Diskussion Sommersemester 06 (T)

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Auf dieser Seite kann die Diskussion zur Vorlesung neu gestartet werden. Wer etwas von dem bisher vorhandenen Material einarbeiten möchte, ist herzlich dazu eingeladen. --H.A.L. 17:27, 10. Apr 2006 (CEST)

Radikale Interpretation – ein Ausdruck von Intoleranz

Ich hab nur meine Sprache zur Verfügung um zu Verstehen. Habe ich? Angenommen, meine Position beruht auf totalem Unverständnis einer anderen subjektiven Sicht der Welt. Mein Bombardement meiner Deutungen in meiner Sprache wird nichts zur Lösung beitragen bis zu dem Punkt an dem ich versuche, mich auf die Begrifflichkeit des anderen einzulassen und seine Sichtweise zu verstehen. Um der Klärung/Wahrheitsfindung dienlich zu sein, ist es in der Folge dann natürlich notwendig und angebracht, seine eigene Position darzustellen – in einer Sprache, die verstehbar ist!

  • "totales Unverständnis" ist eine schöne Paraphrase für den Ausgangspunkt der radikalen Interpretation. Hier gibt es aber einen Davidsonianischen Trick: dieses Unverständnis ist nicht damit vereinbar, auf derselben Ebene auch noch von einer "anderen subjektiven Sicht der Welt" zu sprechen. Das ist schon ein Schritt zuviel. Wir könnten sonst auch sagen, dass uns die Weltsicht einer Glockenblume total unverständlich ist.
  • An dieser Stelle muss, damit eine Interpretation beginnen kann, dern anderen Seite Verständlichkeit "unterschoben" werden und die kann nicht darin bestehen, dass diese Seite etwas tut, was ich nicht verstehe. Es stehen nur die "heimischen" Kategorien zur Verfügung, um das Unverständliche zu erschließen.
  • Das klingt (und ist zu einem Teil) chauvinistisch. Aber es ist nur Teil eines komplexeren Zusammenhangs. Natürlich werde ich nichts verstehen, wenn ich immer nur meine Kategorien anwende. Der zweite Teil des Setup besteht darin, dass deren Anwendung fehlbar ist. Sie ist in der Auseinandersetzung mit der anderen Seite zu prüfen.
  • Zugegeben, das sind Fragen der Akzentuierung. Mir scheint im liberalen westlichen Kontext wichtig, den Akzent darauf zu legen, dass wir nicht von der freundlichen Bereitschaft der Sinnhaftigkeit der Gegenseite ausgehen sollten -- das ist zu billig.
  • Ich lese von der pakistanischen Sitte der "vani"-Frauen. Minderjährige Mädchen werden einem fremden Klan verheiratet, um der Blutrache zu entgehen. Statt das zu verdammen oder herunterzuspielen ist der Vorschlag: Das verstehe ich nicht.

Die Intoleranz des angeführten „Versteh-Ansatzes“ sehe ich in einer gewissen Blindheit und Arroganz den anderen gegenüber. Gesprächspartner verfügen nicht notwendiger Weise über einen ähnlichen Bildungsstand, bzw. geistige Gewandtheit wie wir. Außerdem gibt es charakterliche und gesellschaftliche Unterschiede (Starrköpfigkeit, hierarchisches Denken, Tumbheit). Es gibt Menschen die – trotzdem sie die selbe Muttersprache sprechen – gewohnt sind, sich auf eingefahrenen Denkschienen zu bewegen. Und ich darf nicht das selbe Interesse am Verstehen voraussetzen.

Ist es nun ein Zeichen von Toleranz, wenn ich einen drohenden/bestehenden Konflikt abwenden möchte, indem ich nur von dem rede, was ich meine? Egal ob eine Gesprächspartnerin nicht am Verstehen interessiert ist oder das Verstehen einfach nicht schafft: wenn ich ein Interesse am Austausch, an der Konfliktlösung, am „Zusammenkommen“ habe, tu ich doch gut daran, der anderen zu zeigen, ich hab mich in ihrem Denkmuster bewegt um sie zu verstehen. "Ich hab mir deinen Sprachgebrauch und deine Welt angeschaut – lass uns nun über die Sache/die Bedeutung/den Konflikt weiterreden".

Ich spreche hier nicht darüber, Positionen aufzuweichen oder Zugeständnisse zu machen. Es geht nur um den Prozess des Verstehens als sprachlichem Dekodier-Vorgang. Nur dass wir nicht wie Computer funktionieren: Menschen können sehr empfindlich darauf reagieren, wenn jemand nicht im Stande ist, ihre Sprache zu verstehen und starrköpfig seine Begrifflichkeit in einen scheinbar luftleeren Raum um ihn herum aussät. Im Konfliktfall bestärkt man so die Oppositionshaltung.

Und nicht nur als betroffene Partei, auch in der Metaposition – z. B. bei Mediatoren – ist ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl und hohe Flexibilität in der Wahl der Sprache vonnöten. Es ist hier essentiell, sich auf den Konflikt und die dort verwendete Sprache einzulassen, um verstehen zu können. Denn gerade im Streitfall sind die Positionen verhärtet und starr und ein Außenstehender versteht nicht so leicht, was denn an der Sachlage so strittig ist. Erst wenn man mit der Sprach-Welt der Kampfhähne einigermaßen vertraut ist – erst dann – können neue Begriffe, neue Varianten, Lösungsmöglichkeiten auf den Tisch gebracht werden.

Wenn ich radikal interpretieren will, bedingt das eine gleiche Grundhaltung, gleiche Bildung, gleiches Interesse an einer gemeinsamen Lösung. Dann kann ich meine erste Sprach-Karte ausspielen und der andere wird sich ebenso wie ich bemühen zu verstehen und verstanden zu werden: hier kann ich Ping-Pong spielen. Das ist – so denke ich – eher geeignet als eine neue Trainingsform für scholastische Debattierclubs. Sobald die Karten nicht gleich gemischt sind, ist es ein ungleiches Spiel. ... ein bisschen weit ausgeholt, aber das Bild drängt sich auf: ein Spiel zwischen Kolonialmacht und Ureinwohnern.

--Talkative 22:44, 7. Mai 2006 (CEST)

Anm.: Ich habe diesen Teil von der Diskusionsseite hierher verschoben, da schon diese Seite für Diskussion gedacht ist, und eine Diskussionsseite zu einer Diskussionsseite halte ich für unnötig. --H.A.L. 13:49, 8. Mai 2006 (CEST)