Diskussion:Intermezzo zur Begriffsgeschichte (IH): Unterschied zwischen den Versionen

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Ich finde den Begriff der Möglichkeit und die Frage, ob und was sie ''sind'', zunehmend vielschichtig und verwirrend, obwohl wir den Begriff wie selbstverständlich gebrauchen und auf den ersten Blick recht gut damit zurecht kommen - abgesehen vielleicht von der Frage: Welchen Status [http://de.wikipedia.org/wiki/Spekulation Spekulationen] wirtschaftlich oder philosophisch gesehen haben.
 
Ich finde den Begriff der Möglichkeit und die Frage, ob und was sie ''sind'', zunehmend vielschichtig und verwirrend, obwohl wir den Begriff wie selbstverständlich gebrauchen und auf den ersten Blick recht gut damit zurecht kommen - abgesehen vielleicht von der Frage: Welchen Status [http://de.wikipedia.org/wiki/Spekulation Spekulationen] wirtschaftlich oder philosophisch gesehen haben.
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:Das Thema ''Möglichkeit'' entfaltet sich, wenn ich das auf den Duktus der Vorlesung beziehe, aus dem Übergang von Parmenides zu Platon. Bei Parmenides gibt es nur 2 Möglichkeiten, Behauptung und Verneinung, und von diesen fällt die Verneinung weg. Das heißt: die Abwehr des Widerspruchs beseitigt auch die Möglichkeiten. Das ist auch die Suggestion von "jede Sprache ist faschistisch" (R. Barthes). Indem sie etwas ''statuiert'' "duldet sie keinen Widerspruch".
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:Aber es gibt ''dennoch'' Widerspruch und das fädelt Platon so ein, dass er den parmenideischen Gegensatz in die Alterität verschiebt. Damit beginnen ''Möglichkeiten'' im Sinn des "combinando, limitando, determinando". Wenn Seiendes als für sich und abgetrennt zu bestimmen ist, kann es zu verschiedenen Sachverhalten organisiert und re-organisiert werden.
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:Dann haben wir es (wiederum im Blick auf die Vorlesung) mit der Frage zu tun, wie sich Formen ''verbinden'' können. Die Form des Rebhuhns mit der Form der Eiche? Das geht wohl nicht. "Ist nicht möglich!" Wir brauchen einen Spielraum der Möglichkeiten, um der Erpressung durch die "Positivität des Seins" zu entkommen. Aber wer bestimmt die Spielregeln? --[[Benutzer:Anna|anna]] 08:25, 11. Mai 2010 (UTC) 
  
  

Aktuelle Version vom 11. Mai 2010, 10:25 Uhr

Verhältnis von Idee und Möglichkeit

Beim aktuellen Stand der Vorlesung und meinem Parallel-Seminar über Gottesbeweise frage ich mich gerade, in welchem Verhältnis der Begriff der Möglichkeit zu dem der Idee steht.

Wenn jemand zu mir sagt: Du hast 3 Möglichkeiten: "Du kannst das Risiko delegieren, reduzieren oder in Kauf nehmen", dann wird ein Handlungsfeld aufgespannt/ein Bild gezeichnet/eine Unterscheidung getroffen das/die doch recht viel mit einer Form/Idee zu tun hat, die einerseits eine Ordnung und andererseits ein Sollen markiert.

Ich bin auf die Idee gekommen beim Studium eines ontologischen Gottesbeweises bei Kant im Jahr 1755, als er noch an der Möglichkeit von a priori-Gottesbeweisen festgehalten hat. Hier wird in einer Sekundärliteratur (B.Sala - Kant und die Frage nach Gott) die Analyse des Möglichkeitsbegriffs bei Kant nachvollzogen, der die Arbeit von 1755 ("Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio". Oder: "Die ersten Grundsätze der metaphysischen Erkenntnis") in lateinischer Sprache geschrieben hat. Es wird zwischen dem Formalen und dem Materialen der Möglichkeit unterschieden. Bei Kant im Jahr 1755 heißt das manchmal: formale idearum und materiale idearum.

