Diskussion Sommersemester 06 (T)

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Auf dieser Seite kann die Diskussion zur Vorlesung neu gestartet werden. Wer etwas von dem bisher vorhandenen Material einarbeiten möchte, ist herzlich dazu eingeladen. --H.A.L. 17:27, 10. Apr 2006 (CEST)

Radikale Interpretation – ein Ausdruck von Intoleranz

Ich hab nur meine Sprache zur Verfügung um zu Verstehen. Habe ich? Angenommen, meine Position beruht auf totalem Unverständnis einer anderen subjektiven Sicht der Welt. Mein Bombardement meiner Deutungen in meiner Sprache wird nichts zur Lösung beitragen bis zu dem Punkt an dem ich versuche, mich auf die Begrifflichkeit des anderen einzulassen und seine Sichtweise zu verstehen. Um der Klärung/Wahrheitsfindung dienlich zu sein, ist es in der Folge dann natürlich notwendig und angebracht, seine eigene Position darzustellen – in einer Sprache, die verstehbar ist!

  • "totales Unverständnis" ist eine schöne Paraphrase für den Ausgangspunkt der radikalen Interpretation. Hier gibt es aber einen Davidsonianischen Trick: dieses Unverständnis ist nicht damit vereinbar, auf derselben Ebene auch noch von einer "anderen subjektiven Sicht der Welt" zu sprechen. Das ist schon ein Schritt zuviel. Wir könnten sonst auch sagen, dass uns die Weltsicht einer Glockenblume total unverständlich ist.
  • An dieser Stelle muss, damit eine Interpretation beginnen kann, dern anderen Seite Verständlichkeit "unterschoben" werden und die kann nicht darin bestehen, dass diese Seite etwas tut, was ich nicht verstehe. Es stehen nur die "heimischen" Kategorien zur Verfügung, um das Unverständliche zu erschließen.
  • Das klingt (und ist zu einem Teil) chauvinistisch. Aber es ist nur Teil eines komplexeren Zusammenhangs. Natürlich werde ich nichts verstehen, wenn ich immer nur meine Kategorien anwende. Der zweite Teil des Setup besteht darin, dass deren Anwendung fehlbar ist. Sie ist in der Auseinandersetzung mit der anderen Seite zu prüfen.
  • Zugegeben, das sind Fragen der Akzentuierung. Mir scheint im liberalen westlichen Kontext wichtig, den Akzent darauf zu legen, dass wir nicht von der freundlichen Bereitschaft der Sinnhaftigkeit der Gegenseite ausgehen sollten -- das ist zu billig.
  • Ich lese von der pakistanischen Sitte der "vani"-Frauen. Minderjährige Mädchen werden einem fremden Klan verheiratet, um Forderungen nach Blutrache abzugelten. "6.000.- $ und fünf Frauen". Statt das zu verdammen oder herunterzuspielen ist der Vorschlag: Das verstehe ich nicht. --anna 08:22, 9. Mai 2006 (CEST)

Die Intoleranz des angeführten „Versteh-Ansatzes“ sehe ich in einer gewissen Blindheit und Arroganz den anderen gegenüber. Gesprächspartner verfügen nicht notwendiger Weise über einen ähnlichen Bildungsstand, bzw. geistige Gewandtheit wie wir. Außerdem gibt es charakterliche und gesellschaftliche Unterschiede (Starrköpfigkeit, hierarchisches Denken, Tumbheit). Es gibt Menschen die – trotzdem sie die selbe Muttersprache sprechen – gewohnt sind, sich auf eingefahrenen Denkschienen zu bewegen. Und ich darf nicht das selbe Interesse am Verstehen voraussetzen.

Ist es nun ein Zeichen von Toleranz, wenn ich einen drohenden/bestehenden Konflikt abwenden möchte, indem ich nur von dem rede, was ich meine? Egal ob eine Gesprächspartnerin nicht am Verstehen interessiert ist oder das Verstehen einfach nicht schafft: wenn ich ein Interesse am Austausch, an der Konfliktlösung, am „Zusammenkommen“ habe, tu ich doch gut daran, der anderen zu zeigen, ich hab mich in ihrem Denkmuster bewegt um sie zu verstehen. "Ich hab mir deinen Sprachgebrauch und deine Welt angeschaut – lass uns nun über die Sache/die Bedeutung/den Konflikt weiterreden".

Wer wird diesem Ratschlag widersprechen? Das gehört unverzichtbar zum Repertoire der Zivilisation. Aber indem wir das betonen feiern wir uns selbst. Die Frage ist ebenso: Wie glaubwürdig ist ein solcher Rollentausch? Wie gut kann ich eine andere Person verstehen, indem ich dieselben Worte verwende? "Die andere Begrifflichkeit" -- das heißt auch die Schlussfolgerungen und Verhaltensweisen, die sich mit diesen Worten verbinden. "Wenn ich ein pakistanischer Dorfältester wäre, würde ich das auch so sehen". Nun, ich bin kein pakistanischer Dorfältester. --anna 08:30, 9. Mai 2006 (CEST)

Ich spreche hier nicht darüber, Positionen aufzuweichen oder Zugeständnisse zu machen. Es geht nur um den Prozess des Verstehens als sprachlichem Dekodier-Vorgang. Nur dass wir nicht wie Computer funktionieren: Menschen können sehr empfindlich darauf reagieren, wenn jemand nicht im Stande ist, ihre Sprache zu verstehen und starrköpfig seine Begrifflichkeit in einen scheinbar luftleeren Raum um ihn herum aussät. Im Konfliktfall bestärkt man so die Oppositionshaltung.

