Diskussion:Unvorhersehbare Entwicklungen (tphff2015)

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Ein Mittelzustand zwischen offenen und geschlossenen Türen

In meiner Berliner Wohnung hatte ich einen Briefschlitz. Ein Briefschlitz ist eine Öffnung in einer geschlossenen Tür. Die digitale Variante eines Briefschlitzes ist der email-account. In diesem fand ich vor einiger Zeit eine Benachrichtigung von dem „AV Akademikerverlag“ mit dem Angebot, meine Diplomarbeit zu publizieren. Es schien ziemlich wahrscheinlich, dass es sich nicht um spam handelte, denn die email enthielt Daten, die den Absender leicht identifizierbar und verifizierbar machten. Nach kurzer Recherche war das Verkaufsmodell des Verlages klar: Es entstehen keine Kosten für die Publikation auf Seiten des Verfassers, dafür spart sich der „AV Akademikerverlag“ die Kosten für das Lektorat, denn er ist spezialisiert auf akademische Abschlussarbeiten, die einer bestimmten institutionell festgelegten Qualitätskontrolle unterzogen wurden. Da die Texte zu Preisen verkauft werden, die den der Veröffentlichungen von „herkömmlichen“ Verlagen entsprechen, lässt sich eine hohe Gewinnspanne für den „AV Akademikerverlag“ vermuten. In einem zweiten Bereich, in dem Wissen hergestellt wird, verfolgte der besagte Verlag dasselbe Konzept: als er nämlich Wikipedia-Einträge in gedruckter Form verkaufte.

Mein Urteil war: Es handelt sich hier wohl um eine Abzockerfirma, die Geld an der Arbeit von anderen verdient. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, auf das Angebot nicht zu reagieren. Ein stiller Protest. Zudem dachte ich aber auch, es sei nachteilhaft im Dunstkreis eines solchen Verlages aufzutauchen. Vielleicht würde ich in Zukunft einmal anstreben, einen gelungenen Text über einen angesehenen Verlag vertreiben zu lassen. Wäre es dann nicht unangenehm, mit einer naiven Entscheidung wie der, einer Veröffentlichung durch den „AV Akademikerverlag“ zugestimmt zu haben, konfrontiert zu werden, die einem vielleicht nachhängt? Man will sich nicht so recht abholen lassen von solch verwegen wirkenden Zeitgenossen wie dem "AV Akademikerverlag", der vielleicht nicht ohen Grund zum Verwechseln ähnlich heißt wie ein recht angesehener Verlag...

Interessant an der Thematik ist, dass die Entscheidung, den „AV Akademikerverlag“ zu meiden, rasch und intuitiv kam. Wenn ich mir einer Sache zu schnell sicher bin, dann schaue ich lieber noch mal nach, was da genau dran ist. In dem Fall des „AV Akademikerverlag“ scheint nicht mehr gesagt werden zu können, als dass es sich wahrscheinlich um ein lukratives Geschäftsmodell handelt, das eine Nische entstaubt hat. Damit sind zwei Aspekte angesprochen. Der erste Aspekt ist mindestens diskutabel, wenn nicht sogar als verwerfliches Verhalten zu sehen. Der zweite Aspekt geht durch die Kritik am ersten etwas unter und wird von jenem mit gefärbt; der Aspekt der „Nische“. Eben die Nische in der wissenschaftliche Abschlussarbeiten bisher Staub angesammelt haben. Ist es besser, wissenschaftliche Arbeiten verstauben zu lassen als sie durch – zugegeben dubiose – Kanäle einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen?

