Diskussion:Eigentumsverhältnisse (tphff)

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Version vom 12. Januar 2012, 11:28 Uhr von Anna (Diskussion | Beiträge) (add content)
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Da ich zur Zeit dem Urlaub huldige, mit meiner wunderbaren Familie, in einem tollen Wellnesshotel mit herrlichem Ambiente, und ich durch unglückliche Umstände, soll heißen ich habe mir beim Schifahren die Schulter ausgerenkt, plötzlich Unmengen an verfügbarer Zeit angehäuft habe, kann ich Sie mit Sperrmüll aus meiner Buchstabensammlung versorgen.

Wenn ein Philosophieprofessor davon spricht, dass seine Studenten auf die Eingangsfrage einer Vorlesung, die da lautet: „Was ist das bloß, dass alle andauernd nur vom Unglück reden wollen?“ Ein so genanntes Feed-back haben möchte, wobei er schon im Vorhinein weiß, dass er keines bekommt. Aber er konstatiert Unterschiede in den Reaktionen. Die Studentinnen nicken und die männlichen Kollegen ignorieren die Frage in „jugendlicher Coolness“: „Aha, er philosophiert!“

Heute sagt der 61jährige Professor hat er seine Strategie geändert, heute fragt er in der selben Eingangsvorlesung mit der radikalen Frage Heideggers: „Warum überhaupt etwas sei, und nicht vielmehr nichts“, - und heute bekäme er bei der vorwiegend weiblichen Zuhörerschaft unmutiges Kopfschütteln über den kindischen Unsinn der Heideggerschen Frage, und beim männlichen Gegenpart Unverständnis über die metaphysische Fühllosigkeit der Weiblichkeit. Nun sagt besagter Professor, dass die metaphysische Fühllosikeit des weiblichen Geschlechts genauso ein Mythos ist, wie die empirisch bewiesene Annahme, dass Frauen beim Einparken reversieren müssen. Ich stimme mit ihm natürlich überein, schließlich trennt uns nur ein Jahr von einander, außerdem würde auch ich gerne vom Amt für Gendermainstreaming einmal abgemahnt werden. Wahrscheinlich auch eine Frage der Reputation.

Man kann sich natürlich fragen, wann ist man berechtigt solch eine Frage zu stellen, was muss man alles an Vor-Reputation „geleistet“ haben um diese Frage stellen zu dürfen. Da sollte man wohl mindestens Heidegger oder Liessmann heißen. Ja, man darf sie einfach außerhalb eines Lehrsaales nicht stellen. Stellt man diese Frage in einer Gruppe von Wirtschaftskapitänen wird man garantiert erstmals ignoriert, jeder denkt sich, da habe ich mich wohl verhört, besser auch so zu tun, als ob. Bleibt man aber hartnäckig, dann gibt es wohl kaum ein besseres Mittel die Gruppe zu zerstreuen, sofort hat jeder irgend etwas wichtiges zutun und muss schnell weg. Ich meine, sogar Levinas, mit seiner radikalen Ethik, hat letztendlich nicht bestritten, dass die Ansprechung durch den Anderen, die uns durch sein Antlitz in die Verantwortung grundsätzlich zwingt, immer ein Schlupfloch, eine Flucht aus dieser Verantwortung, offenlässt.

„Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“, das ist ja keine Frage die ins Leben passt. Die Frage nach dem Sinn von Sein soll gestellt werden, sagt Heidegger. Nun ist aber der Sinn den Seiende mitbringen, abhängig von ihrem Verständnis, ihrer Herkunft, ihrer Bildung, ihrer Umgebung, ihres Umfeldes und ihrer Betätigung. In dem Umfeld, der Umgebung, dem okzidentalen Wendekreis, ist es wenn man den Medien zum Jahreswechsel glaubt: Die Leistung. Die Leistung des Einzelnen, die Leistung die eine Gemeinschaft zuwege bringt, vor allem die Leistung die sich wieder lohnen muss. Auf diesem Wort basiert unsere ganze Wirtschaftsordnung, natürlich auch die Vorstufe dazu, die (Aus)bildung. Es geht halt nicht ohne Leistung, sagen uns die Einen, die Anderen sagen gar nichts. Wer das nicht glaubt ist ein linksliberaler Träumer! Die Spezies Mensch hat sich ja offensichtlich nicht in einem Kuschelkurs, als bis dato erfolgreiche Art in diesen Planeten nachhaltig eingebrannt. Das heißt also Leistung ist das Recht des Stärkeren, mehr und zwar viel mehr an Ressourcen abzuschöpfen, als vergleichbare Andere. Dem hat nicht mal Rawls widersprochen.

„Integration durch Leistung“, ist ein Satz der überraschenderweise gut ankommt in unserer durchmischten Gesellschaft, in einem Land das dem Abstammungsfetischismus huldigt. Menschen danach zu beurteilen was sie tun und was sie können, basiert auf dem Fundament von Leistung. Die so genannten Intelligenzmedien beschwören das Leistungsprinzip, wollen aber trotzdem nicht auf seine Allgemeingültigkeit wetten. Aber das verwundert wohl kaum - zu komplex ist die Welt!