Und nicht nur als betroffene Partei, auch in der Metaposition – z. B. bei Mediatoren – ist ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl und hohe Flexibilität in der Wahl der Sprache vonnöten. Es ist hier essentiell, sich auf den Konflikt und die dort verwendete Sprache einzulassen, um verstehen zu können. Denn gerade im Streitfall sind die Positionen verhärtet und starr und ein Außenstehender versteht nicht so leicht, was denn an der Sachlage so strittig ist. Erst wenn man mit der Sprach-Welt der Kampfhähne einigermaßen vertraut ist – erst dann – können neue Begriffe, neue Varianten, Lösungsmöglichkeiten auf den Tisch gebracht werden.

Wenn ich radikal interpretieren will, bedingt das eine gleiche Grundhaltung, gleiche Bildung, gleiches Interesse an einer gemeinsamen Lösung. Dann kann ich meine erste Sprach-Karte ausspielen und der andere wird sich ebenso wie ich bemühen zu verstehen und verstanden zu werden: hier kann ich Ping-Pong spielen. Das ist – so denke ich – eher geeignet als eine neue Trainingsform für scholastische Debattierclubs. Sobald die Karten nicht gleich gemischt sind, ist es ein ungleiches Spiel. ... ein bisschen weit ausgeholt, aber das Bild drängt sich auf: ein Spiel zwischen Kolonialmacht und Ureinwohnern.

--Talkative 22:44, 7. Mai 2006 (CEST)

@ Hier gibt es aber einen Davidsonianischen Trick: dieses Unverständnis ist nicht damit vereinbar, auf derselben Ebene auch noch von einer "anderen subjektiven Sicht der Welt" zu sprechen.

Und eben das ist für mich der Punkt der Intoleranz, denn so billige ich nur mir Gründe zu.

@ Mir scheint im liberalen westlichen Kontext wichtig, den Akzent darauf zu legen, dass wir nicht von der freundlichen Bereitschaft der Sinnhaftigkeit der Gegenseite ausgehen sollten -- das ist zu billig.

Wenn ich nicht verstehe gehe ich aber noch von gar keiner Gesinnung der Gegenseite aus. Ich interpretiere weder freundliches noch feindliches in Aussagen - denn würde ich das tun, könnte ich es ja wieder nur in meiner Welt denken, von meinen Erfahrungen ausgehen. Ich hab nur mein heimisches Vokabular zur Verfügung: und brauch den anderen zum Verstehen! Brauch seine Begriffe, seine Beweggründe, seine Sprache um sie mit meiner zu vergleichen, um mir ein eigenes Bild zu machen. Es kann dabei natürlich auch herauskommen: das kann ich nicht nachvollziehen, das versteh ich einfach nicht. Muss oder will ich es aber über kurz oder lang verstehen, werde ich nicht umhinkommen, weiter in die fremde Welt einzudringen.

Ich stimme zu: "ich brauche die Andere zum Verstehen". Wenn von der Gegenseite nichts kommt, bleibe ich in meinem Kreis befangen. Die Vorgabe ist ja auch, dass der zu interpretierenden Person ein Vertrauensvorschuss zu geben ist (principle of charity). Ohne diesen Vorschuss komme ich nie so weit, den Sinn ihrer Aktionen zu sehen. Jedoch: dieser Vertrauensvorschuss besteht eben in dem, was mir plausibel ist. Er eröffnet die Möglichkeit, in meinem Horizont Abweichungen von meinen Erwartungen zu finden und ihn darauf zu korrigieren. Ich habe den "existenzialistischen" Verstehensabbruch vielleicht zu stark betont. Er geht einher mit einer ständigen Selbstkorrektur. Das liegt darin, dass Davidson Verstehenstheorien als empirische Entwürfe auffasst. Es sind widerlegbare Hypothesen und das heißt: revidierbare Vorgriffe. --anna 16:56, 11. Mai 2006 (CEST)

Gerade diese radikale Interpretation ist doch die Position der westlichen, "liberalen" Kulturen: alles zu deuten, zu regeln, zu dominieren; - in einer der protestantischen Welt eigenen Arroganz.

Das Füßebinden der chinesischen Mädchen bis zum 19. Jhd. war eine Barbarei - denken wir zu Recht (in unserer Welt)... aber wir wissen durch Nushu-Schriften und Erzählungen alter Frauen (aus deren Welt) auch sehr genau, wie stolz und privilegiert die Mädchen mit den schönsten (iihh!) Lotosblüten (-Füßen) waren. Es war erstrebenswert, in Schuhen von 14 cm Länge zu tippseln.

Wir können in niemanden hineinschauen. Was dort die Extreme sind spielt sich bei uns zwischen Ländern und Kulturen ja sogar innergesellschaftlich ab. Zwei Personen sind zwei Welten die durch Deutungen sich nicht näher kommen, ja sich nur weiter voneinander entfernen.