  • Online: idea,ae,f: Ahnung, Idee, Begriff, Vorstellung, Urbild, Idealbild
  • Stowasser: idea,ae,f: Idealbild, Idee (wesenhaftes Sein in der Philosophie Platons)

Ein kurzer Textausschnitt aus B.Sala (S.70):

"Unter dem Formalen der Möglichkeit wird hier die Zusammenfügung und Vergleichung der nachher genannten "Realien" verstanden, d.h. also eine Verstandeshandlung, die sich nicht in einem bloß logischen Moment erschöpft [... Kant sagt], daß unsere Möglichkeitsbegriffe "combinando, limitando, determinando" [lat. durch Verbindung, Begrenzung, Bestimmung, wenn das ein Gerundium Ablativ ist (sorry)]entstehen."
"Das so verstandene Formale der Möglichkeitsbegriffe setzt ein "Reale" voraus, näherin Realien, die "zu Gebote" stehen müssen.[...]Es ist das metaphysisch Positive im Gegensatz zur metaphyischen Verneinung (Mangel oder Begrenzung der Realität)[...]Aber welche genau diese Elementarinhalte sind, aus denen unsere Möglichkeitsbegriffe, die Begriffe der verschiedenen Wesenheiten, entstehen, wird von Kant nirgends näher angegeben. [Fußnote: Im Werk von 1763, "wo Kant versucht, positiv den Begriff vom Sein als Position zu klären, spricht er von 'unauflöslichen Begriffen', in die 'unsere gesamte Erkenntnis ... endigt.' Weiteres erfahren wir auch dort nicht."]


Ich finde den Begriff der Möglichkeit und die Frage, ob und was sie sind, zunehmend vielschichtig und verwirrend, obwohl wir den Begriff wie selbstverständlich gebrauchen und auf den ersten Blick recht gut damit zurecht kommen - abgesehen vielleicht von der Frage: Welchen Status Spekulationen wirtschaftlich oder philosophisch gesehen haben.


Das Thema Möglichkeit entfaltet sich, wenn ich das auf den Duktus der Vorlesung beziehe, aus dem Übergang von Parmenides zu Platon. Bei Parmenides gibt es nur 2 Möglichkeiten, Behauptung und Verneinung, und von diesen fällt die Verneinung weg. Das heißt: die Abwehr des Widerspruchs beseitigt auch die Möglichkeiten. Das ist auch die Suggestion von "jede Sprache ist faschistisch" (R. Barthes). Indem sie etwas statuiert "duldet sie keinen Widerspruch".
Aber es gibt dennoch Widerspruch und das fädelt Platon so ein, dass er den parmenideischen Gegensatz in die Alterität verschiebt. Damit beginnen Möglichkeiten im Sinn des "combinando, limitando, determinando". Wenn Seiendes als für sich und abgetrennt zu bestimmen ist, kann es zu verschiedenen Sachverhalten organisiert und re-organisiert werden.
Dann haben wir es (wiederum im Blick auf die Vorlesung) mit der Frage zu tun, wie sich Formen verbinden können. Die Form des Rebhuhns mit der Form der Eiche? Das geht wohl nicht. "Ist nicht möglich!" Wir brauchen einen Spielraum der Möglichkeiten, um der Erpressung durch die "Positivität des Seins" zu entkommen. Aber wer bestimmt die Spielregeln? --anna 08:25, 11. Mai 2010 (UTC)


Der Satz vom Grund

Weil auch von Grund und Begründungsverhältnis und Grenzen des Begründens die Rede war und Idee gemäß der Tabelle auf der Wiki-Seite auch mit "Endpunkt des begründenden Denkens" übersetzt wird: Hier ein formalisiertes Argument, warum bei Gott, also am Ende der Kette von Begründungen, die Frage nach einem weiteren Grund - nach Kant im Jahr 1755 - ausgelassen wird:

SatzVomGrund.png

Idee und Unterscheidung bei Gregory Bateson

Weiters ist mir zufällig eine Textstelle bei Gregory Bateson "Ökologie des Geistes" - Aufsatz: Form, Substanz und Differenz, aufgefallen, die recht holprig durch die Thematik wandert, aber durch die verschobene Perspektive ganz interessant ist (S.582, 2. Aufl. 1983, Suhrkamp):

