Diskussion:Politeia. 4.Buch (PSI)

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Version vom 25. März 2009, 09:32 Uhr von H.A.L. (Diskussion | Beiträge) (Neuer Abschnitt zur Gerechtigkeit und den vier Kardinaltugenden)
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Über die Musik

Für mich ist das Fragment interessant, das für die Musik gilt:

„Um mich also kurz zu fassen: darauf müssen die Berater des Gemeinwesens halten, daß es nicht ohne ihr Vorwissen verdorben werde, sondern vor allem darüber wachen, daß keine ordnungswidrigen Neuerungen vorkommen in bezug auf Turnkunst und Musenkunst, sondern daß es möglichst beim Alten bleibe, aus Besorgnis, wenn jemand spräche, daß demjenigen Gesänge besonders die Menschen das Herz zuwenden,

Der als der neueste je in dem Kreise der Sänger erschallet,

so könnte manchmal einer meinen, der Dichter spreche nicht von neuen Gesängen, sondern von einer neuen Sangesweise, und könnte dies loben. Man darf aber derartiges weder loben noch als den Sinn des Dichters annehmen, denn eine neue Art von Musik einzuführen muß man sich hüten, weil es das Ganze gefährden heißt, denn nirgend wird an den Weisen der Musik gerüttelt, ohne daß die wichtigsten Gesetze des Staates mit erschüttert würden, wie Damon sagt und ich überzeugt bin.“

Jener Musiknarr wird hier verletzbar sein. Mit der Zeit Musik sich ändert, oder… die Zeit sich ändert, weil die Musik sich ändert? Unsere Eltern oft akzeptieren der neuen Ströme in der Musik nicht, die für uns ganz normal sind. Wir empören uns gegen ihren Reaktionen und wissen sie selbst nicht, warum die neue Musik ihnen nicht gefällt.

Unterdessen können wir uns erinnern, wie die Kircheninstitution sich um die Einhaltung des eigenen Stils in der Musik seit Uhrzeiten sorgte. Oder die Entstehung der Jazzbands, die für die Nachkriegsatmosphäre bezeichnend waren. Man kann hier auch Beispiel der Volksgesänge anführen. Vielleicht hatte Platon recht? Er warnt gegen die neuen Ströme in der Musik, weil sie mit dem politischen Revolution bringen. Platon entwickelt die Sache des Einfluss der Kunst auf die Geistesstellung und Anstandsnormen der Leute und dadurch auf das politisch System. Wie es scheint, empfählt er den extremen Konservatismus. --Wilk 21:49, 29. Jan. 2009 (CET)

zur Gerechtigkeit und den vier Kardinaltugenden

Die Stände und die drei Tugenden - Besonnenheit vs Gerechtigkeit

[431d] "Und wenn ferner sonst in einem andern Staate Einigkeit herrscht zwischen Herrschern und Beherrschten über die Frage, [e] wer herrschen soll, dann wird es auch bei unserm der Fall sein, nicht?"

"Da erst recht!"
"In welchem Teil der Bürger wohnt nun, wenn sie sich so verhalten, diese Besonnenheit, in den Herrschern oder in den Beherrschten?"
"In beiden doch!"
"Erkennst du nun", fragte ich, "wie recht wir prophezeiten: die Besonnenheit gleiche einer Harmonie?"
"Wieso?"

[432a] "Weil sie, anders als die Tapferkeit und die Weisheit, die eine jede einem Teil innewohnen und den Staat weise oder tapfer machen, nicht in dieser Weise wirkt; sie ist vielmehr über den ganzen Staat gespannt und vereinigt zu einem vollen Akkord die Schwächsten wie die Mächtigsten und die Mittleren, ob sie es nun an Einsicht oder Stärke sind oder an Zahl oder Geld und anderem derartigem. Diese Einträchtigkeit nennen wir also mit Recht Besonnenheit, einen Akkord zwischen dem von Natur aus Unter- und Überlegenen, im Staat wie im einzelnen, was die Frage der Herrschaft anlangt."