@ Wer wird diesem Ratschlag widersprechen? Das gehört unverzichtbar zum Repertoire der Zivilisation. Aber indem wir das betonen feiern wir uns selbst. Die Frage ist ebenso: Wie glaubwürdig ist ein solcher Rollentausch? Wie gut kann ich eine andere Person verstehen, indem ich dieselben Worte verwende? "Die andere Begrifflichkeit" -- das heißt auch die Schlussfolgerungen und Verhaltensweisen, die sich mit diesen Worten verbinden. "Wenn ich ein pakistanischer Dorfältester wäre, würde ich das auch so sehen".

Das unterschreib ich. Vollinhaltlich. Wenngleich ich keinen Widerspruch zu meiner Position sehe. Verstehen kann immer nur Annäherung sein meine ich.

Aber was wäre die Konsequenz aus diesem Quäntchen Nichtverstehen: Intoleranz?

--Talkative 22:00, 9. Mai 2006 (CEST)

  • "westliche Arroganz": die liegt doch eher darin, alles beherrschen zu wollen, also im Imperialismus. Die Linguistinnen im Dschungel sind danach Vorboten der Ölkonzerne. Insofern könnte man sagen, dass unser Verstehen im Dienst des Herrschaftsanspruchs stünde. Das ist eine Überleitung zum gesellschaftspolitischen Aspekt der Toleranz.
  • "Annäherung": also eine Bewegung, die den Ausgangspunkt nicht verliert. Das liegt im Begriff der Annäherung, sonst ist es "Übergang". Um etwas schieben zu können ist ein Standpunkt nötig. --anna 08:39, 12. Mai 2006 (CEST)


Eine schockierende, aber nachvollziehbare Schlussfolgerung: Verstehen im Dienste des Imperialismus, und aktueller: der Globalisierung. All die kulturellen Clashes der Gegenwart (inklusive ihrer katastrophalen Folgen) haben also das Verstehen-Wollen zum Ursprung, mit dem Ziel der Gewinnoptimierung? Ja, die Entwicklungen der Vergangenheit lassen sich darauf zurückführen. Eine Rückkehr zu Lessings Palast und der friedlichen Koexistenz der Weltanschauungen, scheint aber unmöglich - zuviele ökonomische und politische Interessen wollen sich behaupten. Die moderne Funktion von Toleranz in der Staatengemeinschaft ist es demnach nicht mehr, Kulturen und Religionen zu tolerieren, sondern schlicht, fremdes wirtschaftliches Wohlergehen zuzulassen.

Toleranz ist eng mit dem Begriff der Moral verbunden. Und in der Gegenwart befinden sich vor allem die Länder des Westens in einer moralischen Wertesuche - die Aufklärung trägt späte Früchte. (In diesem Dilemma ist der Süden und Osten nicht)

Und trotzdem oder gerade deshalb denke ich, dass wir das Verstehen-Wollen nicht als des Übels Wurzel verdammen dürfen. Verstehen ist Grundlage für Toleranz - postpostaufklärererisch. :-)

--Talkative 20:12, 14. Mai 2006 (CEST)


Ich bin auch der Meinung, dass dem Anderen Toleranz zuzubilligen Bedingung einer toleranten Einstellung ist.

Moral fällt für mich in den Bereich der Gesetzlichkeit und hat nicht unbedingt mit Toleranz zu tun. Ich habe darüber bereits im 1. Semester diskutiert – es ist durchaus möglich tolerant und gleichzeitig unmoralisch handeln.

Bei Rawls gesellschaftlichen Aspekt von Toleranz habe ich Verständnisschwierigkeiten. Wenn ich an das Gedankenexperiment des Zwischenrittes mit den Repräsentanten denke, so fällt mir dazu nur der Moralbegriff ein und für Toleranz sehe ich dort keinen Platz, außer dabei, dass ich dieses Experiment überhaupt zulasse. Die Entscheidungen die von den Mitgliedern getroffen werden haben mit Toleranz nichts gemeinsam. Wo ist bei einer Reziprozität Toleranz zu finden. Wenn ich etwas was ich mir zumute, oder von mir verlange auch anderen zumute oder von ihnen verlange, dann hat das nichts mit Toleranz zu tun. „Wie gehe ich vernünftig mit anderen Vernünftigen um“ kann doch kein Leitsatz für Toleranz sein. Wir befinden uns mit Rawls auf der Vertrags- bzw. Gesetzesebene, im Bereich einer Gerechtigkeitstheorie und nicht im Themenbereich der Toleranz. … Zumindest sehe ich das so.--Magdalena 16:13, 16. Mai 2006 (CEST)

Das stimmt genau. Was ich bisher von Rawls vorgetragen habe hat (noch) nichts mit Toleranz zu tun. Es ist eine Konstruktion zur Begründung des politischen Liberalismus. Erst im nächsten Schritt (19.5.) entwickelt er daraus eine Argumentation für Toleranz in einem solchen politischen System. --anna 18:24, 17. Mai 2006 (CEST)

Pluralismus der Vernünftigen: Wenn vernünftig sein bedeutet, dem Anderen auch Vernunft zusprechen, gehört eine Kooperation von Personen zum Rahmen der Vernunft. Ist es dann nicht so wie im Lessingschema, wo es nur eine Wahrheit gibt, über die es gilt abzustimmen, sondern wenn, wie beim Beispiel von Rawls mehrere Wahrheiten zirkulieren, dann stellt sich für mich die Frage: Ist es menschenmöglich mit einer Mehrzahl von Wahrheiten umzugehen?