"Ich gebe Ihnen nun zu bedenken, daß das Wort "Idee" in seinem elementarsten Sinne mit "Unterschied" synonym ist. Kant behauptet in der Kritik der Urteilskraft - wenn ich ihn recht verstehe - daß der elementarste ästhetische Akt die Auswahl einer Tatsache ist. Er führt aus, daß in einem Stück Kreide eine unendliche Anzahl potentieller Tatsachen stecken. Das Ding an sich, das Stück Kreide, kann niemals in die Kommunikation oder in den geistigen Prozeß eingehen, weil ihm diese Unendlichkeit zukommt. Die Sinnesrezeptoren können es nicht annehmen; sie filtern es aus. Was sie tun, ist, bestimmte Tatsachen aus dem Stück Kreide zu selektieren, die dann, in moderner Terminologie, zur Information werden.Ich nehme an, Kants Behauptung läßt sich so modifizieren, daß sie besagt, im Umkreis und innerhalb des Kreidestücks sind unendlich viele Unterschiede. Es bestehen Unterschiede zwischen der Kreide und dem Rest des Universums, zwischen der Kreide und der Sonne oder dem Mond. Und innerhalb des Kreidestücks bestehen für jedes Molekül eine unendliche Anzahl von Unterschieden zwischen seinem Ort und den Orten, an denen es hätte sein können. Von dieser Unendlichkeit selektieren wir eine sehr begrenzte Anzahl, die zur Information werden. Was wir tatsächlich mit Information meinen - die elementare Informationseinheit -, ist ein Unterschied, der einen Unterschied ausmacht, und er kann einen Unterschied ausmachen, weil die Nervenbahnen, auf denen er reist und kontinuierlich transformiert wird, ihrerseits mit Energie versorgt werden.[...]Eine Halluzination oder ein Traumbild ist gewiß eine Transformation von irgend etwas. Aber wovon? Und aufgrund welcher Transformationsregeln?[... auf S.581]In der Welt des Geistes kann Nichts - das, was nicht ist - eine Ursache sein."

Und dann der Bogen zu Gott, einer pantheistischen Variante davon (S.592):

"[Es] verändert sich die ganze Bedeutung von "Überleben", wenn wir aufhören, über das Überleben von etwas zu sprechen, das durch die Haut begrenzt ist, und statt dessen anfangen, uns mit dem Überleben des Systems von Ideen in einem Kreislauf zu befassen. Die Inhalte der Haut sind beim Tod zufallsgemäß verteilt, ebenso sind die Bahnen innerhalb der Haut zufallsgemäß verteilt. Aber die Ideen können unter weiterer Transofrmation in Büchern oder Kunstwerken in die Welt hinaus gelangen. Sokrates ist als ein bioenergetisches Individuum tot. Aber vieles von ihm lebt noch immer als ein Bestandteil in der zeitgenössischen Ökologie von Ideen. Damit ist auch klar, daß die Theologie verändert oder vielleicht erneuert wird. Die mediterranen Religionen haben fünftausend Jahre lang zwischen Immanenz und Transzendenz hin und her geschwankt. In Babylon waren die Götter auf den Berggipfeln transzendent; in Ägypten war Gott im Pharao immanent; und das Christentum ist eine komplexe Kombination dieser beiden Glaubensformen. Die kybernetische Erkenntnistheorie, die ich Ihnen vorgelegt habe, würde einen neuen Zugang nahelegen. Der individuelle Geist ist immanent, aber nicht nur dem Körper. Er ist auch den Bahnen und Mitteliungen außerhalb des Körpers immanent; und es gibt einen größeren Geist, von dem der individuelle Geist nur ein Subsystem ist. Der größere Geist läßt sich mit Gott vergleichen, und er ist vielleicht das, was einige Menschen mit "Gott" meinen, aber er ist doch dem gesamten in Wechselbeziehung stehenden sozialen System und der planetaren Ökologie immanent."