Könnte man auch so formulieren: Damit ein Staat funktioniert, reicht es, daß die "Herrscher" tapfer sind, daß die Herrscher weise sind, vom gemeinen Volk (das nicht in der Politik involviert ist) muß man das nicht erwarten. (Anm.: Warum ich einmal "Herrscher" und einmal Herrscher geschrieben habe, verstehe ich jetzt selber nicht. Ich glaube, mir ist der Satz beim Aufschreiben durcheinandergekommen.) Es müssen aber alle Bürger besonnen sein - das heißt, daß alle Bürger die Herrschaft durch diese Klasse akzeptieren müssen -, und es müssen (wie sich in Folge herausstellen wird) alle Bürger gerecht sein, dh daß jeder die Aufgabe erfüllt, die ihm zukommt. - Spontan würde ich anmerken, daß der Wächterstand tapfer sein muß und der Herrscherstand weise, aber Platon ist da anderer Meinung. Ansonsten ließe sich anmerken, daß ja in modernen Vorstellungen die Staatsgewalt anders unterteilt ist als in Wächter und Herrscher (nämlich in drei Gewalten). - Man könnte sich vorstellen, daß ein Soldat nicht eigentlich Teil der Staatsgewalt in dem Sinn ist - er braucht "Tapferkeit"/"Mut", aber eigentlich keine politische Kompetenz. Bei der Polizei ist der Fall entsprechend schwieriger. - Man könnte es sich auch so vorstellen, daß die Führungsriege des Militärs die "politischen Fähigkeiten" braucht, denn sie verwalten ja erstens staatliche Gelder und zweitens Waffen. (Ansonsten wird politische Kompetenz im Heer eher für die interne Verwaltung gebraucht. Außer im Ernstfall natürlich, dh unter Kriegsrecht.)

Die Frage, die sich mir gerade stellt: Wie kann man ein ähnliches Konzept in eine demokratische Vorstellung übernehmen? Gehen wir zunächst von einer Gruppe von Leuten aus, die den Staat verwalten und damit innerhalb des Volks hervorgehoben sind. Das ist zu rechtfertigen, weil eben nicht jeder Expertin in politischen Themen sein kann, d.h. nicht jeder kann sich auf die Auseinandersetzung mit den zu entscheidenden Fragen in all ihrer Komplexität konzentrieren. Darum gibt es repräsentative Demokratien. - Man könnt nun ungefähr formulieren: Alle Bürgerinnen, einschließlich die Politiker, sollten am Funktionieren des Staatswesens interessiert sein, das benötigt auf der Seite der Menschen zum einen so etwas wie Moralität/Selbstlosigkeit (den Willen, zugunsten des Allgemeinwohls zu handeln, selbst wenn das einen persönlichen Nachteil mit sich bringt) und zum anderen die Einsicht, daß das Staatswesen so geartet ist, daß das Volk davon profitiert, und von der Seite des Staatswesens, daß es so geartet ist, daß das Volk davon profitiert. (In der Realität bräuchte man wohl eine ständige Kontrollfunktion.) - Das sind die Tugenden, die alle benötigen. Was die Expertinnen benötigen, ist, nun, Wissen, das heißt, die nötige Kompetenz, den Staat zu führen. - Man kann auch versuchen, die Bürger von der Verpflichtung auf den guten Willen zu entlasten, dann funktioniert der Staat auch, wenn sie egoistisch sind. -- Was ich oben als Notwendigkeit für alle Bürger beschrieben habe, wäre Besonnenheit. Gerechtigkeit im Sinn von "jeder füllt seinen Platz aus" hieße vielleicht, daß Leute auch ihre Sache gut machen, wenn diese "Sache" nicht in politischen Entscheidungen besteht.

Vgl dazu FN 28 zum vierten Buch: Danach benötigen die Herrscher Weisheit, Tugend und Besonnenheit, die Wächter Tugend und Besonnenheit und das einfache Volk nur Besonnenheit. Aus diesem Gedanken heraus könnte man natürlich die Suche nach der Gerechtigkeit nochmal neu aufrollen.

Zur Anwendung auf Tugendhat: Was Platon als Gerechtigkeit versteht, ist sozusagen das Scharnier zwischen technischen und moralischen Fertigkeiten. "Moralisch gut ist, das technisch Gute zu erfüllen, sofern es in der Situation, in der man gerade ist, hilfreich ist für die Allgemeinheit."