Steht es in der Kompetenz des einzelnen Menschen mit mehreren Wahrheiten umzugehen? Hat er die natürliche Veranlagung dazu? Gibt es irgendwo auf der Welt einen Menschen, der für sich selbst mehrere Wahrheiten gelten lassen kann? Schwierig zu beantworten. Es kann, und wäre sicher vernünftig Wahrheiten wie Weltanschauungen zu betrachten oder zumindest jeder Weltanschauung ihre Wahrheit zuzuerkennen, dies würde das Zusammenleben weltweit erleichtern – es wäre aber dann eine vernünftige Entscheidung und keine tolerante. Denn wenn ich mehrere Wahrheiten anerkenne, brauche ich keine Toleranz. --Magdalena 20:03, 23. Mai 2006 (CEST)

Nicht allen taxfrei auch Vernunft zuzusprechen. Der schwierige Punkt ist, dass es im Begriff der Vernunft liegen soll, zu unterschiedlichen Behauptungen zu kommen. In einer Hinsicht ist das gar kein Problem. "Wenn Du auf der anderen Seite der Straße gestanden bist, ist es klar, dass Du etwas anderes behauptest." Aber die "comprehensive doctrines"! Das ist tatsächlich schwer einzusehen: kann jemand mehrere solche Weltanschauungen haben? Das scheint irgendwie frivol. Daraus entsteht die Frage, wo Behauptungen in diesem Feld platziert sind. --anna 09:27, 26. Mai 2006 (CEST)

Ich möchte gerne folgendes zur Diskussion stellen: Wenn Rawls Vernunft und Wahrheit trennt, wenn Vernunft nur für politische Absichten bleibt, wenn sein Begriff von Wahrheit nur im metaphysischen oder religiösen Bereich zu finden ist, dann ist seine Wahrheit in der Ebene angesiedelt in der wir auch nach Sinnesempfindungen urteilen. Wenn ich jeder Religion ihre eigene Wahrheit zuerkenne, dann ist dies so, als wenn ich sage: mir schmeckt das Schnitzel und der andere sagt: mir schmeckt das Schnitzel nicht. Hier stehen sich auch zwei Wahrheiten gegenüber, wobei jede Wahrheitsanspruch hat. Genauso wie es für mich nicht möglich ist über den Geschmack eines anderen zu urteilen, genauso verhält es sich bei unterschiedlichen Religionen. Daher, wenn es unterschiedliche Wahrheitsansprüche für unterschiedliche Religionen gibt, dann muss auch ihre Ausübung gegenseitig toleriert werden. Dies dazu … Anerkennung und Toleranz…islamische Religion akzeptiert – Kopftuch tragen verboten….Anerkennung eines Lebensentwurfs.

Wie stellt sich derzeit in der Öffentlichkeit das Rauchproblem dar? Wird hier nach Davidsons radikaler Methode geurteilt und gibt es keine Verständigungsmöglichkeit a`la „rauchergai“, wie würde die öffentliche Debatte ausschauen wenn Rawls Theorie des „Zwischenschritt der Repräsentanten“ Wirklichkeit wäre.--Magdalena 15:36, 3. Jun 2006 (CEST)

Vielleicht habe ich das zu drastisch dargestellt. Rawls würde nicht leugnen, dass es auch im politischen Bereich Wahrheiten gibt, nur gesteht er darüber hinaus auch den "comprehensive doctrines" zu, ihre Behauptungen mit dem Anspruch auf Wahrheit aufzustellen. Dass sich "2 Wahrheiten gegenüberstehen" ist ja in einer Hinsicht kein Problem - in der Wissenschaft gibt es ständig solche Konflikte. Dabei bezieht man sich allerdings auf einen gemeinsamen Hintergrund zur Lösung solcher Auseinandersetzungen. Der problematische Fall sind 2 Wahrheiten ohne geteiltes Entscheidungsverfahren. Können das 2 Wahrheiten sein? Entweder der Wert der Wahrheit oder derjenige der (jeweiligen) Gegenseite wird heruntergesetzt. Toleranz mit ermäßigtem Wahrheitsanspruch oder Überzeugung mit Verwerfung der Gegenseite. Der Vorschlag, orientiert an Davidson: es gibt nur einen Bezugsrahmen für Wahrheit, aber der ist an der Grenze zum Unverständlichen (1) auf einen Vertrauensvorschuss angewiesen und (2) fehlbar.
Gesetzt den Fall, Extraterrestrische Besucherinnen sehen uns mit Zigaretten. Was tun die? Warum tun sie das? Davon unterschieden ist das Szenario im NIG, wo gegen ein Gesetz verstoßen wird. Man könnte beides so zusammenbringen: "Ich verstehe nicht, wieso diese Personen rauchen, obwohl es erstens gesundheitsschädlich und zweitens verboten ist." --anna 17:22, 5. Jun 2006 (CEST) (CEST)


Wenn also die Vernunft uns sagt, dass die verschiedenen Wahrheiten subjektiv sind und als solche ihre Berechtigung haben, dann müssen wir vernünftigerweise auch fremde Gründe akzeptieren. Wo die Vernunft regiert, siegt die Toleranz. Schön.