Aber ich sage euch eines liebe Kollegen und Mitstudierende: Glaubt niemandem, der euch Leistung madig machen möchte, und der euch weismacht Glücklichsein ist allein eine Frage der inneren Einstellung. Das Leben ist ein Statussymbol und das heutige Leben ist Krieg mit anderen Mitteln. Wer die geforderte Leistung und einen zusätzlichen Bonus bringt, der bekommt die „schönere“ Frau, das spektakulärere Haus, die mondäneren Urlaube, ja eine atemberaubende Lebenszeit! Und keinerlei andere Versprechungen im Diesseits oder Jenseits haben die Möglichkeit dem Gleichartiges entgegenzusetzen. Diese Realität lehrt keine Philosophie, die muss man sich erarbeiten: Durch Leistung. Verzicht ist ein tolles Aphrodisaikum, auch eine Definitionsfrage und ganz sicher ein Aspekt den man erst von einem hohen Niveau, einer oberen Ebene herab betrachten und erst dann betreiben sollte. Und Verzicht ist das Vorrecht des Alters, wenn sich eine Symbiose aus genetisch bedingtem Verzicht mit vernunftbedingtem Verzicht zu einer wohlfühlenden Lebens(end)phase paart.

Daher zuerst etwas zustande bringen, sich etwas erarbeiten, denn nach der Leistung ist alles möglich, auch Verzicht auf Leistung.

--Felber Franz 14:28, 4. Jan. 2012 (CET)

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Zu "Integration durch Leistung" passt der folgende Ausschnitt aus W.G. Sebalds Die Ausgewanderten. Vier lange Erzählungen. Er ist aus dem ersten Bericht und handelt von einem Arzt, den Sebald bei der Wohnungssuche kennengelernt hat. Ein Jude aus Litauen. In diesem Text werden einige Themen angesprochen, die wir bisher im Semester behandelt haben. Darunter auch Leistung und Integration. Die ganze Umgebung ist allerdings eine andere.

Es ist nicht zu leugnen, dass man ohne Leistung nicht Klassenbester wird. Als Emigrantensohn im Ausland ist das eine andere Geschichte. Und wer im Inland geblieben ist kann sich die Fraqe stellen, in welchen Kontexten auch für ihn "Leistung" etwas Erhabenes sein könnte.

Mein Vater, der Linsenschleifer war, kaufte sich mit der mitgebrachten Barschaft in ein Brillengeschäft ein, das einem Landsmann aus Grodno namens Tosia Feigelis gehörte. Ich besuchte eine Grundschule in Whitechapel und lernte dort wie im Traum, sozusagen über Nacht, das Englische, weil ich meiner wunderschönen jungen Lehrerin, Lisa Owen, vor Liebe jedes Wort von den Lippen ablas und im Andenken an sie auf dem Heimweg fortwährend alles wiederholte, was ich den Tag über von ihr gehört hatte. Diese schöne Lehrerin ist es auch gewesen, sagte Dr. Selwyn, die mich zur Aufnahmeprüfung in der Merchant Taylors' School anmeldete, da es für sie anscheinend bereits ausgemacht war, daß ich eines der wenigen alljährlich an minderbemittelte Schüler zu vergebenden Stipendien erringen würde. Ich löste ein, was sie sich von mir versprochen hatte; das Licht in der Küche der zweizimmrigen Woh¬nung in Whitechapel, in der ich gesessen bin bis tief in die Nacht, wenn die Schwestern und die Eltern längst zu Bett waren, ging, wie mein Onkel Shani oft bemerkte, nie aus. Ich lernte und las alles, was mir vor Augen kam, und überwand die höchsten Hindernisse mit zunehmender Leichtigkeit. Eine ungeheure Strecke hatte ich, so schien es mir am Ende meiner Schulzeit, als ich an der Spitze meines Jahrgangs aus den Abschlußprüfungen hervorgegangen war, zurückgelegt. Ich hatte den Höhepunkt meines Selbstgefühls erreicht und änderte in einer Art zweiter Konfirmation meinen Vornamen Hersch zu Henry und meinen Familiennamen Seweryn zu Selwyn.

-- anna

"Die Leistung des Einzelnen, die Leistung die eine Gemeinschaft zuwege bringt, vor allem die Leistung die sich wieder lohnen muss. Auf diesem Wort basiert unsere ganze Wirtschaftsordnung, natürlich auch die Vorstufe dazu, die (Aus)bildung." (Franz Felber)

Was bestimmt den Wert eines Handelsguts? Nach welchem Maß ist etwas "etwas wert"? Nach Adam Smith ist das (grob gesagt) die investierte Arbeit. Das ist ein Verständnis von Leistung: wieviel Arbeit es gekostet hat. Aber es gibt noch eine zweite Bedeutung: eine besondere Leistung. Es kann zwar sehr aufwendig sein, eine Straße zu asphaltieren, aber das ist keine Leistung, verglichen mit der Entwicklung eines neuen Straßenbelags. Die Wirtschaftsordnung beruht auf beiden Typen von Leistung und die politische Debatte dreht sich darum, inwiefern die Sonderleistung honoriert werden soll.

Das zunehmende Auseinanderklaffen der Gehaltsschere ist ein Indikator dieses doppelten Leistungsverständnisses. Es wird dadurch gerechtfertigt, dass die Sonderleistung zunehmend mehr Erfolg bringt. Das geschieht unter anderem dadurch, dass sie sich neuer Erkenntnisse bedient, also stark auf kognitiven Strategien aufbaut. Die folgen allerdings oft nicht den Kriterien absehbarer materieller Leistungen.

--anna 10:28, 12. Jan. 2012 (CET)