[432d] Und da ich hinsah, rief ich: "Hurra, Glaukon! Wir haben eine Spur! Sie wird uns also nicht ganz entwischen!"

"Das ist eine gute Botschaft!"
"Ach, wie ungeschickt von uns!"
"Wieso denn?"
"Schon längst, mein Liebster, ja von Anbeginn an liegt sie uns vor den Füßen, und wir haben sie nicht gesehen, sondern machten uns geradezu lächerlich! Wie Leute, die bisweilen etwas suchen, was sie in den Händen halten, so schauten auch wir nicht auf dieses, [e] sondern blickten in die Ferne, und dadurch ist es uns wohl entgangen."
"Wie meinst du das?"
"Ich glaube, wir sprechen und hören schon längst davon, ohne selbst zu bemerken, daß wir darüber sprechen."
"Etwas lang, diese Vorrede für einen, der hören will!"
[433a] "Höre nun, ob ich recht habe!" sagte ich. "Was wir von Anfang an als notwendige Grundlage für jede Staatsgründung annahmen, das ist - oder doch ungefähr - die Gerechtigkeit! Wir nahmen doch an und wiederholten es auch, wenn du dich erinnerst, jeder einzelne solle eine von all den Aufgaben des Staates durchführen, wozu sich seine Naturanlage am besten eigne."
"So sagten wir."
"Indessen, wenn jeder seine Aufgabe vollende und nicht alles Mögliche betreibe, dann sei das Besonnenheit! So hörten wir doch von vielen anderen und haben es selbst schon oft gesagt, nicht?"
[b] "Allerdings!"
[224] Und gerade dies, mein Freund, scheint mir nun, wenn es nur in bestimmter Weise vor sich geht, die Gerechtigkeit zu sein: nämlich seine Aufgabe zu erfüllen. Weißt du, woraus ich das schließe?"
"Nein, aber sag es mir!"
"Unter allen Eigenschaften des Staates, von denen wir Besonnenheit, Tapferkeit und Einsicht behandelt haben, bleibt noch eine übrig, jene nämlich, die erst allen andern die Kraft gab, sich zu entwickeln und hiernach unverändert zu bleiben, [c] solange sie selbst in ihnen ist. Doch sagten wir, es bleibe die Gerechtigkeit noch über, wenn wir jene drei gefunden hätten."
"Notwendigerweise!"
"Wenn wir nun beurteilen müßten, welche dieser vier Eigenschaften durch ihr Innewohnen unsern Staat vor allen andern gut mache, wäre das wohl schwer zu entscheiden: ist es die Eintracht zwischen Herrschern und Beherrschten, oder ist es das Festhalten an der richtigen Vorstellung von dem Furchtbaren und seinem Gegenteil, die sich in den Soldaten findet; [d] oder ist es die Einsicht und Wachtkunst, die in den Herrschern wohnt? Oder aber verdankt der Staat seine Güte am meisten dieser Eigenschaft - wenn sie in Kind und Weib, in Sklave und Freiem, in Handwerker un Herrscher und Beherrschten wohnt -, wonach jeder einzelne als eine innere Einheit nur seine Aufgabe erfüllt und sich nicht in alles einmischt?"

"Das ist wohl schwer zu entscheiden!"

Anscheinend ist "jeder seine Aufgabe" hier nicht die Definition von Gerechtigkeit, sondern von Besonnenheit. Was ist dann Gerechtigkeit?