Nur ist der Grad der Vernunft ja nicht überall und bei jedem der gleiche, meinen wir (und gewiss liegen wir da auch ganz richtig). Rauchen ist sehr unvernünftig (ich weiß das, gehöre aber leider - noch - zu diesem Kreis der Unvernünftigen). Dürfen uns andere sagen, wie unsere Wahrheit ausschauen müsste?

Gemäß Kierkegaards Motto "Ist denn die Vernunft allein getauft, sind denn die Leidenschaften Heiden?"

Noch einen Schritt weiter: Wenn unsere Wahrheiten subjektiv sind, und unsere Vernunft auf unseren erworbenen Wahrheiten aufbaut, ist dann nicht die Vernunft selbst höchst subjektiv. Darf ein toleranter Mensch überhaupt die Wahrheiten eines anderen in Frage stellen? Und wenn er das tut, hat er ein Recht zu urteilen? Es ist eine Binsenweisheit, dass er das nicht darf und doch tun wir es, wenn wir unserem Vernunftglauben das Ruder überlassen.

Wir kämpfen um Positionen, Rechte, Macht, weil wir der Meinung sind, unsere Vernunft sei schlüssig. - Ihr müsse zur Wahrheit verholfen werden. Ob es sich um Einzelpersonen handelt oder um Gruppen und Völker: Jede Vernunft hat ihre eigenen Geschmäcker, Erziehungsmethoden, religiösen Inhalte, ....

Toleranz lebt dort, wo Wahrheit zur persönlichen Verantwortlichkeit des Denkens wird, also zu dem, was man eher "Wahrhaftigkeit" nennen sollte. Wie Forst sagt: die Toleranz der Tugend.

Eine Dialektik der Wahrheiten? Die Überwindung der Vernunft?

--Talkative 16:37, 4. Jun 2006 (CEST)

P.S.: @ Magdalena: Die Wortschöpfung "rauchergai" ist wirklich originell und bietet sich als neues Codewort der Unvenünftigen an. Verstehen ausgeschlossen. --Talkative 18:06, 4. Jun 2006 (CEST)

Vernünftigerweise sollte ich jetzt eigentlich meine Nichtraucherkarte spielen, aber egal. Hier ein Text über die (Un)vernünftigkeit von Rauchen und eine bestimmte Form von Norm und Abweichung, komplett mit der "Abkehr von der Rationalität" (o-Ton): http://www.novo-magazin.de/64/novo6428.htm --H.A.L. 08:30, 7. Jun 2006 (CEST)

(Ein bemerkenswerter Artikel! Besonders das Ende versöhnt mich wieder etwas mit mir und meinen Lastern! :-) )--Talkative 19:21, 7. Jun 2006 (CEST)


Ich bin nicht einverstanden mit den Formulierungen der "subjektiven Wahrheit". Das bringt ein unpassendes Schema in die Debatte. Die Vernunft sagt uns

  • dass wir Behauptungen begründen können und sinnvollerweise sollen
  • dass diese Begründungen auf Überzeugungen und Praktiken zurückgreifen, die in diesem Begründungsverfahren schwerlich selbst in Frage gestellt werden können
  • dass wir auch gegenüber unverständlichen "Behauptungen" auf dieses Verfahren angewiesen sind
  • und schließlich, dass dem Schwer- bzw. Unverständlichen gegenüber ein Vertrauensvorschuss nötig ist, der allerdings nicht unerschöpflich sein kann

Toleranz entsteht an der Stelle des notwendigen Vertrauensvorschusses. Sie ist keine Subjektivierung der Wahrheit, sondern eine Spezifikation ihres praktischen Gebrauches in gemischt-kulturellen Verhältnissen. In diesen Überlegungen wird nicht der Objektivitätsanspruch zurückgenommen, sondern er wird vielmehr präzisiert. Es macht keinen Sinn, über etwas zu urteilen, ohne zu berücksichtigen, dass die Bedingungen des Urteils solche des Verstehens eventuell fremder Gründe sind. --anna 09:21, 7. Jun 2006 (CEST)


Ja, das hat vom logisch begründbaren Aufbau her Sinn und ist auch sinnvoll in der analytischen Betrachtung von praktischen Urteilen. Nur des Verständnisses wegen darf ich in meinen Worten paraphrasieren. Ich bitte um Korrektur, wenn meine Logik hinkt: Vernunft baut zwar auf die jeweils diskursiv erzeugten Lebenswelten auf, nimmt aber den Status der Objektivität ein (denn wo soll sonst Objektivität zu finden sein). Und das ist gut so - wir müssen uns an etwas anhalten können im beurteilen von Geschehnissen. Eine reine, subjektlose Objektivität gibt es aber eigentlich nicht.