Es wurde bereits erwähnt, dass sich der „AV Akademikerverlag“ Lektoren zu bezahlen dadurch erspart, dass er bereits an akademischen Hochschulen geprüfte Texte publiziert. So moralisch bedenklich das als Geschäftsmodell sein mag, weil es durch die unkontrollierte Weitergabe, z. B. von Wikipedia-Einträgen des Verlages zu Verwirrung und Empörung der Leser kommen kann, so ist es doch auf eine Art einleuchtend. Ein Wikipedia-Eintrag ist mit anderen Qualitätssicherungsinstitutionen verbunden als eine wissenschaftliche Abschlussarbeit, das wäre Anlass für eine weitere Diskussion. Hier soll nur gesagt werden, dass die Abschlussarbeit zwar nur die ersten zaghaften Gehversuche einer Jungwissenschaftlerin enthalten mag, sie aber dennoch - wie man heutzutage so schön in Bezug auf Artefakte sagt – „wertig“ ist, aufgeladen an Wert durch die Paritzipation anderer Akteure und Institutonen, die an der Verfassung beteiligt waren. Und eben diesen Wert schöpft der „AV Akadmeierverlag“ ab, weil das sonst niemand tut.

Ich persönlich stehen dieser „Abschöpfung“ mit einer gewissen Demut gegenüber, die sich aus Bescheidenheit, also im konkreten Fall meiner Skepsis gegenüber meiner eignen Arbeit, die ich, auf Distanz betrachtet, nunmehr für mindestens überarbeitungsbedürftig halte, und Nachhaltigkeit, also der Sorge um meine zukünftige Reputation, zusammensetzt. Daraus ergibt sich eine Spannung: einerseits ist der Text meiner Ansicht nach revisionsbedürftig, andererseits ist es ein von Gutachtern geprüftes Werk. Wenn ich also dabei bleibe, dass den Text zu veröffentlichen einen Betrug an anderen darstellt, weil der Text nicht mit einer Publikation eines angesehenen Verlags mithalten kann, aber dasselbe kostet und zudem einen Betrug an meiner eigenen Reputation bedeutet, dann tue ich der sehr freundlichen, äußerst geduldigen, hilfsbereiten und hochkompetenten Betreuerin meines Diplomprojekts unrecht, wenn ich den nicht Text publizieren lasse. Wenn ich ihn publizieren lasse und damit der Qualitätssicherung vertraue, die durch meine Betreuerin und überhaupt die Institution, die uns beide zusammengebracht hat, gewährleistet wurde, dann laufe ich Gefahr, einen Betrug an anderen und mir selbst zuzulassen.

Es bleibt nur das persönliche Abwägen. Bei mir schlägt der Zeiger wie gesagt auf die ablehnende Seite aus, aber damit entscheide ich mich für die staubigen Fachbereichsbibliothekenkeller. Eigentlich ist diese Überzeugung revisionsbedürftig, denn eine gewisse Offenheit ist eindeutig realisierbar. Es geht dann immer um die Mittel wie das passiert. Offenheit hat verschiedene Facetten. Eine Tür ist nicht nur entweder offen oder zu, sie kann eine Briefschlitz haben, was bedeutet, dass Anrufe von außen auch durch die den Durchgang blockierende Tür hindurch zu uns durchkommen können. In meinem Fall war der Anruf eine email, die als eine Art Preis von einem Gewinnspiel, bei dem man nie mitgemacht hat, getarnt war, die aber im Inneren einen Mechanismus verborgen hatte, der die Kompetenzen aufsaugt, die durch die an mich gerichtete Hilfestellung meiner Betreuerin für ihn zugänglich werden. Der Verlag stellt so ein Dreieck her, in dem es verschiedene Trajektorien gibt: 1. Der Anruf an mich, 2. Das Herstellen der Verbindung zur Kompetenz meiner Betreuerin, wenn ich der Publikation zusage und 3. Die Übertragung der Kompetenz meiner Betreuerin auf den Verlag. Mit meiner Entscheidung steht und fällt das Gerüst, denn meine Betreuerin hat hier kein Mitspracherecht, obwohl der Verlag hauptsächlich von ihrer Kompetenz profitiert. Der Verlag sucht sich die schwächste Stelle in dieser Kette, mich, und benutzt diese als Einstieg; wie ein Trojaner. – Das Problematische ist immer der Vermittler, in dem Fall des „AV Akademikerverlags“ werde ich, der Verfasser der Diplomarbeit, vom Zweck (die Abschlussarbeit macht mich zum Magister) zum Mittel degradiert (der Vermittler, der instrumentalisiert wird, um an dei Kompetenz meiner Betreuerin zu gelangen). Der Zweck für den Verlag sind Selbsterhaltung und Wachstum. Der Verlag ist wie eine Blattlaus, die über die Kraft des Baumes die Energie der Erde anzapft.