433a FN (531):
seine Aufgabe vollende: Im Jugenddialog Charmides [532] (161b ff.) hatte sich Sokrates dieselbe Definition als Zitat des Kritisa sagen lassen, aber für die Besonnenheit; auch noch im Timaios (72a) wird dieser Gedanke als fremdes, hier altgebräuchliches Gedankengut angeführt. "Besonnenheit" und Gerechtigkeit sind selbst bei Philosophen (Strabon 7,3,4) und gerade auch von Platon (vgl. C. W. R. Larson, "The Platonic synonyms, <díkaiosýne> and <sophrosýne>", in: AJPh. 72, 1951, S. 395-414) ohne Bedeutungsunterschied gebraucht worden. Auf diesen allgemein üblichen Gebrauch des Begriffes der <sophrosýne> bezieht sich hier Platon, und dem stimmt auch Glaukon zu; neu für ihn ist aber die Beziehung auf die Gerechtigkeit, die daher Sokrates im folgenden "Weißt du, woraus ich das schließe?" erst ableitet. - So erscheint es mir berechtigt, die von J. Adam vorgeschlagene Änderung von <dikaiosýne> (433a, 10) in <sophrosýne> aufzunehmen. Und dies um so mehr, als tatsächlich im Werk Platons diese Definition der Gerechtigkeit nirgends vorkommt außer im Alkibiades 1,127c, dessen Echtheit umstritten ist. Die Entwicklung des Begriffes der Gerechtighkeit vollzieht sich wieder in der schon mehrfach beachteten Stufenform von Niederm zu Höherem. Daß der Handwerker nichts tue als seine Berufsarbeit, zu Beginn des Staatsbaues entwickelt (370c ff.), ist davon die niederste Stufe; hier, da Gerechtigkeit für jeden Stand die Erfüllung seiner Aufgabe bedeutet, ist die zweite Stufe erreicht, die Stufe der vorläufigen Bildung. Später (ab Buch V) wird allmählich die höchste Stufe der Bildung an den Ideen erreicht und dadurch auch die bisherige Gerechtigkeit zu einem Schatten der wirklichen (517e) - die dritte Stufe, die höchste dieser Welt. Erst im Schlußmythos enthüllt sich dann die kosmische Stufe an Weltenspindel, Schicksalslosen und ewigem Gericht.

Hm, inwiefern kommt nun die ungenügende Trennung von Gerechtigkeit und Besonnenheit von Platon und inwiefern von der Philologie?

[434a] "Sieh nun, ob du mir weiter zustimmen kannst. Wenn ein Zimmerer versucht, die Arbeit des Schusters zu machen oder umgekehrt, ob sie nun ihre Werkzeuge und ihre Stellung miteinander vertauschen oder einer beides zugleich angeht, glaubst du, dies oder alle derartigen Berufsvertauschungen würden dem Staat viel schaden?"

"Keineswegs!"
"Wenn aber ein Mann, der seiner Anlage nach ein Handwerker oder Erwerbsmann ist, [b] emporgekommen ist durch Reichtum oder Parteien, durch Körperkraft oder sonst etwas, und versucht, in den Stand der Krieger einzudringen, oder ein Krieger in den Stand der Berater und Wächter, ohne es wert zu sein; wenn diese also ihre Werkzeuge und Stellungen miteinander vertauschen oder ein einziger versucht, alles zugleich zu machen, dann, glaube ich, und ich nehme es auch vor dir an, wird ein solchter Umschwung, eine solche Vielgeschäftigkeit zum Untergang des Staates führen."
"Sicherlich!"
"Die Vielgeschäftigkeit der drei Stände und ein Tausch unter ihnen ist daher der schwerste Schaden für den Staat [c] und wird mit Recht und Fug als das größte Verbrechen bezeichnet."
"Klarerweise!"
"Das größte Verbrechen am eigenen Staat ist aber doch die Ungerechtigkeit?"
"Natürlich!"

[226] Dies wäre also die Ungerechtigkeit! Umgekehrt aber wollen wir so sagen: Wenn der Erwerbsmann, der Gehilfe und der Wächter, jeder das Seine im Staat macht, dann ist es als das Gegenteil davon die Gerechtigkeit und macht den Staat gerecht."

NB: Moment, solle es nicht die Stände der Erwerbsleute, der Wächter und der Herrscher geben? Jetzt gibt es plötzlich den Stand der Erwerbsleute, den der Krieger und den der "Berater und Wächter". Ansonsten wieder platonischer Elitarismus: Die Krieger sind nicht einfach ein Beruf, sondern eine eigene Kaste.