Toleranz klebt nicht am eigenen Verstehansatz sondern geht so wertfrei wie möglich (so objektiv wie möglich) auf andere Begriffswelten zu. (Ich hab trotz allem immer noch meine Probleme mit Davidson) --Talkative 10:36, 8. Jun 2006 (CEST)



Ich möchte noch einmal weiter oben bei der Debatte ansetzen:

Bei all den wichtigen Erkenntnissen, die uns das von gesellschaftlichen Realitäten relativ unabhängige Theoretisieren bzgl. des Wesens der Toleranz bringen mag, drängt sich mir schon die Frage auf- gerade, wo es ja dieses Semester auch um politische Philosophie gehen soll-, wie nun Toleranz praktizierbar sein könnte. Wie würde eine tolerante Haltung etwa zur Frage der chinesischen Tradition des Füße- Abbindens bei Frauen (Mädchen) aussehen? Toleranz verstehe ich ja nicht als "Wurstigkeit". Auch die oben versuchte Trennung von Toleranz und Moral scheint mir nicht ganz zutreffend: Sicherlich könnten wir kritisch analysieren, dass eine spezifische gesellschaftliche Moral nicht auf Wahrheit beruht, sondern gesellschaftlich normiert wird. In diesem Sinn lässt sich ja auch feststellen, dass Gesetze selbst in als fortschrittlich betrachteten Rechtsstaaten (z.B. Österreich) nicht nur nicht moralisch oder nicht gerecht, sondern geradezu un(ge)recht oder unmoralisch sein können und auch tatsächlich sind. Nur: Was bringt Toleranz, wenn sie von Moral abgetrennt wird? Freilich, wir können uns selbst schätzen, wenn wir tolerant sind (Toleranz zur eigenen Erbauung?), aber ist eine solcherart verstandene Toleranz überhaupt erstrebenswert?

Mir erscheint diese Trennung von Toleranz und Moral in mehrerlei Hinsicht nicht nur künstlich, sondern nicht zutreffend:

1.) ohne bestimmte moralische Vorstellungen könnten wir uns nicht für Toleranz als normativ erstrebenswerte Haltung/ Verhalten aussprechen,

2.)beruht nicht vielmehr eine tolerante Haltung auf bestimmten moralischen Vorstellungen (etwa: Ich soll Menschen mit anderen Meinungen nicht töten, sondern versuchen, auf eine bestimmte Art mit ihnen ein Auskommen zu finden; ich nehme andere Menschen/ andere Positionen ernst; ich bin bereit, von meinen eigenen Vorstellungen insofern zu abstrahieren, als ich bereit bin anzuerkennen, dass andere Vorstellungen prinzipiell ihre Berechtigung haben; etc.)?

3.)ich wiederhole mich: Wozu soll ich etwa den Taliban bzw. deren menschen- und insbesondere frauenverachtenden Vor- und Einstellungen gegenüber tolerant sein und wozu würde eine solcherart verstandene Toleranz führen?

==> Greift hier die Vorstellung von den "Grenzen der Toleranz" oder gibt es (und soll es geben)ein Konzept von Toleranz, das (z.B. meine von den Taliban differenten) Moralvorstellungen inkludiert? Kann ich den Taliban gegenüber tolerant sein, wenn ich deren Ideologie nicht anerkenne?

4.) Ich sehe hier ein Dilemma: Einerseits beruht Toleranz gerade auf einem Absehen von universellen, absoluten Wahrheitsansprüchen sowie daruf, die Existenz anderer Standpunkte anzuerkennen. Andererseits erscheint Toleranz, verstanden als von Moral abgetrenntes Konzept, gegenüber "Wahrheiten" recht schwach zu sein und auch weniger Anziehungskraft zu besitzen.

Schließlich ist es doch viel einfacher und schöner, zu "wissen", wie es "wirklich" ist.

Die Geschichte bezeugt zur Genüge, über wie viel Anziehungskraft "Wahrheiten" verfügen. Wenn es um eine politische Philosophie geht, scheint es mir wichtig zu überlegen, wie Toleranz tatsächlich in der politischen Praxis umgesetzt werden kann!

--Sophie 14:14, 7. Jun 2006 (CEST)

Ich sehe es so: keine Trennung von Toleranz und Moral, sondern eine Dreifachbestimmung des Begriffs "Toleranz" aus dem Blickwinkel von Wahrheit, Politik und Anerkennung. Das würde verträglich mit den obigen Hinweisen sein. Weder hinsichtlich blosser Wahrheit, noch pragmatischer Politik stellt sich das Toleranzproblem in seiner ganzen Breite. Aber das Beispiel John Rawls zeigt gut, dass aus dieser Überlagerung zu lernen ist. Moral im strengen Sinn, als umfassendes Wertesystem, ist eben nicht der einzige Faktor. Es stellt sich die Frage der Koexistenz solcher Systeme und dazu brauchen wir eine andere Begrifflichkeit, die der moralischen Argumentation gegenüber wiederum nicht ganz fremd sein darf.
ad 4: Nochmals mein Refrain zu Davidson. Hier wird wieder innerhalb der Gegenüberstellung von absolut/universal und relativ/spezifiziert argumentiert. Toleranz ist moralisch hochwertig und gleichzeitig "schwach", weil jemand "vom hohen Ross heruntersteigt". Dem gegenüber lautet mein Vorschlag: Toleranz besteht nicht darin, anderen ihre Wahrheiten zu lassen, sondern ihre Äußerungen auf der Grundlage der eigenen Wahrheiten zu prüfen und dabei zu entdecken, dass die Bedingungen dieser Prüfung einen Toleranzspielraum vorgeben. Das habe ich - zugegeben - nur für den Bereich "Wahrheit" diskutiert. Die Frage, wie Vernunft, Wahrheit und Moral zusammenhängen, ist mir im Moment zu anspruchsvoll. Als defensive Antwort bietet sich vielleicht das an: Der Bischof, der vom Trauergottesdienst und die Schülerin, die von Gebot der Religion spricht, erheben Geltungsansprüche, die in ihrer Lebensform verankert sind, in einer pluralistischen Gesellschaft jedoch auf einem anderen Niveau rezipiert werden, nämlich jenem der vergleichsweise formalen Prüfung auf Vernünftigkeit und Sozialverträglichkeit. --anna 09:18, 9. Jun 2006 (CEST)


