E. Möglichkeiten im Rahmen des Unabänderlichen (FiK)

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In dem Moment, wo die kleinen Änderungen, welche das Zwangsläufige vom Unabänderlichen unterscheidbar machen, durch dieselben individuellen Dinge herbeigeführt werden können, die dem zwangsläufigen Geschehen unterliegen, bekommt auch der Unterschied des natürlich Notwendigen von dem, was zwar unabänderlichlich, aber nicht notwendig ist, einen objektiven Hintergrund. Das ist der Fall beim Lebendigen und seinen Vermögen. Denn Vermögen zu haben bedeutet, wie früher beschrieben, daß dasselbe lebendige Individuum unter unterschiedlichen, wenn auch ähnlichen Bedin­gungen seines Zustands gewisse Lebensäußerungen zu generieren vermag. Zwangsläufig ist nunmehr das, was sich, unangesehen sei­ner Vermögen, mit oder an einem Lebewesen vollzieht; wie z. B. der Herzschlag beim Menschen oder Fieber als Begleiterscheinung bestimmter Erkrankungen. Unerfüllbar dagegen nennt man das, dessen Realisierung ein gegebenes Vermögen überschreitet. Unver­meidlich solches, was zwar innerhalb der Reichweite eines Ver­mögens realisiert wird, aber nicht als individuelle Lebensäußerung verursacht wurde; wie z. B. der Absturz einer allzu vorwitzigen Bergziege oder der Zusammenstoß zweier Tanzpaare auf überfüll­tem Parkett. Vermocht schließlich ist all das, was als Gebrauch gege­bener Vermögen innerhalb von deren Reichweite realisiert wird.

Erst im Bereich des Lebendigen dissoziiert also mit objektiver Rechtfertigung die natürliche Kausalität in erstens das Zwangsläu­fige, das unangesehen aller vermochten Variationen des Verhaltens geschieht; zweitens das Unvermeidliche, das sich im Verhältnis zu gegebenen Vermögen des Lebendigen ebenfalls unkorrigierbar vollzieht; drittens das ein Vermögen Übersteigende und daher Unerreichbare; und schließlich viertens das Vermochte, das als erfüllbar innerhalb der Reichweite gegebener Vermögen liegt. Unabän­derlich sind dennoch alle genannten mit unterschiedlicher Modali­tät eintretenden Wirkungen dessen, was aufgrund der beteiligten Ursachen eben geschieht.

Die natürliche Kausalität der Geschehnisse verhält sich demnach höchst unterschiedlich zur Freiheit, je nachdem, ob eine Zwangsläu­figkeit, Unvermeidlichkeit, Unerfüllbarkeit oder aber ein Vermochtsein des betreffenden Verhaltens gegeben ist. Denn wir können nicht handeln, ohne die eigenen Vermögen in ihrer Reichweite ein­zuschätzen. Deshalb kann manchmal sogar, obwohl unser Verhalten dem Unvermeidlichen folgt, die Handlung sehr wohl frei gewesen sein. Zum Beispiel, wenn unsere Stimme versagt oder die Knie weich werden, wo wir eine unverlangte Darbietung vor hochgestell­tem Publikum geben wollten. Kein Mensch wird annehmen, wir seien gezwungen zu versagen; jeder weiß, daß unser Verhalten natürlicher Kausalität folgt; aber dennoch haben wir uns, frei wie wir waren, selbst überschätzt.

Wieso aber könnte dann jener Mensch dennoch freiwillig auf das Podium steigen, wenn er so in die Fänge natürlicher Unvermeidlich­keit gerät? Oder war er frei, bevor er hinaufstieg, unterwegs aber verliert er die Freiheit? Doch haben wir uns früher klargemacht, daß Freiheit nicht in einem bloßen Spielen mit dem Gedanken, aufs Po­dium zu steigen, bestehen kann. Die gesetzte Unnachgiebigkeit des so-Handelns ist wesentlich für die Freiheit. Erst durch den tatsächli­chen Versuch verfallen wir der natürlichen Unvermeidlichkeit unse­res anschließenden Verhaltens. Dem Unvermeidlichen verfallen kann aber nur ein ursprünglich und eigentlich freies Wesen. So gerät auch hier (wie schon bei der Nötigung) die Konzession, daß Freiheit mit einer natürlichen Notwendigkeit - in Gestalt der Unvermeid­lichkeit - unvereinbar sei, eher zu einem Indiz tatsächlich möglicher Freiheit, nicht aber zu ihrem definitiven Ausschluß.

Nach den oben gegebenen Erklärungen haben wir also die Wahl, entweder manchmal Freiheit trotz unserer Verstrickung in die na­türliche Kausalität zu behaupten, oder den natürlich-kausalen Ver­lauf der Dinge generell nicht für notwendig, obwohl für überall Naturgesetzen gemäß zu halten. Die Wahl dürfte eigentlich nicht allzu schwerfallen, da im ersten Fall eine Inkonsistenz im Begriff der Freiheit droht, im zweiten jedoch nicht. Denn wenn unser Ver­sagen auf dem Podium aus natürlicher Notwendigkeit erfolgt, so können wir entweder keine Handlung, an der eine natürliche Kau­salität dieser Art nachweislich beteiligt ist, frei nennen, oder wir müssen die Freiheit generell für verträglich mit der natürlichen Notwendigkeit halten. Wenn aber dies, so kann erstens jeder, der eine sonst für >frei< gehaltene Tat begangen hat, für sich reklamie­ren, sich nicht anders als so verhalten haben zu können; und zweitens müssen wir - dann auf unerfindliche Weise - Handlungen, die wir z. B. unter Drogeneinfluß begehen, diskriminieren gegenüber Handlungen, die wir aus falscher Selbsteinschätzung begehen.

Wenn wir indessen die zweite und m. E. bessere Wahl treffen, dann ist klar, daß die Freiheit einem entweder zwangsläufigen oder (mit weiteren Qualifikationen) auch unvermeidlichen Verhalten aus natürlicher Determination nicht deshalb widerspricht, weil dieses notwendig erfolgt, sondern weil es entweder außerhalb unserer Vermögen (wie beim Herzschlag) oder die Vermögen einschrän­kend (wie beispielsweise unter Drogeneinfluß) oder sie überstei­gend ist (wie z. B. bei einer Handlung aus Angst) oder aber andere Bedingungen der Freiheit nicht erfüllt (wie z. B. im Falle eines Tag­traums oder eines reinen Gedankenspiels). Immer sind es spezifi­sche zusätzliche Gründe, aufgrund derer ein Verhalten, das wir an den Tag legen, aus der Freiheit ausgenommen und bloßer Natur oder dem Zufall anheimgestellt wird.



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Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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