Diskussion:Stimme und Phänomen (Code)

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Version vom 25. Mai 2008, 18:08 Uhr von Richardd (Diskussion | Beiträge) (Luhmann zu Husserl und Derrida)
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Luhmann zu Husserl und Derrida

Exzerpt aus Niklas LUHMANN, Soziale Systeme (Frankfurt a. M. 1984) 201-203.

Die Differenz von Information und Mitteilung, auf die das Verstehen sich bezieht und die sich ihrerseits auf Verstehen hin projiziert, erscheint in den Logischen Untersuchen Husserls als Differenz von Anzeichen und Ausdruck. Wir interessieren uns für den Unterschied dieser begrifflichen Disposition im Vergelich sozialer Systeme. Der Begriff des Anzeichens meint immer das Anzeigen von etwas anderem - sei es, daß man in der Wahrnehmung etwas als Zeichen für etwas anderes nimmt, sei es, daß man eine Mitteilung als Zeichen für eine Mitteilungsabsicht und für die sie tragenden Vorstellungen nimmt. Alle Mitteilung muß über Anzeichen abgewickelt werden, aber es gibt Anzeichen auch außerhalb aller KOmmunikation - so die Markanäle als Zeichen für die Existenz intelligenter Marsbewohner. Ausdruckswert und damit Bedeutung haben Anzeichen jedoch nur, wenn und soweit sie im >>einsamen Seelenleben<< fungieren und dieses mit Sinn beleben. In unsere Begriffssprache übersetzt, meint >>Ausdruck<< nichts anderes als die Autopoiesis des Bewusstseins, und >>Sinn<< bzw. >>Bedeutung<< meint die Notwendigkeit, hierfür in der Form einer intentionalen Beziehung auf etwas Struktur zu gewinnen. Es gibt demnach Zeichen mit Ausdruckswert und Zeichen ohne Ausdruckswert, und es gibt Ausdruck mit Zeichenverwendung und Ausdruck ohne Zeichenverwendung (letzteres beim bloßen Vollzug des >>einsamen Seelenlebens<<, bei innerer Rede). Nur im Falle von Kommunikation fällt beides zwangsläufig zusammen: In der kommunikativen Rede fungieren alle Ausdrücke als Anzeichen. Husserls philosophisches Interesse gilt jedoch nicht dem Anzeichen, sondern dem Ausdruck, das heißt dem, was das Bewußtsein in sich selbst für sich selbst vollzieht. Dies Interesse ist durch philosophiegeschichtliche Dispositionen vorbestimmt, es stützt den Rückzug der philosophischen Theorie auf das Eigenleben des Bewußtseins, das gelegentlich ( aber nicht immer und nicht nur) sich zu kommunikativem Handeln motiviert. Zugleich muß, eben deshalb, dem Bewußtsein mehr abverlangt werden als nur: Operationsmodus psychischer Systeme zu sein.

/* In der Ausdeutung des Husserlschen Zugangs als von philosophiegeschichtlichen Dispositionen bestimmt, folgt Luhmann noch der Deutung Derridas, der in "Die Stimme und das Phänomen" gerade die traditionell metaphysische Seite an Husserls phänomenologischer Erkenntnistheorie der Gegenwart hervorhebt. Die Ausangspunkte für diese Kritik sind unter anderen bei Heidegger angelegt (z.B. SuZ: §6, bes. S.25). Die Re-präsentation wird aber gerade dadruch problematisch, dass sie Formate des rein gegenwärtigen Phänomens stillschweigend unterläuft.
Gleichzeitig deutet sich im letzten Teil bereits - beinahe versteckt - ein Grundantrieb in Luhmanns Theorie an. Er versucht nicht - vielleicht auch motiviert von der Zeitproblematik - Kommunikation durch eine Dehnung der Worte zu retten, sondern lässt den Menschen sogleich als Komplexitätsbremse hinter sich.*/

Luhmann über Derridas Kritik

Ganz anders die Kritik von Jacques Derrida. Sie setzt im Spiel von Ausdruck und Anzeichen auf die Gegenposition über: auf das Zeichen als Zeichen. Die Transzendentalphilosophie und ihre Subjektzentrierung wird durch eine Semiologie mit Differenzzentrierung ersetzt. Das motiviert subtile Analysen des Zusammenspiels von Anwesenheit und Abwesenheit, mit denen Derrida sich beschäftigt. Uns verhilft dieser Ansatz dazu, bei der Analyse von Kommunikation von Differenz auszugehen, nämlich von der Differenz von Mitteilung und Information.

/* Würde man Luhmanns Kommunikationstrias Mitteilung/Information/Verstehen fälschlicherweise unter traditionelle, subjektorientierte Anzeichen setzen (was durchaus verständlich wäre), so spräche Luhmann bloß wieder von Anzeichen und Ausdruck. Es gibt hier jedoch einen feinen Unterschied der - bereits oben erwähnt - nicht oft genug verdeutlicht werden kann. Es geht Luhmann nicht um eine der beiden Seiten ala: Was hat A gesagt? Was hat A wirklich gemeint? Was hat B verstanden? Weiß B dass A nicht die ganze Wahrheit sagt?
Ansatzpunkt ist vielmehr zwischen den Punkten. Die Information speist sich aus dem "Rest" (auch wenn "Rest" im angesicht des Übermaßes ein Pleonasmus ist) der nicht gesagt wurde. Was jedoch nicht gesagt wurde, wissen weder der Mitteilende noch der Verstehende. Genau genommen ist es, auch wenn sich jede Beschreibung dieser Art selbst wieder bloß auf einem Beobachterposten befindet, egal ob man sich, wenn man ein Anzeichen wahrnimmt, fühlt: "Als ob ich tot wäre". Jede Fixbestimmung, sei es der Tod, ist bloß eine - ich will nicht sagen metaphysische - Codifizierung, die den Menschen (jetzt spreche ich vom Menschen als Ganzes) dazu verleitet, Worte für voll zu nehmen.*/ --Richardd 10:40, 25. Mai 2008 (CEST)