Drittens (RM)

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n Anbetracht eines derartig erweiterten Medienbegriffs, der technische Artefakte allgemein behandelt und unter den Technikbegriff auch Kultur- und Intellektualtechniken subsumiert, stellt sich die Frage, ob damit das Medienthema in seiner Neuheit für das Fach Philosophie und in seiner Spezifität nicht im Dunkel einer terminologischen Nacht, in der alle Medien gleich sind, aufgeht. In welcher Weise eine im engeren Sinn medienphilosophische Analyse, die Medien als Mittel zur Übermittlung, Speicherung und Bearbeitung von Informationen versteht, in den Rahmen einer allgemeinen Konzeption von Medialität eingebunden sein kann, ohne ihre Eigenart und Eigendynamik aufgeben zu müssen, möchte ich in der Auseinandersetzung mit Pirmin Stekeler-Weithofers Interpretation des Schriftbegriffs von Derrida aufzeigen.

Auch Stekeler-Weithofer geht von dem erweiterten Schriftbegriff aus, wenn er diesen als Repräsentation von Zeichen durch Zeichen interpretiert.28 Diese Relation interpretiert er im Sinn der Unterscheidung zwischen type und token, von allgemeinem Zeichengebrauch im Rahmen einer gemeinsamen Praxis und der konkreten Verwendung.29 Diese Differenzierung zwischen Form und Gebrauch stimmt mit der von Hubig entwickelten medialitätsphilosophischen Position in ihren pragmatischen Grundvoraussetzungen überein. Dabei geht es im technikphilosophischen Kontext darum, zwischen kulturell etablierten und institutionalisierten Handlungstypen und ihren jeweiligen Aktualisierungen zu unterscheiden. Die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Medialität fügt dem die Ebene der vorausliegenden Rahmenordnung ebenso hinzu, innerhalb derer derartige Aktualisierungen stattfinden, wie diejenige, durch welche diese bedingt werden. Stekeler-Weithofers Distinktion bleibt dem gegenüber unterbestimmt. Siedelt man sie auf der Ebene der type/token-Differenz an, dann vernachlässigt sie die medialitätsphilosophische Dimension, die nach den vorhandenen, zur Verfügung stehenden Potenzialen fragt. Dazu zählt unter medientheoretischen Gesichtspunkten die Frage, ob eine Kultur über Schrift verfügt, und wenn ja, über welche Art von Schrift. Unter äußerer Medialität wäre in diesem Fall zu verstehen, dass ein bestimmter Schrifttypus (phonetisch, syllabisch, ideographisch) vorliegt, dass spezifische Schreibtechniken entwickelt wurden (Keilschrift, Alphabetschrift, Buchdruck, Computer) und dass entsprechende grammatische und orthographische Regeln ebenso festgelegt sind wie die jeweiligen Kulturtechniken der Herstellung und des Gebrauchs schriftlicher Artefakte. Erst auf der Grundlage derartiger Voraussetzungen wäre dann der jeweilige Einsatz der vorhandenen schriftlichen Mittel als Aktualisierung realer Mittel-Möglichkeiten zu bestimmen, die sich in etablierten Praktiken, zu denen sich auch die impliziten Normen und inferentiellen Relationen der Bedeutungsfestlegung zählen lassen, manifestieren.

Stekeler-Weithofers Interpretation bleibt dem gegenüber in merkwürdiger Ambivalenz befangen. Einerseits erkennt sie die grundlegende Differenz zwischen oralen und literalen Kulturen an;30 andererseits scheint sie den Ausdruck >Schrift< dann doch nur als Synonym für das methodische Primat der allgemeinen Form des Gebrauchs vor der aktualen Verwendung von Zeichen versteht. Wenn dieser Eindruck stimmt, so stellt sich nicht nur die Frage, weshalb der Ausdruck >Schrift< überhaupt benötigt wird. Gravierender an einer derartigen Synonymie ist aus meiner Sicht, dass sie die Einsichten der schriftwissenschaftlichen Forschung zum Verhältnis von Schrift und Sprache schlicht unterschlagen. Gerade Christian Stetter hat im Rahmen seiner sprachwissenschaftlichen und schrifttheoretischen Untersuchungen heraus gearbeitet, wie sehr die Vorhandenheit eines Schriftsystems wie des phonetischen Alphabets selbst normierenden Einfluss auf den Sprachgebrauch ausübt.31 Wollte man eine formentheoretische Analyse schrifttheoretisch korrekt formulieren, so müsste unter der Überschrift >Schrift< folglich auch der normierende Einfluss vorhandener schriftlicher Mittel/Medien auf den allgemeinen Sprachgebrauch nicht nur mit aufgenommen, sondern auch explizit bestimmt werden.



Anmerkungen:

(28) Stekeler-Weithofer, Pirmin 2002: “Zur Dekonstruktion gegenstandsfixierter Seinsgeschichte bei Heidegger und Derrida.” In: Andrea Kern/Christoph Menke (Hg.): Philosophie der Dekonstruktion. Frankfurt/M. 24.

(29) Ebd.: 25.

(30) Ebd.: 23.

(31) Vgl. hierzu Stetter, Christian 1997: Schrift und Sprache. Frankfurt/M.