Wo also ansetzen? 1. Es gibt nicht nur Blattläuse, sondern auch andere Tiere, 2. Pflanzen können sich verteidigen (z. B. Tabakpflanze) und 3. Alles entsteht aus der Energie der Erde.

1. Es ist schade, dass schwarze Schafe die Debatte färben; schwarz macht immer alles undurchsichtiger. Eigentlich zeigt das Beispiel des „AV Akademikerverlags“ ja, dass eine Alternative zu den staubigen Kellern möglich wäre. Leider ist es ähnlich wie in der Politik: das, was man über einzelne Politiker hört, bildet eine öffentliche Meinung, die Menschen, die dazu geeignet wären die beanstandeten Verhältnisse zu ändern, davor zurückschrecken lässt, sich in die Politik zu begeben. Ob sich das für politische Belange in einer Demokratie jemals ändern wird, weiß ich nicht, aber was den öffentlichen Zugang zu mit einer Qualitätssicherung versehenen Texten anbelangt, bin ich von einer Änderung überzeugt. Grund für diese Annahme ist das Vorhandensein der Technologie, die den freien Austausch möglich macht. Das Beispiel des „AV Akademikerverlags“ zeigt, dass diese neuen Technologien und die Innovationen, die damit verbunden sind, weder als Heilsbringer angesehen, noch völlig verteufelt werden dürfen – eine Perspektive, in der Schwachstellen auszunutzen und auf Kosten der akademischen Welt die eigenen Taschen zu füllen nicht so leicht ist und in der endlich anerkannt wird, dass die Kanäle des freien Forschungsaustausches in den letzten Jahren durch das Internet, das der "AV Akademikerveralg" nutzen muss, da seine Publikationen von vielen Bibliotheken nicht angeschafft werden, erheblich ausgebaut wurden, was die Zugänglichkeit zu Texten massiv erhöht hat. 2. Um diese Mittelposition zu finden bedarf es der oben angesprochenen Verteidigungsmechanismen. Erziehung und Bildung sind hier gefragt. Kritisches Bewusstsein allein, wie in meinem Fall, in dem mich die Kritik zur negativen Entscheidung gebracht hat, hilft nicht, ich schlage vor, Erziehung und Bildung als Fähigkeit zur Kontextualisierung von Sachverhalten zu sehen, die bestimmte Handlungsorientierungen zeitigen. Es ist etwas seltsam nun von mir selbst zu sprechen, aber nachdem ich das Beispiel die ganze Zeit durchgezogen habe möchte ich dabei bleiben. So bescheiden wie möglich möchte ich behaupten, dass ich in der Hinsicht gut erzogen worden bin, weil ich sofort als ich die Anfrage vom „AV Akademikerverlag“ bekommen habe, alle notwendigen Informationen versammelt habe, um den Sachverhalt zu identifizieren und ich muss zugeben, dass mir der Verlag das nicht schwer gemacht hat. Zudem habe ich aber auch, wahrscheinlich wieder aufgrund von gewissen Lern- und Bildungsleistungen, gemerkt, dass die Sache selbst nicht verwerflich ist, nur die Ausführung. Um zu solch einer Minimalkompetenz zu gelangen braucht es an und für sich nicht viel, sie ist zu einem Teil aus den Leistungen von guten Erziehern und zum Teil aus meinen gewohnten Handlungsorientierungen und den Erfahrungen, die ich damit mache, zusammengesetzt, die zu einem guten Teil mit dem Internet zu tun haben. Es scheint also nicht illusorisch anzunehmen, dass es ohne großen Aufwand möglich ist, zu solch einer Versammlungsfähigkeit von Aspekten von Belang zu gelangen. Um dem Vorwurf entgegenzuarbeiten, ich würde das was mir gelingt von allen anderen