- und Speicherleistungen der jeweiligen Medien (Schallplatte, CD, I-Pod) anpassen; sei es, dass sich die institutionellen Rahmenbedingungen für das Hören von Werken der klassischen Musik grundlegend ändern. Das Beispiel des Plattenspielers zeigt deshalb, dass der Einsatz von technischen Geräten durchaus den Charakter eines bloßen Substituts überschreitet und dann Auswirkungen auf kulturelle und gesellschaftliche Teilbereiche ausübt, die das Merkmal eines kulturellen Wandels tragen können. Diese lassen sich in dem von Vogel umrissenen Sinn als Interdependenzen von medienintegrierten Aktionen und Interaktionen und den hieraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten bestimmt werden.



Anmerkungen:

(6) Vogel 2001: 114.

(7) Ebd.: 160.

(8) Krämer, Sybille 1998: “Das Medium als Spur und als Apparat”. In: Dies. (Hg.): Medien Computer Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt/M. 85.

(9) Dewey, John (1980): Kunst als Erfahrung. Frankfurt/M. 229. Eine ausführliche Darstellung der Medienkonzeption Deweys findet sich in Vogel 2001: 137 ff.

(10) Ebd.: 231.