Worauf er anscheinend weiter hinauswill: Besonnenheit bedeutet, seine Aufgabe zu erfüllen und nicht jenseits davon zu arbeiten, Gerechtigkeit aber, nicht jenseits seines Standes zu arbeiten. Anscheinend geht es hier um einschneidendere Grenzen als die zwischen Schuster und Zimmerer. (Paradox, wenn man bedenkt, daß diese Dreiteilung innerhalb der freien Bürger erfolgt, während er weiter oben als Beispiele für Besonnenheit auch Frauen, Kinder und Sklaven anführt.) Weiter unten überträgt er die Sache auf den einzelnen Menschen und pocht dabei anscheinend weiter auf die Dreiteilung. Insgesamt scheint mir aber die Gerechtigkeit von der Besonnenheit etwas willkürlich abgehoben. Das ist insofern pikant, als sein ganzer Argumentationsgang darauf aufbaut, zuerst die anderen drei Tugenden abzugrenzen und dann die Gerechtigkeit als die vierte zu verorten. - Möglicherweise ist der springende Punkt dabei, daß es ihm ja darum gehen wird, daß ein Seelenteil die anderen beherrscht. (Vielleicht nochmal in der Zusammenfassung nachschlagen.) Dann hängt aber die Bestimmung der Gerechtigkeit immer noch davon ab, daß die Wächter etwas Besonderes sind.

[435b] "Und ein gerechter Mann unterscheidet sich in dem Punkt der Gerechtigkeit in nichts vom gerechten Staat, sondern ist ihm ähnlich?"

"Natürlich ähnlich!"
"Der Staat erschien uns dann als gerecht, wenn in ihm drei [227] Arten von Naturen sind, deren jede ihre Aufgabe erfüllt, zudem aber besonnen, tapfer und weise wegen anderer Eigenschaften und Haltungen dieser drei Naturen."
"Richtig!"
"Der einzelne nun, mein Freund, muß - so fordern wir - dieselben drei Formen in seiner Seele haben [c] und wegen derselben Eigenschaften auch dieselben Namen erhalten wie der Staat."

"Unbedingt!"

seelischer Atomismus - Durst

[439a] "Den Durst", fragte ich nun, "stellst du doch zu den Beziehungsbegriffen. Er ist wohl Durst nach..."

"Laß mich: nach Trank!"

"Auf einen ganz bestimmten Trank bezieht sich ein ganz bestimmter Durst, der Durst an sich bezieht sich weder auf viel noch auf wenig, nicht auf Gutes oder Schlechtes, kurz, nicht auf etwas Bestimmtes, sondern nur auf das Trinken an sich."

Platon scheint es sich so vorzustellen, daß es einen Durst im Allgemeinen gibt und eine Reihe verschiedener Dürste. Ich hatte es mir eher so vorgestellt, daß Durst nach einem bestimmten Trank = Durst + Verlangen nach spezifischen Inhaltsstoffen. - Irgendwo hat Platon ja recht, Durst im Allgemeinen ist Verlangen nach Flüssigkeit, ein spezieller Durst dagegen ist Durst nach den spezifischen Auswirkungen eines bestimmten Getränks. - Andererseits ist der Durst durchaus atomistisch - Verlangen nach Orangensaft ist Verlangen nach Wasser + Verlangen nach Vitaminen. - Dazu könnte man noch anmerken, daß Orangensaft eben nicht nur ein Sammelsurium von Inhaltsstoffen ist, sondern daß die Komponenten zusammenspielen und Synergieeffekte ergeben; somit ist Verlangen nach Orangensaft eben nicht einfach aus verschiedenen Seelenteilen zusammengesetzt, sondern auf eine Gesamtheit ausgerichtet, die eine spezifische Form des allgemeineren Begriffs "Getränk" ist. - Das macht Durst nach Saft aber nicht einfach zu einer Unterkategorie von "Durst". Wenn Durst darin enthalten ist, dann als ein Element des Gesamtverlangens. - (Was ich hier am "Nährwert" durchdacht habe, müßte sich analog auf das Geschmackserlebnis übertragen lassen, denn so wie die Versorgung mit Flüssigkeit ein Teil des Effekts von Saft ist, so ist die erfrischende Wirkung auch Teil der Erfahrung.) - Man beachte, daß dieser Gedankengang eine Definition von "Durst" als "Verlangen nach Flüssigkeit" voraussetzt. Bei "Verlangen nach einem Getränk" wäre auch Verlangen nach Kaffee eine Form von Durst, und es ist fraglich, ob man dann überhaupt noch von einem einheitlichen Phänomen sprechen kann.) Ansonsten ist die Stelle bemerkenswert, weil Glaukon auch einmal etwas feststellen darf.