Ich kann dem zustimmen, dass 2 Wahrheiten, die sich gegenüberstehen kein Problem sind.

Bleiben wir bei dem Beispiel der letzten Vorlesung, dem Problem der Minderheiten. Beispiel: Frauentag im Hallenbad. Für die Überzeugung der moslemischen Bürger eine Notwendigkeit für Christen ein Absurdum. Hier stehen sich 2 Wahrheiten gegenüber. Es kann aber nicht darum gehen, dass christliche. Staatsbürger einen Frauentag tolerieren, sondern es geht um Akzeptanz. Toleranz kommt meiner Ansicht nach dort zum tragen, wo es sich um eigene Nachteile handelt, die man auf sich nehmen muss, damit der andere seine Wahrheit leben kann. Ein Frauentag im Bad bringt aber keine wirklichen Nachteile - gehe ich eben in ein anderes Bad - basta. Bei Rawls Theorie der „original position“ stellt sich aber nach meinem Dafürhalten diese Frage überhaupt nicht, denn gleiche Rechte und Freiheit für alle Bürger und größtmöglicher Nutzen für den am wenigsten Begünstigten schließt Minderheiten nicht aus.

Toleranz im Sonderangebot finde ich problematisch.

Zum Thema „subjektive Wahrheiten“: Vernunft und Verstand, beides entbehrt nicht der Subjektivität. Wenn wir nach Kants kategorischem Imperativ handeln, so bleibt es doch immer bei einem SOLLEN ; einem Sollen, nachdem jeder Einzelne subjektiv entscheidet. Der Mensch sieht sich autark und seine Natur ist auf das Ereichen des größtmöglichen eigenen Nutzen ausgelegt und genau dies ist es, was Rawls Gedankenexperiment so interessant macht, weil es eine Möglichkeit zeigt, wie Egoismus vermieden werden kann.--Magdalena 19:19, 8. Jun 2006 (CEST)

@ Magdalena: Zwei Wahrheiten können durchaus konfliktfrei nebeneinander bestehen - das möchte ich gerne glauben, fürchte aber, dass es meist nur dort geschieht, wo es mindestens einer der beiden Beteiligten egal ist, wie eine etwaige Entscheidung ausfallen kann. Aber gerade in einem multikulturellen Staatsgefüge sind Zusammenstöße von Wahrheiten vorprogrammiert. Wie oft haben wir die Urformel der Intoleranz schon gehört: "Wie komm ich dazu, dass ich mir das anschauen oder anhören muss". "Dann geh ich halt nicht ins Bad" scheint mir zu einfach - das Leben ist detail- und umstandsreicher. Wenn dein heißgeliebter Saunabereich geschliffen wird, weil ein Frauenbad errichtet werden soll, ist's mit der Toleranz nicht mehr so weit her. Wenn Frau Posbischill jetzt beim Kreissler um die Ecke nur mehr türkisches Weißbrot und Oliven statt Semmeln und Wurst bekommt, wird das ihrer übrigen Einstellung gegenüber aus südlichen Ländern stammenden Mitbürgern nicht gerade förderlich sein.

Ich denke, wo immer zwei Wahrheiten aufeinanderprallen besteht Konfliktgefahr. Denn, wie du sagst: der Mensch sieht sich autark und seiner Natur ist auf das Erreichen des größtmöglichen eigenen Nutzen ausgelegt. --Talkative 14:13, 10. Jun 2006 (CEST)


"... mein Vorschlag: Toleranz besteht nicht darin, anderen ihre Wahrheiten zu lassen, sondern ihre Äußerungen auf der Grundlage der eigenen Wahrheiten zu prüfen und dabei zu entdecken, dass die Bedingungen dieser Prüfung einen Toleranzspielraum vorgeben."