erwarten, was das, was ich sagen möchte, unverständlich machen könnte, stelle ich die allgemeine These auf, dass mittlerweile so vieles außerhalb des designierten Bereichs der angesehenen Verlage zugänglich ist, dass sich eine Auseinandersetzung mit Fragen betreffend der Qualität von Informationen von niemandem mehr vermeiden lässt. Zumindest von niemandem, der Wikipedia, Twitter oder Reddit kennt. Es ist, so behaupte ich, in unsere Disposition eingegangen, dass wir durch Netzwerke Kontexte in Betracht ziehen. Das Vorhandensein der Netzwerke allein reicht aus, um uns zum Kontextualisieren zu bringen. Das Treibgut, das sich dabei ansammelt ist nichts anderes als das Treibgut in unserem Gedächtnis; beide erweitern sich durch die Netzwerke, die unsere Lebenswelt manifestiert. 3. Und diese Lebenswelt lässt sich nur mit Gewalt reduzieren. Eine Legitimation für die reduzierende Gewalt ist schnell gefunden. Im Fall des „AV Akademikerverlags“ ist es das betrügerische Potential des Modells, vor dem schwache Vermittler bewahrt werden sollen. Das ist aber wie wenn man einen Apfel wegschmeißt, nur weil er eine braune Stelle hat. Was ist denn das Schlimmste, das passieren könnte, wenn Diplomarbeiten zugänglich gemacht werden? Das Schlimmste ist nicht, dass Halbwahrheiten und (vorläufig) falsche Schlussfolgerungen zirkulieren, welche die Leser verwirren, denn das kommt in den Wissenschaften schon länger vor und ist sogar ein essentieller Teil derselben. Das Schlimmste ist, dass man sich durch einen Wust an Texten arbeiten muss, die halt nur „nett“ sind und keine genialen Meisterwerke. Das „Nette“ von heute kann aber zu Innovationen von morgen führen; das von Atari veröffentlichte „Pong“ war „nett“ und heute machen Videospielhersteller mehr Gewinne als alle Filmproduktionsfirmen in Hollywood zusammen. Der Vergleich mit der Videospielindustrie soll auf noch etwas hinweisen: Es gibt neben Mainstream- auch immer mehr Indie-Hersteller von Spielen. Plattformen wie „kickstarter.com“ helfen dabei, innovative Projekte zu finanzieren und zu verwirklichen. Es gibt also eine Alternative zu den angesehenen Entwicklern, die immer erfolgreicher wird. Natürlich gibt es hier Vorteile und Nachteile; Wenn jemand ein Projekt kickstarten lässt, um sich damit eine Eigenfinanzierung zu ersparen, dann ist das abzulehnen, aber nicht unvermeidbar.

Wenn ich also die richtige Plattform finden würde, die zwar nicht zu den angesehenen Verlagen zu zählen ist, die aber ein rundum weitgehend faires Modell für alle Betroffenen anbietet, dann würde ich nicht zögern, auch meine Diplomarbeit - vielleicht nur als Anregung, wie das von mir behandelte Thema nicht zu interpretieren ist, was ebenso zu eigenen Überzeugungen führen kann wie eine Interpretation, die mit der Publikation durch einem angesehenen Verlag vergleichbar ist, wenn es darum geht Kontextualisierungen anzuregen – zur Veröffentlichung bereitzustellen. Es scheint mir nur schwierig, wirklich alle Beteiligten gleichberechtigt einzubeziehen, weil sich damit immer Fragen ergeben wie die, welche Interessen nun welche übertrumpten, z. B. wenn die Betreuerin selbst nicht einverstanden ist, das sie mit einem bestimmten Verlag in Zusammenhang gebracht wird.

Wie seht ihr die Thematik?

Euphon (Diskussion) 21:06, 27. Mär. 2015 (CET)