[440a] "Diese Erzählung zeigt, wie bisweilen der Unmut mit den Trieben kämpft, als wäre er von ihnen verschieden."

"Das zeigt sie!"

"Auch sonst bemerken wir doch vielfach", fuhr ich fort, "wenn Begierden einen Menschen gegen seine vernünftige Überlegung umdrängen, wie er sich dann selbst schilt und über dieses Drängen in ihm zornig ist, [b] und, wie wenn zwei Gegner zanken, tritt der zornvolle Mut als Bundesgenosse auf die Seite der Vernunft. Daß er sich aber mit den Trieben verbände und gegen das Verbot der Vernunft handle, das hast du, glaube ich, weder in dir bemerkt noch bei einem andern."
dazu FN: bisher war der mutvolle Teil natürlicher Gegensatz zum obersten (375a, 410d, 411c); denn dort ging es um die Vereinbarkeit der zwei polaren Gegensätze menschlichen Wesens, des Geistigen und des Körperhaft-Starken und Mutvollen; erst hier erweitert sich das Bild von der menschlichen Seele um das Triebhafte: gegen dieses nun ist der zweite Teil - trotz seiner Polarität zum ersten - natürlicher Verbündeter, das dem Wagenlenker folgende gute Roß im Seelengespann gegenüber dem schlechten Roß, das nach abwärts zieht (Phaidr. 246a ff.).

Triebe versus Vernunft funktioniert hier nicht mehr, Platon löst das irgendwie dialektisch auf. Dennoch könnte man sich fragen, ob er sich hier nicht selbst widerspricht.

[440d] "Der Vergleich paßt sehr gut; in unserem Staat setzten wir ja die Gehilfen gleich wie Hunde als Untergebene der Herrscher ein, die wieder die Hirten des Staates sind."
[443b] "Und der Grund dafür liegt darin, daß jeder seiner Teile seine Aufgabe erfüllt in Herrschaft und Gehorsam?"

"Nur darin!"
"Suchst du die Gerechtigkeit noch anderswo als in dieser Kraft, die uns solche Männer schafft und solche Staaten?"
"Bei Zeus, ich nicht!"
"Erfüllt hat sich nun und vollendet unser Traum, [c] wie wir vermutet haben: mit der Gründung des Staates würden wir unter Gottes Hilfe auch ursprung und Typus der Gerechtigkeit antreffen."
"Völlig!"
"Das war also, mein Glaukon - und dadurch nützte es uns auch -, nur ein Abbild der Gerechtigkeit, daß der von Natur aus zum Schuster geborene Mensch mit Recht Schuhe machte und sonst nichts, der Zimmermann zimmere und anderes mehr."
"Es scheint!"

"In Wahrheit, solcher Art ist zwar die Gerechtigkeit, [d] aber sie bezieht sich nicht auf die äußeren Auswirkungen des Menschen, sondern auf seine innere Haltung, auf sein Selbst [239] und sein Wesen; ein solcher Mensch läßt keinen der Seelenteile Unangemessenes verrichten och sich in die Aufgaben anderer vielgeschäftig einmischen; sondern er baut in Wahrheit sein Haus trefflich, herrscht über sich in Ordnung und Freundschaft zu sich selbst und stimmt die drei Seelenteile ab wie die Hauptsaiten der Lyra, die oberste, unterste und mittlere; und alles, was dazwischen liegen mag, all das bindet er zusammen und wird so aus vielem wahrhaft einer, besonnen und harmonisch; [e] erst jetzt tritt er an eine Tätigkeit heran, sei es der Erwerb von Besitz, sei es die Pflege des Körpers, sei es Politik oder Privatgeschäfte; in alldem hält er und nennt er eine Handlung gerecht und schön, wenn sie diese Haltung wahrt und fördert, Weisheit nennt er ein Wissen, das eine solche Handlung leitet, ungerecht aber einen Vorgang, [444a] der diesen Zustand zerstört, Unwissenheit aber die Vorstellung, die einen solchen Vorgang leitet."

--H.A.L. 07:32, 25. Mär. 2009 (UTC)