Anna, bitte um eine konkretere Erklärung dieser Aussage! Ich verstehe sie nicht ganz.--Sophie 13:07, 9. Jun 2006 (CEST)

Eine verbreitete Strategie: im Konfliktfall Wahrheit relativieren, d.h., die eigenen Überzeugungen zurückzunehmen, um Platz für gegensätzliche Überzeugungen zu gewinnen. Die Anerkennung des Fremden erfordert eine Schwächung der eigenen Zuversicht/Orientierungssicherheit. Aber wie wünschenswert die Skepsis gegenüber den eigenen Sicherheiten auch sein mag, sie sollte vom Thema Toleranz getrennt werden. Um belastbare Toleranz aufzubauen, ist die Unterwanderung von Überzeugungen ein schlechter Weg. Der Gegenvorschlag: Wahrheit ist die Qualifikation von Ausdrücken einer Sprache aus der Position einer Metasprache. Dazu muss - von der Metasprache aus gesehen - erstens Vertrauen in die eigene Sprachkompetenz und zweitens die Bereitschaft vorliegen, andere Sprachäußerungen als wahr/falsch-qualifizierbar einzuschätzen. Nach welchen Kriterien wahr oder falsch? Nicht nach den Kriterien der Objektsprache, denn die Wahrheitszuschreibung erfolgt auf der Ebene der Metasprache. Zu beachten ist aber zweitens: es handelt sich nicht einfach um die Repetition von Tautologien in der Metasprache ("Ein Trauergottesdienst ist ein Trauergottesdienst"), sondern um die Überbrückung eines Sprach-Bruches. Nach Davidson ist die wahr/falsch-Zuschreibung zu Sätzen der Objektsprache immer an die Erfahrungen mit dem Fremden in der geteilten Welt gebunden. --anna 12:23, 13. Jun 2006 (CEST)

Vereinfacht ausgedrückt verstehe ich das so: Es geht bei Toleranz nicht darum, meine eigene Sprache zu relativieren, sondern die unterschiedlichen Sprachen einmal als solche anzunehmen und den aus diesem Unterschied entstehenden Konflikt auf einer Metaebene zu behandeln. Ist diese Interpretation korrekt? Das erinnert mich- um einmal über die praktischen Möglichkeiten zu sprechen- ziemlich an Johan Galtungs Transcend- Methode[[1]]. Galtung ist ein Konflikt- und Friedensforscher (und -Praktiker), der in seiner Methode vorschlägt, (politische) Konflikte durch Transzendieren zu bearbeiten. Was er damit meint, ist am besten an einem von ihm selbst gewählten Beispiel zu illustrieren: Zwei Kinder streiten sich um eine Orange. Es gibt nur eine und beide wollen sie haben. Um diesen Konflikt zu bearbeiten (die Bezeichnung "Konfliktlösung" wird in der Konflikt- und Friedensforschung ja sehr kritisch gesehen), gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: Z.B. könnte ein Kompromiss geschlossen werden: Das eine Kind bekommt diese Orange, das andere bekommt sie das nächste Mal; die Orange wird geteilt o.ä.. Die Transcend- Methode wäre hier, von dem Konflikt zu abstrahieren, ihn auf einer anderen Ebene (eben nicht über die Verteilung dieser einen Orange)zu bearbeiten, indem auf emphatische und kreative Weise eine neue Umgangsmöglichkeit mit dem Konflikt/ der Orange gesucht wird: etwa könnte ein Orangenkuchen gebacken oder mit den Kernen der Orange ein Orangenbaum angepflanzt werden. Wäre das aus der von anna beschriebenen Sicht von Toleranz tolerantes Verhalten? (Wenn ich mich richtig erinnere, grenzt Galtung seine Methode selbst von Toleranz ab, weil Toleranz eben die ihm zur Konfliktbearbeitung erforderlich erscheinende Empathie fehle). --Sophie 13:41, 15. Jun 2006 (CEST)

  1. ja, es geht nicht um eine Relativierung. Das ist nötig um der Toleranzkritik etwa Toleranzkritik: Lokalisierung der Wahrheit, Relativismus antworten zu können.
  2. das mit der Metaebene ist mit Vorsicht zu geniessen. Einerseits sind Wahrheitsansprüche allgemein auf der Metaebene angesiedelt (sowohl solche in der eigenen Sprache, als auch solche gegenüber Fremdsprachen). Andererseits handelt es sich um eine sehr spezifische Interferenz von Metasprachen, wenn es zu einer Interaktion des Verstehens/der Anerkennung zwischen verschiedenen Sprachen kommen soll.
  3. Das Transzendieren ist tatsächlich eine Problemverschiebung, welche das Toleranzmuster erübrigt. Wünschenswert, aber gerade damit ein Themenwechsel. --anna 08:58, 16. Jun 2006 (CEST)

Leider kann ich an der heutigen LV nicht teilnehmen, möchte aber zum heutigen Thema: 3 Aufsätze von Anna E.Galleotti kurz meine Bedenken angeben:

Zum Thema des 3. Aufsatzes: Eine Neubeschreibung des Problems: …Toleranz, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht … Reziprozität der Erwatung … Toleranz als Strategie der Einbeziehung…

1. Toleranz als Stragegie finde ich sehr problematisch, hat es noch mit Toleranz zu tun, wenn ich mit meiner toleranten Haltung ein bestimmtes Ziel zu meinem Zwecke verfolge?

2. Toleranz auf Gegenseitigkeit könnte, ich formuliere es hier sehr zugespitzt, zu folgendem Absurdum führen: Es wird den Mädchen islamischen Glaubens gestattet im Unterricht ein Kopftüch zu tragen. Als Gegenleistung nehmen sie am Turnunterreicht teil – ohne Kopfbedeckung. Wird hier nicht Toleranz zu „Tolleranz“? --Magdalena 09:33, 16. Jun 2006 (CEST)





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